Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Der erste Streik der Bauarbeiter in der Nachkriegsgeschichte“ beleuchtet:
Zustände wie im Kapitalismus
Arbeitszeiten bis zur gesetzlichen Maximalschranke, der staatliche Mindestlohn als Regellohn im Osten, Umgehung von tariflichen Lohnvereinbarungen durch Austritte aus dem Arbeitgeberverband oder durch General- & Subunternehmertum, Beschäftigung illegaler Ausländer bei Kalkulation staatlicher Strafen: all das sind Methoden der Baukapitalisten, die sich erpresserisch die von ihnen geschaffenen Arbeitslosenheere und eine europaweite Konkurrenz der Bauarbeiter zur Lohnsenkung zunutze machen. Die Gewerkschaft führt einen Streik nicht dagegen, sondern gegen ihre Ausmischung und für ihre (Wieder)Anerkennung als Tarifpartei.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
„Der erste Streik der Bauarbeiter in
der Nachkriegsgeschichte“ beleuchtet:
Zustände wie im
Kapitalismus
1.
Eine auf Sozialfriedlichkeit geeichte IG-Bau, die sich
etwas nicht mehr bieten lassen
will, deutsche
Bauarbeiter, die für ihre Forderungen streiken? Fast
schon eine kleine Sensation in dieser Republik. Nicht
minder die Resonanz, die das unerhörte Vorkommnis
erfährt: Ein Streik, der nicht in Bausch und Bogen
verdammt wird, noch bevor er überhaupt anfängt;
stattdessen die Vorstellung von Bauarbeitern auf
Barrikaden
, für deren Begehren sich die Hüter der
politischen Sittlichkeit im Land glatt erwärmen können
und Verständnis aufbringen – auch das war seit dem 17.
Juni vor 49 Jahren nicht mehr da. Den Anliegen der
Arbeiterschaft gegenüber für gewöhnlich eher nicht so
sehr aufgeschlossene Journalisten entschließen sich zu
einem nüchternen Blick aufs Baugewerbe – auch ein
Streik kann Augen öffnen
(FR,
20.6.02) –, und da soll man sich einmal gar nichts
vormachen: Die Zustände in diesem Erwerbszweig sind
wahrlich nicht schön. Von Formen der Lohndrückerei wissen
sie zu berichten, die in einem zivilisierten Land
eigentlich nicht möglich sein sollten; von praktizierten
Rücksichtslosigkeiten der Baukapitalisten gegenüber so
gut wie allen geltenden Tarif-, Arbeitszeit- und
Arbeitsschutzbestimmungen, gegen die offenbar niemand,
auch der Gesetzeshüter nicht, vorgeht; von amtlich nicht
registriertem Menschenmaterial, das sich unter empörenden
– rechtlos
, erniedrigend
– Umständen auf
den Baustellen herumtreibt, kurz: Diese im Baugewerbe
beheimatete Abteilung der proletarischen Armut ist
dermaßen eklatant, dass man dem Aufbegehren der
Menschen am Bau
seine moralische Berechtigung
nicht absprechen mag. Einerseits.
Denn andererseits hat die freilich auch ihre Grenzen. So
gut man die Bauarbeiter in ihrer wenig anheimelnden
sozialen Lage schon verstehen kann: Allzu viel an der
lässt sich nicht ändern. Sie sind nämlich keineswegs die
Einzigen, denen es am Bau schlecht geht: Seit sieben
Jahren leidet die Branche unter einer verheerenden
Krise
(Spiegel, 24/02), und da tun sie gut daran, in
ihrem Verlangen nach eigener Besserstellung das rechte
Augenmaß nicht zu verlieren. Im Grunde genommen ergeht es
ihnen ja nur deswegen so schlecht, weil es der
Bauindustrie schlecht geht. Die ist es, die seit
Jahren mit nichts geringerem als ihrem Überleben
zu kämpfen hat. Die sich deswegen eine andere Kalkulation
mit dem Lohn und der Leistung ihres Personals gar
nicht leisten kann als die, die
für sie und für ihr
Überleben allenfalls noch tragbar ist, und da braucht sie
von den Diensten ihres Personals eben immer so viel, wie
nötig, das aber immer so billig, wie möglich. Insofern
steht erstens fest, dass sich die Gewerkschaft einen
ungünstigeren Zeitpunkt für ihren Streik … nicht
(hätte) aussuchen können
(ebd.), und damit – weil sie ihn sich nun
einmal ausgesucht hat – zweitens auch, dass der Streik
zwar moralisch schon berechtigt sein mag, letztlich aber
doch ein Wahnwitz
(FAZ) ist. Wenn er jedenfalls auch nur
irgendwie dahingehend ausarten sollte, den
Bauindustriellen ernsthaft die Freiheiten der
Kalkulation zu bestreiten zu wollen, die sie um ihres
Überlebens willen einfach brauchen, verwirken die
Bauarbeiter nicht nur ihr moralisches Recht: Dann sind
sie es selbst, die ihre wirtschaftliche
Zukunft aufs Spiel setzen
.
So finden die Fachleute für Wirtschaft und sozialen
Frieden doch wieder sehr schnell zu dem ihnen so
geläufigen Bekenntnis zu allen kapitalistischen
Notwendigkeiten zurück, denen das Elend auch der
Bauarbeiter sich verdankt. Als abhängig
Beschäftigte
sind auch sie nun einmal die
Manövriermasse ihrer Anwender, haben also als Bedingung
ihres Überlebens mit allem fertig zu werden, was
die Firma, der sie dienen, ihnen in der Konkurrenz um ihr
eigenes an Lohn und Leistung zumutet. Dass sie es
dabei besonders schwer haben, mag man ihnen dann
anerkennen, schlimm
sind die Zustände an ihren
freiluftigen Arbeitsplätzen durchaus. Aber eben doch nur
ausnahmsweise, doch nur deswegen, weil ihre Arbeitgeber
es bei ihren Geschäften mindestens so schwer haben wie
sie. Weil die Bauwirtschaft ein marktwirtschaftlicher
Ausnahmefall sein soll – in jeder Hinsicht sind sie
rau, die Sitten am Bau. Mit sozialer Marktwirtschaft
haben sie oft genug nur mehr am Rande zu tun. Eher schon
mit einer Den-Letzten-beißen-die-Hunde-Ökonomie
(FR, 20.6.02) –, genießen
streikwillige Bauarbeiter ein wenig mildernde Umstände,
und zwar im Urteil derselben Leute, die ansonsten nicht
genug von Niedriglohnsektoren
schwärmen und
beschäftigungshemmende Hindernisse
weggeräumt
sehen können. Wären sie ehrlicher, könnten sie ihrem
Publikum an der Bauwirtschaft einmal den Paradefall
dessen vorführen, was ihnen als ihr eigenes Ideal einer
‚modernen Marktwirtschaft‘ und eines
‚deregulierten Arbeitsmarktes‘ vorschwebt. Denn
genau das liegt da vor.
2.
Was Hartz- und andere Kommissionen als einen Hauptpfeiler
der unbedingt fälligen sozialpolitischen und
arbeitsrechtlichen Renovierung des deutschen Standorts
ins Auge fassen, die Abschaffung dieses ‚Beschäftigung‘
so hemmenden
Kündigungsschutzes: das haben
die Kapitalisten der Baubranche längst selbst in die Hand
genommen und erledigt. Um ein glattes Drittel
(FR) bis knapp zur
Hälfte
(SZ) haben sie in
rund sieben Jahren in ihrem Gewerbe den
Beschäftigungsstand reduziert, einfach so, ohne großes
Brimborium um Abfindungen und Sozialpläne. Die 500000
Entlassenen haben zwar beträchtlich zur
Arbeitslosigkeit beigetragen
(FR, 20.6.), was betrüblich ist, aber
eben auch ihr Werk zur Rentabilisierung der Arbeit der
Verbliebenen getan, wogegen nichts einzuwenden ist: Wer
am Bau noch so etwas wie einen ‚festen Arbeitsplatz‘ hat,
erhält für eine wöchentliche Regelarbeitszeit von 60
Stunden aufwärts einen um ein Viertel bis ein Drittel
abgesenkten Lohn. Dafür genießt er das Privileg, einen
Arbeitsvertrag und nicht nur wie die, von denen später
die Rede ist, einen „Baustellen-Vertrag“ in Händen zu
halten…
Dass tarifliche
Lohnvereinbarungen für die ungehinderte
Entfaltung des kapitalistischen Geschäftswesens eine
unzumutbare Beschränkung darstellen, weiß man im
Baugewerbe nicht nur schon seit längerem: Man handelt
auch praktisch schon längst danach. Das ihnen von Staats
wegen eröffnete Angebot, die im Osten der Republik
ansässige Arbeitskraft zu im Vergleich zum Westen von
vorneherein verbilligten Tarifen benutzen zu können,
haben die Bauindustriellen für sich gar nicht erst groß
in Erwägung gezogen. Sie sind aus dem „Flächentarif“
einfach ausgestiegen, und zwar massenhaft, zwischen 20
und 30% der Baufirmen sollen sich im Osten noch an so
etwas wie eine tarifliche Lohnvereinbarung halten –
nolens volens, wie man hört, da sie andernfalls womöglich
der Aufträge ihres staatlichen Bauherrn verlustig gehen.
Für den Rest gilt die Regel, dass er bei der Wahrnehmung
seiner Freiheit zur Lohndrückerei nur eine Schranke
einzuhalten hat. Als Reaktion auf die – inzwischen
keineswegs mehr nur auf den Osten der Republik
beschränkte – Tarifflucht
ihres
Verhandlungspartners hat die Gewerkschaft nämlich für Ost
und West einen Mindestlohn
erstritten. Mit dem
trägt sie dem Umstand positiv Rechnung, dass sich der
Beruf eines ‚Facharbeiters auf dem Bau‘ angesichts der
Methoden, mit denen die Unternehmer mittlerweile ihre
Gewerke erstellen lassen, zusehends überlebt hat, für die
Bezahlung der Arbeitskraft im Baugewerbe also ohnehin nur
der unterste Boden ihrer Tariflohn-Hierarchie einschlägig
ist. Und nachdem sie mangels Ansprechpartner nicht einmal
den auf dem Verhandlungswege verbindlich machen kann,
trägt sie auch ihrer Ohnmacht Rechnung und leiht sich vom
Ministerium für Arbeit und Soziales die Macht aus, die
ihr abhanden gekommen ist. So ist kraft sozialstaatlichen
Erlasses in Deutschland für alle Bauunternehmer
ein Lohnminimum verbindlich, was aber mit einem
staatsdirigistischen Eingriff in die Freiheit der
kapitalistischen Berufsausübung kaum zu verwechseln ist:
Die staatliche Verbindlichkeitserklärung eines
Mindestlohnes sanktioniert ja gerade die
Praktiken der deregulierten Lohnfindung an allen
Tarifvereinbarungen vorbei, weswegen es nur logisch ist,
dass aus dem Mindestlohn im Osten schon ein
Regellohn geworden ist und er im Westen die
Tendenz hat, dies demnächst zu werden. Und es ist ja auch
nicht so, dass die Kapitalisten das Minimum an Lohn, das
sie zahlen müssen, auch immer zahlen müssten – betriebs-,
konjunktur-, orts- oder sonst wie bedingt sind
Abweichungen nach unten auch von Rechts wegen
selbstverständlich gestattet, so dass das staatliche
Dekret also auch noch den Weg zu Löhnen unterhalb der
sozialstaatlichen Bedenklichkeitsschwelle
eröffnet.
Mit ihrem verbilligten Personal treiben die Baukapitalisten voran, was sie schon immer von „ihren“ Arbeitern verlangt haben: die Bereitschaft zu Mobilität und Flexibilität, die Gewöhnung daran, sich auf verschiedene Baustellen werfen, sich seine Zeiteinteilung von deren Rhythmus diktieren zu lassen und sich nach Unregelmäßigkeiten aufgrund von Auftragslage und Witterungsverhältnissen zu richten. Da trifft es sich für sie ausgezeichnet, dass ihnen ihr Staat den Zugriff auf Arbeiter eröffnet hat, die in dieser Hinsicht geradezu maßstabbildend sind: Mit dem europäischen Binnenmarkt und der in ihm gewährten ‚Freizügigkeit des Arbeitnehmers‘ hat er den gesamten europäischen (Arbeits-)Markt neu reguliert – und damit den Kapitalisten auf dem Bau auch noch die europäische Reservearmee des Proletariats zu einem einzigen Angebot einer für sie lohnenden Ausbeutung hergerichtet. So tummelt sich zusätzlich zu den deutschen Billiglöhnern auch noch ein bunt zusammengewürfelter Haufen von europäischen Wanderarbeitern auf den hiesigen Baustellen, und das Elendsniveau, das Portugiesen, Engländer, Iren und andere dabei mit importieren, wirkt in Sachen ‚Deregulierung‘ wie eine einzige Produktivkraft. An ihren europäischen ‚Kollegen‘ erfahren die Einheimischen, dass man das Arbeiten auf deutschen Baustellen auch gut ohne all die gewohnheitsmäßigen Regelungen aushalten kann, in deren Genuss sie bislang womöglich noch kamen. Von ihren kapitalistischen Anwendern wird ihnen jedenfalls praktisch beschieden, dass so gut wie alles, worin sie sich in Bezug auf die Schranken ihres Arbeitstages, die Entfernung ihres Arbeitsplatzes vom Wohnort und ihren Lohn eingerichtet haben, schierer Luxus ist. ‚Bewiesen‘ wird ihnen dies an denen, die sozialstaatlich wie arbeitsrechtlich weit weniger verwöhnt sind als sie – und trotzdem das Werkeln auf einer deutschen Baustelle ihrem Verbleib daheim vorziehen, und wem dieser Beweis über kurz oder lang nicht einleuchtet, hat ausgewerkelt: Ersatz für ihn gibt es ja genug.
Damit sind die Bauunternehmer noch längst nicht am Ende
mit dem ‚Deregulieren‘ ihres Umgangs mit der
Arbeitskraft. Der Stand, den sie mit ihrer Emanzipation
von nennenswerten Formen einer tarifvertraglichen Bindung
und bei der Flexibilisierung ihres gesamteuropäischen
Dienstpersonals erreicht haben, eröffnet ihnen eine
Geschäftsgrundlage ganz anderer Art – nämlich die, auch
noch die geltenden sozial- und
arbeitsrechtlichen Schranken loszuwerden,
von denen sie ihre unternehmerische Freiheit beschnitten
sehen. Wenn Gerichte bis hinauf zum Europäischen
Gerichtshof mit Fragen der Art befasst sind, welcher
rechtliche Rahmen für die Anstellungsverhältnisse auf dem
Bau überhaupt – noch – gelten soll; welcher Gesetzgebung
ein portugiesischer Bauarbeiter untersteht, der seinen –
vorübergehenden – Wohnort in einem Container auf einer
Berliner Baustelle gefunden hat; wer arbeitsrechtlich für
ihn verantwortlich ist, wenn er von der – dazu eigens
gegründeten – portugiesischen Tochterfirma an das
deutsche Hauptunternehmen ausgeliehen wird; ob sein
Entsender ihm auch dann den gesetzlichen Mindestlohn
zahlen muss, wenn es auch deutsche Firmen gibt, die ihn
nicht zahlen müssen, usw. usw. – dann hat sich bei der
privaten Auslegung des Rechts und der
kapitalistisch-schöpferischen Fortschreibung der
gepflogenen Sitten auf dem Bau offensichtlich einiges
getan. Die von Kennern der Szene ausgemachte
rechtliche Grauzone
, in der dieses Gewerbe sich
bewegen soll, besteht der Sache nach daran, dass die
Baukapitalisten den Raum nach Strich und Faden
ausnutzen, der ihnen durch europäisches wie
deutsches Recht für ihren Umgang mit dem internationalen
Humankapital eröffnet wird. Die Erosion aller
tarifvertraglichen und sonstigen Regelungen dafür, was
als fester Bestandteil eines Arbeitsvertrages zu
betrachten ist, welche Arbeitszeiten mit welchen
Zuschlägen, welche Aufschläge auf besondere Belastungen
und Gefahren noch gelten, haben sie selbst nach Kräften
ins Werk gesetzt: Das Gros ihrer Beschäftigen lassen sie
mit kurz befristeten Baustellen-Verträgen
außerhalb des Tarifsystems
(SZ, 4.6.02) für sich arbeiten. Und wo
sie sich so schon alle Freiheiten erfolgreich verschafft
haben, beide Seiten des Verhältnisses von Lohn und
Leistung zum eigenen Vorteil zu gestalten, dehnen sie
ihre Freiheit eben auch immer wieder über die Grenzen des
rechtlich Erlaubten hinaus: In eigener Regie
machen sie sich an die Erledigung eines wichtigen
Beschäftigungshindernisses und typischen Kennzeichens des
überregulierten deutschen Arbeitsmarkts – und betreiben
den ‚Abbau der Lohnnebenkosten‘ im Alleingang, indem sie
Steuern und Sozialbeiträge einfach nicht an die
Staatskasse abführen…
Dabei kommt ihnen die Methode zugute, mit der sie ihre kleinen wie großen Aufträge ihrer staatlichen wie privaten Bauherren arbeitsteilig zu erfüllen pflegen – und die schon wieder auf ihre Weise ein kleines Ideal von einem ‚deregulierten Arbeitsmarkt‘ wahr macht. Ein Generalunternehmer zieht den Auftrag an Land und segmentiert das Gesamtwerk in größere und kleinere Gewerke. Er vergibt diese an Subunternehmer, die ihrerseits dasselbe betreiben und Sub-Subunternehmer verdingen, bis nach Kolonnen, die im Akkord Eisen biegen und flechten, dann am Ende die 3-Mann-Verputz-AG anrückt, die bei der Erfindung der Hartzschen „Ich-AG“ Pate gestanden haben könnte. Den Zuschlag erhält jeweils, wer seine Konkurrenten mit dem Preis für die zu vergebende Partie oder das abzurechnende Aufmaß erfolgreich unterbietet, und in diesem eigens zu dem Zweck so undurchdringlich hingebastelten Dschungel vertraglicher Beziehungen – Strohmanngeschäfte eingeschlossen – kommen die branchentypischen Methoden der Lohndrückerei dann so richtig schön zur Entfaltung: Wenn staatliche Kontrolleure, die ab und an auf den Groß-Baustellen vorbeischauen und eine kleine Razzia veranstalten, sich bei den Beschäftigten ohnehin nur noch für Pass und Sozialversicherungsausweis interessieren, kann man ja auch ermessen, wer dort alles und unter welchen Bedingungen dem deutschen Staat die Prachtbauten hochzieht und Verkehrstrassen baggert und asphaltiert. Für ‚Sicherheit am Arbeitsplatz‘ sorgen die Unternehmer bei allem gleichwohl noch: Mit eigenen Späh- und Warntrupps, damit ihre illegal beschäftigten In- und Ausländer beim Aufmarsch der staatlichen Greifer rechtzeitig abtauchen und nach deren Abzug wieder zur Arbeit antreten können.
Denn natürlich sind sich diese grundsoliden deutschen
Arbeitgeber der Baubranche nicht zu schade, auch noch das
leidige Ausländerproblem auf
ihre Weise zu ihren Gunsten zu handhaben. Die Insassen
des ehemaligen Ostblocks, die nun endlich im Besitz der
Freiheit sind, ihr Völkergefängnis zu verlassen, und alle
anderen Verzweifelten aus der übrigen Welt, die für sich
den Schluss gezogen haben, dass es im Vergleich mit den
Zuständen daheim doch einfach eine Perspektive für sie
sein muss, sich – auf welchen Wegen auch immer –
zu den Zentren der Marktwirtschaft aufzumachen und sich
in denen durchzuschlagen: Sie alle sind willkommen! Auf
sehr vielen deutschen Baustellen wenigstens, weil nämlich
ein engagierter moderner Unternehmer an ihnen die
Hindernisse einer rentablen Ausbeutung gar nicht erst
entdeckt, für deren Beseitigung er auf dem ‚regulierten‘
deutschen Arbeitsmarkt so viel zu tun hat. Diese Menschen
sind einfach von Haus aus dazu bereit, sich beim Entgelt
für ihre Arbeit und bei den Bedingungen, unter denen
diese zu verrichten ist, jede Zumutung bieten zu
lassen. Bei diesem Angebot muss ein Kapitalist,
der seinen Beruf noch halbwegs ernst nimmt, einfach
zugreifen, auch dann, wenn er es von Rechts wegen gar
nicht darf. Nur wer wagt, gewinnt, und wenn auch das
Risiko, wegen illegaler Beschäftigung
belangt zu
werden, nicht zu ignorieren ist, so wiegt es doch nicht
so schwer wie der Verlust, den einem der Verzicht auf den
Gebrauch einer Arbeitskraft beschert, die für 2 Euro die
Stunde und weniger zu haben ist. So geht es auf deutschen
Baustellen wahrhaft multikulturell zu, und welche Rasse
und Nationalität die jeweils anderen mit welchen Löhnen
für die eine oder andere Drecksarbeit unterbieten darf,
kriegen nicht einmal die investigativsten Journalisten
heraus: Da herrscht absolute Schweigepflicht, wer redet,
fliegt. Allseits bekannt dagegen ist, dass diese Sorte
Schwarzarbeit
sich inzwischen zu einem eigenen
‚Arbeitsmarktsektor‘ ausgewachsen hat, und der hat mit
der Figur eines Arbeitslosen, der sich auf eigenes Risiko
ein paar Mark dazu verdient, nichts mehr zu tun: Hier ist
geschäftsmäßig organisiert die überflüssige Bevölkerung
aus aller Herren Länder im Einsatz und lässt sich für
eine Hand voll Euro und sonst nichts ausbeuten,
und weil ein Arbeitsmarkt ‚deregulierter‘ gar nicht sein
kann, wächst dieser „Sektor“ kontinuierlich.
*
Von wegen also, eine durch die Krise der
Bauwirtschaft
bedingte Ausnahme
wären sie,
diese schlimmen
Zustände auf dem Bau, und von
wegen auch, mit der Marktwirtschaft, der sozialen, hätten
sie nur am Rande zu tun
. Das kapitalistische
Bedürfnis nach in jeder Hinsicht rücksichtsloser
Ausbeutung – das Kapital fragt nicht nach der
Lebensdauer der Arbeitskraft. Was es interessiert, ist
einzig und allein das Maximum an Arbeitskraft, das in
einem Arbeitstag flüssig gemacht werden kann
(Karl Marx, Das Kapital, Bd. 1,
S.281) – kennt keine Konjunkturen. Wo dem
geschäftlichen Interesse an einer möglichst rentablen
Ausnutzung der Arbeitskraft Hindernisse in Gestalt der
berühmten Regulierungen des Arbeitsmarkts
entgegenstehen, werden sie von Kapitalisten unterlaufen,
ausgehebelt und auch offen bekämpft, wenn sich ihnen die
Gelegenheit dazu bietet. Was sie an der Vermehrung ihres
Reichtums auch nur irgendwie behindert, ist einfach
systemwidrig und gehört weggeräumt – und genau
darin ist die Bauindustrie ein leuchtendes
kapitalistisches Vorbild.
3.
Allen Gerüchten über einen rechtsfreien Raum
zum
Trotz: Dem staatlichen Hüter des Rechts entgeht
selbstverständlich nicht, welches El Dorado an
‚Deregulierung‘ sich der Kapitalismus im Baugewerbe
geschaffen hat. Und auch wenn er diese ‚Modernisierung‘
des Arbeitsmarkts nicht in Auftrag gegeben hat: Sie zu
bremsen, gar rückgängig zu machen, sieht er keinen
Handlungsbedarf, im Gegenteil. Das Wohl dieses für die
Nation und ihren ‚Aufbau‘ so wichtigen Wirtschaftszweigs
liegt ihm generell am Herzen, also auch, dass die
Kapitalisten der Branche an Voraussetzungen ihres
Geschäftserfolges vorfinden, was sie benötigen. Deren
Wunsch, dazu möglichst unbeschränkt auf möglichst billige
Arbeitskräfte zurückgreifen zu können, versteht er daher
nicht nur, er entdeckt in ihm auch genau das wieder, was
ihm selbst als Maxime zur Renovierung seines
Arbeitsmarkts vorschwebt: Unter dem Imperativ
Beschäftigung!
kommen ihm selbst ja schon seit
längerem die sozialrechtlichen Regulative, mit denen er
seinen Arbeitsmarkt administriert, als eine einzige
Ansammlung von Hindernissen
vor, die es
wegzuräumen gilt, und wenn Krise
ist, macht sich
ihm dieses Diktat nur noch umso dringlicher geltend. Im
Umgang der Baukapitalisten mit ihren Arbeitskräften
entdeckt der ideelle Gesamtkapitalist Staat daher ganz zu
Recht die Avantgarde des Fortschritts auf dem
Arbeitsmarkt, den er haben will, und mit den
Rechtsbrüchen, die bei dessen gescheiter ‚Deregulierung‘
einfach unvermeidlich sind, hat er sich auf seine Weise
arrangiert. Er toleriert die Ausfransungen des
Rechtswesens, wie sie im Baugewerbe üblich sind, und hält
die rechtliche Grauzone
unter den zwei
Gesichtspunkten unter Kontrolle, die für ihn, den
politischen Beförderer wie Nutznießer des
kapitalistischen Fortschritts, von Belang sind: Dem
seiner Sozialkassen und dem der Rassereinheit seines
Volkskörpers. Denn wenn seine Kassen ohnehin schon leiden
und ihm durch massenhaft illegal Beschäftigte
weitere Steuern und Sozialabgaben durch die Lappen gehen,
dann ist das natürlich ein Problem
. Und wenn
auswärtiges Menschenmaterial unregistriert und der
staatlichen Aufsicht entzogen bei den Baukapitalisten
Unterschlupf findet, von ihm eigens zur Abschiebung
hindrangsalierte Asylbewerber sich glatt doch noch
irgendwo in diesem schönen Land einnisten können, dann
ist selbstverständlich auch das ein Problem
. Also
gilt es, aus allem zusammen das Beste zu machen, und bei
allem Respekt vor den Notwendigkeiten der
kapitalistischen Rentabilitätsrechnung zugleich nicht die
Aufsichtspflicht über Zusammensetzung und Einkommen
seines Volkes aus den Augen zu verlieren, die einem Staat
nun einmal heilig ist. Ausländer-Razzien auf Baustellen
müssen daher immer mal wieder sein, sich aber auch in
solchen Grenzen halten, dass sie nicht zu einer
ernsthaften Geschäftsschädigung ausarten. Wenn sich die
Konstruktion von Sub- und Subsubunternehmen gar zu
offensichtlich nur dem Zweck verdankt, Steuern und
Sozialabgaben zu hinterziehen, hilft dagegen ein Gesetz,
das den Generalunternehmer für die Gesetzesverstöße aller
anderen in Haftung nimmt. Bußgelder im einen wie im
anderen Fall eines Verstoßes gegen geltende Gesetze
modifizieren auf Seiten der Bauunternehmer ein wenig die
Kalkulationsgrundlagen, und beim Staat sorgen sie dort,
wo er einmal einen beim Rechtsbruch erwischt, für eine
gerechte Umverteilung des Profits. So kommt sie weiter
voran, die ‚Deregulierung‘ beim Bau.
4.
Dazu trifft es sich ausgezeichnet, dass die Kapitalisten
der Branche in Gestalt einer IG BAU ein Gegenüber vor
sich haben, das für sie und ihre Zwecke idealer nicht
sein könnte: Eine Gewerkschaft, die ihnen in allem, was
sie für die ‚Modernisierung‘ ihres Arbeitsmarktes für
notwendig erachten, einfach nur immer
entgegenkommt. Ein Verein allerdings, der sich
zwar als ‚Gegenmacht‘ zum Kapital aufstellt, sich als
diese aber aus allen Verhandlungen schlicht herauskürzt,
die er mit seinen Kontrahenten führt, bekommt dies zu
spüren: Mit der freiwilligen Abstandnahme vom ‚Gegen‘ ist
auch seine ‚Macht‘ dahin. Das entgeht auch seinen
Funktionären nicht, wenngleich sie natürlich über eine
eigene Wahrnehmung dieses Umstands verfügen. Sie beziehen
sich auf das Werk, das die Kapitalisten unter ihrer
bereitwilligen Mitarbeit herbeigeführt haben;
registrieren das Elend ihrer Klientel; bemerken die
Tatsache, dass ihre schönen Tarifwerke so gut wie gar
nichts gelten, aber auch manches staatliche Recht
offensichtlich nicht viel; stellen fest, dass ihr Verein
in Gestalt von Mitgliedern, Betriebsräten und dergleichen
auf den Baustellen kaum mehr präsent ist – und ziehen aus
all diesen untrüglichen Indizien der Schwäche
ihrer Gewerkschaft einen wahrhaft umwerfenden Schluss:
Das Einzige, was in diesem deregulierten Arbeitsparadies
fehlt, ist – eine Gewerkschaft, die wieder als
Tarifmacht
und Verhandlungspartner
anerkannt wird!
Dafür bricht die IG Bau dann auch einmal mit
ihrer 50-jährigen Tradition, wagt es, sich in das
größte Abenteuer ihrer Geschichte zu stürzen
,
(Spiegel, ebd.) und
organisiert einen Streik – gegen die eigene
Ohnmacht! Sie mobilisiert ihre verbliebenen
Mitglieder und baut sich auf, wie wenn sie den Beweis
antreten wollte, dass sie trotz allem die Macht
hat, auf den Baustellen alles lahm zu legen. Die Drohung
ist allerdings gar nicht darauf berechnet, wahr gemacht
zu werden. Die Streikorganisatoren haben weder die
Absicht, den „Ast abzusägen“, auf dem die Bauarbeiter
nach allgemeiner Auffassung sitzen, und die
Rentabilitätsrechnung der Bauindustrie zu stören.
Zusammen mit ihrer demonstrativen Drohung signalisieren
sie den festen Willen, es keinesfalls zum ‚Äußersten‘ –
einer echten Schädigung ihres Gegenübers –
kommen zu lassen. Sie brauchen diese Drohung, um dem
Gegner den Wert ihrer sozialpartnerschaftlichen Vernunft
vor Auge zu führen. Er soll einsehen, dass auch er kein
Interesse daran haben kann, die für ihn letztlich doch
ganz bequeme Partnerschaft zu
zerstören. Der Arbeitskampf zielt gar nicht
darauf, durch die Macht der Gewerkschaft der anderen
Seite Zugeständnisse abzutrotzen, er deutet diese Macht
an, damit die Gegenseite das bisherige und für die
Zukunft absehbare Entgegenkommen der IG-Bau zu
schätzen lernt und ihr Gesuch erhört; das
Gesuch nämlich von den Bauunternehmern wieder als
Verhandlungspartner bei der Regelung der Fortschritte in
Sachen Arbeitsplatzgestaltung ernst und vom
Staat als Korporation zur eigenverantwortlichen Betreuung
der branchenspezifischen ‚sozialen Frage‘
wichtig genommen zu werden.
Das ist den Forderungen, dem Verlauf und dem Ergebnis des
historischen Arbeitskampfs im Baugewerbe, der sich
großmäulig als wochenlanger Streik
und
Kampfmaßnahmen
ankündigt, denn auch anzusehen:
Nichts ist darauf berechnet, den ‚Gegner‘ zu schädigen,
so dass noch den dümmsten öffentlichen Berichterstattern
der lediglich symbolische Akt
nicht entgeht, den
die rot behelmten Bauarbeiter mit ihrer demonstrativ
grimmigen Entschlossenheit
inszenieren.
Entsprechend sieht der Forderungskatalog
aus, mit
dem die Gewerkschaft aufwartet. Neben einer Erhöhung des
Tariflohns, der für – wie gesagt: mindestens – ein
Drittel der West- und zwei Drittel der Ost-Betriebe im
Baugewerbe ohnehin bedeutungslos ist, erklärt sie die
Angleichung des ostdeutschen Mindestlohns an
sein westdeutsches Niveau zum Knackpunkt
. Damit
verlegt sie sich erstens gleich nur auf die Anhebung der
aller untersten Lohngruppe, – allerdings derjenigen, die
am Bau am meisten verbreitet ist. Zweitens spekuliert sie
darauf, dass sie die Wirksamkeit dieser Anhebung, wenn
die Baukapitalisten erst einmal unterschrieben haben,
nicht mehr selbst überwachen und durchsetzen muss,
sondern die staatliche Aufsicht über den Mindestlohn zum
Hebel dafür machen kann, dass ihre Vereinbarungen auch
etwas wert sind – womit sie selbst am ehesten wieder den
Status einer in Lohnfragen wirksamen Instanz
zurückzuerobern hofft. Dafür biedert sie sich drittens
bei dem zum Seniorpartner erkorenen Staat und seinem
Wertehimmel an, indem sie sich als Exekutor des
Grundgesetzgebotes von der Angleichung der
Lebensverhältnisse empfiehlt. Natürlich dankt es ihr
niemand, dass sie beim Fordern – 1,17 Euro mehr für den
Minimallohn im Osten – nicht am Elend derer Maß nimmt,
die von diesem famosen Almosen leben müssen, sondern an
der Politmoral des wiedervereinigten Deutschland. Zum
Bündnispartner gewinnt sie den Staat selbstverständlich
nicht: So war das Verbot, Ossis und Wessis zu
unterscheiden, nämlich nicht gemeint.
Und der IG Bau-Chef Wiesehügel, diese
Kämpfernatur
, davon in Kenntnis gesetzt, dass die
verehrten Arbeitgeber ihren Verband unverzüglich in noch
größerem Umfang als bisher schon verlassen werden, sollte
er irgendeine seiner Forderungen
ernsthaft
durchsetzen wollen, beendet den wochenlangen Streik nach
1½ Wochen, lässt seine Kernforderung
in einer
sehr zügigen
Verhandlungsrunde fallen und bekommt
dafür ein Papier, einen 100 Seiten umfassenden und
‚irrsinnig komplizierten‘ Bundesrahmentarifvertrag
.
(FR, 3.6.02). Dass der nichts
mit der Realität auf den Baustellen zu tun hat, wissen
beide Tarifparteien. Aber die Bestätigung, dass die
Unternehmer mit der von ihnen geschaffenen Realität die
traditionelle Interessenvertretung der Arbeitnehmer nicht
auch noch höchstförmlich zu ignorieren brauchen, war
ihnen die Kosten für die Drucklegung schon wert. Ach ja:
3% Lohnerhöhung gibt es auch noch, und womöglich merkt
der eine oder andere Mensch auf dem Bau
sogar
etwas davon.