Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Bei Gelegenheit einer „Jahrhundert-Katastrophe“:
Kleine politische Landeskunde zu Venezuela
Angesichts einer Naturkatastrophe interessiert sich die deutsche Öffentlichkeit für Venezuela; in ihrer ideellen Verantwortung für die weltweite Geltung von Demokratie bestätigen sich die Schreiber ihren von vornherein feststehenden Verdacht: Präsidenten Chavez agiere „diktatorisch“, weil er das Elend seiner Massen für – das ansonsten erzdemokratische – Machtanliegen nutze, sich „als Retter der Nation“ zu präsentieren. Der Sache nach bestreiten sie Chavez das Recht, die Krise nach eigenen nationalen Kalkulationen zu „managen“.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Bei Gelegenheit einer
„Jahrhundert-Katastrophe“:
Kleine politische Landeskunde zu
Venezuela
Venezuela interessiert hierzulande niemanden groß. Aber das Land hat einen neuen Präsidenten, von dem man so einiges hört, und da gehört es zu den Pflichten der politischen Meinungsbildner in der Demokratie, darüber aufzuklären, was das für einer ist. Etliche Lateinamerika-Korrespondenten, des Spanischen mächtige Kenner von Land und Leuten, sind dazu da, das nötige Wissen herbei zu schaffen, ohne das ein solides politisches Urteil nicht auskommt. Und die nehmen ihren Auftrag so wichtig, dass sie ihr spezielles politisches Hintergrundwissen auch anlässlich einer Naturkatastrophe ausbreiten.
So erfährt man schon im Titel eines ihrer Artikel, in
welchen übergeordneten Rahmen man eine Katastrophe in
Venezuela von sachverständigem Blickwinkel aus
einzuordnen hat: Chavez, Castro und das Chaos
(SZ, 28.12.) heißt das
Leitmotiv literarisch, und worauf es hinaus will, kommt
gleich eine Zeile später in Prosa: Wie sein
kubanisches Idol nutzt Venezuelas Präsident eine
Katastrophe, um seine Macht zu festigen.
Das ist
interessant. Ausgesprochene Glücksfälle können
Katastrophen in Lateinamerika sogar sein, zumindest in
Cuba und Venezuela. Nämlich für die Machthaber dort.
Leichen und größere Verwüstungen nehmen die offenbar gar
nicht als Schaden für das Gemeinwesen, dem sie vorstehen.
Da mag ein Teil der Grundlagen ihrer Macht soeben
ruiniert worden sein – sie entdecken genau darin
eine riesige Chance, für sich nämlich und das
einzige Vorhaben, das sie im Sinn haben. Typen hat man da
vor sich, die überhaupt keinem Gemeinwohl verpflichtet
sind, wie wir das von unseren Regenten her kennen und
schätzen. Die mit Macht
gar nichts anderes
anzufangen wissen, als sie zu festigen
, also
einfach nur und möglichst schrankenlos ihr Volk
unterjochen wollen, und dazu muss man sich diesen Chavez
nur einmal genau ansehen: Venezuelas Präsident Hugo
Chavez ist an vorderster Front ganz in seinem Element: Er
übernachtet in den Notunterkünften der Obdachlosen der
Überschwemmungskatastrophe, er tröstet Kinder und
beruhigt Alte. Wie sein großes Vorbild Fidel Castro tritt
er fast nur noch im getigerten Kampfanzug auf, und wie
dieser hat er auch immer gleich eine Lösung für jedes
Problem parat. Die Pläne für den Wiederaufbau der
weitgehend zerstörten Küstenregion hat er bereits in der
Tasche, und jedem Obdachlosen verspricht er ein neues
Dach über dem Kopf.
Der Mann weiß ganz genau, was man
als Führer machen muss, wenn das Volk von Katastrophen
heimgesucht wird. Wie wichtig für die Betroffenen da das
Gefühl ist, dass sie in einer riesigen
Solidargemeinschaft leben und ihre Not auch höheren Ortes
sehr betroffen macht. Unser Kanzler hat das an der Oder
vorbildlich vermittelt – und schon geht auch er
hin und spendet haufenweise Trost! Wie sehr es Opfern
hilft, wenn die Träger der politischen Verantwortung
zeigen, dass sie sich aus der überhaupt nicht
davonstehlen, vor Ort präsent sind, einen Spaten anfassen
und sich persönlich bei Obdachlosen nach dem Verbleib
ihrer Häuser erkundigen – prompt macht er das
auch! Sogar die Entschlossenheit und Tatkraft
eines kompetenten Landesvaters will er demonstrieren,
zeigt, wie gut er alles im Griff hat und sich vor lauter
Plänen und Hilfsversprechen förmlich zerreißt – nur dass
das bei dem alles reine Perfidie ist, bloß aufgesetzte
Pose, die der Mann sich von Staatsmännern abgesehen hat,
die wirklich welche sind. Gibt an, was Wunder er alles
hinkriegt – und regiert ein Land, das doch schon vor der
Überschwemmung eine einzige Katastrophe war! Und anstatt
in gebotener Demut das Elend zu verwalten, wenn er dort
schon der Chef sein möchte, redet er pausenlos davon, was
er alles anpacken und verändern will. Um die Gesundheit
will er sich sorgen, Häuser will er bauen, für Obdachlose
ausgerechnet noch. Was schon in Staaten ganz anderen
Formats schlicht unverantwortlich und einfach abseitig
ist: Er geht damit als Programm hausieren, und
wer so Abwegiges im Schilde führt, hat in aller Regel
auch nur Verwerfliches vor. Und genau so ist es: In
Wahrheit will der nämlich nur vor seinem Volk groß
dastehen. Der will überhaupt keinem Alten Trost spenden
oder sonst irgendwem helfen. Dem ist das Elend seiner
Massen nicht nur herzlich gleichgültig, sondern kommt ihm
auch genau zupass. Sicher – das mag zynisch
klingen
. Aber nur in Ohren verzärtelter Gemüter, die
sich unbedingt der Einsicht verschließen wollen, was das
für ein unglaublicher Zyniker ist: Die Katastrophe kam
Chavez wie gerufen, … weil er sich permanent als Retter
der Nation zeigen kann.
Das allein ist es, was diesen
Mann umtreibt. Profilieren will er sich, im Kampfanzug
den Berufshelden spielen, und für diese
Selbstinszenierung ist ihm jedes Mittel recht. Denn es
ist ja klar, was dabei herauskommt, wenn es einen wie den
umtreibt, wenn er nicht nur an vorderster Front
auftaucht, sondern dort auch noch – was er sich schon
wieder abgesehen hat – die Frage nach den Schuldigen
aufwirft. Ein einziger Segen ist für ihn die Katastrophe,
weil sie einmal mehr aufdeckt, was früher alles schief
gelaufen ist im Lande. Die alte, so verhasste politische
Klasse hatte zugelassen, dass rund um die Hauptstadt
Caracas jedes freie Stückchen Erde ohne Baugenehmigung
besiedelt wurde. Hätte sie sich um Bebauungspläne
gekümmert, wäre so mancher Berghang jetzt nicht samt
Häusern und ihrer Bewohner abgerutscht
– und Chavez
stünde ohne jeden Beweis da, die herrschende politische
Klasse hätte sich den Hass der Massen auch redlich
verdient. Mag ja gut sein, dass das freie
Marktwirtschaften mit Grund und Boden in und um Caracas
ein gewisses Eigenleben geführt hat und deswegen etliche
zu Tode gekommen sind. Aber das klingt nur zynisch, folgt
daraus doch höchstens, dass man die Bodenspekulanten so
demokratisch vernünftig kontrollieren muss, wie das
hierzulande die Regel ist. Das wäre konstruktiv. Aber
dieser Präsident macht sich natürlich nicht für eine
Lokalbaukommission in seiner kaputten Hauptstadt stark.
Der will bloß schon wieder als Retter der Nation
dastehen und macht zu diesem Zweck alle schlecht, die er
schon immer schlecht gemacht hat. Und noch mehr so
erfreuliche Nebeneffekte hat für den Präsidenten der
Umstand, dass in seinem Land etliches abgerutscht ist. Er
hat ja den Mund ziemlich voll genommen und seinem Volk
versprochen, dass mit seinem neuen Grundgesetz
wirklich alles besser wird
, wirtschaftlich, sozial
und überhaupt. Und was immer er sich da im Einzelnen
vorgenommen haben mag – fein heraus ist er jetzt
jedenfalls, der Bauernfänger: Nach der
Jahrhundert-Katastrophe hat Chavez nun erst einmal eine
Ausrede, wenn der versprochene Aufschwung ausbleibt und
dringende Aufgaben aufgeschoben werden.
Umgekehrt
wird deswegen freilich nur umso deutlicher, dass dieses
Grundgesetz von Anfang an überhaupt nicht dazu gedacht
war, einer darniederliegenden Wirtschaft…neuen
Schwung
zu verleihen. Das zeigt sich erstens daran,
dass das Parlament ihm
, dem Präsidenten, das
Grundgesetz auf den Leib schneiderte
, und zweitens
daran, dass er das ihm auf dem Leib geschneiderte Recht
dann prompt auch nur dazu gebraucht, sich die
besonderen Vollmachten
zu krallen, die es ihm
zuschanzt: So hat der Präsident jetzt das Recht, ohne
parlamentarische Kontrolle Kredite aufzunehmen, und er
darf auch jederzeit den Ausnahmezustand sowie die
‚Kriegswirtschaft‘ ausrufen. Letzteres würde ihm
erlauben, öffentlichen und privaten Transport sowie
sämtliche Gesundheitseinrichtungen zentral zu
steuern.
Anstatt die Bewältigung der Katastrophe der
freien Konkurrenz anzuvertrauen und es der
Privatinitiative von Unternehmern zu überlassen, den
Bedarf an Hilfsgütern und Gesundheit nach dem Grundsatz
von Angebot und Nachfrage zu ermitteln, liefert der Mann
nur wieder seinen nächsten Beweis, dass er aufs
Kommandieren aus ist und auf sonst gar nichts –
Hauptsache, er kann steuern
, zentral
natürlich. Und den letzten Beweis bleibt er dann auch
nicht schuldig: Nicht nur bei der Kreditaufnahme und beim
Transportwesen, sondern auch im Katastrophengebiet läuft
alles an einer parlamentarischen Kontrolle vorbei –
das Militär … wurde noch einmal aufgewertet, ist es
doch in den am meisten verwüsteten Zonen für die
Rettungsdienste verantwortlich.
Zumindest weiß man jetzt, was die
Lateinamerika-Korrespondentin der SZ für Sorgen hat. Ihre
Verantwortung für die weltweite Geltung demokratischer
Herrschaftsprinzipien hat ihr das Problem in die Feder
diktiert, dass bislang niemand so recht weiß, ob
Chavez insgeheim diktatorische Ambitionen hegt
. Für
die da wohl nötige Aufklärungsarbeit hat sie dann
freundlicherweise selbst gesorgt und alle Welt von diesem
Chavez ausschließlich das wissen lassen, was sie an ihm
so brennend interessiert. Dabei ist sie getreu dem
Lehrsatz aus dem Handbuch für Diktatorenkunde
vorgegangen, wonach ein Verdacht wie der ihre in so gut
wie allen Fällen zutiefst berechtigt ist, in denen ein
Herrscher ihn auf sich zieht. Einfach von nichts hat sie
sich blenden lassen, nur immer unbestechlich geprüft, ob
die Ambitionen von Chavez die Zweifel entkräften können,
die sie ihnen gegenüber nun einmal hegt – und siehe da:
Der Lehrsatz stimmt genau. Daher kann es nach wie vor als
äußerst ungewiss gelten, ob der Mann ein Demokrat ist.
Aber dafür weiß nun jeder, was ihn an Venezuela zu
interessieren hat.