Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Klarstellungen der Bush-Administration anlässlich des Besuchs von Ex-Präsident Carter auf Kuba:
Kubas Karriere vom kommunistischen Störenfried zum Terror(unterstützer)staat
Carter tritt mit seinem Besuch für ein Ende des US-Embargos gegen Kuba ein, weil er es reif für einen „Wandel durch Annäherung“ hält. Die Bush-Administration dagegen setzt Kuba infolge ihrer strategischen Neuausrichtung nach dem 11.9. auf die Liste der Terror(unterstützer)staaten.
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Systematischer Katalog
Klarstellungen der Bush-Administration
anlässlich des Besuchs von Ex-Präsident Carter auf
Kuba:
Kubas Karriere vom kommunistischen
Störenfried zum Terror(unterstützer)staat
1.
Ex-Präsident Jimmy Carter besucht Kuba. Das fällt auf, weil seit 40 Jahren alle US-Regierungen Castros Insel als Feind behandeln, mit Wirtschaftsboykott belegen, politisch ächten und aus dem normalen diplomatischen Verkehr ausgrenzen. Die Absicht der Visite ist freilich alles andere als Castro-freundlich. Der hohe Gast will mit seinem – zwar nicht offiziellen, aber auch keineswegs bloß privaten – Besuch einen kleinen Beitrag zur Zersetzung der sozialistischen Herrschaft auf der Insel leisten. Er will darauf hinwirken, dass eines der letzten und hartnäckigsten „Regimes“ aus dem einstigen „sowjetischen Lager“ noch weiter als bisher schon von seinem „Sonderweg“ abrückt, mehr Dollar-Kapitalismus und mehr bürgerliche Opposition zulässt, sich also schön langsam zurück eingliedert in die Verhältnisse privaten Reichtums und massenhaften Elends, US-höriger Herrschaft und hoffnungsloser Unterwerfung, die Amerikas lateinamerikanischen Hinterhof sonst überall auszeichnen. Die Opposition im Land will Carter protegieren und ermuntern; in einer unzensierten Fernsehansprache will er dem Volk die Segnungen eines Freiheits-Imports aus den USA vor Augen stellen. Die materiellen Nöte, in die der Staat sich und seine Insassen nach dem Ende des sowjetischen Weltsystems und jeder äußeren Unterstützung, unter dem Druck des von Amerika verhängten Wirtschaftsembargos und der Bedingungen eines trotzdem aufrecht erhaltenen Handelsverkehrs mit der Außenwelt hinein gewirtschaftet hat, machen Kuba nach Carters Auffassung reif für diese Sorte „Wandel durch Annäherung“, nämlich eine politische und ökonomische Rückeroberung ohne große Militäraktionen. Irgendwelche Risiken für die USA sieht er dabei überhaupt nicht; da teilt der Ex-Präsident mittlerweile die Einschätzung des Lateinamerika-Experten und seinerzeitigen Chefdiplomaten Wayne S. Smith:
„Der Kalte Krieg ist eben vorbei und Kuba stellt in keiner Weise mehr eine Gefahr für die Vereinigten Staaten von Amerika dar. Ein Wechsel unserer Politik ist also lange überfällig.“
Dem Wechsel in der Methode der erpresserischen Wieder-Eingliederung und Gleichschaltung Kubas, den sein Berater da im Sinn hat, möchte Carter zuarbeiten und so auch bei der amtierenden Führung in Washington für die Einsicht werben, dass es zur Bereinigung der noch immer offenen „Kuba-Frage“ das Zweckmäßigste wäre,
„dass der Kongress rasch alle Restriktionen für Reisen von Amerikanern nach Kuba aufhebt, offene Handelsbeziehungen herstellt und das Embargo aufgibt.“
2.
Dass ein Methodenwechsel im Umgang der USA mit Kuba nötig, ja überfällig ist, findet die Bush-Administration auch; allerdings in genau entgegengesetztem Sinn. Im Endziel ist sie sich mit dem Ex-Präsidenten zwar völlig einig:
„Kuba kann nicht länger die einzige Ausnahme in einer Welt der Demokratie und der freien Märkte sein.“ (C. Powell, NYT, 6.5.02)
Sie meint damit bloß etwas anderes. Nach neuester amerikanischer Lesart ist nämlich jede staatliche „Ausnahme in einer Welt der Demokratie und der freien Märkte“ nicht bloß eine ärgerliche Ausnahme von der Regel, sondern eine nicht tolerierbare Bedrohung. Und was den Kalten Krieg betrifft, in dem Kuba zeitweise so etwas wie ein Brückenkopf der Sowjetmacht auf dem amerikanischen Doppelkontinent war, so ist der nach regierungsamtlicher Auffassung nicht einfach bloß vorbei: Ein neuer Weltkrieg ist an dessen Stelle getreten, der gegen „den Terrorismus“; und in dem damit eröffneten strategischen Szenario haben Bush und seine Leute für Castros Insel einen neuen Platz gefunden. Die Insel rechnet, wenn auch nicht an erster Stelle, zu den „terroristischen Bedrohungen“, die Amerika unbedingt mit aller Gewalt eliminieren will, noch bevor es sie wirklich gibt und sie sich womöglich zu einem, und sei es noch so winzigen, Fragezeichen hinter dem Anspruch der Weltmacht auf absolute Unangreifbarkeit ausgewachsen haben. Einschätzungen von gestern –
„ein Bericht des Pentagons von 1998 hat die Gefahr Kubas für die nationale Sicherheit der USA unterschätzt. Dieser hatte Kuba nicht länger als militärische Gefahr eingestuft.“ (NZZ, 13.5.02) –
können da nicht länger aufrecht erhalten werden – nicht, weil sich in Kuba irgendetwas geändert hätte, sondern weil die USA ihre strategische Sicht der Welt gründlich revidiert und die Messlatte für Gefährlichkeit bzw. Ungefährlichkeit fremder Staaten neu definiert haben. Im Lichte des regierenden amerikanischen Verfolgungswahns zeigt sich Kuba als Land, das „dem Terror in gewissem Ausmaß einen sicheren Hafen“ bietet. Begründung:
„Seit dem 11. September hat sich Fidel Castro schwankend gezeigt in der Frage des Kriegs gegen den Terrorismus. Im Oktober nannte er den US-Krieg gegen Terrorismus ‚schlimmer als die ursprünglichen Angriffe, militaristisch und faschistisch‘… Ungeachtet der Unterschriften Kubas unter die Antiterrorismus-Konventionen der UN fuhr Castro fort, Terror als eine legitime revolutionäre Taktik anzusehen.“ (www.state.gov – 20.9.01)
Die Weltmacht macht ernst mit ihrem Standpunkt ‚Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!‘: Jedes „Schwanken“, jede Zögerlichkeit bei der Unterwerfung unter die eigenen Diktate, ja schon allein den eigenen Verdacht auf Widerspenstigkeit wertet sie als Beweis für amerikafeindliche, also böse, in letzter Konsequenz terroristische Absichten einer Regierung. Und stehen die erst einmal fest, dann erweisen sich schlagartig alle, noch die zivilsten und humanitärsten Errungenschaften der fraglichen Nation als böswillige Zurüstungen mit dem Ziel, am Reich des Guten und seinen unschuldigen Bewohnern terroristische Verbrechen zu begehen. Der geschärfte Blick auf Kuba wird da an einer besonders empfindlichen Stelle fündig: Der ganze Stolz des sozialistischen „Regimes“, die Leistung, mit der das kubanische Gemeinwesen sich am positivsten von Amerikas botmäßigen Hinterhöfen unterscheidet, sein Gesundheitswesen nämlich, ist in Wahrheit eine teuflische Machenschaft!
„Seit vier Jahrzehnten hat Kuba eine hochentwickelte bio-medizinische Industrie aufgebaut, die bis 1990 von der Sowjetunion unterstützt wurde. Diese Industrie ist eine der fortgeschrittensten in ganz Lateinamerika, sie ist führend in der Produktion von Pharmazeutika und Impfstoffen, die weltweit verkauft werden… Aber Analysten und kubanische Flüchtlinge haben seit langem Verdacht geschöpft und die Aktivitäten in den biomedizinischen Unternehmen in Frage gestellt… Kuba verfügt über mindestens ein Programm zur Entwicklung offensiver biologischer Waffen“ (US-Staatssekretär Bolton).
So ist es eben, wenn „Analysten“ mit der richtigen, durch Flüchtlinge beglaubigten, kritischen Einstellung „Verdacht schöpfen“ – dann
„meinen wir, dass wir sehr zuverlässig sagen können, dass die Kubaner dabei sind, eine Anstrengung zu unternehmen, mit der sie sich eine beschränkte offensive Biowaffen-Fähigkeit verschaffen könnten.“ (Guardian Weekly, 13. – 19.6.02)
Wenn der böse Staatschef zu allem Überfluss auch noch die paar Länder bereist, deren Regierungen ihn überhaupt noch empfangen – und die, nebenbei, als Öl-Lieferanten für die boykottierte Insel in Frage kommen –, dann fügt er der feststehenden „Analyse“ gleich noch einen weiteren Beweis für die von Kuba ausgehende Terror-Gefahr hinzu:
„Kuba steht im Verdacht, ‚sein entsprechendes technisches Wissen an Länder weiterzugeben, die Feinde der USA sind.‘ Um welche Länder es sich dabei handelt, sagte Bolton nicht. Er wies aber darauf hin, dass der kubanische Staatschef Fidel Castro im vergangenen Jahr Syrien, Iran und Libyen besucht hat.“ (ebd.)
Das Verdikt über Castros Kuba ist damit fertig. Zwar stehen erst einmal andere „böse Männer“ mit ihren Staaten auf Amerikas „antiterroristischer“ Abschussliste; und für die Liquidierung der Castro-Herrschaft kann Präsident Bush sich auch eine demokratische Abwahl vorstellen, die dann aber auch spätestens 2003 über die Bühne gegangen sein muss („New Initiative for a New Cuba“, 20.05.02). Vorbehaltlich einer solch eleganten Lösung kommt die offizielle Einschätzung der Insel durch Bushs Strategen jedoch einer Kriegserklärung auf Vorrat gleich. Der Anti-Terror-Krieg erfindet sich seine Fronten, und Kuba ist eine davon.
3.
Unter diesem Vorzeichen bekommt der Kuba-Besuch des Ex-Präsidenten Carter einen ganz eigenen politischen Inhalt. Für das offizielle politische Amerika rangiert er überhaupt nicht mehr so, wie er gemeint ist, nämlich als konstruktiver Beitrag eines verdienten Elder Statesman zur Destruktion der Castro-Herrschaft, sondern wird zum unerwünschten, geradezu feindseligen Einspruch gegen die neue strategische Einordnung der armseligen Insel als Terror-Nest. Dem Gastgeber kommt diese Verschiebung selbstverständlich sehr gelegen; vielleicht lässt er den Ami nur deswegen überhaupt herein, und auf alle Fälle lässt er ihm deswegen die Würden eines Quasi-Staatsbesuchs zukommen: Dass Carter als personifizierte Kritik an und Alternative zu Kubas Sozialismus durchs Land reist, nimmt Castro in Kauf, weil sein Gast zugleich die Alternative zu und insoweit eine Absage an Bushs Feindschaftserklärung personifiziert. Er nimmt seinen hohen Besucher als Kronzeugen für die Gutartigkeit seiner eigenen politischen Absichten und die Harmlosigkeit seiner Macht in Anspruch und lässt ihn in biotechnische Labors führen, um sich bestätigen zu lassen, dass dort von einer Vorbereitung terroristischer Angriffe auf die amerikanische Volksgesundheit nichts zu sehen ist. Kuba will demonstrieren, dass es seine Verurteilung als Heimstatt des Terrors und folglich die damit ausgesprochene Vernichtungsdrohung nicht verdient. Und diesem Versuch einer diplomatischen Gegenwehr gegen die strategische Linie Washingtons entzieht der Ex-Präsident sich nicht: Ausdrücklich gegen den erklärten Willen der Bush-Administration, im globalen Anti-Terror-Krieg eine Spezialfront gegen Kuba zu eröffnen, hält er an seiner Leitlinie einer „zivilen“ Zersetzung und Wiederaneignung der Insel durch Amerika fest.
Das nimmt die US-Regierung ihm einerseits übel. Andererseits nimmt sie durchaus gerne die Gelegenheit wahr, gerade an Carters Visite die eigene Beschlusslage zu verdeutlichen. So spricht der Präsidentensprecher ihr in aller Höflichkeit jede politische Bedeutung ab, damit erst gar niemand auf die Idee kommt, es könnte sich doch um so etwas wie ein diplomatisches Signal handeln:
„Die Äußerungen James Carters sind seine persönliche Meinung und haben keinen Einfluss auf die Politik der amtierenden Regierung.“ (Fleischer, Sprecher des Weißen Hauses)
Ein höherer politischer Beamter ergänzt die Absage an jegliches Moment von Entgegenkommen um eine klare Untergangsprognose: Der Präsident sehe
„keine Veranlassung, einem Regime einen Rettungsring zuzuwerfen, das unter der Last seiner historischen Irrtümer versinkt.“ (O. Reich, Abteilungsleiter Lateinamerika im State Department)
Was er stattdessen vorhat, erklärt der Staatschef seinem Ami-Volk in der ihm eigenen schlichten Manier:
„Ich werde ihnen sagen, was es bedeutet, mit einem Tyrannen Handel zu treiben. Es bedeutet, Tyrannei zu billigen, und das können wir nicht geschehen lassen.“ (Bush)
Kriegserklärungen sind eben keine Erklärungen in dem Sinn.