Nachträge zu „Lage der arbeitenden Klasse in Deutschland“

Zu unserem Aufsatz aus GegenStandpunkt 2-23 sowie zu Veranstaltungen, die die Überlegungen des Textes vorgestellt haben, haben uns schriftlich wie mündlich einige Rückmeldungen erreicht, die wir zum Anlass für zwei inhaltliche und einen eher methodischen Nachtrag nehmen wollen.

Aus der Zeitschrift
Siehe auch
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Nachträge zu „Lage der arbeitenden Klasse in Deutschland“

Zu unserem Aufsatz Anmerkungen zur Lage der arbeitenden Klasse in Deutschland aus GegenStandpunkt 2-23 sowie zu Veranstaltungen, die die Überlegungen des Textes vorgestellt haben, haben uns schriftlich wie mündlich einige Rückmeldungen erreicht, die wir zum Anlass für zwei inhaltliche und einen eher methodischen Nachtrag nehmen wollen.

I.

»Was ist eigentlich mit Berufen aus dem Care-Bereich wie Erzieher, Krankenschwester, usw.? Die arbeiten doch gar nicht für die Geldvermehrung und sind deshalb auch nicht der Kalkulation unterworfen, dass sie im Verhältnis zu ihrer Bezahlung möglichst viel für den Profit leisten müssen. Ich will gar nicht bestreiten, dass die nicht auch irgendwie Teil der Arbeiterklasse wären, aber eure Erklärung der Einkommensquelle trifft auf die von mir genannten Berufe doch nicht zu, oder?«

Es mag sein, dass in öffentlich-rechtlichen Einrichtungen wie Kitas und Jugendeinrichtungen oder nichtprivatisierten Krankenhäusern und Pflegeheimen nicht für „den Profit“ im Sinne der privaten Bereicherung von Unternehmern und Shareholdern gearbeitet wird. Aber auch bei den Arbeitgebern des öffentlichen Sektors gelten in ‚Wirtschafts- und Finanzplänen‘ ausgearbeitete Geldrechnungen, die verfügbare Einnahmen und Erträge (ob diese nun direkt von den Kunden der betreffenden Dienstleistung, aus einer Sozialkasse, aus einem von der Kommune zur Verfügung gestellten Budget oder aus irgendeiner Mischung daraus stammen) den im Betrieb anfallenden Kosten gegenüberstellen, wobei der Lebensunterhalt der dort Beschäftigen ganz selbstverständlich auf die Seite des notwendigen finanziellen Aufwandes fällt, den es möglichst gering zu halten gilt.

Auch für diese Arbeitgeber gilt, dass ihre ‚Personalkosten‘ einen im Vergleich zu allen anderen laufenden Kosten sehr speziellen Stellenwert haben, denn die Leistung, die sie sich erwerben, steht damit selbst noch nicht fest: Die Arbeitgeber verschaffen sich mit den Lohn- bzw. Gehaltszahlungen die zeitweise Verfügung über das Arbeitsvermögen ihrer Beschäftigten, also die Freiheit, sie gemäß ihren Betriebskalkulationen zu beanspruchen und festzulegen, was sie in einem vorgegebenen Zeitrahmen zu erledigen haben. Steigerungen der verlangten Arbeitsleistung verbessern auch in diesem Sektor das Verhältnis von Arbeitskosten zu den erwirtschafteten Einnahmen der Einrichtung bzw. entlasten deren knappes Budget.

Es ist darum auch ganz sachgerecht, dass die Usancen der Ausgestaltung der Lohnarbeitsverhältnisse beider ‚Sektoren‘ wechselseitig als Vorbilder füreinander herhalten können: Nicht selten orientieren sich auch private Arbeitgeber am im TVöD festgeschriebenen, vergleichsweise niedrigeren Lohnniveau des öffentlichen Dienstes, das unter Verweis auf eine höhere Arbeitsplatzsicherheit gerechtfertigt wird; nicht selten schauen sich staatliche und öffentliche Stellen bei der privaten Wirtschaft ab, wie die Arbeit ihrer Angestellten für sie leistungseffizienter und kostengünstiger zu gestalten ist – und umgekehrt. Unter anderem beim Beruf der Krankenschwester existieren sogar beide Arten der Arbeitgeber-Geldrechnungen parallel nebeneinander; und für den Charakter der Erwerbsquelle der Krankenschwester macht es keinen Unterschied, ob sie mit ihrer Care-Arbeit eine Krankenhausgesellschaft und deren Investoren bereichert oder ob sie als Angestellte einer Klinik in öffentlicher oder kirchlicher Trägerschaft mit ihrer Arbeit, die in beiden Fällen möglichst lang und arbeitsintensiv ausfallen muss, dafür haftbar gemacht wird, den Kostenplan des Krankenhauses einzuhalten.

Was die typischen Eigenarten der Lohn- und Leistungsanforderungen in den Care-Berufen angeht, kommen noch ein paar Besonderheiten hinzu. Zum einen lassen die Arbeitgeber des Care-Sektors ihre Angestellten spüren, dass der Charakter der Tätigkeiten von Erziehern, Pflegern usw. nur sehr eingeschränkt den Methoden zur Steigerung der Arbeitsproduktivität durch den Einsatz moderner Technik zugänglich ist, die in der übrigen Arbeitswelt überall dort eingesetzt werden, wo das insgesamt eine relative Kostensenkung und damit vergrößerte Überschüsse für den Arbeitgeber verspricht. Dafür kommen in diesem Sektor andere Maßnahmen umso mehr in Betracht, die in der Ökonomie des Kapitalismus äquivalente Wirkungen für den Arbeitgeber versprechen, wie intensiveres und schnelleres Arbeiten, Ausdehnung der Tages- oder Wochenarbeitszeit oder kreative Beschäftigungsformen von Leiharbeit bis zur Ausnutzung besonders erpressbarer Osteuropäerinnen mit fraglichem Rechtsstatus zum Zwecke der Lohnsenkung – und das sowohl in privater als auch in kirchlicher / öffentlicher Trägerschaft. Zum anderen kommt in vielen Fällen noch eine politökonomische Besonderheit des sozialen Sektors zum Tragen, für die ebenfalls die Angestellten haftbar gemacht werden: Die entsprechenden Betriebe genießen in ihrer Betriebsrechnung oftmals nicht die gleiche Freiheit wie Unternehmen anderer Branchen, da sie nur eingeschränkt über den Preis ihres eigenen Angebots konkurrieren können, weil der ihnen (in Teilaspekten oder vollständig) politisch vorgeschrieben wird – etwa in Form von mit Sozialversicherungen ausgehandelten Pauschalen für medizinische Behandlungen oder Pflegeleistungen. Zugleich betreiben diese Betriebe ihre Geld- bzw. Überschussrechnungen zu großen Teilen auf Basis einer zwar politisch sichergestellten Kaufkraft, die der Sozialstaat selbst stiftet bzw. verwaltet, die damit aber zugleich notorisch beschränkt ist, weil der Staat die entsprechenden Kosten aus seinen Gründen so niedrig wie möglich halten will. [1] Was als in der gesamten Arbeitswelt bewährte Option zur Optimierung des Verhältnisses von Ausgaben und Einnahmen für diese Betriebe bleibt, das ist die sich von so viel Unfreiheit wohltuend absetzende variable Stellschraube der Preis- und Leistungsgesichtspunkte des Faktors ‚Arbeit‘ in der Betriebsrechnung. Das lassen auch Arbeitgeber in der Care-Branche ihre Beschäftigten spüren.

II.

Ein anderer Autor wendet sich kritisch gegen unseren Aufsatz, indem er den dortigen Ausführungen zur Büroarbeit und zum sogenannten agilen Arbeiten seine Kennzeichnung der Tätigkeit eines Softwareprogrammierers (in Abgrenzung zur Fabrikarbeit, für die er das Etikett „Lohnarbeit“ durchgehen lassen würde) entgegenstellt:

»Ein Unternehmen will eine Software entwickeln lassen und verkaufen... Es kauft also Produktionsmittel ein und (hauptsächlich) die Arbeit, die es organisiert... Jetzt wird der Lohn, den das Unternehmen zahlt, in ein Verhältnis zur Leistung, die er ihm bringt, gesetzt. Ist auch hier gelingender Absatz der Software ein Beleg für das Unternehmen, dass die Umschlagszeit erhöht, die Arbeit also ausgeweitet werden muss? Das macht erst einmal keinen Sinn, da mehr Stunden Softwareentwicklung überhaupt nicht in einem weiteren Stück Software resultieren. Intensiver gestaltet werden soll die Arbeit aber schon: Der Lohn ist auch hier immer zu teuer, und alles an der Tätigkeit, was nicht zum Endprodukt beiträgt, soll getilgt werden. Während beim Fabrikarbeiter klar ist, dass hier zu viel Arbeit im Produkt steckt und sich das Unternehmen dann daran macht, diesen Mangel zu beheben, also Arbeit aus dem Produkt zu tilgen, gibt es beim Softwareunternehmen allerdings kein Produkt im Sinne eines Stücks, in dessen Stückkost Lohn enthalten ist. Hier kann einem auffallen, warum da von Anfang an keine Arbeitskraft eingekauft wurde: Beim Fabrikarbeiter sorgt man dafür, dass jede Sekunde, die er in der Fabrik verbringt, für das Kapital produktiv wird, durch die eingesetzten Produktionsmittel und seine Überwachung. Was macht man beim Programmierer? Vielleicht für bessere Dokumentation sorgen, damit er nicht so oft hängen bleibt. Grundsätzlich andere/bessere Fähigkeiten vermitteln oder fordern – zumindest auf die eine oder andere Art drehen sich verschiedene Programmierparadigmen und -techniken darum, wie schnell sich der Code schreiben lässt, wie gut er sich debuggen lässt, wie leicht man ihn an jemand anderen weiterreichen kann (zumindest ist das regelmäßig die Absicht ...).

Allerdings sind das alles nicht einfach Dinge, die man einem Entwickler vorsetzen kann wie dem Schlosser eine Maschine, sondern es kommt ja wirklich auf ihn und sein Wissen und Können an (auch wenn die Arbeit im Einzelfall dann doch monoton ausfallen mag ...). Überwachen will das IT-Unternehmen die Arbeit natürlich auch, z.B. durch Managementtechniken oder auch automatisiert über Kennzahlen, aber bei geistigen Tätigkeiten dieser Art verhält es sich so, dass die Überwachung einerseits dringend notwendig scheint, weil es überhaupt die Möglichkeit gibt, unbemerkt das Tempo schleifen zu lassen (zeigt sich ja nicht an verringertem Ausstoß an Produkten zu Schichtende), andererseits ist diese Überwachung aber auch deshalb notorisch schwierig, weil man den Beitrag des Softwareentwicklers nicht gut quantifizieren kann. Dem Management ist i.d.R. sicher schon irgendwie klar, welche Abteilung und welcher Programmierer Anteil daran hatte, dass am Ende die Software fertiggestellt werden konnte. Aber der Anteil kann ein genialer Einfall gewesen sein, durch den der Code schneller gemacht wurde, die Implementierung einer neuen Datenbank, die ein Team getestet und wieder verworfen hat, vielleicht wurde auch stumpf eine vorgegebene Zahl an Bugs behoben. Es ist jeweils ersichtlich, dass sich die Bemühungen um eine ‚produktive Anwendung‘ nicht darum drehen, einfach pure Verausgabung zu ermöglichen, also die Entwickler auszuquetschen, sondern immer auf die Anwendung der jeweiligen Fähigkeiten und des jeweiligen Wissens bezogen sind, es also auch diese sind, die das Unternehmen will. Entsprechend geht diese Arbeit eben auch nicht im Gehorchen auf, sondern erfordert gerade Autonomie. Es mag der Traum und auch Gegenstand verschiedener Bemühungen seitens der IT-Unternehmen sein, dass auch der Programmierer so etwas wie ein Anhängsel der Maschinerie wird, aber es ist eben de facto nicht so.«

Irritierend ist zunächst die Behauptung zu Beginn des Textes, in der Softwareentwicklung gebe es schlicht keinen ökonomisch guten Grund zur „Ausweitung der Arbeit“. Was soll die Klarstellung, dass „mehr Stunden Softwareentwicklung überhaupt nicht in einem weiteren Stück Software resultieren“? Woran denkt der Autor da? Geht es ihm um den banalen Umstand, dass ein „Stück Software“ irgendwann auch einmal fertig entwickelt ist und der Vertrieb der ‚Stücke‘ im Sinne eines „gelingenden Absatzes“ dann eine Sache automatisierter Vervielfältigung ist, für die keine weitere Entwicklungsarbeit anfällt? Das mag zwar sein, aber was heißt das schon in Bezug auf Arbeit und Beschäftigung der Entwickler? Für sie ist die Arbeit damit jedenfalls nicht einfach zu Ende, sie werden entweder auf neue Projekte oder auf die Weiterentwicklung der Software angesetzt, die modernerweise ‚as a service‘ vertrieben wird und ständig neue Updates braucht. Oder die Arbeit endet für sie tatsächlich, und sie müssen sich ein neues Auskommen suchen, weil sie ohnehin nur befristet für eine Auftragsspitze eingestellt worden sind, was in dieser Branche keineswegs unüblich ist. Vor allem jedoch heißt das alles nicht, dass es für das Unternehmen nicht während der Entwicklung bzw. innerhalb der Entwicklungsabteilung ökonomisch gute Gründe gibt, die Arbeit ihrer Programmierer auszuweiten – etwa in Form von in der Branche vielfach beklagten ‚Sprints‘ und dem ‚Crunch‘, mit dem in Form von Überstunden, Urlaubssperren, Wochenend- und Nachtarbeit die Lebenszeit der Beschäftigten in Arbeitszeit für das Unternehmen umgewidmet wird. Und auch auf der Ausweitung der Leistung innerhalb der bezahlten Arbeitszeit wird bestanden – ob mit oder ohne die Analogie einer Rechnung mit „Lohnstückkosten“ auch für digitale ‚Stücke‘.

Auch in dieser Hinsicht sieht die kapitalistische Realität der geistigen Arbeit anders aus, als der Einwand sie vorstellig macht. Wenn der Autor problematisiert, wie beim Nachdenken überhaupt das ‚Stück‘ fassbar werden soll und wie sehr sich diese Sorte Arbeit deswegen angeblich gegen den Versuch sperrt, ihre Leistung überhaupt zu erfassen, um sie steigern zu können, zitiert er mit Stichworten wie „Managementtechniken“, „Überwachung“ „automatisiert über Kennzahlen“ und „Quantifizierung“ zwar selbst einige der einschlägigen Mittel der Arbeitgeber, auch diese Arbeit in vorgegebene Teilschritte zu zergliedern und ihr damit einen nicht bloß berechenbaren, sondern auch beschleunigbaren Takt zu verpassen, der sie umfassend auf lohnende Leistung trimmt – aber nur, um daran gerade das für wesentlich zu erklären, wovon die Arbeitgeber sich auf diese Weise gehörig emanzipieren: Alle Maßnahmen der Unternehmer, mit denen sie die geistige Arbeit immer neu auf ihren Zweck zurichten, gelten ihm als Belege für das Gegenteil, nämlich für die Eigenständigkeit dieser Arbeit und die Abhängigkeit des Unternehmens vom „Wissen und Können“ und den mitunter „genialen Einfällen“ der Mitarbeiter. [2]

Was in der Welt der geistigen Arbeit schwierig bis unmöglich sein soll, stellt der Autor sich in der Welt der materiellen Produktion dagegen ganz einfach vor: In der Fabrik soll die Arbeit schlicht dadurch lohnend gemacht werden, dass Unternehmer lauter für sich unnütze Tätigkeiten, die „nicht zum Endprodukt beitragen“, wegstreichen, um „Arbeit aus dem Produkt zu tilgen“. Eine vorgestellte Steigerung der Arbeitsproduktivität, die keine ist, weil sich Tätigkeiten, die mit dem Produkt nichts zu tun haben, schlecht aus ihm „tilgen“ lassen. Tatsächlich kommt es den Unternehmern auf etwas anderes an: Sie wollen eben ihre Lohnstückkosten senken; entweder erhöhen sie dazu das Arbeitstempo, verkürzen Pausen und verlangen dem Arbeiter so gerade mehr Arbeit pro bezahlter Arbeitszeit ab (das wäre der korrekte Begriff von Intensivierung), oder sie gestalten unter Einsatz neuer Produktionsmittel ihren Arbeitsprozess so um, dass aus ihm nicht einfach Arbeit, sondern bezahlte Arbeitszeit „getilgt“ wird, und zwar so viel davon, dass die Einsparung an Lohnkosten die Modernisierung lohnend macht. So machen die Herren über den Produktionsprozess mit ihrem Kapitaleinsatz die Arbeit überhaupt erst überflüssig, deren Kosten sie einsparen wollen.

Das Residuum seiner vorgestellten ‚Tilgung‘ ist das, was der Schreiber sich als die Realität der Fabrikarbeit und damit zugleich als Inbegriff von „Lohnarbeit“ vorzustellen scheint: Im Gegensatz zum IT-Büro soll die Arbeit dort im „Gehorchen aufgehen“ und außer dem, dass sie „ausgequetscht“ wird, keinen rechten Inhalt haben; die Maschine wird dem Arbeiter „einfach vorgesetzt“, ohne dass es dabei „wirklich“ auf dessen „Wissen und Können“ ankäme. Diese Entgegensetzung ist nicht richtig, denn auch in der Fabrik kommt es in genau einer Hinsicht auf das „Wissen und Können“ der Beschäftigten an: Die Zurichtung der Arbeit auf den ökonomischen Zweck des Unternehmers, der in der Maschinerie mit ihrer Taktung und ihrer Vorgabe sämtlicher Arbeitsschritte verobjektiviert vorliegt, definiert für die Arbeiter umfassend, was sie können und was sie aushalten müssen, damit sie für das Unternehmen nützlich sind und es auch bleiben. In diesem Sinne unterliegen auch in diesem Sektor der Arbeitswelt die Anforderungen an die Fähigkeiten der Arbeiter einem beständigen Wandel, weshalb auch der vom Autor ins Feld geführte „Schlosser“ schon vor Jahrzehnten durch spezifischer auf die jeweiligen kapitalistischen Produktionsverhältnisse zugeschnittene Ausbildungsberufe mit unterschiedlichen Fachrichtungen ersetzt worden ist.

Mit seiner Darstellung der unterschiedlichen konkreten Tätigkeiten und Anforderungen in verschiedenen Berufen will der Autor auf eine Bestimmung gänzlich anderer Art hinaus, nämlich auf eine Differenz dahingehend, wofür diese Leute in ihrem jeweiligen Beruf bezahlt werden. Das hängt aber gerade nicht am konkreten Inhalt der jeweiligen Tätigkeit, sondern am ökonomischen Zweck, für den sie vom Unternehmen beschäftigt werden. So meint er, im einen Fall würde „Arbeitskraft eingekauft“ – was auch immer er sich darunter vorstellt – und in dem anderen irgendwie die Angewiesenheit eines Unternehmers auf das Wissen seiner Programmierer vergütet. [3]

III.

Damit kommt der Autor auf die für ihn wesentliche Frage, zu der er uns auch schreibt, dass seine Ausführungen zum Programmierer dafür lediglich als schlagendes Beleg-Beispiel dienen sollten:

»Die Frage ist: Ist „Lohnarbeit“ eigentlich einfach ein Prinzip, dessen verschiedene Ausprägungen man in der Arbeits- und Lebenswelt der modernen Klassengesellschaft ‚branchenspezifisch‘ wiederfindet, oder gibt es disparate Tätigkeiten, mit unterschiedlicher ökonomischer Bestimmung, die formell alle Lohnarbeit sind, hinter denen sich aber verschiedene Sachverhalte verstecken, die sich nicht einfach aus dem Prinzip erklären lassen?

Sprich: Wie weit trägt eigentlich der Hinweis, dass Lehrer, Sozialarbeiter, Pfarrer, Ärzte, Wissenschaftler, Programmierer ihrer Arbeit i.d.R. für Lohn nachgehen, irgendwie also eine Seite den Willen der anderen einkauft, sich ‚kommandieren‘ zu lassen, und so viel dafür zahlt, wie dafür nötig ist? Hat diese Bestimmung dieser Tätigkeiten darüber hinaus eigentlich mit dem zu tun, was man sich als ‚Lohnarbeit‘ mal anhand der industriellen Produktion erklärt hat? Ist die Erscheinungsform der Arbeitswelt als ein Verlauf vom Schlachtbetrieb bis zum Ingenieurbüro mit dem Prinzip erledigt oder geht es in den verschiedenen Abteilungen der Arbeitswelt nicht um disparate Anforderungen, die eben nur formell alle ‚Lohnarbeit‘ sind? Resultieren die enormen Unterschiede der Lebenslagen, in denen sich die arbeitenden Menschen wiederfinden (z.B. haben Menschen im Ausbildungssektor eine 8 Jahre höhere Lebenserwartung ab dem 40. Lebensjahr als Menschen, die körperlicher Arbeit nachgehen), einfach aus unterschiedlichen Erscheinungsformen desselben Prinzips? Sind nicht gerade die Jobs der Elite Dienste für das Kapitalverhältnis und eben nicht darüber bestimmt, dass dort Arbeitskraft vom Kapital angeeignet und ausgequetscht wird? Diese anderen Jobs – wäre hier die Behauptung – gibt es überhaupt erst, weil andere Leute Lohnarbeiter sind. Sie sind für das Kapitalverhältnis nötig – ihr Inhalt ist u.a. die Ausbildung, Organisation, Überwachung der Lohnarbeit(er). In diesem Sinne sind diese Tätigkeiten selbst also keine Lohnarbeit, was man auch merkt, wenn man sich klarmacht, was dort jeweils eigentlich eingekauft wird.«

1.

Wir verstehen den Autor so: Ihn treibt die Frage um, ob man „Lohnarbeit“ als „Prinzip“ im Sinne eines formellen Etiketts wirklich dagegen festhalten und stark machen sollte, dass die Welt der bürgerlichen Berufe bis hin zum Pfarrer doch voller Unterschiede ist, „hinter denen sich aber verschiedene Sachverhalte verstecken“. Mit der Frage, welche Berufe zur Lohnarbeit zu zählen sind, welche nicht, und welche wohl Grenzfälle wären, steht der Autor nicht alleine da: Ähnliches ist uns auch auf mehreren Veranstaltungen entgegengehalten worden und hat auch in linken wissenschaftlichen Diskursen seinen festen Platz. Das sind Fragen, die nichts bringen, weil man über die Sache, die man so einordnet, keinen Deut schlauer wird. Es geht uns nicht um die Behauptung, dass alles, was hierzulande gegen Geld gemacht wird, Lohnarbeit sei, sondern darum, was Lohnarbeit für eine Angelegenheit ist. Um das zu erläutern, haben wir auf passende Momente verschiedener Berufe aus der bunten Vielfalt ‚abhängiger Beschäftigung‘ und ‚unselbstständiger Arbeit‘ verwiesen, in denen die Mehrheit der Erwerbstätigen im Land ihren Lebensunterhalt bestreitet. Manche der vom Autor oder auf Veranstaltungen als problematische Gegenbeispiele ins Feld geführten Berufe, unter denen sich sogar Manager und Profifußballer gefunden haben, waren deswegen bei uns schlicht nicht Thema. Zu wieder anderen Berufen, die in der Aufzählung des Autors ebenfalls anklingen, ist hingegen festzuhalten, dass sich mit ihnen für Lohnabhängige glatt die Alternative auftut, als Diener an den Herrschaftsaufgaben der staatlichen Hoheit ihr Einkommen im Rahmen eines auf Lebenszeit geltenden Beamtenverhältnisses zu beziehen. [4]

Was wir an der Erwerbsquelle der Mehrheit für wesentlich erachten, sehen wir durch die konstruierten Gegenbeispiele jedenfalls nicht kritisiert: Lohnarbeit ist Arbeit gegen Geld, und zwar nicht irgendeine Arbeit, sondern Arbeit, die einem fremden (staatlichen oder unternehmerischen) Geldinteresse dient, wie auch immer die konkreten Tätigkeiten, auf deren Unterscheidung der Autor so großen Wert legt, jeweils beschaffen sein mögen. Dafür wird der Lohnarbeiter nicht nur „kommandiert“ und ihm eine möglichst beständige Steigerung der Leistung für den Betrieb abverlangt; der vom Nutznießer dieser Arbeitsleistung zu entrichtende Preis, der für seine zeitweilige Verfügung über den Willen und das Arbeitsvermögen seiner Angestellten fällig ist, folgt dabei auch exakt dem vom Einwender für langweilig befundenen Prinzip, „wie viel dafür nötig ist“, um sich als Arbeitgeber dieses Kommando zu verschaffen. [5]

Auf Basis dieses Zwecks der Ausnutzung fremder Arbeit für den ökonomischen Nutzen der Arbeitgeber ergeben sich für die Leute, die vom tätigen Dienst an diesem Zweck leben, dann lauter ziemlich relevante Unterschiede, die allesamt das Werk derer sind, denen die Arbeit wirklich gehört. Die bestehen, um es nochmal zu sagen, nicht in der Frage, woran da jeweils konkret gearbeitet wird, sondern darin, wie die Lohn- und Leistungsanforderungen in den jeweiligen Berufen eigentlich aussehen, zu denen die Arbeitgeber es mit der ihrem Zweck gemäßen Ausgestaltung der Arbeitswelt quer durch alle Sektoren gebracht haben. Dorthin gehören nicht nur die Unterschiede im Maß und in der Art des Verschleißes von Gesundheit und Lebenskraft, die der Autor unter dem Stichwort „Lebenserwartung“ anspricht, sondern auch die Frage, welche ‚Arbeitszeit-Modelle‘ in der jeweiligen Branche üblich sind, und natürlich die Frage der Höhe der Bezahlung.

All das ist Gegenstand der Konkurrenz, sowohl der Arbeitskräfte untereinander, deren Abhängigkeit und Bereitwilligkeit Arbeitgeber gegeneinander ausspielen, als auch der Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern; im Zuge der Tradition der tariflichen Ausgestaltung und Fortschreibung dieses Gegensatzes bekommt all das den Charakter mehr oder weniger fest etablierter Zuschreibungen, was in der jeweiligen Branche bzw. im jeweiligen Beruf als ‚üblich‘ und ‚normal‘ angesehen und von beiden Seiten als Bezugspunkt weiterer Forderungen gehandhabt wird. Von der Dauer der Betriebszugehörigkeit und der Funktion des Vorarbeiters als Quellen besserer Bezahlung, über die typischen Frauenberufe und die Gender Pay Gap bis hin zum Nachtzuschlag oder die üblicherweise nicht-erfasste Überstunde im Büro: das alles steht den Lohnarbeitern am Ende als eine in Tarifverträgen und Mindestlöhnen bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Berufshierarchie gegenüber, in die sie sich einsortieren und in der alles seinen Platz hat.

2.

Noch ein paar Bemerkungen zu den vom Autor gebrauchten Begriffen aus der Marx-Lektüre. Wer sich von seinen Formulierungen und seinen Unterscheidungen zwischen „Diensten für das Kapitalverhältnis“ versus „Aneignen und Ausquetschen von Arbeitskraft“ [6] oder seiner Behauptung, Tätigkeiten der „Ausbildung, Organisation, Überwachung“ könnten selbst „keine Lohnarbeit“ sein, an Bestimmungen des wertbildenden Charakters von Arbeit erinnert fühlt, der sollte Folgendes bedenken: Marx unterscheidet im ‚Kapital‘ die wertschaffende Arbeit deswegen von jenen Arbeiten, deren Notwendigkeit sich ganz der kapitalistischen Form des Reichtums verdankt (Sicherstellung des Kommandos über fremde Arbeit, Verwandlung des Kapitals von Warenform in Geldform), weil sein Erklärungsgegenstand nicht die Revenuequelle des Arbeiters, sondern die kapitalistische Produktionsweise in ihrer Einheit aus Produktions- und Zirkulationsprozess des Kapitals ist. Marx legt dabei selbst Wert auf die Klarstellung, dass auch solche Arbeitskräfte, die den gesellschaftlichen Reichtum selbst nicht vermehren, sondern deren Arbeit sich bloßen Unkosten der kapitalistischen Produktionsweise („faux frais“) verdankt, wenn sie als Lohnarbeiter beschäftigt werden, für den Unternehmer eine Quelle von Gewinn darstellen, etwa weil sie seine Zirkulationskosten in dem Maße verringern, in dem er auch diese Arbeitskräfte unbezahlte Mehrarbeit verrichten lässt. [7]

Marx weist an anderer Stelle außerdem darauf hin, dass im entwickelten Kapitalismus, wenn er die materielle Produktion einmal umfassend bestimmt, für den Unternehmer alle Arbeit als produktive Arbeit gilt, die er seine bezahlten Dienstkräfte zum Zwecke seiner Bereicherung verrichten lässt, ganz egal, ob diese Arbeit rein geistiger Natur ist oder ob sie sich in materiellen Waren niederschlägt – und man sich gewisse Probleme von daher gar nicht erst machen sollte:

„Steht es frei, ein Beispiel außerhalb der Sphäre der materiellen Produktion zu wählen, so ist ein Schulmeister produktiver Arbeiter, wenn er nicht nur Kinderköpfe bearbeitet, sondern sich selbst abarbeitet zur Bereicherung des Unternehmers. Daß letztrer sein Kapital in einer Lehrfabrik angelegt hat, statt in einer Wurstfabrik, ändert nichts an dem Verhältnis. Der Begriff des produktiven Arbeiters schließt daher keineswegs bloß ein Verhältnis zwischen Tätigkeit und Nutzeffekt, zwischen Arbeiter und Arbeitsprodukt ein, sondern auch ein spezifisch gesellschaftliches, geschichtlich entstandnes Produktionsverhältnis, welches den Arbeiter zum unmittelbaren Verwertungsmittel des Kapitals stempelt. Produktiver Arbeiter zu sein ist daher kein Glück, sondern ein Pech.“ (MEW 23, S. 531 f.)

Zweifellos will der Schreiber nicht darauf hinaus, dass das „ein Glück“ sei. Aber vielleicht erliegt er ja genau dem Missverständnis, dem Marx mit solchen Bemerkungen zum Begriff der produktiven Arbeit im Kapitalismus, von denen sich in seiner Befassung mit den ‚Theorien über den Mehrwert‘ (MEW 26) noch einige mehr finden lassen, entgegentreten wollte. Vielleicht will der Autor ja deswegen echte „Lohnarbeit“ nur in der Sphäre der Industrie und darin eigentlich nur beim Bandarbeiter entdecken, weil er sich (nur) dort überhaupt ein Verhältnis eines von der Arbeit neu geschaffenen Produktwerts zu irgendeinem dafür ausbezahlten ‚Gegenwert‘, der geringer ausfällt, vorstellen kann.

Nun zeichnet sich die Erwerbsquelle Lohnarbeit allerdings gerade dadurch aus, dass die Arbeitskraft selbst die ökonomische Zweckmäßigkeit ihrer eigenen Arbeit, die sie zu erledigen hat, schlicht nichts angeht; es geht sie nichts an, wodurch und inwiefern ihre individuell zu verrichtende und auszuhaltende Arbeitstätigkeit in ihrer Kombination mit zig anderen individuellen Tätigkeiten, die allein der Herr über den Arbeitsprozess in ein produktives Verhältnis zueinander setzt, insgesamt das Betriebsergebnis hervorbringt, das der Unternehmer seinerseits weder in Gebrauchswerten noch im geschaffenen Wert, sondern in nichts als damit am Markt zu erlösenden Geldüberschüssen beziffert. Es ist von daher auch theoretisch verfehlt, überhaupt den ‚wertmäßigen Anteil‘ der jeweiligen Arbeitskraft und ihrer jeweils konkreten Tätigkeit am Betriebsergebnis bestimmen zu wollen, um dann nur das als „Lohnarbeit“ gelten zu lassen, wo man sich ein Missverhältnis zwischen dem vorstellen kann, was die Arbeitskraft selbst an (dinglichem) Eigentum schafft und wie viel weniger Wert resp. Eigentum in Geldform sie im Gegenzug dafür bezahlt bekommt. Dass Marx darauf bestanden hat, dass „Ausbeutung“ die sachgerechte Kennzeichnung eines Wertverhältnisses zwischen notwendiger Arbeit und Mehrarbeit ist, in dem die Arbeitskraft im kapitalistischen Produktionsprozess über die Reproduktion des für ihre Bezahlung ausgelegten Kapitalbestandteils hinaus Mehrwert für ihren Anwender schafft, braucht einen jedenfalls nicht darüber hinwegzutäuschen, dass die Unternehmer schon darauf achten und dafür sorgen, dass jegliche bezahlte Arbeit, die sie in ihrem Betrieb für notwendig erachten, sich für sie auf jeden Fall lohnt – und sie lohnt sich umso mehr, je weniger die andere Seite von ihrer eigenen Arbeit hat. [8]

PS:

Noch eine letzte Bemerkung zur Klassenfrage mit ihren unscharfen Rändern: Der deutsche Staat hat mit solchen Fragen überhaupt kein Problem, und wir wollen ihn an dieser Stelle daher einmal als unseren Kronzeugen vorstellig machen: Wenn er sein Erwerbsbürgervolk in all seinen von ihm vorhergesehenen sozialen Problemlagen umfassend betreut, dann geht er in seinem Tun jedenfalls praktisch davon aus und stellt für die Lohnabhängigen damit sozusagen mit der Autorität seiner Gewalt klar, dass sie objektiv nichts anderes als eine Klasse sind.

Zum einen hat er für seine Bürger ein ganzes Netz von Sozialversicherungen eingerichtet; unterhalb einer von ihm festgelegten Einkommenshöhe verpflichtet er sie zur Mitgliedschaft. Ganz begriffslos, aber sehr treffsicher scheidet er sie damit grundsätzlich in solche, die seinem Urteil zufolge für sich selbst sorgen können, und Minderbemittelte, die zu einer eigenständigen Lebensführung nicht in der Lage sind. Auf Grundlage dieser Scheidung macht er die Lohnabhängigen wechselseitig füreinander und damit für die Unzulänglichkeiten ihrer Erwerbsquelle haftbar. Außerdem macht die Staatsgewalt auch zu zahlreichen anderen Gelegenheiten mit ihren sozialen Regelungen deutlich, wie viel Identität die Industriearbeiter, Bürokräfte, Informatiker, technischen Zeichner, Kindergärtnerinnen usw. dieses Landes mit ihrer Erwerbsquelle auch in ihrer Lebensrealität haben: Sie mögen sich selbst noch so sehr für stolze Blaumänner oder für die freiesten Individualisten halten und mit den jeweils anderen nichts zu tun haben wollen – regelmäßig braucht es offenbar nicht mehr als kurzfristige Zwischenfälle in der Konjunktur, der individuellen Familienplanung oder auf dem Wohnungsmarkt, um die gewohnte Einrichtung der Menschen in ihren Lebensverhältnissen so sehr durcheinanderzubringen, dass sie bis in die vergleichsweise bessergestellten Jobs hinauf ohne die Zuwendungen ihrer Politiker in Form von Strompreisbremsen, Liebe-Kinder-Gesetzen oder Mietzuschüssen dumm aus der Wäsche schauen. Auch von solchen Momenten der Lage der arbeitenden Klasse in Deutschland hat unser Artikel gehandelt – das sollte man vor lauter Nachgrübeln darüber, ob diese oder jene Figuren überhaupt als ‚Lohnarbeiter‘ durchgehen, nicht ganz aus den Augen verlieren.

[1] Der deutsche Staat besteht darauf, dass die Kosten für die Gesundheitsversorgung, aus der letztlich auch die Gehälter der Krankenschwestern und anderer Krankenhausangestellter bezahlt werden, im Großen und Ganzen aus den Bestandteilen des nationalen Gesamtlohns zu finanzieren sind, die die Krankenkassen in Form von Zwangsbeiträgen von ihm einbehalten und verwalten. Während er dabei einerseits darauf besteht, dass das eine brauchbare Versorgungsleistung für die Gesundheit der Bevölkerung sicherstellen muss, ist er zugleich auf ‚Finanzierbarkeit‘ bedacht, also darauf, dass die Abzüge nicht zu hoch sein dürfen, weil das – je nach Perspektive – vom Lohn als Lebensmittel zu wenig übrig lassen oder ihn als Preis der Arbeit zu sehr verteuern würde. Mit seiner doppelten Zwecksetzung aus Versorgung und Bezahlbarkeit erweist der Staat insbesondere der lohnabhängigen Mehrheit seiner Bevölkerung einen für diese unverzichtbaren Dienst: Weder verträgt ihr Lohn zu hohe Abzüge, noch würde ihnen ohne ihre Krankenversicherung das Geld für fällige Therapien ausreichen; und den Verdienstausfall, den ihre (zeitweilig) ruinierte Gesundheit für sie bedeutet, können sie sich erst recht nicht leisten. Auch so ist im Arbeitsumfeld sozialer, menschennaher Dienste ein deutlicher Hinweis auf die Arbeiterklasse und ihre spezifischen Drangsale enthalten. 

[2] Die kapitalistische Karriere des Programmierer-Handwerks durchzieht wie ein roter Faden das Bestreben, das einstmals ein Höchstmaß an Konzentration und Bornierung erfordernde geistige Durchdringen des Maschinencodes im Zuge der Entwicklung höherer Programmiersprachen unter Rückgriff auf „verschiedene Programmierparadigmen und -techniken“, die dem Autor bekannt sind, nach und nach zu einer intuitiven handwerklichen Tätigkeit umzugestalten, bei der man kein Mathematikgenie und auch sonst kein genialer Nerd sein muss, um vordefinierte Programmschnipsel der gestellten Aufgabe entsprechend aus wachsenden Programmbibliotheken herauszusuchen und zusammenzuklicken. Mit der enormen Erleichterung dieser Arbeit durch den systematischen Rückgriff auf Abermillionen bereits vollbrachte Programmierkunststücke – von wegen, die Programmierarbeit sei ein Hort der „Autonomie“ – geht eine entsprechende Dequalifizierung der Arbeitstätigkeit ebenso einher wie wachsende Möglichkeiten zur kostensparenden Zergliederung der Arbeitsaufgaben in immer feinere Teilarbeiten. Auch auf diesem Feld der geistigen Arbeit im Kapitalismus ist es nun einmal so, dass der technische Fortschritt den Arbeitenden nicht zum Vorteil gereicht. Er trägt im Gegenteil seinen Teil zur Austauschbarkeit und Ersetzbarkeit des beschäftigten Personals bei, dessen Jobs, wie man hört, inzwischen ja sogar von künstlichen Intelligenzen bedroht werden.

[3] Wir wissen zwar nicht, was der Schreiber damit eigentlich genau meint, vielleicht ist aber für Leser, die sich bei seiner Formulierung, in der Industrie würde „Arbeitskraft eingekauft“, an das Marx’sche ‚Kapital‘ erinnert fühlen, noch folgende Abgrenzung nützlich: Lohnarbeit als Erwerbsquelle zeichnet sich durch den Händewechsel von Geld gegen die Ableistung von Arbeit aus. Es ist ein entscheidendes Moment der Aufklärung über diese Erwerbsquelle, dass dabei genau genommen nicht die Arbeit, sondern das Arbeitsvermögen das bezeichnet, was abhängig Beschäftigte, denen mangels Eigentum an den Bedingungen ihrer Arbeit die Möglichkeiten zur freien Betätigung gerade abgehen, einem Arbeitgeber tatsächlich einzig anzubieten haben. Was sie – stundenweise, monatsweise usw. – wirklich „verkaufen“, ist eben gar nicht ‚ihre‘ Arbeit, sondern die zeitweilige freie Verfügung über sich als Personen mit ihrem Arbeitsvermögen und all ihren besonderen Fähigkeiten. Erst unter dem ökonomischen Kommando des Unternehmers werden sie als Arbeitskräfte überhaupt tätig. Diese Wahrheit über die Erwerbsquelle Lohnarbeit kennzeichnet gerade kein branchenspezifisches Verfahren, das einer bestimmten Tätigkeitssphäre oder gar bestimmten konkreten Handgriffen entspräche. Alles Weitere zur Kategorie der „Arbeitskraft“ als kapitalistischer Ware mit ihrem besonderen Gebrauchswert, neuen Wert zu erzeugen und damit mehr Wert schaffen zu können, als sie selbst besitzt, gehört in die Logik eines anderen Erklärungsgegenstandes: nicht zur Erläuterung der Lohnarbeit als Einkommensquelle, sondern an die Stelle von Marx’ Ableitung der kapitalistischen Produktionsweise, an der er das „Geheimnis“ der Verwertung des Werts lüftet, das von der Sphäre der einfachen Warenzirkulation in die Produktionssphäre führt.

[4] Die Logik der Bezahlung von Beamten, die der einer Alimentation folgt, ist tatsächlich eine andere als die von Lohnarbeitern; auch wenn sich der relative Geld-Vorteil, den das für sie bedeutet, praktisch mehr und mehr relativiert, je weiter man der Beamtenhierarchie nach unten folgt. Auch dazu äußert sich unser Artikel.

[5] Diese Auskunft widerspricht jeder Vorstellung eines irgendwie bestehenden oder zumindest ermittelbaren Entsprechungsverhältnisses zwischen Tätigkeit und Bezahlung. Zur expliziten Kritik solcher Gerechtigkeitsvorstellungen siehe unseren Artikel Wer verdient warum wie viel? Gegen den Moralismus in der Einkommensfrage in GegenStandpunkt 3-17.

[6] Speziell zur Formulierung „aneignen von Arbeitskraft“ wollen wir daran erinnern, dass mit dem Kauf der Ware Arbeitskraft nicht die Arbeitskraft „angeeignet“ wird (das wäre das Ende dieser Ware und das Ende des doppelt freien Lohnarbeiters), sondern deren Arbeit und damit deren gesamtes Produkt.

[7] Einschlägig ist hier insbesondere das 6. Kapitel des zweiten Bandes des ‚Kapital‘, MEW 24, S. 131 ff. Die Kategorie der ‚unbezahlten Mehrarbeit‘ verweist wieder zurück auf die Notwendigkeit, die Bestimmungen der ‚Ware Arbeitskraft‘ mit ihrem speziellen Wert und Gebrauchswert zu verstehen. Insgesamt können wir im Grunde nur auf die Lektüre der Ableitung im Original verweisen – und auf die paar zusätzlichen Erläuterungen, die wir zum Wert in unserem Brief an unsere Leser, die Marx’sche ‚Arbeitswertlehre‘ und die Leistung des Finanzkapitals betreffend in GegenStandpunkt 2-10 aufgeschrieben haben.

[8] Figuren wie Lohnbuchhalter, Reinigungskräfte usw., die offenkundig ebenfalls alle für das Aufgehen des Betriebszwecks nötig sind – sonst würden sie ja gar nicht erst eingestellt –, werden ebenso wie die in der unmittelbaren Produktion tätigen Arbeiter gemäß dem fundamentalen Prinzip der Revenuequelle Lohnarbeit bezahlt: Das kapitalistische Grundgesetz, dass ihr Lebensunterhalt einen Kostenfaktor darstellt, den es im Sinne des Betriebsergebnisses klein zu halten gilt, gilt für sie genauso wie für die Programmierer, die geistiges Eigentum schaffen, und die Lackierer, Mechatroniker und Hilfsarbeiter, die in einer Autofabrik Hand anlegen. An ihnen allen wird geltend gemacht, dass sie im Verhältnis dazu, was sie ihren jeweiligen Arbeitgeber an Lohn bzw. Gehalt kosten, möglichst viel Leistung zu erbringen haben, die die im Betrieb zu erledigende Arbeit voranbringt, weil das das Verhältnis von Arbeitskosten und Einnahmen verbessert. Welchen vorgestellten ‚Anteil‘ eine Putzfrau, die in der Montagehalle oder im Großraumbüro den Boden putzt, am Verkaufswert eines Autos oder an der Versicherungsprämie hat, die am Schreibtisch durchgerechnet wird, spielt dafür schlicht und ergreifend keine Rolle: Dem Arbeitgeber ist klar, dass der Betriebsgewinn umso höher ausfällt, je mehr sie pro Stunde leistet und je weniger sie im Verhältnis dazu kostet.

 Die Existenz alternativer Beschäftigungsformen, auf die Unternehmen gerne zurückgreifen, belegt in Bezug darauf übrigens das gleiche: Wenn deutsche Großunternehmen anstelle einer klassischen (Fest-)Anstellung von Buchhaltern oder Putzkolonnen auf Angebote externer Dienstleistungsbetriebe oder auf Leiharbeitsfirmen zurückgreifen, dann wirkt sich die Kostenersparnis im Vergleich zur Beschäftigung eigener Arbeitskräfte nicht nur positiv auf ihren Unternehmensgewinn aus – gleichgültig, mit welchen Produkten das Unternehmen seinen Gewinn macht. Das im jeweiligen Dienstleistungs- oder Leiharbeitsbetrieb durchgesetzte Verhältnis von gezahlten Stundenlöhnen, Leistungsvorgaben pro Zeit und dem mit dem Großkunden vereinbarten Preis der Dienstleistungen macht die ausgebeutete Putz- bzw. Buchhaltungsarbeit zugleich – ganz wertneutral – zur veritablen Gewinnquelle des Dienstleisters.