Leserbrief Diskussionsbeitrag zum Thema
Irak-Krieg und Friedensbewegung

„Es ist das amerikanische Selbstverständnis, dass es die historische Aufgabe der USA ist, „freedom and democracy“ weltweit durchzusetzen. Hierauf beruht der Patriotismus auch des kritischsten Amis, der Zustimmung oder Ablehnung gegenüber seiner Regierung immer vom Erfolg dieser Mission abhängig macht.“ Dagegen aus der Antwort: Ein Krieg „kommt“, wenn und weil eine Nation – in Gestalt ihrer autorisierten Führung – zu dem Schluss gelangt, der Gebrauch, den eine fremde Macht von ihrer Gewalt macht, oder überhaupt die Existenz einer solchen Gewalt sei ein unerträgliches Hindernis für die eigenen Interessen, unvereinbar mit den zum unveräußerlichen Recht erklärten eigenen Machtansprüchen.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog

Leserbrief
Diskussionsbeitrag zum Thema
Irak-Krieg und Friedensbewegung

„Ich brachte ein paar Einwände gegen Eure Unterscheidung (oder besser Nichtunterscheidung) von Krieg und Frieden vor. Zur Klärung hier noch einmal auf den Punkt gebracht, da ich den Eindruck hatte, dass ich teilweise missverstanden wurde.

Mein Hauptargument ist, dass der Übergang vom Frieden zum Krieg weder theoretisch noch praktisch so beliebig ist, wie Ihr es darstellt. Theoretisch ist Euer Argument, dass Washington Krieg führt, „wann und gegen wen es das angebracht findet“ (GegenStandpunkt 1-03, S.31, darin S.33), deswegen zu kurz gegriffen, weil sich schon systematische Gründe dafür finden lassen, wann für Washington der Übergang zum Krieg ansteht. Es ist das amerikanische Selbstverständnis, dass es die historische Aufgabe der USA ist, „freedom and democracy“ weltweit durchzusetzen. Hierauf beruht der Patriotismus auch des kritischsten Amis, der Zustimmung oder Ablehnung gegenüber seiner Regierung immer vom Erfolg dieser Mission abhängig macht. Einen Krieg kann diese Regierung daher nur dann führen, wenn es beim Gegner mit „freedom and democracy“ nicht soweit her ist. Daher die Schurkenstaatpropaganda. Dass dies nichts anderes bedeutet als die globale Durchsetzung des Kapitalismus, ist kein Geheimnis. Darauf sollte man vielleicht mehr beharren als auf der „Amerikanisierung des Völkerrechts“ etc. Das Interesse Amerikas an einer in ihrem Sinne funktionierenden Welt ist nicht nationalistischer, sondern kapitalistischer Natur. Es ist ja gerade der Witz an der amerikanischen Weltherrschaft, dass sie die Nationen zwingt, ihre nationalen Interessen dem ordentlichen Funktionieren des globalen Kapitalismus (das weitgehend, aber nicht vollständig mit Amerikas nationalem Interesse identisch ist – hier werden Abweichungen durchaus geduldet bzw. ohne Krieg in der Staatenkonkurrenz ausgetragen) unterzuordnen. Ich bezeichnete den Begriff der Nation in diesem Zusammenhang als reaktionär, besser wäre wohl anachronistisch.

Eine zweite Bedingung ist wesentlich pragmatischer, schränkt aber ebenfalls die Beliebigkeit des Kriegmachens ein: Der Feldzug muss sehr gute Aussichten auf Erfolg haben, zumindest in dem Sinn, dass amerikanische Opfer minimal sind. Das ist der Grund, warum es z.B. Kuba immer noch gibt. Wenn ihr sagt, „an Siegen unter dem totalen leidet sie wie andere Staaten an Niederlagen“ (GegenStandpunkt 1-03, S.31, darin S.32), und in dem Zusammenhang Vietnam erwähnt, verkennt Ihr diese Dynamik, die das amerikanische Handeln eben bestimmt. Es ist tatsächlich das wählende Volk, das dem amerikanischen Imperialismus diese Grenzen setzt.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, ich behaupte nicht, dass Amerika damit in seinem Handeln arg eingeschränkt oder gar demokratisch kontrolliert ist. Auch nicht, dass das amerikanische Volk antiimperialistisch gesinnt ist. Und ich bin vollständig einig mit Euch in der Erklärung der Pax Americana, die für die meisten Menschen nichts Gutes bedeutet. Es erschien mir aber wichtig, auf den Fehler hinzuweisen, den Übergang vom Frieden zum Krieg einfach als amerikanische Beliebigkeit zu bestimmen.

Das hat Euch schon einmal geschadet, als Ihr nämlich in den Achtzigern den dritten Weltkrieg für angesagt hieltet. Euere Argumentation damals wie heute verkannte die Mechanismen, die praktisch umsetzen, was aus den theoretischen Bestimmungen der Konkurrenz der Nationen folgt. Ich erinnere mich an viele Diskussionen mit MG-Sympathisanten, die auf den dritten Weltkrieg warteten wie die Zeugen Jehovas auf den Weltuntergang.

Ein letzter Einwand, dass Krieg schon einen qualitativen Unterschied in der Abwicklung des globalen Kapitalismus bedeutet, und dass man den Leuten, die sich erst dann und nicht schon vorher an dem Verhalten ihrer Regierung stören, keinen „groben Fehlgriff“ vorwerfen sollte. Dass man gegen den Krieg ist, ist richtig. Dass man naiv ist, wenn man gegen den Krieg ist und sonst nichts, ist auch richtig. Aber der erste Satz sollte deshalb nicht vergessen werden. Brechts Nachtlager lässt grüßen.“

Antwort der Redaktion

1.

Du beziehst dich auf eine Diskussion, zu deren Eröffnung die vor Kriegsbeginn so heftig gestellte Frage: „Kommt der Krieg oder lässt er sich noch vermeiden?“ kritisiert wurde. Die Fragestellung will nämlich schon ein wenig auf eine Zwangsläufigkeit des Krieges hinaus, die jenseits der bekanntgemachten Absichten der Veranstalter und auf alle Fälle jenseits aller ehrenwerten Anliegen demokratischer Politik zu suchen wäre. Dagegen wurde die Banalität festgehalten, die eigentlich jeder kennt, die aber gerne als „zu einfach“ verworfen und mit der Erkundigung nach „eigentlichen“ Kriegsursachen erschlagen wird – offenbar deswegen, weil man als wohlerzogener Bürger einer so ehrenwerten Einrichtung wie einer legitimen Staatsgewalt kriegerische Gewaltaktionen doch nur zutrauen möchte, wenn sie – wie und warum auch immer – unausweichlich geworden sind: Es wurde daran erinnert, dass ein Krieg „kommt“, wenn und weil eine Nation – in Gestalt ihrer autorisierten Führung – zu dem Schluss gelangt, der Gebrauch, den eine fremde Macht von ihrer Gewalt macht, oder überhaupt die Existenz einer solchen Gewalt sei ein unerträgliches Hindernis für die eigenen Interessen, unvereinbar mit den zum unveräußerlichen Recht erklärten eigenen Machtansprüchen. Kriegsgrund ist allemal ein solcher Unvereinbarkeitsbeschluss; mit ihm kündigt eine Nation den von der „Logik“ des Tauschs und entsprechenden Vorteils-Nachteils-Rechnungen bestimmten Umgang mit einer anderen: Das war die einleitende Behauptung. Die Diskussion befasste sich dann hauptsächlich mit der Notwendigkeit, mit der eine kapitalistische Großmacht und im gegebenen Fall die amerikanische Weltmacht gerade aus ihrem sonstigen Verkehr mit der Staatenwelt heraus zu der Entscheidung gelangt, sich militant gegen eine fremde Gewalt wenden zu „müssen“. Als Grund dafür, um auch daran noch zu erinnern, wurde das Bedürfnis solcher Mächte nach vollständiger Kontrolle der auswärtigen Gewalten, von denen sie sich mit ihren ausgreifenden Interessen abhängig machen, angegeben.

Dein Bedenken, Krieg und Frieden wären damit nicht hinreichend unterschieden, und wir wollten den Übergang vom friedlichen Verkehr zwischen Staaten zur kriegerischen Auseinandersetzung für „beliebig“ erklären, ist insofern gegenstandslos. Vielleicht ist es nur so, dass dir die Notwendigkeit, die eine moderne Wirtschafts-Großmacht mit ihrer Staatsräson exekutiert, zur Erklärung des Krieges nicht genügt. Schauen wir also, welche „systematischen Gründe“ für Washingtons Übergang zum Krieg du ausfindig gemacht hast.

2.

Um klarzustellen, dass dieser Übergang nicht beliebig stattfindet, willst du – wenn wir dich richtig verstehen – als erstes ausgerechnet auf eine Beschränkung der Entscheidungsfreiheit der US-Regierung in der Kriegsfrage („Krieg kann diese Regierung daher nur dann führen, …“) aufmerksam machen. Dafür zitierst du ein reichlich offensives amerikanisches „Selbstverständnis“, das deiner Ansicht nach die Grundlage des amerikanischen Patriotismus darstellt; dessen Bedienung durch Erfolge bei der weltweiten Verbreitung von „freedom and democracy“ erklärst du sogar zum Kriterium für Zustimmung oder Ablehnung, die auch „noch der kritischste Ami“ seiner Regierung entgegenbringt. Dann willst du aber gar nicht von einer scharfmacherischen Nationalideologie geredet haben, sondern einerseits von einer wirklichen Voraussetzung für Amerikas Übergang zum Krieg („… nur, wenn es beim Gegner mit ‚freedom and democracy‘ nicht so weit her ist“), andererseits von einem Grund für regierungsamtliche Stimmungsmache („Daher die Schurkenstaatspropaganda“). Du siehst offenbar keinen Grund, zwischen den beiden Sachen zu unterscheiden; und wir sehen schon, worauf du hinaus willst: Auf alle Fälle, meinst du, funktioniert Krieg bei den Amerikanern nur, wenn das Volk damit die wohltätige Mission seiner eigenen Nation erfüllt sieht. Aber meinst du im Ernst, dass eine US-Regierung, wenn sie sich einmal zu einem Krieg entschlossen hat, mit ihrer entsprechenden „Schurkenstaat-Propaganda“ bei ihrem Volk nicht durchdringt? Meinst du womöglich sogar, sie würde einen – aus welchem Grund auch immer für nötig erachteten – Krieg unterlassen, bloß weil ihr Volk, dem du einen missionarischen Fimmel nachsagst, bei einem ausgemachten Feind womöglich kein Defizit an „freedom and democracy“ erkennen kann? Und selbst wenn das für sie ein Grund wäre, einen Krieg nicht zu führen: wo bleiben die „systematischen Gründe dafür“, „wann für Washington der Übergang zum Krieg ansteht“?

3.

Vielleicht sieht du die ja in dem, was die „Schurkenstaatpropaganda“ der US-Regierung deiner Ansicht nach „bedeutet“: im Willen zur „globalen Durchsetzung des Kapitalismus“. So ähnlich sehen wir das auch; was wir zur Diskussion stellen, sind Argumente zur Notwendigkeit kriegerischen Terrors für die Verwirklichung einer auf den gesamten Globus ausgreifenden – imperialistischen – Staatsräson. Dir scheint der Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Krieg auch so klar zu sein; für dich ist er jedenfalls „kein Geheimnis“. Doch wenn das so wäre: warum „sollte man“ dann darauf „mehr beharren“? Andererseits scheint es für Leute wie die Amerikaner, die an eine kriegerische „Mission“ ihrer Nation für „freedom and democracy“ glauben, hier doch ein gewisses „Geheimnis“ zu geben. Wie erklärst du denen eigentlich, dass das Eine „nichts anderes bedeutet“ als das Andere? Und, mit Verlaub: wie siehst du selber den „systematischen“ Zusammenhang zwischen dem „Interesse“ „kapitalistischer Natur“, das du den USA als Kriegsgrund zuschreibst, und dem unter den höchsten menschenrechtlichen Titeln veranstalteten Krieg gegen Irak und vorher gegen Afghanistan? Du redest von einer „Weltherrschaft“, die „die Nationen“ zur Unterordnung unter Funktionserfordernisse „des globalen Kapitalismus“ zwingt; aber dann interessierst du dich gar nicht weiter dafür, aus welchen „systematischen Gründen“ dieses Zwangsregime den Übergang zu kriegerischer Gewaltanwendung macht. Statt dessen legst du ausgerechnet auf die Feststellung Wert, dass Amerika diesen Übergang jedenfalls nicht macht, wenn ein Staat zwar von „Amerikas nationalem Interesse“ abweicht, ansonsten aber kapitalistisch funktioniert. Das ist ja tröstlich zu wissen, dass die Weltmacht nicht jede Konkurrenzniederlage auf dem Weltmarkt mit einem Bombenhagel beantwortet. Aber wann macht sie den Übergang dann? Du meinst offenbar: Um Krieg zu machen, muss Washington schon ein „Interesse kapitalistischer“ und nicht bloß „nationalistischer Natur“ verletzt sehen. Wie kommst du bloß auf diese Antithese? Inwiefern wären denn die kapitalistischen Interessen einer Nation – also nicht eines Unternehmers, sondern einer Macht, die ihren gesamten Machtbereich als Kapitalstandort definiert und sich allemal aus Eigeninteresse für das Funktionieren des Systems stark macht, von dessen Erträgen sie zehrt – nicht nationalistisch? Willst du allen Ernstes behaupten: ausgerechnet dann, wenn eine Großmacht die ganze Welt einem System der Benutzung unterwirft, ginge es ihr nicht um sich? Eine Nation führt Krieg gegen eine andere Nation, hat dabei womöglich sogar wirklich nichts Geringeres im Auge als eine komplette Weltordnung, die allen ihren Mitgliedern, lauter Nationen, ihren Platz in einem weltumspannenden System der Benutzung ihrer nationalen Ressourcen durch die Mitglieder mit den meisten und schlagkräftigsten kapitalistischen Mitteln zuweist – und deine Schlussfolgerung lautet: der „Begriff der Nation“ wäre ausgerechnet „in diesem Zusammenhang“ veraltet?! So kriegst du Amerikas „systematische“ Kriegsgründe jedenfalls nicht auf die Reihe.

4.

Du willst uns von der eingeschränkten „Beliebigkeit des Kriegmachens“ überzeugen – und dann fällt dir dafür „eine zweite Bedingung“ ein („sehr gute Aussichten auf Erfolg“), die, wenn sie mehr bezeichnen soll als das selbstverständliche Kalkül jeder kriegführenden Regierung, also als amerikanische Besonderheit ernst genommen, gerade überhaupt nicht von Beschränkungen, sondern von einer ungeheuerlichen Freiheit des amerikanischen Kriegswillens zeugt. Dies sogar in einem doppelten Sinn: Diese Nation führt Krieg nicht aus Not; sie kann es sich – „präventiv“ heißt das Stichwort dafür – heraussuchen, wann ihr die Widerspenstigkeit und potentielle Gefährlichkeit einer ungehörigen Staatsmacht zu weit geht und nicht mehr tragbar erscheint. Und wenn sie nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss kommt, eine Welt ohne Taliban und Saddam Hussein wäre für den von ihr kontrollierten Globus, also für ihre Kontrolle über den Globus besser als eine solche mit, dann verfügt sie über eine Unmenge militärischer Mittel, um zu siegen und dabei das Verhältnis zwischen eigenen und fremden Opfern extrem „asymmetrisch“ zu gestalten. Daraus folgt übrigens, dies die andere Seite ihrer militärischen Überlegenheit, dass, wenn diese Nation „Verluste“ erleidet, also wenn sie z.B. knapp 4000 Attentatsopfer als Menschenverluste in einer quasi kriegerischen Auseinandersetzung mit dem globalen Antiamerikanismus verbucht, der Staat sich geradezu verpflichtet findet, um so gewalttätiger gegen Feinde zuzuschlagen. Wie daraus die „Dynamik“ folgen soll, Krieg zu unterlassen, wenn „zu viele“ Opfer auf der eigenen Seite anfallen, ist uns schleierhaft; Krieg wird schließlich auch nicht begonnen, weil er wenig eigene Opfer zu kosten verspricht. Wir kennen, gerade von den USA, nur die andere „Dynamik“ – eben die schon genannte: Wenn schon Krieg, dann drastisch und vor allem drastisch einseitig, was die Opferzahlen betrifft.[1] Die einzige „Grenze“, die „dem amerikanischen Imperialismus“ in dieser Hinsicht gesetzt wird, ist sein Erfolg. Dessen Maßstäbe bestimmt im Übrigen die Regierung; und die amerikanische setzt diese außerordentlich hoch an. Das „wählende Volk“ wird über die jeweils geltenden Erfolgskriterien rechtzeitig belehrt, so dass es den weltpolitischen Machenschaften und den militärischen Unternehmungen seiner Administration erst recht keine anderen „Grenzen“ setzt.

5.

Du beschwörst sie zwar erst, hältst dann aber doch nicht viel von der ‚demokratischen Kontrolle‘, die das amerikanische Volk über sein Amerika ausübt. „Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen“: auch in dem Punkt sind wir nicht einer Meinung. Wir kennen das Ideal, das eine Kontrolle der Regierten über die Regierenden fingiert, die dann in der Praxis schmerzlich vermisst wird; und wir kennen es gut genug, um es nicht zu teilen. Denn es beschwört das Paradox einer dienstbaren Herrschaft, was schon albern genug ist; und es fordert ein Volk, das letztlich überhaupt nichts anderes „kontrolliert“ als die Führungsqualitäten der nationalen Herrschaft, der es selber dienstbar ist. Aber das ist ein anderes Thema.

6.

Dass wir den Atomkrieg, mit dem die USA in den Achtziger Jahren die Sowjetunion bedroht haben – Reagans Politik des ultimativen „Totrüstens“ war schließlich kein Scherz; die Russen haben sie jedenfalls so ernst genommen, dass sie die Probe aufs Exempel lieber nicht riskiert haben –, je zu einer Sache „amerikanischer Beliebigkeit“ erklärt hätten, ist uns nicht erinnerlich. Wir haben ihn auch nicht für „angesagt“ gehalten wie ein Jüngstes Gericht, sondern die unmissverständlichen „Entweder-Oder“-Ansagen der damaligen US-Regierung analysiert. Den einen Fehler haben wir allerdings auch damals schon vermieden: die Erklärung des Umgangs nationaler Staatsgewalten miteinander – sei es ihre „normale“ Konkurrenz, sei es ihr Übergang zu ultimativer Konfrontation – in „theoretische Bestimmungen“ und „Mechanismen, die praktisch umsetzen, was“ aus denen „folgt“, zu zerlegen. Du scheinst dir unter „theoretischen Bestimmungen der Konkurrenz der Nationen“ so etwas wie eine idealtypische gedankliche Konstruktion vorzustellen, bei deren Verwirklichung noch allerhand – theoretisch unbestimmte? – „Mechanismen“ dazwischen funken; und wahrscheinlich hast du bei den letzteren wieder nicht zuletzt ein aufgeregtes Volk im Auge, das mit seinen Protesten und seiner Wahlstimme dafür sorgt, dass „praktisch“ nichts so heiß gegessen wie von den „theoretischen Bestimmungen“ gekocht wird. Wir denken da generell etwas anders, entnehmen nämlich den praktisch wirkenden „Mechanismen“ der Politik, was sich in und zwischen Staaten abspielt – eine heiße Konkurrenz um Zugriffsmacht z.B., oder auch, wie Jahrzehnte lang zwischen „Ost“ und „West“, ein Ringen um die Zerstörung einer feindlichen Macht mehr oder weniger dicht unterhalb der Atomkriegs-Schwelle. Vor allem sind wir aber weder der Meinung, dass das alles zwangsläufig so zugehen müsste, noch halten wir das Volk mit seiner Wahlstimme, seinen Feindbildern und seinen Friedenswünschen für einen „Umsetzungsmechanismus“ oder den Teil eines solchen, der per se willens und geeignet wäre, eine von den Regierungen für unausweichlich befundene Konfrontation zwischen Staaten zu bremsen. Um das hinzubringen, Staaten am Ende sogar an Kriegen zu hindern, müssen die betroffenen Leute schon ihr Dasein als Volk und die damit verbundene Dienstbarkeit aufkündigen, der Staatsmacht ihre Grundlage entziehen. Dass sie dafür von einem Haufen falscher Vorstellungen – über ihren Staat und einen „eigentlich“ segensreichen Auftrag ihrer Herrschaft… – wegkommen müssen: diesen ‚praktischen Umsetzungsmechanismus‘ haben wir eigentlich nicht „verkannt“. Genau dafür haben wir, nicht zuletzt die Achtziger Jahre hindurch, agitiert.

7.

Wann Leute etwas Richtiges merken über das „Verhalten ihrer Regierung“, ist uns zwar auch nicht egal. Hauptsache ist aber, sie merken was Richtiges; ob an einem Krieg oder schon vorher, spielt da wirklich keine Rolle; deswegen schreiben wir ja z.B. zum Irak-Krieg etliche Artikel und beantworten deine Anmerkungen. Darauf kommt es uns nämlich schon um so mehr an: dass einer, der sich am Krieg stört, begreift, womit er es zu tun hat, mit welchen Kalkulationen und was für einer Staatsräson er konfrontiert ist, wo die Notwendigkeit der mörderischen Umtriebe liegt, die ihm da begegnen. Wer nämlich mit seinem „No War“ so tut und glaubt, die Welt, in der er lebt, wäre mit ein bisschen gutem Willen – und womöglich mit mehr europäischer Macht! – auch ohne kriegerischen Terror zu haben, ist nicht „naiv“, sondern mit Engagement dabei, seinen Frieden mit genau den Verhältnissen zu machen, die – unter vielem anderen Elend auch – alle „systematischen Gründe“ für den Übergang, nicht bloß Washingtons, zum Krieg enthalten und immer wieder „reifen“ lassen. Und das ist ein für alle Mal kein „erster Schritt in die richtige Richtung“ – sondern einfach verkehrt.

[1] Genau dafür bietet auch der Vietnamkrieg der USA ein bemerkenswertes Beispiel. Entgegen allen – unter Demokratie-Idealisten überaus beliebten – Gerüchten ist er nicht beendet worden, weil der Nation die Opferzahlen zu hoch geworden wären. Abgesehen davon, dass die amerikanische Nation gerade in dem Fall eher ein beträchtliches Maß an Duldsamkeit in der Frage eigener Opfer an den Tag gelegt hat, sollte man nicht übersehen, dass der Krieg zu Ende gebracht wurde, weil sich der entscheidende Kriegsgrund der USA allmählich erledigt hatte: Vietnam war nicht mehr der erste „Dominostein“, dessen Fall eine Kette von kommunistischen Machtergreifungen hätte auslösen können, sondern war erfolgreich in den Status einer „tiny little nation“ (so der damalige Verteidigungsminister McNamara) „zurückgebombt“ worden, in der die US-Regierung keine substanzielle Störung für Amerikas weltpolitische Belange mehr sah; eher kam ihr die Fortsetzung des Krieges als Belastung ihrer Politik der Spaltung des „kommunistischen Lagers“ durch verbesserte Beziehungen zur VRChina vor. Der Grund für die Einstellung des Krieges war insofern derselbe wie der für Amerikas kriegerisches Engagement. Zur „Dynamik, die das amerikanische Handeln eben bestimmt“, wäre im Übrigen auch noch zu bemerken, dass die seinerzeitige US-Regierung nicht einmal den welt- und sicherheitspolitisch kontraproduktiv gewordenen Krieg in und um Vietnam einfach eingestellt hat, ohne zuvor jeden Schritt der hinterher Nobelpreis-gekrönten „Friedensverhandlungen“ mit massiven Bombenangriffen auf Nordvietnam zu begleiten, das Land bis zur kompletten Untauglichkeit zu zerstören und für eine moralisch befriedigende Opferbilanz beim Feind zu sorgen.