Lieferengpässe durch Pandemie und andere Havarien
Die globale Marktwirtschaft beweist ihre Vernunft

In den letzten zwei Jahren ist es zu ein paar einschneidenden Störungen des üblichen Gangs der globalisierten marktwirtschaftlichen Dinge gekommen: Vor allem die wegen der Pandemie staatlich verordneten Lockdowns unterschiedlicher Strenge, zusammen mit der durch einen großen Frachter erzeugten Verstopfung einer der Hauptschlagadern des globalen Schiffsverkehrs und schließlich noch havarierte Halbleiterwerke ergeben einen umfassenden „Stresstest für die weltweiten Lieferketten“. Den bestehen diese im Urteil derer, auf deren Urteil es in solchen Fragen ankommt, in aller Regel nicht gut. Ihre Einschätzungen sind von der parteilichen Sorge getragen, dass die gegenwärtigen Disruptionen und Mangelerscheinungen möglichst schnell dem Wiedereinzug weltwirtschaftlicher Normalität weichen mögen. Halbwegs brauchbare Erklärungen über die Beschaffenheit dieser Normalität und die ökonomische Natur der Ausnahme sind darum leider Mangelware. Obwohl Informationen reichlich zu haben sind.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Gliederung

Lieferengpässe durch Pandemie und andere Havarien
Die globale Marktwirtschaft beweist ihre Vernunft

In den letzten anderthalb bis zwei Jahren ist es zu ein paar einschneidenden Störungen des üblichen Gangs der globalisierten marktwirtschaftlichen Dinge gekommen: Vor allem die wegen der Pandemie staatlich verordneten Lockdowns unterschiedlicher Strenge, zusammen mit der durch einen großen Frachter erzeugten Verstopfung einer der Hauptschlagadern des globalen Schiffsverkehrs und schließlich noch havarierte Halbleiterwerke ergeben einen umfassenden Stresstest für die weltweiten Lieferketten. Den bestehen diese im Urteil derer, auf deren Urteil es in solchen Fragen ankommt, in aller Regel nicht gut.

Alle Einschätzungen, Analysen und Prognosen, die sich an diesen Sachverhalt knüpfen, sind von der parteilichen Sorge getragen, dass die gegenwärtigen Disruptionen und Mangelerscheinungen möglichst schnell dem Wiedereinzug weltwirtschaftlicher Normalität weichen mögen. Halbwegs brauchbare Erklärungen über die Beschaffenheit dieser Normalität und die ökonomische Natur der Ausnahme sind darum leider Mangelware. Obwohl Informationen reichlich zu haben sind.

I. Die ökonomische Natur der globalen Lieferketten und ihrer derzeitigen Belastung

Zunächst wird das staunende Publikum darüber aufgeklärt, wie unglaublich viele Zulieferer an der Erstellung eines einzigen Gutes durchschnittlich beteiligt sind oder maximal beteiligt sein können – bei einem einfachen weißen Herrenhemd rund 140 und bei einem technisch raffinierteren Industriegut mehrere Tausend – und welch unvorstellbar große Entfernungen eine mittelprächtige Ware im Laufe ihres Herstellungsprozesses in Form ihrer Einzelteile bzw. ihrer Halbfertigstadien so zurücklegt – eine Jeans 50 000 km und ein iPhone sogar einmal bis zum Mond und zurück, man denke! Der Unterhaltungswert solcher angesichts unterbrochener Lieferketten erhältlichen Auskünfte ist auf jeden Fall hoch, hat doch der normale Mensch, der schließlich nicht umsonst den Schimpfnamen Endverbraucher trägt, mit der Planung und Praxis dieser beeindruckenden Komplexität exakt so viel zu tun, dass er ganz am Schluss mit seiner Geldbörse gefragt ist, um das Zeug aus den Regalen und Onlineshops abzukaufen und zu ‚verbrauchen‘.

Ein paar nähere Erläuterungen gibt es des Öfteren aber auch noch: Irgendwie haben diese immens komplexen und ganz schön unübersichtlichen ‚Lieferströme‘ viel mit der Verbilligung des Produzierens zu tun. Was das eigentliche Opfer der schwierigen Sonderlage anbelangt, so handelt es sich – laut den täglich verbreiteten Bulletins zu seinem Gesundheitszustand – um ein Ding namens Wachstum; und schließlich spielt auch noch der ausgiebig befolgte betriebswirtschaftliche Imperativ just in time eine wesentliche, in dem Falle unrühmliche Rolle. Das sind doch schon einmal interessante Auskünfte.

1. Vom entscheidenden Kriterium und herrschenden Zweck der gestressten internationalen Arbeitsteilung

Was den Grund für die Billigtendenz angeht, die sich nun rächt, so entspringt die globalisierte Zirkulation der Waren – die wird ja mit dem Terminus Lieferkette angesprochen –, die momentan gewisse Schwierigkeiten bereitet, einem Gebot der Produktion: der Kalkulation mit möglichst geringen Gestehungskosten für die Hersteller. Auch wenn es so niemand sehen mag: Für ein Urteil über den allgemeinen Zweck des Produzierens weltweit taugt der eigenartige Umstand allemal, dass das entscheidende Datum für die Frage, wo produziert wird, darin liegt, wie teuer es an welchem Platz auf dem Globus für ein Unternehmen ist, seine Vorprodukte von einem eigens dazu geschaffenen Ableger seiner selbst oder einem externen und selbständigen Lieferanten herstellen oder auch die Endmontage bewerkstelligen zu lassen.

‚Sinn macht‘ das erstens nur, dies aber zwingend, weil die Differenz zwischen den Gestehungskosten und den Verkaufspreisen das entscheidende Qualitätsmerkmal aller Waren und ihrer Herstellungsprozesse ist. Das verweist darauf, dass die Erzielung von Geldüberschüssen mittels Produktion und Verkauf von nützlichen Dingen aller Art eben der allgemeine, herrschende Zweck ist, um den es dabei geht – womit jede Idee, materielle Versorgung könnte oder müsste doch, irgendwie und letztlich, der Grund und Maßstab dieser großangelegten internationalen Kooperation sein, hinfällig ist. Und zwar egal, ob diese Vorstellung eines nützlichen Dienstes als die durchschaubare, zu Werbezwecken gern lancierte Lüge ausgepinselt wird, die Ausstattung der Kunden mit preiswerten Produkten sei das Sinnen und Trachten der Unternehmen selbst, oder ob dieser Dienst mehr als Generaleffekt des Wirkens einer irgendwie anonym zu denkenden Vernunft des Marktes aufgefasst wird.

Zweitens lässt sich den von den Zuständigen vorgenommenen Unterscheidungen und ihren daraus folgenden Entscheidungen bezüglich preiswerter Produktionsstandorte entnehmen, wie die alles entscheidende Differenz zwischen Kosten und Überschüssen zustande kommt und inwiefern sich daher manche Standorte vor anderen auszeichnen: Womit sich Länder zum Beispiel in Fernost dafür qualifizieren, die Produktion von Textilien, Elektrogeräten und anderen industriellen Massengütern bei ihnen stattfinden zu lassen, das sind die dort ansässigen Arbeitskräfte. Die haben wie die Arbeitskräfte überall sonst und überhaupt alles andere ihren Preis, sind also als Waren käuflich. Als solche käufliche Ware Arbeitskraft prospektieren die kapitalistischen Kosmopoliten die gesamte Menschheit, begutachten diese in Bezug auf die alles entscheidende Frage: Wo haben sie unter welchen Bedingungen zu welchem Preis den Zugriff auf diese Ware und ihren Gebrauchswert? Der unterscheidet sie vom Rest der bunten, unbelebten Warenwelt: Denn die eingekauften Arbeitskräfte machen, wenn man die entsprechenden Fabriken baut, mit den entsprechenden Maschinen bestückt und mit allen nötigen Rohstoffen und Vorprodukten versorgt, die Kosten für alle sachlichen Produktionsmittel lohnend; ihr Gebrauch schafft die Differenz, die kapitalistischen Reichtum darstellt. Als käuflich erworbenes Eigentum des Kapitals vollbringt die von ihnen geleistete Arbeit die Leistung, sich in ein Geldprodukt zu verwandeln, das größer ist als die Kosten für ihren Erwerb. In besagten asiatischen Gegenden tut sie das offensichtlich besonders vorteilhaft: Da hinten kostet Arbeit wenig, wie man weiß. In diese Billigkeit der Arbeit dort gehen die absoluten Lohnhöhen ein, die Freiheiten bei der Gestaltung der Bedingungen der Be- und Vernutzung der Arbeitsmannschaften und auch die Freiheit, die dort produzierende Unternehmen haben, die natürlichen Existenzbedingungen der Leute wie die Luft, die sie atmen, das Wasser usw. mehr oder weniger zum Nulltarif zu verbrauchen und zu verderben: kapitalistisch ist all das eben als zu minimierende Kost relevant – oder gar nicht.

Was sich an der ruinösen Benutzung der Arbeitskräfte in den vielen Billiglohngegenden dieser Welt so drastisch bemerkbar macht, ist nicht mehr und nicht weniger als das Prinzip der internationalisierten kapitalistischen Produktionsweise. Das ist nicht nur da am Werk, wo chinesische Arbeiter für den amerikanischen Konzern Apple Telefone löten, die in die ganze Welt geliefert werden; sondern auch da, wo deutsche Multis und Mittelständler in Deutschland von ihrem ‚Hochlohn‘-Personal Autos und Maschinen montieren lassen, um sie mit Gewinn in alle Welt zu verkaufen: Das ökonomisch entscheidende Resultat aller Produktion ist der Zugewinn der Subjekte, die mit ihrem Kapital das Produzieren in Gang setzen und bestimmen; es existiert in Form eines geldwerten, im Verkauf der produzierten Waren zu realisierenden Überschusses über die Kosten für alle Bedingungen und Mittel der Produktion; es wird erzeugt durch die Arbeitskräfte, die durch ihre Arbeit die besagten Bedingungen und Mittel überhaupt produktiv aufeinander beziehen und in mit Gewinn verkaufbares Produkt verwandeln – und damit dafür sorgen, dass sich die Auslagen für den Anwender der Arbeitskräfte lohnen. Der ihnen gezahlte Lohn ist das Mittel, sie zu maximal überschussträchtiger Arbeit anzuhalten; und daher ist es eine stets opportune Methode, diese Kost zu senken, wie und wo es geht. Und wenn die Senkung dieser Kost drastisch genug ausfällt, dann rechtfertigt sie auch allen mit den Entfernungen wachsenden Aufwand für den Transport mit seinem ökologischen Fußabdruck, der ja seinerseits kapitalistisch nur nach seiner Geldseite zählt.

Für die unternehmerischen Praktiker ist dieses nicht sehr komplexe Prinzip der Produktion, das durch das öffentliche Beglotzen der unfassbar komplexen Lieferketten rund um den Erdball so gründlich zum Verschwinden gebracht wird, ersichtlich der hinreichend genaue Kompass für die Prospektion, Beschlagnahmung und Herrichtung des Globus für ihre Produktionsstätten.

2. Relevante und nicht so relevante Betroffenheiten

In der Besprechung der momentan besonderen Schwierigkeiten, die Versorgung der Menschheit mit Bedarfsgütern zum Mittel in Geld nachzählbarer Gewinne zu machen, kommt dann auch der nähere Erfolgsmaßstab dieser unternehmerischen Tätigkeit zur Sprache, wenn die als Haupt- und eigentliches Opfer von Engpässen und allem, was mit denen sonst noch so zu tun hat, besprochen wird.

Fest steht jedenfalls, dass der viel beschworene Endverbraucher mit seinen Bedarfslagen erst einmal nicht als der Geschädigte zählt – was ja auch als Auskunft über die Ratio des weltweiten Wirtschaftens ernst genommen zu werden verdient. Denn der betätigt sich ja nicht in Sachen Geldvermehrung, sondern geht der Aufgabe nach, als letztes Glied in der Kette der Zahlungen den Geldvermehrungsanstrengungen der unternehmerischen Subjekte abschließend zum Erfolg zu verhelfen. Wenn diese Figur dafür tiefer in die Tasche greifen muss, ist daher an und für sich noch nichts in Unordnung. Problematisch wird es erst, wenn sie vor der Aufgabe versagt, immer höhere Preise zu bezahlen, weil sie an die Grenze dessen gerät, was sie überhaupt an Geld besitzt. Verbraucher, die ihr Konsumverhalten am allemal begrenzten, häufig ausgesprochen schmalen Umfang ihrer Geldbörse ausrichten, werden erst dann, dann aber ganz entschieden zur Störung für das ehrenwerte Bemühen von kapitalistischen Produzenten und Handelskonzernen, Gastro- und Tourismusunternehmungen et al., ihrem Beruf lege artis nachzugehen. Das betrifft nicht nur die Anbieter von Billigreisen und Fassbier, die mit solchem proletarischen Luxus ihr Geschäft machen. Erstaunlich schnell unterlassen laut WHO-Berichten vom letzten Jahr die Bevölkerungen gewisser Landstriche wegen der unter anderem aufgrund von Verteuerungen von Düngemitteln auf Erdgasbasis rasant gestiegenen Preise für Agrarprodukte sogar den Kauf von elementar nötigen Lebensmitteln. Damit fallen sie als zahlende Kundschaft der Nahrungsmittellieferanten aus und stattdessen mancherorts schon ihren Regierungen und internationalen Organisationen zur Last; die müssen, wie man erfährt, verstärkt mit Nahrungsmittelhilfe anrücken, also mit Lebensmitteln, die es offenbar als solche doch noch gibt.

Umgekehrt ist es von vornherein überhaupt nicht in Ordnung, wenn – mit oder ohne Dazwischenkunft des unverantwortlich geldknappen Endverbrauchers – die Rechnungen der eigentlich aktiven Wirtschaftssubjekte durch die ausnahmsweisen Stockungen und damit verbundenen Preisbewegungen ge- oder gar zerstört werden. Von diesen emsig betätigten Rechnungen erfährt man – nicht erst, aber aus Anlass ihrer Störung wieder einmal mit aller Deutlichkeit –, dass es nicht damit getan ist, überhaupt Gewinne zu machen, und dass die große Schieflage darum auch nicht erst da anfängt, wo sich mit denen überhaupt nichts mehr schiebt. Den allabendlichen Aussagen der Experten fürs Ökonomische zufolge besteht die durch Materialengpässe induzierte Katastrophe darin, dass die permanente Steigerung des Gewinnemachens einen Dämpfer erfährt: das unerlässliche Wachstum. Und wie auch nicht: Wenn schon alles Produzieren, Liefern, Verteilen für den Zweck des Geldverdienens derer da ist, die all das unter Einsatz ihres Kapitals veranstalten, dann ist ein abschließender und insofern begrenzter Erfolg in diesen Zweck eben nicht eingebaut, und umgekehrt: Dann ist jede Begrenzung ein Abzug von dem, worum es geht.

Daher rührt im Übrigen, auch dies ist eigentlich niemandem ein Geheimnis, der andere Stachel zur Prospektion und Benutzung der globalen Profitwirtschaft: Für deren Veranstalter und Nutznießer ist, weil es ihnen um das Wachstum der einschlägigen Unternehmenskennziffern geht, die Belieferung eines national begrenzten Marktes eine Schranke, die sie schon lange glücklich überwunden haben. Sie haben die ganze Welt auch zum Absatzmarkt für ihren Plunder gemacht. Nahe und ferne Weltgegenden interessieren sie unter dem Gesichtspunkt der Anzahl der dort lebenden, daher ‚verbrauchenden‘ Leute, multipliziert mit deren Geldeinkommen, was sie sich selbstverständlich zu einer dort angesiedelten, daher auszunutzenden Kaufkraft hochrechnen. Das schließt mit der gleichen Selbstverständlichkeit ein, es bei irgendwelchen vorfindlichen Bedarfslagen nicht zu belassen, sondern wie und wo es geht, neue zu stiften, um deren Bedienung weidlich auszuschlachten. Anlässlich der Pandemie und der durch die jeweilige staatliche Pandemiepolitik verursachten Extra-Umstände wird der zeitunglesende Mensch ausführlich damit vertraut gemacht, dass die Lebensgewohnheiten der Bevölkerungen kapitalistischer Nationen sich für die Herren der Ökonomie zu Geschäftsgelegenheiten aggregieren, die nun plötzlich entweder – wie beim Tourismus – wegbrechen oder – wie Home-Office, Home-Schooling, Home-Entertainment – aufblühen. Und wenn dabei an irgendeiner Stelle irgendetwas klemmt, dann dauert es wachstumsschädigend länger als geplant, bis amerikanische Konzerne europäischen Kunden ihre in China zusammengeschraubten Elektroartikel verkaufen können, weil die Chips aus Taiwan nicht rechtzeitig geliefert werden.

Diese ökonomische Welt ist es also, die momentan vor allem vom Virus und den staatlichen Maßnahmen zu seiner Bekämpfung modifiziert wird: ein komplett für die Wachstumsbemühungen der kapitalistischen Unternehmerschaft hergerichteter Globus, dessen Gegenden ökonomisch vollständig damit charakterisiert und dem untergeordnet sind, was sie als Standorte profitabler Benutzung von Arbeitskräften und als Zielmärkte lohnenden Verkaufens auf immerzu wachsender Stufenleiter taugen. Die Gegenprobe dafür liefern all die ernst oder unernst gemeinten alternativen Rechnungen bezüglich dessen, was man kurz-, mittel- oder langfristig alles doch wieder hier bei uns statt in Fernost oder sonst wo produzieren könnte, um sich weniger abhängig von den verletzlichen Lieferketten zu machen; ebenso wie die allfälligen realitätstüchtigen Einwände gegen solche Rechnungen. Niemand macht sich etwas vor darüber, dass es ausschließlich eine Frage der in Geld gemessenen Rentabilität der Produktion und nicht einer sachlichen Unmöglichkeit oder Umständlichkeit ist oder wäre, erfolgreich ins Ausland verlagerte Produktion wieder heimzuholen, die hier nun einmal nicht stattfindet, weil sie woanders ‚billiger‘ ist. Und erst recht ist allen klar, dass sich das Verkaufen von hier, dort oder wo auch immer produzierter Ware schon gleich nicht auf nationale oder regionale Märkte beschränken darf, womöglich wegen der größeren Verlässlichkeit beim Liefern. Dass Wachstum ohne all das nicht zu haben ist, was die Globalisierung in diesen Hinsichten ausmacht, reicht schon als schlagender Grund für das Weiter so!, das niemand ernsthaft infrage stellt.

Die letzte Beglaubigung für die alternativlose Gültigkeit dieser Vernunft und ihren ultimativen Erfolgsmaßstab bekommt man werktäglich 19.55 Uhr mitgeteilt: Freundliche Damen oder Herren berichten vor dem Hintergrund einer gezackten Linie und unter Zuhilfenahme weiterer Tabellen und Statistiken darüber, wie die Börse oder auch die Finanzmärkte mit dem Ausnahmezustand einer Pandemie oder den Wirkungen von Schiffs- und anderen Havarien umgehen: Deren auf kompakte Zahlenform reduziertes Urteil darüber, ob sich die ein wenig – oder ein wenig mehr – durcheinandergeratenen Warenströme auf ihre Art, Geld zu vermehren, auswirken, gilt allen Ernstes als abschließendes ökonomisches Urteil darüber, wie schlimm es tatsächlich um die armen Lieferketten steht bzw. wie optimistisch man umgekehrt in Sachen Erholung sein darf. Auch das kann als Mitteilung über die gültigen und die nicht so gültigen Zwecke des Wirtschaftens hierzulande und überhaupt auf dem Globus nicht hoch genug eingeschätzt werden: Immerhin wird auf diese Weise börsentäglich öffentlichkeitswirksam darauf insistiert, dass aller, durch ein paar äußerliche Umstände zwischendurch ein bisschen aus dem Tritt gebrachter, rund um die Uhr und rund um die Welt betriebener Aufwand für Produktion, Transport und Absatz immer größerer Warenberge dafür da ist, dass die wachsenden Bilanzen der darin involvierten Unternehmen die Geschäfte der Finanzmärkte rechtfertigen, die ganz ohne eigene materielle Einmischung ins Produzieren, Transportieren, Verkaufen auskommen. ‚Eingemischt‘ sind sie nämlich in viel systematischerer Hinsicht: Von ihrem Urteil hängt es ab – darum hat es ja auch den prominenten Platz auf allen Nachrichtenkanälen –, ob sie der produzierenden und handelnden Unternehmerschaft das Kapital verschaffen, nämlich den Kredit gewähren und den Börsenwert stiften, den die für ihre immer neuen Bemühungen braucht, sich die Welt zum Produktionsstandort und Absatzmarkt herzurichten. Deswegen ist es auch nur gerecht, wenn die Finanzmärkte ihren Zuspruch bzw. dessen Verweigerung davon abhängig machen, wie sie die Aussichten für ihr Wachstum einschätzen, wenn sie das Unternehmertum mit Kapital versorgen. Und darum ist es nur umso gerechter, dass diese börsentäglich erneuerte Einschätzung die letztgültige Auskunft darüber ist, ob überhaupt und was eigentlich gestört ist durch irgendeine Störung in der globalen Lieferkette.

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Dass besagte finanzkapitalistische Beurteilung keinesfalls eine eindeutige Angelegenheit ist, auch das lernt man in diesem Zusammenhang. Unter anderem daran, dass die Börsianer im Zuge der Pandemie und der mit ihr einhergehenden Stockungen über so manches Unternehmen den Daumen senken, während ihnen zugleich andere Unternehmen viel Freude bereiten, die sich in den entsprechenden Kurssprüngen äußert. Dieses Nebeneinander verweist auf eine weitere Facette globaler marktwirtschaftlicher Vernunft.

3. Die Rolle der Preise bei der kapitalistischen Kooperation und ihren Störungen

Wie es sich für ein Wirtschaften gehört, das jede materielle Produktion zum Mittel der Gewinnerwirtschaftung auf wachsender Stufenleiter macht, findet die Arbeitsteilung, die darum auch höchst fragil ist, in der Form von Ein- und Verkaufsbeziehungen von Lieferanten und Abnehmern statt, die sich um Preise drehen, welche sich lohnen und den jeweiligen Gewinn- und Wachstumskalkulationen dienen. Dies bedeutet, die Corona-Krise lehrt es, zweierlei: Erstens ist, bevor auch nur ein einziges Produkt tatsächlich nicht mehr zu haben ist, also ein Mangel in diesem naiv-gebrauchswertmäßigen Sinne einreißt, die Bewegung der verlangten bzw. gezahlten Preise nicht einfach ein Indikator für einen ganz anders gearteten materiellen Engpass, sondern das, was für die engagierten Unternehmen ökonomisch entscheidend ist. Und in dieser Preis-Frage liegt zweitens ein Gegensatz zwischen den Kooperationspartnern, der es in sich hat.

Auch dies bekommt der interessierte Laie in der Zeit gestörter Lieferbeziehungen sehr deutlich vorgeführt: Zu den mit Produktions- und Lieferunterbrechungen einhergehenden Preisausschlägen ‚kommt es‘ nicht einfach so, quasi als große externe Störung des gesamten Warenverkehrs, die übers globale Profitmachen hereinbricht. Preise gibt es schließlich nicht einfach, und sie bewegen sich auch nicht von allein, sondern sie werden gemacht. Wie, das ist allgemein bekannt. Was derzeit in Form von wechselseitig erhobenen bzw. im Kreis herumgereichten Schuldzuweisungen bezüglich Wucherpreisen und Krisengewinnlertum thematisiert wird, das gilt ansonsten als einer der größten Vorzüge des Kapitalismus, der darum auch Marktwirtschaft heißt: Preise und alles, was sie an Austausch vermitteln, sind das Resultat des Marktschachers zwischen den kapitalistischen Käufern, für die der von ihnen zu zahlende Preis möglichst gering sein soll, und den Verkäufern, für die der von ihnen verlangte Preis nicht hoch genug ausfallen kann. Kapitalistisch sind die materiell aufeinander bezogenen und angewiesenen Lieferanten Konkurrenten, die einander ausnutzen und aneinander zu verdienen trachten, was beides im Preis den entscheidenden Hebel und das entscheidende Kriterium hat. Für ihr Ringen stellt das Verhältnis von Angebot und Nachfrage darum nichts anderes als ein ökonomisches Kräfte- bzw. Machtverhältnis dar. Verfügbarkeit oder Nichtverfügbarkeit, ‚Schwemme‘ von oder ‚Mangel‘ an Gütern – das gibt es nur als Resultat und nur in der Form dessen, dass Preise verlangt und bezahlt oder verweigert werden, die für den Verkäufer die Überschusskalkulation erfolgreich aufgehen lassen und für den Käufer seinerseits den lohnenden Einstieg in seine Kosten-Überschuss-Operation darstellen sollen. Was sich dabei an Lieferantenbeziehungen und Partnerschaften ergibt, das hat den Austausch der Gegenstände zum Inhalt, die sie für ihre Profitproduktion voneinander brauchen bzw. einander anzubieten haben, zu den Preisen und in den Mengen und in den Zeitrhythmen, die als Ausgangs- bzw. Endpunkt ihrer jeweiligen Gewinnrechnung erfordert sind. Das regiert die ‚Arbeitsteilung‘ zwischen den Beteiligten und bestimmt, was hergestellt und verkauft wird oder auch nicht. Im Prinzip nichts anderes findet gegenwärtig statt, wenn der Warenverkehr an vielen Stellen rationiert wird und ins Stocken gerät, weil die wachstumsgetriebene Nachfrage und das Angebot, das nicht so reichlich und flüssig ist, wie es die Wachstumsanstrengungen der Nachfrager erfordern und unterstellen, besonders drastisch auseinanderklaffen. Das ist, dem allgemeinen Prinzip gehorchend, gleichbedeutend mit Preissteigerungen, die sich aufgrund veränderter Marktmachtverhältnisse offenbar durchsetzen lassen und so manchen Extragewinn an einer Stelle, so manche Beschaffungsnot und entsprechend verschlechterte Gewinnbilanz an anderer erzeugen.

Gerade in dieser wunderbaren Anarchie passt der Modus der ‚Arbeitsteilung‘ also perfekt zu ihrem Zweck und sorgt für eine weitere, gerade in der gegenwärtigen Liefer- und Mangelkrise so deutlich zutage tretende, nur der Marktwirtschaft eigene Schönheit: Die besteht darin, dass es gemessen an den ökonomisch gültigen Erfolgsmaßstäben keinen Schaden gibt, der nicht auch einen Nutzen, gemessen an ebendiesen Maßstäben, mit sich brächte. Preiserhöhungen, die für die einen zweckwidrige Kostensprünge bedeuten, die sie dann an ihre Kunden leider weitergeben müssen, also denen aufhalsen, so gut sie es vermögen, sind schließlich zweckdienliche Einnahmezuwächse für diejenigen, die diese Preise verlangen, weil sie es können. Nur der Kapitalismus schafft es zum Beispiel, einer seuchenbedingten Knappheit an so manchem medizinischen Gut auf diese Weise einen guten ökonomischen Sinn zu verleihen. [1]

Auf ein Nullsummenspiel läuft dieser Gegensatz, den Käufer und Verkäufer per Preis austragen, allerdings im Prinzip nicht, und im Moment schon gar nicht, hinaus. Denn ob für kapitalistische Käufer die erhöhten Preise, die sie zahlen müssen, nachhaltig auf die Bilanzen drücken oder ob sie sie an ihre Kundschaft weiterreichen können, ist die offene und für ihr Geschäft brisante Frage. Für deren Beantwortung kommt es entscheidend darauf an, welche gesamtgesellschaftliche Zahlungsfähigkeit sich dafür ausnutzen lässt.

Hier kommt der schon erwähnte Endverbraucher ins Spiel, und zwar gleich zweifach. Zum einen sind die so bezeichneten Figuren in ihrer Mehrzahl Lohn- und Gehaltsempfänger, für die arbeitgebenden Unternehmer also ein Kostenfaktor. Von diesem haben die sich unter Ausnutzung aller bestehenden und neu geschaffenen Freiheiten in den letzten zwei Jahren in großem Umfang befreit, was den von der Pandemiedepression befallenen Unternehmensbilanzen gutgetan hat. Zum anderen ist mit ihren Löhnen und Gehältern im selben Umfang profitlich ausnutzbare Zahlungsfähigkeit geschwunden. Angesichts der vor allem pandemiebedingt unterbrochenen ‚Liefer-‘, also Zahlungsbeziehungen zwischen den Unternehmen springt der Staat als externer Stifter reichlich bemessener zusätzlicher Zahlungsfähigkeit ein, denn er will es nicht zulassen, dass der von ihm betreute Kapitalismus an der seuchenpolitischen Störung notleidet. Hinzu tritt das Finanzkapital, das die staatliche Bereitschaft zur finanzstarken Rettung als guten Grund für seine Spekulation auf einen vom Staatskredit getriebenen Aufschwung nimmt, also seinerseits darauf Kredit schöpft. Zusammen ergibt sich so für die Kapitale, die ihre Produkte gewinnbringend zu verkaufen trachten, ein riesiges Reservoir an Extrazahlungsfähigkeit: Sie feiern nach nur kurzer Pandemie-Tristesse einen Aufschwung, der alle Friktionen bei Angebot und Nachfrage im Bereich einiger allgemein benötigter Waren – Erdgas, Chips, Metalle ... – in eine allgemeine Preissteigerung übersetzt: Es kommt zu Inflation. An der sind systemgemäß diejenigen, die nicht kaufen, um zu verkaufen, sondern um zu leben, nur in der Weise beteiligt, dass sie die gesteigerten Preise für ihre Bedarfsgüter zahlen, soweit sie können. Dass die Konkurrenz derer, die mit Preisen und um sie konkurrieren, eine ins System eingebaute Garantie für preiswerte Lebensmittel ist, hat eben noch nie – auch bei geölten Lieferketten nicht – gestimmt: Die ‚Billigkeit‘, um die es denen geht, die ihr Kapital verwerten, sorgt ja überhaupt für das permanent prekäre Verhältnis zwischen Bedarf und Zahlungsfähigkeit derjenigen, die sie als Arbeitskräfte schlecht bezahlen und als Endverbraucher beanspruchen. Auch in dieser Hinsicht ist die Ausnahmelage ein Beleg fürs Funktionieren der Normalität.

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Im Zusammenhang mit der Frage, wie sich für welche Konkurrenten mit den Produktions- oder Transportunterbrechungen die Machtverhältnisse auf dem Markt modifizieren, gerät eine weitere Errungenschaft der ‚Globalisierung‘ in den Blick. Ein Fenster der Verwundbarkeit innerhalb der Konkurrenz stellt offensichtlich die weithin geübte Praxis dar, die man unter dem Namen just in time kennt.

4. Die modernen Formen der Lagerhaltung und ihr Beitrag zu Art und Umfang der derzeitigen Klemmen

Bezeichnet wird mit diesem englischen Terminus, der in normalen Zeiten mit seiner angelsächsischen Herkunft allein schon dafür bürgt, dass es mit der so bezeichneten Sache seine Richtigkeit hat, die Praxis kapitalistischer Unternehmen, ihre Lagerhaltungskosten möglichst zu minimieren. Der Fachwelt ist es jedenfalls die größte Selbstverständlichkeit – und so gibt sie es auch dem Laienpublikum weiter –, dass mit dem auf Wachstum verpflichteten, weltweit ausgedehnten und verästelten Produzieren die planvoll betriebene Reduzierung von Lagerhaltung einhergeht. Und zwar in einem Maße, das – wie nun berichtet wird – dafür verantwortlich ist, dass gewisse Verzögerungen an einer Stelle so umfassend und vor allem so schnell an hundert anderen Stellen durchgeschlagen haben. Angesichts der aktuellen ‚Verwerfungen‘ ist von mancher Seite gar davon die Rede, man habe es übertrieben mit dem Ersatz von Lager- und Vorratshaltung durch die Strategie just in time. Als ob die eine Mode gewesen wäre. Eine kollektive Verirrung oder Übertreibung liegt aber überhaupt nicht vor, sondern der unternehmerische Umgang mit einem Widerspruch kapitalistischen Produzierens.

Einerseits verlangt der Zweck permanenten Wachstums, für das jeder eingefahrene Gewinn nur der Ausgangspunkt dafür ist, ihn unter Zuhilfenahme der Angebote des Kreditwesens in die nächste Runde Gewinnproduktion zu investieren, gebieterisch die Kontinuität und möglichst große Geschwindigkeit des Produzierens; jede womöglich durch Materialmangel verursachte Unterbrechung oder Verlangsamung des materiellen Produktionsprozesses beschädigt den endlosen Zirkel von Investition, Rückfluss und Re-Investition, also den Umschlagsprozess des investierten Kapitals; darum stellt ja unter anderem – wie allgemein geläufig –, der 24/7-Betrieb aller Produktionsanlagen und Transportvehikel ein unhinterfragbares Gebot der Vernunft dar.

Andererseits verträgt sich ebendiese Herabsetzung des Produzierens zum Bestandteil des auf immer größerer Stufenleiter permanent zu durchlaufenden Umschlags des Kapitals überhaupt nicht damit, die Geldflüsse des Unternehmens dadurch zu belasten, dass der für die materielle Produktion, ihren Fortgang, ihr Wachstum nötige Stoff auf Vorrat gehalten, also das darin angelegte Kapital auf Eis gelegt wird. Das bewährt sich schließlich als solches nur in dem Maß, in dem es sich permanent und möglichst schnell von einem in Geld getätigten Vor- in einen in Geldform zurückfließenden Überschuss verwandelt. Vom Standpunkt der Rechnung, dass jedes vorgeschossene Geld möglichst umstandslos und schnell in einen Überschuss zu verwandeln ist, stellt Lager- und Vorratshaltung pure Verschwendung dar, tote Last, die es zu verringern gilt.

Also sind kapitalistische Unternehmen schon immer auch damit beschäftigt, mit diesem unauflösbaren Widerspruch schöpferisch umzugehen, nämlich sich den permanenten und jeder Schwankung ihres Bedarfs angepassten Zugriff über alles Material zu sichern und sich zugleich die damit einhergehende finanzielle Last so weit wie möglich vom Halse zu schaffen. Für die nimmermüden Strategen des Kapitals liegt darum nichts näher, als die Lagerhaltung in unterschiedlicher Weise auf die globalisierten Produktions- und Lieferbeziehungen, die weltweiten Transportwege und -zeiten abzuwälzen. Das sorgt mit dafür, dass der Verkehr an und zwischen den Standorten kapitalistischer Produktion und den Absatzmärkten sich so wunderschön gestaltet, wie er es ausweislich aller Berichte tut: mit all den rollenden, schwimmenden und fliegenden Lagern, für deren zweckmäßigen Betrieb Pausen- und Ruhezeiten, Nachtflugverbote oder Einschränkungen für Schiffspassagen bekanntermaßen nicht auszuhalten sind; mit all den für erfolgreiche kapitalistische Standorte gewöhnlichen Verkehrsinfarkten und Feinstaubproblematiken, und mit den ständigen Reparatur- und Ausbauarbeiten an den Verkehrsinfrastrukturen... Aber weil und solange alles brummt, worauf es ankommt, also diese ‚Strategie‘ ihre kapitalistische Nützlichkeit beweist, steht nichts davon je zur Disposition.

Doch auch wenn ein pandemisches oder anderweitiges Unglück dazwischenkommt, ist der globalisierte just in time-Kapitalismus, der das weltweite Produzieren und Transportieren beherrscht, nicht am Ende – im Gegenteil. Den deutschen Autoproduzenten zum Beispiel hat er die Freiheit verschafft, auf den coronabedingten kurzfristigen Nachfrageeinbruch nach ihren Produkten unter anderem zeitnah mit einer Abbestellung der nun nicht mehr nötigen elektronischen Bauteile zu reagieren, statt hilflos dem schlimmen Schicksal preisgegeben zu sein, bestellte Ware kaufen und so lange auf Lager legen zu müssen, bis der eigene Absatz wieder richtig fluppt. Für das darauf abgestimmte Abbestellen von gebuchten Arbeitskräften bietet das Hochlohnland Deutschland erst recht ein reichhaltiges Repertoire in Sachen flexibler Arbeitszeit, Kurzarbeit usw. Dass die Unternehmen ihren lieben Lieferanten aus Übersee damit exakt die komplementäre Last aufhalsen, geht sie nach marktwirtschaftlicher Logik nichts an – das ist schließlich der schöne, marktwirtschaftlich gerechte Effekt der flexibilisierten und diversifizierten Lieferbeziehungen. Blöd für die ehrenwerten deutschen Autobauer war halt nur, dass diese Lieferanten sich umgekehrt nicht auf Lagerhaltung für bessere Zeiten beim deutschen Automobilkapital verpflichtet sahen, sondern ihrerseits schauten, wie sie sich schadlos halten konnten – und da kam ihnen der ebenfalls durch die Pandemie und Pandemiepolitik hervorgerufene Nachfrageboom bei IT- und anderen Elektronikprodukten wegen Home-Office u.ä. gerade recht. Der steht nun zwar einer schnellen Wiederauslastung der Produktionskapazitäten der deutschen Premiumindustrie entgegen, weil es deren Vorzeigeunternehmen an Bauteilen mangelt, aber das geht ja wiederum die Chiphersteller nichts an... [2]

Gerade diesen deutschen Vorreitern eines globalisierten Zulieferwesens und der stetigen Minimierung eigener Lagerhaltung zugunsten einer perfektionierten just in time-Lieferkette sind aber angesichts der nicht bestellten Engpässe und Preisausschläge die Hände auch nicht gebunden. Erstens haben sie schließlich alle Freiheit, mit knappem Material so zu kalkulieren, dass der Profit möglichst wenig leidet. Für die Autokonzerne heißt das zum Beispiel, dass sie die verfügbaren Chips einerseits ins Hochpreissegment ihrer Flotte mit den traditionell besseren Margen einbauen; andererseits setzen sie – bezogen auf die noch produzierbaren Kleinwagen – feine Preissprünge durch. Zweitens greifen die Unternehmen über das bilanzenfreundliche Hantieren mit knapper Ware hinaus zu Umgangsweisen mit und Alternativen zu den im Moment etwas problematischen ‚Beziehungen‘, um ihre Profitapparate wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Dafür haben sie im Resultat der bisher erfolgreich betriebenen Konkurrenz das entscheidende Mittel selbst in der Hand: ihre Kapital-, also Konkurrenzmacht. Nicht sehr überraschend, worauf sie in Sachen Engpass-Bewältigung so kommen.

5. Systemgemäßer Umgang mit Engpässen und seine zwiespältigen Wirkungen

Das fängt bei ihnen und in anderen Branchen ganz klein, aber in der Gesamtwirkung auch schon nicht von Pappe, damit an, was heutzutage bei Experten sandbagging heißt und schlicht ‚Hamstern‘ meint. Wo kapitalistische Unternehmensführer die Leichtigkeit behindert sehen, mit der sie normalerweise all das genau dann an Ware einkaufen bzw. an Transportkapazitäten buchen, was für die von ihnen veranstaltete profitable Produktion samt Verkauf gebraucht wird, da nutzen sie im Rahmen ihrer Finanzmacht ihre Vertragsfreiheit eben doppelt: zum einen, wie besagte Einkaufsmanager deutscher Kfz-Hersteller, dazu, Ware kurzerhand abzubestellen; zum anderen, wo es möglich ist und passend erscheint, auch dazu, auf Vorrat oder auch nur auf Verdacht zu ordern. Das führt, wie sich nachlesen lässt, unter anderem dazu, dass mitten in einer Phase von Übernachfrage nach Transportkapazitäten insbesondere auf Schiffen so mancher Containerplatz leer bleibt. Denn findige und vorsichtige Manager buchen angesichts des knappen Angebots an Containern und Stellplätzen auf Schiffen lieber doppelt und dreifach, sofern die Stornokosten billiger sind als die errechneten Schäden für den Fall, dass sie ihren Krempel gar nicht verschifft kriegen. Auch bei den benötigten Gütern funktioniert der reihum gepflegte Umgang mit tatsächlichen oder erwarteten Knappheiten so. Die Lieferanten von Vorprodukten für die Industrie zum Beispiel berichten von einem Nachfrageboom nach ihren Produkten, während die von ihnen belieferte Industrie weniger produziert: Es bestellen alle mehr, als sie brauchen, weil es weniger gibt, als sie verlangen. Alles andere wäre ja auch Planwirtschaft, und die passt zur gegeneinander gerichteten Planung der Konkurrenz um Gewinne nun wirklich nicht, also wird reihum um den sicheren Zugriff auf die zwischenzeitlich unsicher gewordenen Waren konkurriert, was das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage verallgemeinert, verlängert und verstärkt. Das heißt im Expertensprech Bullwhip-Effekt und sorgt dafür, dass innerhalb kürzester Zeit tatsächlich ununterscheidbar ist, ob gehamstert wird, weil es einen Mangel gibt, oder ob es einen Mangel gibt, weil gehamstert wird.

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Wohl unterscheidbar sind dafür aber die Potenzen derer, die sich daran beteiligen. Denn klar ist, dass bei diesem Kreisverkehr des Umgangs mit und der Erzeugung von Lieferengpässen und Preisausschlägen diejenigen am besten abschneiden, die die meiste Finanzmacht einzubringen haben: Die größten Kapitale sind als größte Abnehmer die entscheidenden Kunden für die umworbenen Lieferanten, müssen es sich also am wenigsten gefallen lassen, sich in der Reihe der Nachfrager hinten anzustellen; und sie können sich die erhöhten Preise und die anderen – zum Beispiel mit dem Kauf auf Vorrat verbundenen – gestiegenen Kosten am ehesten leisten.

6. Systemgemäße Schlussfolgerungen aus den aktuellen Schwierigkeiten

Ihre Kapitalgröße verpflichtet und befähigt sie außerdem dazu, sich noch ganz anders für die Zukunft zu wappnen. Worauf es da ankommt, das macht, um beim Beispiel Fahrzeugindustrie zu bleiben, der Vorreiter der Elektrifizierung des Weltautomarkts, Tesla, vor. Dem wird bescheinigt, der Chipkrise ganz gut zu trotzen und sogar mehr zu verkaufen, während deutsche Autoproduzenten ihre vollen Auftragsbücher nicht abarbeiten, d.h. nicht in wachsenden Absatz ummünzen können, weil ihnen die Bauteile fehlen. Wie dieser aus deutscher Sicht zutiefst bedauernswerte Unterschied zustande kommt, ist schnell berichtet: Zum einen hat Tesla seinen Aufwuchs im großen Stil durch den Zukauf von bestehenden Herstellern diverser Bauteile erreicht, was sich neben der Entwicklung von Produktionskapazitäten für seine spezielle neue Ware – den vollelektronischen PKW – zu einer nun allseits bewunderten vertikalen Integration des Konzerns mit enormer Fertigungstiefe summiert. Das ersetzt nicht nur so manche Lieferbeziehung zu fremden Unternehmen, die im Falle eines Falles womöglich entgegen den eigenen Notwendigkeiten kalkulieren und agieren, sondern sorgt im Verhältnis zu den Lieferanten, mit denen Tesla auf Basis seiner eigenen Produktionskapazitäten im Geschäft ist, für die Überzeugungskraft, auf die es aus Preisgründen stets und in einer Sondersituation wie derzeit erst recht ankommt. [3]

Die Zukunftsstrategien des deutschen Industriekapitals, das sich angesichts seiner Schwierigkeiten Vorwürfe der Sorte hausgemacht, Entwicklung verschlafen oder auf Erfolgen ausgeruht anhören muss, folgen scheinbar – ähnlich undogmatisch wie bei Tesla – ganz entgegengesetzten Leitlinien, die bei näherem Hinsehen aber alle auf dasselbe hinauslaufen. Zündende Ideen wie wieder mehr selbst fertigen, mehr Unabhängigkeit von auswärtigen Lieferanten stehen in diesem Zusammenhang genauso hoch im Kurs wie stärkere Beteiligungen in der vertikalen Richtung. Das steht neben Plänen der Art Lieferketten diversifizieren u.ä. Alles zusammen ergibt eine ‚Strategie‘, die wunderbar zu dem passt, worum es ökonomisch sowieso immer schon geht und was darum auch die einsinnige Perspektive für einen erfolgreichen Weg aus den gegenwärtigen Schwierigkeiten darstellt. Anders als in der Form von Hindernissen fürs eigene Wachstum kennen marktwirtschaftliche Produzenten nun einmal keine Krise, keinen Mangel, keine Störung. Und wenn sie so etwas wahrnehmen, dann nur in der Art, dass ihnen ihre Konkurrenten – Lieferanten, Abnehmer, ‚Mitbewerber‘ – diese Misslichkeiten bereiten. Und das wiederum übersetzt sich für sie restlos in die fehlende oder mangelhaft eingesetzte eigene Macht, solche Störungen auf die anderen abzuwälzen. Fertig sind die Lehren aus der Sonderlage: Es kommt darauf an, sich den möglichst unangreifbaren Zugriff auf alle nötigen Bestandteile des eigenen Wachstums unter allen weltwirtschaftlichen Umständen zu sichern.

Dafür bietet sich zum einen die Aneignung von zusätzlichen Elementen der Lieferkette an, die bis dato noch unter der Verfügung anderer Unternehmen stehen – mit dem überhaupt nicht nebensächlichen Effekt, dass damit ganz getrennt von der Absicherung gegenüber irgendwelchen externen Katastrophen unmittelbar das eigene geschäftliche Wachstum befördert wird, schlicht weil eine Liefer- eben vor allem eine Wertschöpfungskette ist. Wie das mit dem Wertschöpfen genau funktionieren mag, ist dabei für die Akteure des Gewerbes nicht wichtig – Werttheorie zu treiben ist ja nicht ihre Aufgabe, sie haben schließlich mit dem Anhäufen von Mehrwert schon genug zu tun. Und gerade von diesem praktischen Standpunkt aus steht über diese Kette so viel fest, dass die Anzahl von deren Gliedern exakt der Anzahl von Gelegenheiten entspricht, sich Wert anzueignen – unter Verdrängung der anderen Kettenglieder, die dasselbe für sich versuchen. Zum anderen verschafft, siehe das vorbildhafte Tesla, eine möglichst große Präsenz innerhalb der vielfältigen Abhängigkeitsverhältnisse ein Mehr an Macht gegenüber den zahlreichen anderen Mitwirkenden an dem Gesamtkunstwerk Liefer- bzw. Wertschöpfungskette. Und diese Macht braucht es, um diese anderen für sich auszunutzen, ohne sich damit in eine Abhängigkeit zu begeben, die sich in Form von diktierten Preisen geltend machen könnte.

All die schlauen Ideen und Kalkulationen, die schon in Zeiten des normalen Gangs der Dinge und im Moment vermehrt gewälzt werden, alle strategischen Alternativen bezüglich vertikaler Integration oder Outsourcing von Produktions- und anderen Geschäftsbereichen, bezüglich Verschlankung oder auch Diversifizierung der geschäftlichen Kooperationen drehen sich um die Frage, wie man die anderen zu verlässlichen, dabei preisgünstigen und jederzeit flexibel zu handhabenden Momenten der eigenen Profitmacherei herrichtet; zu Beiträgern zum eigenen Wachstum, die für jede Anspruchslage und jede Änderung der Anspruchslage zweifellos verfügbar sind, auf deren Kalkulationen und Überlebensfähigkeit man gleichwohl keine Rücksicht nehmen muss. Mehr von allem, was die ‚Globalisierung‘ bisher schon immer geheißen und an Geschäftsstrategien und -techniken hervorgebracht hat – das ist die ganze, systemgemäße Weisheit, zu der sich Unternehmer, parteiliche Experten und staatliche Betreuer angesichts von Chip-, Phosphat- und Klopapiermangel wechselseitig ermuntern. Dass so etwas irgendeinen Engpass in Zukunft verhindert, glaubt niemand, aber darauf kommt es ja auch nicht an, sondern ausschließlich darauf, dass – unter allen Bedingungen – das eigene Wachstum gesichert wird und die negativen Wirkungen nur bei anderen anfallen.

II. Die Rolle des marktwirtschaftlichen Transportwesens für die Globalisierung und die aktuellen Stockungen

Der Natur der Sache gemäß rückt neben allen anderen eine Branche ganz besonders in den Fokus der gegenwärtigen Begutachtung der verwobenen Weltwirtschaft: das Transportwesen, das tatsächlich seinen ganz eigenen Anteil an den ‚Problemen‘ hat, über die landauf, landab geklagt wird. So manch Interessantes über das Brauchtum in dieser Abteilung Wirtschaft wird da aus Anlass gewisser pandemiepolitisch verordneter Unterbrechungen und anderweitiger ‚Schieflagen‘ vermeldet, was wiederum ein paar Schlaglichter auf die Vernunft der globalisierten Marktwirtschaft wirft.

Völlig selbstverständlich ist dabei, was ‚Branche‘ auch in diesem Fall heißt: Transport von was auch immer von einem Ort zum anderen ist nicht einfach eine sachliche Notwendigkeit des arbeitsteiligen Produzierens, sondern stellt als unerlässliches Mittel des globalisierten Produzierens und Vermarktens durch kapitalistische Unternehmen zugleich eine verlässliche und mit jeder neuen Etappe Globalisierung verlässlich wachsende Gelegenheit dar, Geld zu verdienen. Der Dienst dieser Branche an den anderen besteht darin, die nötigen Transport- und Lagerhaltungsdienste abzuwickeln, in wachsendem Maße und zu für die Nachfrager nach diesen Dienstleistungen lohnenden Preisen. Weil die Preise sich aber vom Standpunkt der Reeder und LKW-Flotten-Betreiber vor allem für sie lohnen müssen, gestalten sie ihr Geschäft entsprechend, was in Zeiten wie diesen schon mal öffentlich kritisch thematisiert wird, weil gerade nicht alles wie gewohnt funktioniert.

1. Auch in der Transportbranche: Vom multiplen Nutzen der freien Verfügung über die (manchmal auch nicht) bezahlte Arbeitskraft in ordentlichen und außerordentlichen Zeiten

Ein auch von den Betreibern des weltweiten Transportwesens weidlich ausgenutztes Mittel, die für sie lohnenden Verhältnisse zwischen Kosten und den Preisen zu gestalten, die sie von ihren Kunden verlangen können, besteht in der puren Billigkeit und Verfügbarkeit ihres Personals. Das rekrutieren sie über alle Grenzen hinweg dort, wo es am preiswertesten zu haben ist; und auch hier heißt preiswert, dass sich die Unternehmer mit wenig Geld die Arbeits- und Produktivkraft der Transportarbeiter verfügbar machen, sie anwenden und sich den so geschöpften Überschuss als Profit ihrer Firmen aneignen. Was das an Umgangsweisen der Kapitalisten mit ihren Arbeitskräften einschließt, legen nicht zuletzt pandemiepolitisch erlassene Beschränkungen der Bewegungsfreiheit über innereuropäische Grenzen hinweg schlagartig offen: zum Beispiel in welchem Ausmaß die Freiheit des Warenverkehrs – eine der Grundfreiheiten der Europäischen Union und ein hohes Gut, wie man weiß – inzwischen eben auch daran hängt, dass zehntausende billige Polen, andere Osteuropäer und inzwischen auch Filipinos einen Gutteil ihres Lebens auch außerhalb der bezahlten Arbeitszeit in ihren Fahrerkabinen auf den Autobahnen und LKW-Parkplätzen in ganz Europa verbringen.

Noch fröhlicher geht es bei der christlichen Seefahrt zu. Was die Folgen des globalen Corona-Schocks für deren Dienstkräfte bedeuten, ist zum Beispiel der UNCTAD immerhin einen eigenen Bericht wert, [4] der allerdings eher belegt, wie der Normalvollzug dieses Geschäfts funktioniert, als dass er irgendwelche umstürzenden Neuerungen zu verkünden hätte, für die die Seuche verantwortlich wäre. Dass eine zwischenzeitliche Stockung beim Schiffstransport mal eben hunderttausende Seefahrer und Hafenarbeiter samt Familien brotlos macht, in unmittelbare Existenznot stürzt und sogar Löcher in die Haushalte von deren Heimatstaaten reißt, belegt ja nur, dass die großen Reeder dieser Welt in der absoluten Armut der Bevölkerung ganzer Länder ein schönes Reservoir für jederzeit verfügbare, traumhaft billige maritime Arbeitskräfte haben. Und wenn es an anderer Stelle in diesem Bericht heißt, dass aufgrund von seuchenbehördlich gesperrten Häfen zwischen 50 000 und 100 000 Seeleute teils Monate nach Ablauf ihrer Verträge auf den Weltmeeren unbezahlt festsitzen, statt – wie mit Verweis auf die entsprechenden, durchaus vorhandenen Kapazitäten und schon lange bestehenden internationalen Humanisierungsabkommen gefordert – in konzertierten Aktionen abgelöst zu werden, dann zeigt das vor allem eines: welche Freiheiten die kapitalistischen Reeder diesbezüglich offenbar seit jeher haben. Dass sie diese Freiheiten in normalen wie erst recht in den besonderen Zeiten von Corona ausgiebig strapazieren, mag sich rechtlich mitunter in Graubereichen abspielen oder gar offensiv illegal sein. [5] Ökonomisch ist das aber nur die konsequent wahrgenommene Verantwortung der Unternehmen für ihre Gewinne. Die beruhen ja darauf, dass sich das Kapital mit der Zahlung des Lohnes zum profitträchtigen Gebrauch der Arbeit berechtigt, also auch nur die Arbeit bezahlt, die diese profitliche Wirkung entfaltet. Und das heißt umgekehrt: Von der Rücksicht darauf, dass vom Geld für die Arbeit die Arbeitskraft – womöglich gar noch samt Familie – leben muss, hat sich das Kapital in aller Form freigekauft. Von daher geht es die Reeder ebenfalls nichts an, dass ihre Leute mit den ihnen gezahlten Heuergeldern nicht nur dafür zuständig sind, die Profite der Reeder zu produzieren, sondern zugleich für den patriotischen Dienst verplant sind, zu den Haushalten ihrer Heimatstaaten beizutragen. Freilich ist der Umstand, der gewisse Landsmannschaften zum bevorzugten Pool für die Heuerpolitik der internationalen Reedereien macht, auch für ein paar extra Schwierigkeiten bei der Rückkehr zur unpandemischen Normalität beim Schiffstransport verantwortlich: Die absolute Armut der Crews und das allgemeine ökonomische Elend ihrer Herkunftsnationen korrelieren laut UNCTAD auffällig damit, dass die Impfquote unter den Seefahrern zu wünschen übrig lässt. Das führt nicht nur zu so manchem Corona-Ausbruch an Bord der Handelsschiffe – dies wäre als solches zu verschmerzen –, sondern dazu, dass insbesondere die eminent wichtige Warenhandelsnation China immer wieder darauf besteht, dass diese Leute nicht an Land bzw. die entsprechenden Schiffe gar nicht erst in die Häfen kommen. Chinas Null-Covid-Strategie, der solch rigides Vorgehen folgt, ist aus Sicht der Reeder vor allem eines: eine Dauerstörung der Rolle, die das Land für das Rundlaufen des globalen Warenverkehrs, also die berechtigten Wachstumsambitionen der internationalen Unternehmerschaft spielt.

2. Alte und neue Techniken des Transportgewerbes für die Sicherung seines Wachstums unter allen Umständen

Auf den freihändigen, allen seuchenpolitisch verordneten Ab- und konjunkturellen Aufschwüngen angepassten Umgang mit dem wundervoll erpressbaren Arbeitskräftematerial beschränken sich die Strategien der Profitmacherei seitens der großen, global agierenden Transportkapitale natürlich nicht – auch das belegt die seit 2020 existierende Klemme an verfügbaren Transport- und Verladekapazitäten.

Fast schon nicht der Rede wert ist die selbstverständlich auch von den Herren über den weltweiten Transport beherzigte Devise, dass sich eine wachsende Nachfrage vonseiten der Anbieter für möglichst heftige Preissteigerungen ausnutzen lässt, was nach allen Anstands- und Erfolgsmaßstäben der kapitalistischen Konkurrenz nicht als ‚leistungsloses Einkommen‘, sondern als geschicktes und quasi sachgesetzliches Ausnutzen der Marktlage gilt. Den Frachtkunden wird damit die Gewinnspanne verschlechtert und so manchem ganz verhagelt, was bei letzteren selbstverständlich dazu führt, dass sie Produktion und Auslieferung einstellen. So fungiert das als eigene Gewinnquelle gehandhabte Transportwesen als eine weitere und eigenständige Quelle für den einen oder anderen Mangel, wie u.a. den erschütternden Zeugenaussagen aus den Reihen des deutschen Mittelstands zu entnehmen ist. Bedauerlich, aber nicht zu ändern! Vor allem aber gilt auch im Kapitalismus, dass es keinen Schatten ohne Licht gibt – in diesem Fall strahlt es hell aus den Bilanzen insbesondere der Branchenführer des Transportgewerbes, die, teilweise ohne mehr zu transportieren, in den letzten Monaten die größten Gewinne ihrer Unternehmensgeschichte schreiben konnten.

Nebenbei werden noch ein paar weitere Tendenzen thematisiert, die ihrerseits zum Chaos in den Lieferketten auf den internationalen Transportmärkten beitragen und es modifizieren. Das betrifft vor allem die Verwendungsweise der Gewinne aus dem globalen Transportgeschäft. Die werden den einschlägigen Statistiken und Geschäftsberichten zufolge zu erheblichen Teilen in neue Containerschiffe investiert. Und zwar noch größere als bisher. Neu ist dieser Drang nicht – die Ladekapazität der größten Schiffe hat sich in den letzten 20 Jahren ungefähr verdreifacht. Mit einem bloßen Mehr an Transportaufkommen ist das nicht zu erklären, sondern, na klar, damit, dass es für das Geschäft mit wachsendem Warenumschlag lohnender ist, immer mehr Container auf immer weniger immer größere Schiffe zu stopfen, weil es die Kosten pro Container verringert. Und zwar so sehr, dass die paar heiklen Nebeneffekte, die der Betrieb immer größerer Schiffe mit sich bringt, allemal gerechtfertigt sind. [6] Für die geschäftsdienliche Bewältigung des kapitalistischen Naturgesetzes größere Schiffe, größere Risiken (Süddeutsche Zeitung) sind schließlich die Versicherungen da. Ihre nach der „Evergiven“-Havarie erfolgten Ankündigungen, ad infinitum vergrößerte Schiffe nicht mehr versichern zu wollen, müssen sie erst einmal wahr machen, schließlich lohnt sich dieser kapitalistische Fortschritt bisher auch für sie. Und den Effekt, dass auch einzelne Staus und Stockungen immer schneller immer größere allgemeine Wirkungen entfalten, wenn jeder Transport ein immer gigantischeres Volumen hat, nehmen die großen globalen Transport-‚Dienstleister‘ in Kauf.

Denn der in ihrer Branche erreichte Monopolisierungsgrad ist inzwischen groß genug, um die von ihnen gefällte Entscheidung für Bau und Anschaffung immer größerer Schiffsklassen zum Trend zu machen, dem auch die vorderen und hinteren Glieder in der Transportkette nicht auskommen: Die Reeder können sich darauf verlassen, dass Kanal- und Hafenbetreiber weltweit sich darum bemühen, stets rechtzeitig mit ihren Vertiefungs- und Verbreiterungsarbeiten fertigzuwerden und die für neue Schiffsgrößen unbrauchbaren Verladetechnologien an den Docks auch vor dem eigentlichen Verschleiß durch neue zu ersetzen. Andernfalls riskieren sie, vom globalen Liefergeschäft abgehängt zu werden, denn wie man weiß, stehen im Rahmen der globalen Marktwirtschaft auch Häfen zueinander in Konkurrenz.

Ihren eigentlichen Kunden gegenüber – dies haben die Stockungen der jüngsten Zeit ebenfalls nur belegt und verschärft – ist die Marktmacht der paar global agierenden Schiffstransportmultis inzwischen so groß, dass sich die Produzenten des Frachtguts immer häufiger dazu bewegen lassen, ihre Produktionszyklen am Be- und Entladezyklus sowie dem Transportturnus der schwimmenden Containerberge auszurichten, auch wenn das zu ihrer just in time-Politik gar nicht einfach passt. Auf der Basis wird ihnen aber auch eine neue Form von Sonderangebot gemacht, das den Reedern dazu dienen soll, die so glückliche Übernachfrage nach ihren Dienstleistungen noch weiter gewinnsteigernd auszunutzen: Wer auf Ankunft oder Abfahrt des nächsten Zwanzig-, Zweiundzwanzig- oder Vierundzwanzigtausend-Container-Frachters nicht warten will, dem bieten die kapitalstarken Reeder – gegen einen entsprechend happigen Aufpreis – auch kurzfristige und individuell zugeschnittene Alternativlösungen per Luft- oder Straßentransport oder eine Mischung aus allen drei Transportwegen an. Zu diesem Dienst an einem von ihnen selbst erzeugten Bedarf sind sie in der Lage, weil sie ihr Wachstum immer mehr auch außerhalb ihrer angestammten Branche betreiben, sich Flugzeuge zugelegt haben und vermehrt zulegen, sich in bestehende Lufttransportunternehmen ein- oder diese gleich gänzlich aufkaufen, dasselbe mit LKW-Spediteuren, Hafengesellschaften usw. betreiben und zusätzlich auf die Angebote des staatlichen oder privaten Eisenbahnwesens zurückgreifen.

In diese derzeit besonders heftig tobende Konkurrenz darum, welche Seite eigentlich für die jeweils andere da zu sein hat, wessen kapitalstarker Bedarf zu welchem Preis den Takt für die Produktion und den rollenden, schwimmenden oder fliegenden Transport im Rahmen der schwer gestressten Lieferketten vorgibt, mischen sich schließlich auch noch allerlei Startups mit ihrem ganz eigenen Angebot ein. Den in die globale Konkurrenz ums Transportwesen verwickelten Unternehmen einerseits und den umworbenen finanzkapitalistischen Investoren andererseits präsentieren sie eine unwiderstehliche Idee: Mittels GPS-Tracker an jeder Tomatendose und IP-Adresse für jede Schraube samt zusätzlichem Satellitenaufkommen wollen sie den Akteuren des globalen kapitalistischen Warenverkehrs einen neuen, profitdienlichen real time-Überblick über den Irrsinn verschaffen, den sie anrichten.

Es kann also alles so weitergehen wie bisher. Jedenfalls wenn es nach den beteiligten kapitalistischen Akteuren am globalen maritimen Warenhandel geht.

*

Was sie dabei ausnutzen, das ist die Freiheit, die Meere, die ihre Produktionsstandorte und Absatzmärkte trennen, als Verbindungswege zu benutzen. Auch diese Freiheit ‚gibt es‘ nicht einfach so: Die staatlichen Herrschaften, unter denen die Festlandmassen des Globus samt den angrenzenden Meeresgebieten aufgeteilt sind, gewähren sie, abgestuft, wechselseitig für ihre Territorialgewässer und ausdrücklich auch für die Teile der globalen Wassermassen, die sie sich nicht als Hoheitsgebiete zugeschlagen haben, verbindlich geregelt im Law of the High Seas mit seinem Kern: the freedom of navigation. Die Tat dieser Subjekte hat es ja schließlich schon gebraucht und braucht es weiter dafür, dass der vergleichende Blick des Kapitals auf alle Kontinente und Länder mitsamt ihren Einwohnern keine theoretische Angelegenheit bleibt, sondern in deren tatkräftige Benutzung mündet. Daran, dass diese Freiheit Angelegenheit ihrer gewaltbewehrten Sicherung seitens einiger weniger besonders mächtiger Staaten ist, lassen die paar Angehörigen dieser Staatenelite selbst keinen Zweifel: Das erhabene right to sail ships gibt es nur als Objekt und Resultat ihrer Herrschaft über die Ozeane und Meerengen, und seine Universalität hängt an der Unteilbarkeit dieser Herrschaft. Um die dreht sich daher eine Rivalität zwischen ihnen, die von ganz anderer Art ist als die private Konkurrenz um wachsende Profite und die staatliche um deren nationalökonomischen Nutzen – und die darum eigens zu erklären bleibt und lohnt.

[1] Das wird auch allgemein so eingesehen, sodass die moralische Frage, ob an einzelnen Stellen eher zu verurteilendes Wuchertum vorliegt, wie zum Beispiel bei Masken oder Erdgas aus dem Ausland, oder doch eher ein nicht zu beanstandendes marktwirtschaftliches Glück des Tüchtigen, wie bei BioNTech, sich regelmäßig daran entscheidet, ob da jeweils ein Beitrag zur nationalen Bewältigung des historischen Wachstumseinbruchs zu konstatieren ist oder ein Beitrag zu dessen Verlängerung... Und die sachliche Auskunft über Zweckmäßigkeit bzw. -widrigkeit der zu beobachtenden Preisausschläge geben, wie gesagt, die Kurstabellen, in denen der finanzkapitalistische Status der Firmen nachzulesen ist.

[2] „Anfang 2020 sah die Welt noch rosig aus. Die Halbleiterindustrie hatte gerade einen langanhaltenden Abschwung überwunden und stand kurz vor einem kräftigen Konjunkturaufschwung. Doch dann tauchte Covid-19 auf und insbesondere die Automobilbranche fürchtete eine schwächere Nachfrage. Tatsächlich brachen die Fahrzeug-Verkäufe im Frühjahr 2020 kurz ein. Fast panikartig stornierten die Chef-Einkäufer der Automobilkonzerne ihre Aufträge an große Chiphersteller wie TSMC in Taiwan. Das sollte sich allerdings als folgenschwere Fehleinschätzung erweisen. ‚Plötzlich stieg die Nachfrage nach Autos nämlich wieder stark an‘, sagt Kota Yuzawa, Automobil-Analyst bei Goldman Sachs.

 Die stornierten Fertigungskapazitäten in der Chipindustrie standen den Autokonzernen aber nicht mehr zur Verfügung. Sie waren inzwischen längst an die Hersteller von Unterhaltungselektronik weitergereicht worden. ‚Wir haben in dieser Zeit von zu Hause aus gearbeitet, von zu Hause aus Sport gemacht, von zu Hause aus Schule gehabt und uns zu Hause unterhalten‘, sagt Branchenexpertin Julia Hess von der Berliner Stiftung Neue Verantwortung. Das habe zu einer erhöhten Nachfrage nach Smartphones, Tablets, Laptops und Spielekonsolen geführt. Damit waren die globalen Chip-Vorräte schnell aufgebraucht.“ (zeit.de, Wie der Chipmangel entstanden ist, 13.12.21)

[3] „Tesla besitzt eine größere Fertigungstiefe als Daimler und andere Autohersteller. Als das Unternehmen noch am Anfang stand, fanden sich teilweise keine Zulieferer, die Teile für die ersten Modelle Roadster und Model S liefern wollten. Tesla war daher gezwungen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Bis heute ist dieser Ansatz fester Teil der Unternehmenskultur bei den Amerikanern.

 In Zeiten des Chipmangels zeigen sich die Vorteile dieser Strategie in Form einer erhöhten Reaktionsschnelligkeit – und auch einer besseren Verhandlungsposition. Die Kalifornier scheuen sich nicht davor, in Verhandlungen damit zu drohen, die Herstellung eines knappen Teils auch mal selbst in die Hand zu nehmen. Um das Geschäft nicht zu verlieren, kommen die Zulieferer Tesla gerne ein Stück entgegen.“ (fool.de, Warum der Chipmangel die Quartalszahlen der Daimler-Aktie drückt und Tesla weiter wächst, 7.10.21)

[4] The Covid-19 Seafarer Crisis in Review of Maritime Transport 2021 der UNCTAD; einsehbar unter unctad.org

[5] Im internationalen Seehandelsrecht gibt es die Kategorie der force majeure, die, wenn ausgerufen, von allen möglichen vertraglichen Pflichten zwischen Schiffseignern und Warenbesitzern entbindet. Das war im Falle des im Suezkanal liegen gebliebenen Frachters für so manche Klage deutscher Händler gut, denen drohte, die bereits bezahlten Gelder für ihre Bestellungen ersatzlos abschreiben zu müssen. Viel weniger interessant, aber gleichfalls durch die Ausrufung von force majeure rechtlich einwandfrei funktioniert die Befreiung der Reeder von jeglichen störenden Verpflichtungen gegenüber ihren Mannschaften. Und zwar so gut, dass die ILO sich dazu veranlasst sah, vom leichtfertigen und ungerechtfertigten Gebrauch dieser Wunderwaffe während der Pandemie in aller Höflichkeit abzuraten.

[6] Einer davon war neulich im Suezkanal zu begutachten, als das Container-Schiff „Evergiven“ wegen seines im Verhältnis zum befahrenen Kanal ausreichend großen Volumens und der damit einhergehenden Veränderung der Strömungsverhältnisse in der vergleichsweise engen Röhre in einer andernorts bzw. für kleinere Schiffe komplett beherrschbaren Situation – ein bisschen mehr Sturm als angesagt – sofort vollständig unkontrollierbar geworden ist. Auch ist zu lesen, dass proportional zum Wachstum der Schiffe die Anzahl der Brände pro Jahr steigt, weil die Kontroll-, Sicherungs- und Löschtechnik und – dies vor allem! – die einschlägigen, immer erst international zu vereinbarenden Vorschriften nicht ‚mithalten‘. Nebenbei wird noch erwähnt, dass auch die Anzahl der jährlich auf Nimmerwiedersehen ins Meer stürzenden Container als Begleiterscheinung des Größenwachstums der maritimen Transportmittel kontinuierlich steigt; für die Reeder aber offensichtlich bloß in einem Maß, das sie mit der Effektivierung ihres Geschäfts per Gigantomanie locker wegstecken. Anlässlich des Suez-Unglücks haben sich dutzendweise Experten zu Wort gemeldet und ausnahmsweise ein paar Zeilen geschenkt bekommen, die schon seit längerem vor den diversen Risiken des Großexperiments permanenter Schiffsvergrößerungen warnen und bisher schlicht durch das noch stets erfolgreiche Gewinnemachen ins Unrecht gesetzt worden sind und wohl auch bleiben.