Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Marokkos König Hassan tritt ab
Ein Diktator, wie Demokraten ihn lieben
Alle Eigenschaften, die gemeinhin einem Diktator als Verkörperung des Bösen zugeschrieben werden – grausam, verschwenderisch, korrupt, kriegerisch zu sein – geraten Marokkos König zur Ehre, weil er sie zur Erhaltung seiner Macht eingesetzt hat, die sich dem Westen untergeordnet hat.
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Marokkos König Hassan tritt
ab
Ein Diktator, wie Demokraten ihn
lieben
Nach 38 Jahren der Regentschaft stirbt Marokkos König
Hassan, einen Tag später reisen mehr als 70 Staatschefs
der Welt nach Rabat, unter ihnen Clinton, Chirac und der
neue Präsident Rau. Posthum machen sie dem ehrenwerten
Despoten
ihre Aufwartung, preisen Hassan als
unseren großen Freund
und trauern um den
Statthalter des Westens in Nordafrika
.
Die Presse hält ausführlich Rückschau, würdigt Hassans Leistungen und liefert dabei ein ungeschminktes Bild der Geschichte seiner Herrschaft. Daß diese Bilanz sich anhört wie eine Komplettliste der Schreckenstaten, die sonst nur den Diktatoren Saddam Hussein, Milosevic oder Pinochet nachgesagt werden, hat die Kondolenzgemeinde nicht gestört.
1. Terror gegen Oppositionelle
„Hassan ging gleich nach der Thronbesteigung mit großer Härte gegen seine tatsächlichen und vermeintlichen Feinde vor. Die linksgerichtete Opposition schien ihm hinderlich zu sein für seine Pläne, eine stabile Monarchie in einem einheitlich gestalteten und zentralistisch regierten Marokko einzurichten. Die Führer der sozialistischen wie der nationalistischen Oppositionsparteien wurden …für lange Zeit ins Gefängnis gesteckt. Manche mußten auch mit dem Leben bezahlen. Ben Barka, Führer der sozialdemokratischen Partei, wurde von des Königs engstem Vertrauten, dem damaligen Obersten Oufkir, in Frankreich ermordet.“ (FAZ, 26 7.99)
„Er regierte mit harter Hand, warf Abgeordnete der Unabhängigkeitspartei, die sich über Wahlbetrug beschwert hatten, ins Gefängnis und liess die Führung der Union nationale des forces populaires (der Vorläuferin der heutigen sozialdemokratischen Regierungspartei) wegen angeblicher Verwicklung in einen Umsturzversuch verhaften. Ähnlich rabiat verfuhr er mit Mitgliedern marxistisch-leninistischer Gruppen, mit Republikanern und Studenten, die es gewagt hatten, bessere Studienbedingungen zu fordern.“ (NZZ, 26.7.99)
„1971 und 1972 entging er nur knapp zwei spektakulären Attentaten. Die Attentäter wurden erschossen, unschuldige Offiziere und Unteroffiziere wurden verhaftet und verschwanden im unmenschlichen Verliess von Tazmamart, wo sie verendeten oder wahnsinnig wurden.“ (NZZ, 26.7.)
2. Terror gegen das Volk
Hassan beliebtester Lehrsatz hieß, so wird gemeldet:
Die öffentliche Ordnung ist nicht mit Croissants
aufrechtzuerhalten
. (TAZ vom 26.7) Nach dieser Devise
hat er auch gehandelt:
„30 Prozent der Marokkaner sind offiziell arbeitslos und 56 Prozent sind Analphabeten.“ (TAZ, 26.7.)
„Im Juni 1981 führten Preiserhöhungen zu Hungerunruhen. Uniformierte schossen mit Maschinengewehren in protestierende Menschenmengen. Zweieinhalb Jahre später erhob sich das Volk erneut. Wieder schlugen die Sicherheitskräfte die Aufstände nieder.“ (FR, 26.7.99)
3. Amtsmißbrauch, Korruption, Menschenschinderei
„Repression und Feudalismus… Hassan gründete seine Macht auf die Armee, die Geheimpolizei, auf seinen eigenen Reichtum als Großgrundbesitzer und Teilhaber an der Phosphatindustrie und von Banken sowie auf eine Kaste von Privilegierten, Makzhen genannt, die sich ihre wirtschaftlichen und sozialen Privilegien mit einer unbedingten Loyalität zum Königshaus sichern konnten und bei denen er seine Regierungen rekrutierte“. (NZZ, 26.7.99)
„Hinter den Mauern seiner Paläste führte er ein Leben im verborgenen Bereich. Hier herrscht die raffinierte, grausame Welt von Tausendundeiner Nacht. In seinem Harem werden exqusite Praktiken gepflegt, Feuersklaven als Zuchtmeister, Bade-Rituale und Konkubinen.“ (SZ, 26.7.)
4. Maulheldentum und Taktik
„Hassan nutzte seine Randposition im Maghreb dazu aus, immer an der richtigen Front ins Geschrei einzustimmen, aber sich jeweils aus der Entscheidungsschlacht herauszuhalten. Hassans gespaltene Haltung zeigte sich da, wo er 1979 in Einklang mit den anderen Arabern die diplomatischen Beziehungen zu Kairo zur Strafe für den Friedensvertrag abbrach. … Im Oktoberkrieg Ägyptens und Syriens gegen Israel 1973 entsandte Marokko symbolisch Truppenkontingente.“ (NZZ, 26.7.99)
Als gerissener Nationalist übt er „Solidarität mit den kriegführenden arabischen Ländern.“ (NZZ, 26.7.)
5. Völkerrechtsbruch und Kriegstreiberei
Hassan annektierte 1975 die Westsahara, ein Teil des spanischen Staatsgebietes:
„1975 besetzte er die Westsahara und hintertrieb fortan jeden Anlauf für eine gütliche Regelung des Konflikts mit den Sahraouis.“ (NZZ, 26.7.)
„Die Idee, 350000 Unbewaffnete über die Grenze in die Westsahara zu führen und dieses Gebiet symbolisch in Besitz zu nehmen, war ihm angeblich im Traum gekommen. Das Unternehmen stellte sich 1975 als großer Erfolg heraus.“ (NZZ. 26.7.99)
„Um von wachsenden innenpolitischen Spannungen abzulenken, ordnete er 1975 den Grünen Marsch an… Hassan wurde von seinen Landsleuten gefeiert als Regent, der den – Traum von einem Groß-Marokko wahrgemacht – hat.“ (FR. 26.7.99)
„Hassan annektierte die angrenzende Westsahara und behielt sie stur. Annähernd 25 Jahre lang vermied er ein Referendum ..und unterstützte die Ansiedlung ethnischer Marokkaner, um das gewünschte Ergebnis der Abstimmung von vornherein sicherzustellen.“ (Times 26.7.99)
Zwischenfazit der demokratischen Öffentlichkeit:
Hassan hat sich Zeit seines Lebens aufgeführt, als wolle er Saddam Hussein, Milosevic und Pinochet in allen Disziplinen des Diktatorenhandwerks übertreffen. Er war der perfekte Alleinherrscher, hat die Opposition durch Folterknechte und Mordkommandos ausradiert, allen Reichtum des Landes an sich gezogen, sein Volk in tiefster Armut gehalten, jeden Aufstandsversuch der Massen mit Bomben und Panzern niedergeschlagen, als gerissener außenpolitischer Taktiker gebündelt, erpreßt und gedroht, fremdes Territorium gewaltsam besetzt und jahrelang Krieg gegen das dort lebende Volk geführt. Einfach eine Lichtgestalt unter den großen Diktatoren der Gegenwart.
6. Meister der Machterhaltung
(SZ)
Aber das alles ist noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Recht betrachtet ist seine Bilanz nämlich makellos. Er hat Verdienste errungen, die alles andere in den Schatten stellen. Niemals gab er den Konkurrenten auch nur den Hauch einer Chance, ihn von der Macht zu entfernen. Die Macht zu riskieren, das wußte der Meister, wäre sein größter und letzter Fehler.
„Hassan war ein Meister der Machterhaltung… Er herrschte in den vergangenen Jahren auf dem Thron unangefochtener als je zuvor. Seinem Land verhalf er zu einer Stabilität, die im unruhigen Nordafrika ihresgleichen sucht.“ (SZ, 26.7.)
„Der König war ein geschickter, wenn auch rücksichtsloser Staatsmann. Er sicherte sich die unumschränkte Herrschaft über Marokko.“ (Times, 26.7.99)
„Ein kluger Despot… Der König hatte seinem Land eine demokratische Öffnung verordnet, welche die Grundfesten seiner Macht unangetastet lassen sollte.“ (FR, 26.7.)
„Es gelang Hassan sogar, seine früheren Kritiker in die Regierungsverantwortung einzubinden“ (NZZ, 26.7.)
6. Genialer Anpasser
Nicht von der Macht wegzubringen: das zeigt den wahren Künstler. Weder durch die Oppositionellen im eigenen Lande, noch durch das Ausland. Die entscheidenden Mächte haben ihn nämlich gar nicht absetzen wollen – weil sie immer wußten, was sie an ihm hatten.
Anders als Hussein und Milosevic hat Hassan immer auf den Stärkeren gesetzt. Diese Haltung heißt unter Staatsmännern Klugheit: Zu lernen, daß sich letztlich kein Staat gegen den Willen der Amerikaner durchsetzt.
„Als einer der ersten arabischen Herrscher schien er begriffen zu haben, daß der Frieden im Nahen Osten nur auf dem Verhandlungsweg zu erreichen sein würde. 1986 empfing er in geheimer Audienz Schimon Peres. Später vermittelte der Monarch Kontakte zwischen Israelis und Palästinensern. Entschlossen und erfolgreich suchte der marokkanische Herrscher zugleich den Schulterschluß zum Westen, der den Magrhebstaat als Oase der Stabilität im unruhigen Nordafrika zu schätzen wußte. Im Golfkrieg setzte das Königreich Truppenkontingente gegen Irak in Marsch.“ (FR)
„Mit der Konsolidierung seiner Macht und der anhaltenden Repression im Innern verband Hassan aussenpolitischen Weitblick, der seinen Ruf als Staatsmann und Vermittler begründete. Seine anfänglich betonte Unterstützung der Blockfreien – und namentlich auch der Unabhängigkeit Algeriens – verdeckte nie seine prowestliche Ausrichtung.“ (NZZ)
„Ein kluger Despot. Wenn die Großen der Welt vor dem Mausoleum in Rabat aufmarschiert sind, dann galt dies einem der wenigen Statthalter des Westens in der arabischen Welt. Ob bei der Friedenssuche im Nahen Osten oder im Krieg gegen den irakischen Tyrannen Saddam Hussein: Der politisch instinktsichere, kluge Marokkaner hat es stets verstanden, die Zeichen der Zeit zu lesen.“ (FR, 26.7.99)
„Seine entschlossene Westbindung hat ihm das Schicksal erspart, vom Untergang des Sowjetischen Imperiums mitgerissen zu werden.“ (NZZ, 26.7.99)
Rechtzeitig zu riechen, welche Macht sich durchsetzt und welche untergeht, das müssen Diktatoren können. Die Zeichen der Zeit setzen nämlich die Stärkeren – eben die westlichen Staaten. Das hat der kluge Mann erkannt und sich des Lobs der Mächtigen als würdig erwiesen:
„Der Nahe Osten hat einen seiner größten Friedenstifter verloren.“ (Clinton, Bild 26.7.99)