Lauterbachs Revolution im Krankenhaus
Der Gesundheitsminister tritt an, um alles besser zu machen: Mehr Transparenz für Patienten, damit die den Pfusch in deutschen Krankenhäusern künftig umgehen können; eine Abkehr von den Fallpauschalen, weil die für lauter „Fehlanreize“ gesorgt und dem Patientenwohl geschadet haben. Der Mann kennt seine Krankenhäuser eben allzu gut und weiß, wie in ihnen gerechnet wird.
Welche neuen ewigen Widersprüche des kapitalistischen Gesundheitswesens er auf den Weg bringt, wenn er mit seinem neuen System die Ansprüche an eine volksfreundliche, zugleich bezahlbare und für die Krankenhausbetreiber lohnende Krankenversorgung heilsam neu kombinieren will, davon handelt der Artikel.
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Lauterbachs Revolution im Krankenhaus
Der amtierende Gesundheitsminister hat in der deutschen Krankenhauslandschaft schon länger ein „marodes System“ ausgemacht, das nicht in seinem Sinne funktioniert.
Reformbedarf im Namen des Patienten
Ihm zufolge gibt es im Land haufenweise Kliniken, die zwar „den Armbruch richten können“, aber nicht „den akuten Herzinfarkt“ oder „die große Enddarm-Chirurgie“ beherrschen – und die sich durch ihren Kompetenzmangel nicht davon abhalten lassen, solche heiklen Eingriffe anzubieten und durchzuführen, oft genug zum Schaden der Patienten:
„Ist eine Klinik nicht optimal darauf vorbereitet, hat jeder dritte Schlaganfallpatient kaum eine Überlebenschance im ersten Jahr. Bei einer qualifizierteren Klinik ist es nur jeder vierte Patient... In solche kleinen Kliniken gehen weder der Arzt noch seine Familie, wenn zum Beispiel eine große Krebs-OP ansteht. Sie suchen sich natürlich größere, spezialisierte Häuser... Seien wir ehrlich: Viele der kleinen Kliniken überleben derzeit nur, weil sie diejenigen behandeln, die von den Qualitätsunterschieden nichts wissen... Im Ergebnis der Reform müssen wir dahin kommen, dass die Eingriffe nur noch dort gemacht werden, wo sich die Ärzte auch selbst behandeln lassen würden.“ (Lauterbach im Bild-Interview, 1.6.23; auch die folgenden Aussagen stammen aus diversen Interviews mit dem Minister, die wir mit Medium und Datum zitieren.)
Bis zum gewünschten „Ergebnis der Reform“ ist es ein weiter Weg. Als Sofortmaßnahme kündigt der Minister ein Krankenhaustransparenzgesetz an. Fortan soll jeder auf einer interaktiven Karte im Internet selbst nachschauen können, wo er mit seinem Leiden am besten aufgehoben ist:
„Ich möchte ... schnell diese Informationen zur Verfügung stellen, wo sind die Krebsbehandlungen besonders häufig und gut gemacht worden, wo hat man Personal dafür, für einige andere Krankheiten auch.“ (DLF, 10.7.23) „Das bringt zunächst einmal Transparenz. Es zeigt selbst Laien: Welche Klinik darf welche Behandlungen anbieten – und erfüllt sie dafür die Qualitätsvoraussetzungen? Eingriffe am Herzen beispielsweise, mit denen Rhythmusstörungen bekämpft werden, sind kompliziert. Das dürfen derzeit viel zu viele Kliniken machen... Ob sie die für diese Leistungen notwendigen Qualitätsanforderungen erreichen, ist eine unfassbar wertvolle Information.“ (Die Zeit, 15.6.23)
Noch bevor man inkompetenten Krankenhäusern solche heiklen und lukrativen Eingriffe ökonomisch verleidet oder gänzlich verbietet (dazu später), kann der aufgeklärte Patient aktiv an der fälligen Gesundung der deutschen Krankenhauslandschaft mitwirken, indem er bei wählbaren Eingriffen nur die richtig guten Kliniken ansteuert. [1]
Natürlich weiß der Minister, dass sein Vorstoß in Richtung Transparenz bestenfalls Auswüchse des Pfusches am Patienten abmildern kann, an die tieferliegende Ursache der Misere aber nicht heranreicht. Um die anzugehen, hat er sich darum nicht weniger als eine „Revolution“ vorgenommen, die er im Jahr 2024 endlich gegen diverse Widerstände auf den Weg bringen will:
„Wir brauchen echt ein ganz anderes System. Daher ist es nicht übertrieben, wenn man sagt, wir brauchen so etwas wie eine Revolution, wie wir Krankenhäuser bezahlen, dass Qualität eine stärkere Rolle spielt, aber Ökonomie eine geringere Rolle spielt.“ (DLF, 6.12.22)
Wie immer, wenn bürgerliche Politiker eine Revolution im sozialen Bereich beschwören, bezieht auch Gesundheitsminister Lauterbach sich mit seinem Willen, alles besser zu machen, auf Eckpunkte und Resultate der jeweils vorangegangenen ‚Revolution‘, nämlich auf das sozialpolitische Regelungskunstwerk, das seine Amtsvorgänger ihm hinterlassen haben. Im Falle der letzten Krankenhausreform war es der heutige Minister selbst, der 2003 gemeinsam mit der damaligen SPD-Gesundheitsministerin Schmidt die Fallpauschalen auf den Weg gebracht hat, die er inzwischen als das große Übel und die Ursache der beklagten Missstände ausmacht. Er korrigiert seine damaligen Ansichten im Stile eines Zwar-Aber:
„Deutschland hat die Fallpauschalen vor zwanzig Jahren eingeführt, um zu verhindern, dass die Patienten zu lange im Krankenhaus liegen. Das nämlich ist nicht nur teuer, sondern macht Patienten teilweise sogar kränker – besonders Ältere. Lange Liegezeiten machen immobil, steigern das Risiko, sich einen Keim einzufangen, begünstigen sogar bei älteren Risikopatienten den Beginn einer Demenz. Deshalb war ich damals auch für die Fallpauschalen. Aber wir haben es übertrieben... Wir haben das System ohne Ausnahme umgesetzt. Kein anderes Land ist so weit gegangen, dass es den Kliniken sonst keine Einkommensmöglichkeit gibt. Ich hätte mir das anders gewünscht, denn auf diese Weise war die einfachste Möglichkeit, Gewinne zu machen, am Personal zu sparen.“ (Die zeit, 14.12.22)
Die Absicht war schon damals eigentlich eine gute: Die Verringerung der als kostenintensiv beklagten Liegezeiten des Krankenguts sollte nicht nur den Kassen und Staatsfinanzen, sondern nicht zuletzt auch den Patienten zugutekommen. [2] Weil es aber zu viel des Guten war, überwiegen für letztere seither die Nebenwirkungen: Im Zuge der Verkürzung ihrer immobilen Liegezeit ist auch das Personal geschrumpft, das sich um sie gekümmert hat, denn die Kliniken haben „über Jahrzehnte hinweg Pflegestellen abgebaut“ (ebd.). Und auch die ärztliche Behandlungsqualität hat laut Minister gelitten:
„Das [die Einführung der Fallpauschalen] bedeutet für den Patienten, dass die Qualität oft nicht so gut ist, wie sie sein könnte. Es gibt immer den gleichen Preis, egal ob der Eingriff sehr aufwendig, mit hoher Qualität gemacht wird oder nicht so hoher Qualität. Die Krankenhäuser müssen in die Menge gehen. Das heißt, ein Krankenhaus kann nur wirklich viel verdienen, wenn es viele Fälle macht. Somit haben wir einen systematischen Anreiz ... dass viel gemacht wird, oft zu viel und dass an der Qualität gespart wird, und insbesondere, dass Bereiche hinten runterfallen, wo man keine Gewinne machen kann, zum Beispiel die Kinderheilkunde, zum Beispiel die Pflege, aber auch oft die Spitzenmedizin. Das System funktioniert nicht gut.“ (DLF, 6.12.22)
Die Qualität der Versorgung und ihre Bezahlbarkeit, die in der alten Reform zusammengebracht werden sollten, sieht Lauterbach durch Geschäftsrechnungen der Krankenhausmanager zerrissen, die die damals eingeführten Fallpauschalen selbst provoziert haben:
„Die Fallpauschale ist wie ein Preisschild, mit dem der Patient in die Klinik kommt. Hat er einen komplizierten Meniskusschaden mit einem Kreuzbandriss, kommen zum Beispiel 4 000 Euro zur Tür herein. Ein Klinikarzt, der von seiner Geschäftsführung unter ökonomischem Druck steht, wird zusehen, dass er diesen Patienten nicht verliert. Er wird dem Patienten daher erklären, dass die Klinik den Eingriff gut beherrscht – auch wenn das möglicherweise nicht ganz stimmt... Zum Beispiel werden in Deutschland so viele Herzklappen über einen Katheter eingesetzt wie sonst nirgends auf der Welt. Viele dieser Eingriffe sind medizinisch nicht zwingend notwendig, aber sehr lukrativ. Da werden Kardiologen unter Druck gesetzt von Klinikleitungen, die sagen: Kannst du das nicht auch machen? Die erste Generation solcher Patienten hat für den wirtschaftlichen Druck einen hohen Preis bezahlt... Die Wahrheit ist auch, dass beispielsweise ältere Menschen, obwohl ihr Tod absehbar ist, zu oft noch auf die Intensivstationen gebracht werden, weil das abgerechnet werden kann. Das ist inhuman.“ (Die zeit, 15.6.23)
Und so weiter. Lauterbach kann endlos davon erzählen, wie viel medizinischer Unsinn und menschlicher Schaden sehr sinnvoll ist vom Standpunkt der Geschäftsrechnungen der Krankenhäuser, weil die durch ein verkehrtes System finanzieller Anreize entsprechend gelenkt werden. Wenn er sich als Kämpfer für das Wohl der Patienten und gegen eine verderbliche Ökonomisierung ihrer Versorgung inszeniert, wenn er mit verbesserten finanziellen Anreizen die Krankenversorgung, ihre Bezahlbarkeit und die Notwendigkeit der Krankenhäuser, Geld zu verdienen, zu neuer Harmonie bringen will, wird deutlich, an welchem der Marktwirtschaft eigentlich fremden Anforderungsdreieck er sich da, wie schon seine Vorgänger, abarbeitet:
Die widersprüchliche Symbiose von Versorgung und Geschäft im Krankenhauswesen
Im staatlich organisierten Gesundheitswesen wird der privaten Geschäftemacherei ein Versorgungsauftrag abverlangt. Auf diesem Feld soll das Prinzip der freien Marktwirtschaft, dass, wer nicht zahlen kann, auch keinen relevanten Bedarf repräsentiert, explizit nicht gelten. Die Größe des Marktes soll nicht davon abhängen, wie viel private Kaufkraft sich für Gesundheitsprodukte und ‑leistungen findet, stattdessen sollen ärztliche Dienste erbracht werden, wo immer krankheitsbedingter Bedarf besteht. Andererseits sollen die Krankenhäuser, seit man sie in den 1980er Jahren in die freie Wirtschaft entlassen hat, aber auch nicht einfach helfen und heilen und finanziert bekommen, was dafür an Aufwand notwendig ist, sondern zusehen, dass sie dabei „wirtschaftlich“ handeln. Vom Staat verlangte und erlaubte geschäftliche Kalkulationen mit Kosten und Erträgen sollen Effizienz erzwingen, die Leistungserbringung verbilligen und nicht zuletzt privates Kapital in die Krankenhausbranche locken, das öffentliche Investitionen ersetzt. [3]
Indem der deutsche Staat mit seiner umfassenden politischen Organisation des Gesundheitsmarktes Versorgung und Gewinnerwirtschaftung zusammenzwingt, trägt er dem Umstand Rechnung, dass die Volksgesundheit ein nationales Erfordernis, Bedingung eines kapitalistisch nützlichen und produktiven Volkes ist, die aber, dem freien Markt überlassen, nicht zustande käme. Die Leute nämlich, die dieses Volk ausmachen, sind zu arm, um im Fall kleinerer und größerer Krankheiten als private Käufer von ärztlichen Leistungen aufzutreten und erst recht zu arm, um krankheitsbedingte Einkommensausfälle aus eigenen Mitteln zu überbrücken. Denn was sie als ihren Lebensunterhalt verdienen, ist vonseiten ihrer Arbeitgeber als Lohnkost kalkuliert, die sich lohnen muss, und trägt daher den Bedürfnissen ihrer Gesundheit so wenig Rechnung wie ihren sonstigen Lebensnotwendigkeiten. Es sind die staatlich organisierten Krankenkassen, die die entsprechenden Lohnanteile zwangsweise einziehen, kollektivieren und verwalten, und die dadurch das Unmögliche doch wahr machen und die anfallenden Kosten zur Heilung diverser Leiden aus dem Lohn finanzieren, der das nötig hat und dazu nicht taugt. Sparsamkeit ist bei der Organisation der Volksgesundheit selbstverständlich geboten, da die von den Krankenkassen verwaltete Gesamtkaufkraft des lohnabhängigen Versichertenkollektivs durch Zusammenlegen ja nicht wächst. In Gestalt der Krankenkassenbudgets ist für die Akteure im Gesundheitswesen die Seite der zahlungsfähigen Nachfrage ebenso verlässlich sichergestellt wie verlässlich begrenzt.
Wie die Krankenhäuser neben anderen Unternehmen des Gesundheitswesens (Pharmafirmen, Apotheken, niedergelassene Ärzte usw.) ihren Anteil an dieser Geldquelle ergattern können, ist gleichfalls politisch festgelegt: Sie können die Preise für ihre Gesundheitsdienstleistungen nicht einfach danach festlegen, was der Markt hergibt und die Konkurrenz erlaubt. Den Markt organisiert schließlich der Staat, also regelt auch er, wie auf die Finanztöpfe der Kassen zugegriffen werden kann. Für die Krankenhäuser bestimmt ein jährlich neu zwischen Krankenkassen und Krankenhausgesellschaften ausgehandelter Leistungskatalog (diagnosis related groups, kurz DRG), was überhaupt gemacht werden darf und bezahlt wird und wie viel eine Leistung kostet. Der pro Fall zu verdienende Preis steht für die Kliniken damit vorab in Gestalt der Fallpauschale fest; ihre Kalkulationsfreiheit beschränkt sich darauf, möglichst viele Fälle zu behandeln und den dafür anfallenden Kostenaufwand herabzudrücken, wo es geht.
Neben den auch aus anderen Branchen bekannten Varianten, die lieben Angestellten über die Ausdehnung ihrer Aufgaben und ihrer Arbeitszeit für die fälligen Kosteneinsparungen in Haftung zu nehmen, kommt es für die Krankenhäuser vor allem darauf an, viele Diagnosen zu stellen, die lukrative Behandlungen erfordern. Der private Geschäftssinn kommt mit der politisch geschaffenen und politisch begrenzten Nachfrage so zusammen, dass beständig den Krankenkassen das Geld nicht reicht und in mühsamen Nachjustierungen durch Aufwertungen und Abwertungen erbrachter Leistungen doch irgendwie ein Budgetrahmen eingehalten wird. Den systemnotwendigen Widerspruch zwischen Versorgung und Geschäft kennt der Gesundheitsminister nur als Ergebnis ungeschickt gesetzter finanzieller Anreize, die er durch bessere zu ersetzen gedenkt.
Das neue System
Der Kern der Krankenhausreform liegt dieser Diagnose entsprechend in der Einführung eines neuen politischen Steuerungsinstruments, das die Krankenhäuser zu einem der Volksgesundheit und ihrer Bezahlbarkeit zuträglicheren Verhalten hinmanipulieren soll:
„Künftig sollen Kliniken mehr Geld dafür bekommen, dass sie das nötige Personal, den Operationssaal und die Technik für den Eingriff bereithalten, nicht nur für den Eingriff selbst.“ (Die zeit, 15.6.23)
60 Prozent ihres Geldes sollen die Kliniken künftig in Form von sogenannten Vorhaltevergütungen erhalten, die ihnen dafür zustehen, dass sie die notwendigen Strukturen zur Patientenversorgung bereitstellen und aufrechterhalten, während noch 40 Prozent weiter in der alten Form von Fallpauschalen gezahlt werden sollen. Auf die Frage, ob es nicht konsequenter wäre, die von ihm verteufelten Fallpauschalen gleich ganz abzuschaffen, anstatt sie nur um die Vorhaltevergütung zu ergänzen – „Wäre ein Patient ganz ohne Preisschild nicht humaner?“ – antwortet Lauterbach:
„Nein, denn dann bekäme eine Klinik den vollen Betrag auch dann gezahlt, wenn sie gar nicht mehr operiert. Dann könnten selbst sinnvolle Operationen ausbleiben, weil das für die Klinik günstiger ist.“ (Ebd.)
So einfach ist es eben nicht. Man kann in einem Gesundheitswesen, das unter Ausnutzung des Leistungs- und Preiskatalogs aus der garantierten Zahlungsfähigkeit der Kassen seine Gewinne herauswirtschaftet, eben nicht den einen, die Versorgung torpedierenden Fehlanreiz abschaffen, ohne einen anderen in die Welt zu setzen. Da kennt Lauterbach seine Krankenhäuser: Wenn er ihnen das Geld nur dafür zahlen würde, dass sie notwendige medizinische Kapazitäten für Eingriffe, die sie gut beherrschen, vorhalten, damit sie keine medizinisch unnötigen oder schlecht gemachten Behandlungen mehr durchführen, dann regte er sie zugleich dazu an, überhaupt möglichst wenig zu behandeln, weil sie dann umso mehr Gewinn machen würden, je weniger mit Kosten verbundene Eingriffe sie für das Einkassieren der Vorhalteprämien durchführen. Der Gesundheitsminister lässt sich von so einem Widerspruch nicht irritieren, sondern wartet mit der genialen Lösung auf, beide ökonomische Fehlanreize zu kombinieren, damit das gewünschte Ergebnis herauskommt.
Als zweiter großer Eckpunkt der Revolution ist zudem eine erstmalig bundesweit einheitliche Einteilung sämtlicher Krankenhaus- und Klinikeinrichtungen in drei Versorgungsstufen vorgesehen (Level 1: Grundversorgung, Level 2: Regel- und Schwerpunktversorgung, Level 3: Maximalversorgung) sowie die Definition von 65 Leistungsgruppen zur Einteilung und Zertifizierung der von den Kliniken angebotenen Leistungen, für die einheitliche Mindestqualitätsvorgaben gelten sollen. Das Erbringen von Leistungen medizinisch minderer Qualität soll dadurch für die Kliniken nicht länger lukrativ sein; umgekehrt wird ihnen eine pauschale Vergütung für das Erfüllen der Qualitätsstandards der jeweiligen Leistungsgruppe bzw. Versorgungsstufe in Aussicht gestellt, und das unabhängig von der Anzahl durchgeführter Behandlungen.
Entgegen den Vorhaltungen seiner Kritiker hat Lauterbach dabei auch explizit an die Situation der kleinen Landkliniken gedacht, die finanziell am schlechtesten dastehen und deren massenhaftes „Sterben“ befürchtet wird. Insbesondere ihnen soll durch die geänderte Finanzierungsbasis eine neue Existenzgrundlage verschafft werden – und das nachhaltig und seriös, also ohne beständige Rettungsspritzen aus dem Staatshaushalt. Diese Kliniken sollen unter dem neuen System ermutigt werden, ihre medizinischen Kompetenzen nicht mehr notorisch zu übertreiben, um an das Geld der Krankenkassen zu kommen. Indem sich nicht nur mit Spitzenmedizin, sondern auch mit einer gesundheitlichen Basisversorgung gutes Geld verdienen lässt, sollen diese Kliniken in der Sprache des Geldes, die sie am besten verstehen, zu einem Geschäftsgebaren erzogen werden, mit dem auch sie einen arbeitsteiligen Beitrag zum gesundheitspolitischen Gesamtkunstwerk leisten.
Insgesamt ist der Minister sicher: Wenn er das Gewinnstreben der Krankenhäuser mit einer Mischung aus verbindlichen Einstufungen und Geldanreizen nur präzise genug justiert, lassen sich im widersprüchlichen Dreieck zwischen dem Kassengebot der Sparsamkeit, dem Gewinn der Häuser und der notwendigen medizinischen Versorgung fürs gleiche Geld viel bessere Ergebnisse erzielen:
„Das nimmt den ökonomischen Druck weg, das erlaubt eine Entbürokratisierung, die Krankenhäuser sind nicht mehr gezwungen, so viele Leistungen wie möglich zu erbringen; die Bürger können sich darauf verlassen, dass nicht Leistungen erbracht werden, die vielleicht nicht erbracht worden wären, wenn es nicht um den wirtschaftlichen Druck in der Klinik gegangen wäre. Wir haben dann auch keine Zielvereinbarungen mehr zwischen den Ärzten und der Klinikleitung, wie viele Eingriffe gemacht werden müssen. Dieses ganze Misstrauen, das es jetzt gibt, ob die Leistung tatsächlich medizinisch notwendig ist, ist dann weg. Das ist eine Revolution.“ (Bundespressekonferenz, 10.7.23)
Aufschlussreiche Zurückweisungen vonseiten der Krankenhäuser
Kaum hat der Minister sein Reformvorhaben konkretisiert, schallt ihm der Widerstand der Gesundheitslobby entgegen. Der Deutsche Evangelische Krankenhausverband (DEKV) sieht die Bedürfnisse seiner Häuser überhaupt nicht bedient:
„Dabei handelt es sich um Planwirtschaft. Die fatalen Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung müssen mit den in den Eckpunkten vorgesehenen Auswirkungsanalysen gemeinsam mit der Krankenhauspraxis bewertet werden. Das ist mehr als überfällig...Enttäuschend ist, dass die Eckpunkte noch eine Vielzahl an Prüfaufträgen enthalten. So sind keine wirtschaftlichen Soforthilfen für Krankenhäuser, keine Anpassung der Landesbasisfallwerte zur Kompensation der Kostensteigerungen, keine Steigerung der Vorhaltekosten außerhalb der Veränderungsrate und keine Abbildung der Tarifabschlüsse in den Vorhaltekosten enthalten.“ (Pressemitteilung des DEKV, 11.7.23)
Weil die Reform des Leistungs- und Vergütungssystems die Vergütung selbst nicht erhöht und einen Ausgleich für Inflation etc. nicht enthält – das wird in einem anderen Gesetz geregelt –, entdecken die Verbandsfunktionäre auf einmal die Sünde der Planwirtschaft. Was denn sonst? Planwirtschaft im Kapitalismus wird das Gesundheitssystem nicht erst durch Lauterbachs Reform, wovon ja auch die von der DEKV aufgezählten Finanzposten zeugen. Schließlich leben die Gesundheitsunternehmer davon, dass ihrem Gewinnstreben eine politisch organisierte Zahlungsfähigkeit, die auf einem freien Markt nicht zustande käme, zur Verfügung gestellt wird. Davon dürfen sie sich ihren Teil durch die Erfüllung politisch festgelegter Leistungskriterien zu politisch vereinbarten Preisen aneignen. Dabei kann es nicht ausbleiben, dass sie die Preis- und Leistungsregularien im Sinne ihres Geschäfts ausreizen und so im Ergebnis eben die Über- oder Unterversorgung zustande bringen, anhand deren sich die jeweils aktuelle gesetzliche Regelung über kurz oder lang als Fehlanreiz erweist. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) kann jetzt schon sagen, welche Dysfunktionalitäten ihre Mitglieder aus Lauterbachs neuem Anreizsystem herauswirtschaften werden; und sie stört sich noch nicht einmal daran, dass sie dabei unmittelbar gegensätzliche Wirkungen prognostiziert:
„Anstelle der ‚Entökonomisierung‘ fürchtet die DKG das Gegenteil: ‚Vierzig Prozent der Erlöse sollen weiter über das DRG-System erwirtschaftet werden‘, sagt [DKG-Vize] Lemke. Allerdings werde der Anteil der über die DRGs verteilten Gelder sinken und damit die einzelne Leistung weniger wert sein. ‚Die kleinen und mittleren Krankenhäuser auf dem Land, die wir eigentlich schützen wollen, müssen also im Hamsterrad noch schneller rennen, um zu überleben... Am Ende des Tages wird das in eine faktische Rationierung hineinführen, das ist die Logik.‘“ (Der Spiegel, 11.10.23) „Weitere Bedenken äußerte die DKG zuletzt im Rahmen einer Pressekonferenz zur geplanten Vorhaltefinanzierung... Wenn ein Standort sein Leistungsgeschehen ... schon vorher nicht auskömmlich finanzieren könne, helfe die Vorhaltefinanzierung im Vergleich zum jetzigen System nicht weiter... Bei Fallzahlschwankungen dämpfe es mögliche Verluste, bei Fallzahlanstiegen würde das neue Konzept aber zu geringeren Erlöszuwächsen führen als im heutigen System. Dies böte keinen Anreiz, weitere Patientinnen und Patienten zu versorgen und würde großen Krankenhausstandorten noch größere Probleme bereiten.“ (Deutsches Ärzteblatt 2/2024, 26.1.24)
Die Kliniken werden wegen des verringerten Gewichts der Bezahlungen pro Fall einerseits noch mehr von den schlechten bzw. überflüssigen Operationen – „Hamsterrad“ – machen, die Lauterbach abstellen will. Andererseits werden sie aus demselben Grund weniger Versorgungsleistungen erbringen, weil die „geringeren Erlöszuwächse“ bei Mehrleistung nicht Anreiz genug sind.Mit Berufung auf denselben Standpunkt des Zusammenfallens von Patientenversorgung und Geschäft bestreiten die Lobbyisten dem Gesundheitsminister die beabsichtige Wirkung seiner Reform: Wo der ihr Geschäft wieder zum zielgenauen Hebel der Gesundheitsversorgung herrichten will, erinnern sie ihn daran, dass es längst der unverzichtbare Hebel dafür ist und deshalb besser vergütet gehört, wenn das System Krankenhaus funktionieren soll.
[1] Zum Pech der mündigen Patientenschaft war das Transparenzgesetz im November 2023 vorerst im Bundesrat am Widerstand der unionsgeführten Länder gescheitert. Die konnten mit ihrer Blockade gleich mehrere ihrer Kernanliegen zusammenbringen: Erstens verhindern sie den offiziellen Vergleich der Kliniken, der viele auf dem flachen Land in Verruf bringen und deren Finanzlage weiter verschlechtern würde; zum Zweiten wahren die Landesgesundheitsminister damit ihre hoheitliche Zuständigkeit für ihre Kliniken und schützen sie vor den Übergriffen des Bundes; und zum Dritten wird daran wunderbar die Unfähigkeit der Ampelregierung deutlich, gescheit durchregieren zu können. Mit der Inaussichtstellung eines zusätzlichen Transformationsfonds für die Kliniken wird man sich im Februar 2024 dann schließlich im Vermittlungsausschuss einig, und die Länder geben ihren Widerstand gegen das Gesetz des Ministers auf. Vom Ausgang solcher Machtfragen sind die Einwohner einer Demokratie eben auch als Patienten abhängig.
[2] Zu dieser und auch der vorhergehenden Krankenhausreform der 1980er Jahre, die das „Prinzip der Wirtschaftlichkeit“ eingeführt hatte, siehe den Abschnitt „Das Krankenhaus“ aus dem Kapitel „Gesundheit als Ware“ in Predehl/Röhrig: Gesundheit. Ein Gut und sein Preis, Gegenstandpunkt Verlag (2016), S. 85 ff.
[3] „Deutschlands Krankenhäuser sind entweder öffentlich-rechtlich, freigemeinnützig oder privat organisiert. Öffentliche Krankenhäuser werden von den Städten, Gemeinden und Ländern betrieben, freigemeinnützige von Kirchen, Stiftungen oder gemeinnützigen Verbänden wie dem Roten Kreuz. Private Träger sind meist große (Börsen-)Unternehmen. Der Anteil der Kliniken privater Trägerschaft hat in den letzten Jahren stetig zugenommen... Während bei den öffentlichen und freigemeinnützigen Trägern der erwirtschaftete Gewinn innerhalb des Gesundheitssystems bleibt, verdienen bei privaten Einrichtungen die Anteilseigner bis zu 15 Prozent Rendite... Jedes Krankenhaus in Deutschland steht unter finanziellem Druck. Alle Kosten müssen durch die Gelder des Landes und der Krankenkassen gedeckt werden. Private Träger müssen zusätzlich einen Gewinn einfahren – und deshalb besonders effektiv wirtschaften.“ (Krankenhäuser: Profit oder Patientenwohl, quarks.de)
Während die Krankenhäuser ihre laufenden Betriebskosten vollständig aus den Fallpauschalen finanzieren sollen, sind für Investitionskosten wie Neubauten oder neue Geräte die Länder mit zuständig, die ihre Gelder im Interesse einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung unter den Kliniken verteilen. Hinzu kommt die gängige Praxis, dass in finanzielle Notlagen geratene Krankenhäuser mit Zuschüssen des Bundes am Leben erhalten werden.