Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Haftbefehl gegen den Präsidenten Sudans weckt Hoffnung:
Kriegsverbrechen lohnt sich nicht!
Über die philanthropische Parteilichkeit für überlegene Staatsgewalt
Im März 2005 beauftragt der Sicherheitsrat der UN per Resolution 1593 den Internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Court – ICC), rechtliche Schritte gegen die sudanesische Führung zu überprüfen. Im Zuge dieses Auftrags stellt der ICC im Februar 2009 einen Haftbefehl gegen den Präsidenten des Sudan und zwei weitere hochrangige Politiker des Landes aus. Nach einer mehrwöchigen Phase verschiedener öffentlich ventilierter Kalkulationen erklären sich die USA ausdrücklich zum Unterstützer dieses Haftbefehls.
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Haftbefehl gegen den Präsidenten
Sudans weckt Hoffnung:
Kriegsverbrechen lohnt sich nicht!
Über die philanthropische Parteilichkeit für überlegene
Staatsgewalt
Im März 2005 beauftragt der Sicherheitsrat der UN per Resolution 1593 den Internationalen Strafgerichtshof (International Criminal Court – ICC), rechtliche Schritte gegen die sudanesische Führung zu überprüfen. Im Zuge dieses Auftrags stellt der ICC im Februar 2009 einen Haftbefehl gegen den Präsidenten des Sudan und zwei weitere hochrangige Politiker des Landes aus. Nach einer mehrwöchigen Phase verschiedener öffentlich ventilierter Kalkulationen erklären sich die USA ausdrücklich zum Unterstützer dieses Haftbefehls.
Die USA haben die Einrichtung des ICC zwar von Anfang an
nach Kräften zu hintertreiben versucht mit dem erklärten
Ziel, es niemals zulassen zu wollen, dass sich einer
ihrer Militärs auch nur der Möglichkeit nach vor dem
Tribunal wiederfinden könnte, dass also sie – die
wirkliche Ordnungsmacht der Welt, Garantiemacht ihres
Rechts – formell gleichgestellt werden mit allen anderen
Staaten. Diese Obstruktionspolitik haben die Amerikaner
aber sehr bald überführt in das Mitwirken an der
Ausgestaltung der Statuten des ICC. Dieser Schwenk
ist nicht mit der Perspektive erfolgt, dann doch
beizutreten. Offenherzig hat der seinerzeitige Präsident
Clinton den Zweck damit erklärt, den von den USA zwar
weiterhin nicht anerkannten, aber auch nicht zu
verhindernden ICC so zu gestalten, dass er von anderen
nicht gegen sie in Stellung gebracht werden, umgekehrt
aber ihnen nützlich sein kann, wenn sie es denn einmal
für angebracht halten sollten. Mit ihren machtvollen
Erpressungs- und Angebotsmanövern haben die USA das dann
auch am ICC hergestellt: Durch eine Reihe von bilateralen
Immunitätsabkommen; durch die Verankerung eines
Paragrafen im ICC-Statut, wonach der Gerichtshof auf
bestimmte Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates zu hören
hat, dessen mächtigstes Mitglied die USA sind, usw. Jetzt
ist der ICC von den USA immer noch nicht anerkannt, aber
trotzdem gut zu gebrauchen, aktuell eben dafür, den
sudanesischen Präsidenten von der Macht zu verdrängen.
Den haben sie nämlich jüngst zum Haupthindernis einer
ihnen genehmen Beilegung der sudanesischen
Bürgerkriegslage erklärt. Also begrüßen die Amis den
Haftbefehl und prüfen gleichzeitig ganz frei alle
Optionen, die sich ihnen damit eröffnen – denn
verpflichtet fühlen sie sich nicht und sind sie
ja auch nicht. Erst die nach einigem Hin und Her erfolgte
volle amerikanische Rückendeckung für die Ankläger in Den
Haag macht aus deren juristischem Spruch einen wirklichen
„Faktor“ innerhalb des sudanesischen Machtkampfs: Der
wirkt ab diesem Zeitpunkt als Signal an die
Bürgerkriegsparteien vor Ort, dass die USA ihre alte
Politik der Einbeziehung des Präsidenten al Bashir in die
Umsetzung der diversen, unter amerikanischer Patronage
ausgehandelten Vertragswerke für obsolet erklären, al
Bashir also aus US-Sicht endgültig persona non grata ist.
Also werden die Machtkämpfe eskaliert, wird das
Blutvergießen intensiviert, inklusive der allfälligen und
prompt allseits betränten Verbrechen gegen Zivilisten
durch alle Kriegsparteien
. Und so wird die
Lage
für al Bashir allmählich so prekär
,
wie die USA es wünschen, und der Präsident liefert in
seinem Abwehrkampf glatt noch willkommene neue Titel
gegen ihn: zu den alten kommen neue
Kriegsverbrechen
hinzu, fehlende Zusammenarbeit
mit den UN etc.
Soweit die Sache. Die interessiert Völker- und
Menschenrechtsfreunde allerdings nicht weiter. Sie feiern
lieber einen großen Schritt für die Menschheit: Erstmals
sei ein amtierendes Staatsoberhaupt Objekt des
internationalen Strafrechts, ab sofort könne also kein
Potentat dieser Welt mehr glauben, er käme persönlich auf
jeden Fall ungeschoren davon, egal wie rücksichtslos er
sich gegenüber seinem Volk aufführt. Ganz ungetrübt ist
die Freude jedoch nicht. Zum einen sorgt der wegen
Mangels an Beweisen fallen gelassene Anklagepunkt
Völkermord
für Gram, zum anderen nagt die
Ungewissheit, ob die Staatengemeinschaft
bzw. die
paar Staaten, auf die es innerhalb dieser Gemeinschaft
maßgeblich ankommt, sich zur Exekution des Haftbefehls
tatsächlich bereit finden.
Und auch hinsichtlich der weiteren Auswirkungen hört man von den Freunden des Völkerrechts Widersprüchliches: Man äußert Hoffnungen in Bezug auf die abschreckende Wirkung bei al Bashirs Brüdern im diktatorischen Geiste, aber auch Befürchtungen, die praktische Umsetzung des Rechts könnte dazu führen, dass die Bösewichter dieser Welt – und davon kennen die Experten und Liebhaber des internationalen Rechts anscheinend ziemlich viele – jetzt eher noch verbissener, heftiger, blutiger ihre Macht verteidigen werden – allein schon, um einem Prozess in Den Haag zu entgehen. Das Hin-und-Her zwischen Segen und Fluch eines über der Weltpolitik aufgehängten Damoklesschwerts strafrechtlicher Verfolgung von amtierenden Kriegsverbrechern gerät dann sehr zielstrebig zur Forderung nach jedenfalls glaubwürdiger – sprich ausnahmsloser und machtvoller – Anwendung des Völkerstrafrechts, und das erlaubt ein paar Schlussfolgerungen:
Erstens: Die Installation und Exekution des Strafrechts
für abusive leaders
, also Führern, die ihre Macht
missbrauchen, ist nicht der Anfang vom Ende der für
illegal erklärten Arten staatlicher Gewaltanwendung. Von
denen wird als bleibender Grundlage schlichtweg
ausgegangen. Die Vorfreude auf zwei, drei, ... viele
Bashirs lebt selber von der Gewissheit, dass die blutigen
Umgangsweisen staatlicher Obrigkeiten mit den eigenen wie
fremdstaatlichen Untertanen, die in der Idylle namens
Völkerfamilie üblich sind, von den Haftrichtern des ICC
und ihren Helfern nicht abgeschafft, sondern durch die
juristische Prüfung ihrer Legalität ergänzt
werden. Das Bemühen, Gründe für diese als massen- und
dauerhaft unterstellten zwischen- und innerstaatlichen
Gewaltorgien zu finden, ist leider nicht en vogue. Sogar
über interessierte Urteile der Art: ‚Gewaltexzesse kommen
von kaputt gewirtschafteter Staatlichkeit‘ sind die Fans
der Zivilisierung der Weltpolitik durch Recht und Ordnung
erhaben. Mit der Redensart von den abusive leaders
haben offenbar die vor den Gewaltexzessen so
Erschrockenen ihr fertiges Urteil gefunden und brauchen
sich jetzt nur noch darauf zu versteifen, dass der
Missbrauch staatlicher Gewalt verhindert, ihr
ordentlicher Gebrauch also kontrolliert
gehört. Und sie wissen wunderbarerweise auch gleich,
durch wen.
Zweitens: Diejenigen engagierten Zuschauer des
Weltgeschehens, die sich Sorgen darum machen, ob sich bei
den wichtigen, entscheidenden Staaten eine genügend große
Bereitschaft zur Vollstreckung des Haftbefehls gegen al
Bashir mobilisieren lässt, gehen selber davon aus, dass
das Recht, das sie in Anschlag gebracht wissen möchten,
praktisch genauso viel wert ist wie die Wucht und
Entschiedenheit, mit der sich eine staatliche
Gewalt oder ein Kollektiv solcher Subjekte hinter es
stellt. In der ihnen völlig selbstverständlichen Widmung
ihrer Sorgen und Aufrufe an die Politiker, die die
größten Militärmaschinerien der Welt befehligen, geben
sie zu, dass das Völkerrecht, seine Instrumentarien und
seine Institutionen, ganz davon leben, welche Staaten mit
welcher Entschlossenheit ihre Gewalt in den Dienst dieses
Rechts stellen. Und dabei ist es noch nicht einmal so,
dass die nichtregierenden Völkerrechtsfreunde durchweg
oder auch nur in ihrer großen Mehrheit meinen, die von
ihnen mit Appellen bedachten regierenden
Völkerrechtsfunktionäre sollten und wollten diesen Dienst
völlig selbstlos leisten. Durchaus ist unter ihnen der
„Realismus“ verbreitet, dass mächtige Staatenlenker vor
allem ihre eigenen Interessen im Blick haben,
wenn sie sich mit ihrem Gewaltapparat für die
Durchsetzung internationalen Rechts einsetzen. Aber warum
– so die verbreitete Denkart – soll man darauf
herumreiten, wenn darüber zumindest manchmal zumindest
ein Teil dessen zumindest potenziell wirksam wird, was
das Völkerrecht in Sachen gezügelter staatlicher
Gewaltanwendung gegen eigene und fremde Untertanen
fordert... Richtiger wird der Idealismus einer durchs
Recht zivilisierten Staatenwelt zwar nicht dadurch, dass
man ihn um die Abgeklärtheit ergänzt, dass Staaten – wenn
überhaupt – dann in der Regel aus gar nicht idealen
Motiven das Gute und Richtige tun. Aber es hilft ungemein
dabei, sich angesichts der unvermeidlichen Enttäuschungen
über den Lauf der Politik gegen die Schlussfolgerung zu
immunisieren, dass die Wahrheit dieses
Dienstverhältnisses genau umgekehrt beschaffen ist: Der
ganze Existenzgrund, das ganze Existenzrecht dieser
famosen Konstruktion namens Völker- bzw. Internationales
Strafrecht liegt in dem Nutzen, den sich die überlegenen
Staatsgewalten der Welt für sich versprechen.
Die Durchsetzung der grandiosen internationalen
Rechtsstandards
lebt von überlegener Gewalt – sie
sind also die Berufungstitel, mit denen sich
eine Handvoll erlesener Staaten allerhöchste Legitimität
beim Vorgehen gegen Gewalthaber verschafft, bei denen sie
einen falschen Gebrauch der Macht ausmachen und denen sie
deswegen das Regieren vorschreiben oder gleich ganz
verbieten wollen.
Drittens: Der sudanesische Präsident hat nach Verkündung
des Haftbefehls erst einer Handvoll ausländischer Helfer
mit dem Vorwurf, sie trieben Spionage, die Lizenz
entzogen, dann das Betätigungsverbot für ausländische
Helfer schrittweise ausgeweitet und schließlich die
vollständige Sudanisierung der Hilfstätigkeiten binnen
Jahresfrist
angekündigt. Die westlichen NGOs haben
sich sofort bitter beklagt – weil sie nämlich eine
sudanesische Hilfe unmittelbar mit dem Ende
humanitärer Hilfe gleichzusetzen belieben. Dieses
parteiliche (Miss-)Verständnis der regierungsoffiziellen
Ankündigung teilen sie vollständig mit den offiziellen
Vertretern der westlichen Staaten, die daraus gleich den
nächsten diplomatischen Eingriffstitel gegen al Bashir
basteln. Dass – wie von al Bashir gefordert – die
Hardware und die Versorgungsgüter am Flughafen bzw. Hafen
ausgepackt und dann den sudanesischen Hilfskräften zur
Verteilung übergeben werden, kommt für die
Entsendestaaten der Helferkolonnen ebenso wenig in Frage
wie für die Helfer selbst. Es scheint vielmehr Einigkeit
darüber zu bestehen, dass es humanitäre Hilfe im Sudan
nur unter der Bedingung geben kann, dass mit ihr der
sudanesischen Regierung Kontrolle und Zuständigkeit über
ihr Territorium und ihre Untertanen streitig gemacht
wird. Und auch hier will wieder niemand von den
zutiefst besorgten
Freunden der Bürgerkriegsopfer
den Kern der Sache wahrhaben: Wenn die öffentliche
Demütigung der sudanesischen Regierung zu der
Generalbedingung für die Bereitstellung von Hilfsgütern
wird, dann ist das auch Grund und Zweck dieser Hilfe. Die
Illegalisierung und Unterminierung der sudanesischen
Staatsgewalt durch ausländische Mächte mit Verweis auf
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
Kriegsverbrechen
– so lauten die beiden offiziellen
Anklagepunkte – ist kein Umweg mit dem Ziel einer
besseren Hilfestellung für verarmte, vertriebene und
hungernde Sudanesen, sondern der politische Zweck, um den
es geht. Dafür findet die Hilfe statt – und
unterbleibt deswegen auch, wenn es dem Zweck dient.
Gibt es also gar keinen Trost für die Menschen vor
Ort
? Doch: Das Menschenrecht der Sudanesen, gegen das
sich al Bashir vergangen hat, lässt sich nicht
unterkriegen. Es besteht ganz grundsätzlich in nichts
anderem als im Recht aller Sudanesen, in den Genuss des
Wirkens einer international auch als legal
anerkannten Staatsgewalt zu gelangen, also ganz
konkret: im Recht auf die Bestrafung ihres kriminellen
Präsidenten. Dieses Recht hat im Moment ganz
gute Aussichten auf Erfüllung, und was sind
daran gemessen schon ein paar Tausend Tonnen
Reis und Mehl? Oder, um es mit den Experten von Human
Rights Watch auf den Punkt zu bringen: Move to seek
arrest of Sudanese president is a victory for Darfur’s
victims.