Was Honecker zu sagen gewagt hat
„Zu dramatischen Ereignissen“
Rezension von: „Zu dramatischen Ereignissen“, Erich Honecker, Mai 1992. Der Expräsident des feindlichen Staates begeht sein letztes Verbrechen, indem er nicht dem Realsozialismus abschwört, sondern sich treu bleibt als Antikapitalist, Antiimperialist, Nationalkommunist und volksfreundlicher Staatsmann. Er verurteilt die Zerstörung der DDR als Eroberung des besseren Systems durch den Imperialismus, ebenso die Opferung der DDR durch die SU, und gibt dabei die Hoffnung nicht auf, dass der Imperialismus an seinen eigenen „Problemen“ zugrunde geht.
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Was Honecker zu sagen gewagt
hat[1]
„Zu dramatischen Ereignissen“
Jetzt haben sie ihn, die deutschen Demokraten. Und lassen ihren Gefühlen freien Lauf. Egon Bahr kommentiert am Abend der glorreichen Heimführung im Fernsehen Honeckers Ausspruch: „Ich bin fest entschlossen, mich von den heutigen Siegern ebensowenig mundtot machen zu lassen, wie einst von der faschistischen Gestapo“ mit folgender Glanzleistung: „Dazu hat er ja nun die beste Gelegenheit.“ Einen Tag später erwartet er „eine Menge von Honecker, ‚der auch seine Satelliten und Epigonen in die Pfanne hauen‘ werde.“ (SZ 31.7.) Prozeß und Gefängnis als die beste Gelegenheit, die man Kommunisten gönnt, um ihren Standpunkt zu vertreten; schmutzige Wäsche von seinesgleichen zu waschen als die Einlassung, die man sich von Kommunisten wünscht – Demokraten sind immer wieder überraschend deutlich in der Darlegung ihrer zutiefst humanistischen Ideale.
1.
Daß Honecker sich überhaupt öffentlich geäußert hat, anstatt auf den Knien nach Berlin zu rutschen und um seinen Prozeß zu betteln, hat der deutschen Öffentlichkeit eigentlich schon genügt, um sein (vorläufig letztes) Buch zu verdammen. Dem Inhalt nach zur Kenntnis genommen und als skandalös vermeldet wurde von seiner Wortmeldung soviel, daß er keine Reue zeigt, dem Sozialismus nicht abschwört – „sichtlich altersstarr“ (SZ 30.7.) oder reichlich kriminell, je nach Geschmack. Die entgegenkommendste Würdigung seiner Stellungnahme hat schließlich darin bestanden, einiges kommentarlos zu zitieren, als ob er sich damit schlagend selbst ad absurdum führte.
Bloß, was soll denn eigentlich an folgenden Feststellungen Honeckers so fürchterlich verkehrt sein?
– Nicht das DDR-Volk auf der Straße hat die Wiedervereinigung erzwungen, sondern die UdSSR hat die DDR der BRD geopfert:
„Es war, dies muß man heute sagen, für viele ein Irrtum anzunehmen, daß der Umbruch im Herbst 1989 von der Straße, von der ‚Heldenstadt Leipzig‘ eingeleitet worden wäre.“ (11) „Die DDR wurde der BRD ausgeliefert und von der BRD okkupiert, auch wenn man das freiwilligen Anschluß nennt…“ (7) „Klarer ist aber auch ersichtlich, daß der Warschauer Pakt die Aufgabe aufgeben wollte, zu deren Zweck er gegründet wurde: die Verteidigung der im Ergebnis des 2. Weltkrieges und der Nachkriegsentwicklung in Europa entstandenen sozialistischen Staatengemeinschaft gegenüber der aggressiven subversiven Politik der Nato…“ (9)
Wenn ein Schäuble im Bundestag der SPD vorrechnet, daß es wesentlich die BRD mit ihrem einnehmenden Staatsbürgerschaftsangebot gewesen ist, die das Zonenvolk über die Grenzen in Bewegung gesetzt hat, damit sich die SPD jetzt noch daran blamiert, daß sie einmal über die Anerkennung einer DDR-Staatsbürgerschaft verhandeln wollte – dann gilt das als ein ehrenwerter Standpunkt und politische Wahrheit. Wenn also die westdeutschen Revanchisten zu Protokoll geben, daß es nicht das DDR-Volk alleine war, das seinen Staat gekippt hat, geht das in Ordnung. Wenn aber ein Honecker dasselbe sagt, gehört ihm der Mund verboten und es wird gegeifert.
Daß Honecker die Mächte, die die Existenz der DDR beendet haben, nicht beim Namen nennt, kann man eigentlich nicht behaupten. Herr Hinze von der Süddeutschen Zeitung kann schon: „Seinen Sturz deutet er – konspirativ denkend wie eh und je – als einen Umsturz, der auf ein Komplott dunkler Weltmächte zurückgeht.“ (30.7.) Die Stelle von Honecker, auf die er sich wahrscheinlich bezieht:
„Wie konnte die SED wissen, was die Großmächte miteinander ‚verabredet‘ hatten? Wäre es nicht recht und billig gewesen, mit der Führung der SED zu besprechen, was der ehemalige sowjetische Außenminister Schewardnadse offensichtlich mit Politikern der USA, anderen Großmächten und der BRD besprach?“ (28)
Offensichtlich läßt die SZ jetzt schon Analphabeten Rezensionen schreiben. Und zwar demokratisch gebildete Analphabeten, denen schon Honeckers Beschwerde, daß Gorbatschow die Aufgabe der DDR mit der BRD verabredet hat, zuviel ist. Deshalb lassen sie sich Honeckers konspirative Arbeit im Dritten Reich einfallen und zwar als so etwas wie eine Charaktereigenart (sie hätten damals wahrscheinlich offen und ehrlich Widerstand geleistet). Aus dem Widerstand, der erzwungenermaßen im Untergrund stattfinden mußte, machen sie eine besondere Art des Denkens und zwar eine ziemlich böse. Und was das „eh und je“ angeht, wahrscheinlich waren auch seine 18 Jahre Regierungstätigkeit und die täglichen Auftritte in der Aktuellen Kamera, unter denen die Zonis so furchtbar gelitten haben sollen, bloß eine Form von „konspirativem Denken“. Vielleicht gibt das ja auch noch einen Anklagepunkt für Frau Limbach her.
– Was soll des weiteren an der Feststellung falsch sein, daß mit der sogenannten Wiedervereinigung ebenso wie mit dem Systemwechsel in den anderen Ostblockstaaten die Nato ihren Machtbereich massiv erweitert und das kapitalistische System über die sozialistische Alternative gesiegt hat:
„Tatsache ist, der Machtbereich der Imperialisten, der Nato wurde bis zur Westgrenze der UdSSR erweitert.“ (12) „Die sogenannte ‚freie Marktwirtschaft‘, ihre Einführung in den ehemals sozialistischen Ländern bedeutet nichts anderes als die Ausweitung der Macht des Kapitals.“ (45) „…unbestreitbar bleibt, ob dieser Begriff ‚zeitgemäß‘ ist oder nicht, ihrem Charakter nach war diese ‚friedliche Revolution‘ eine Konterrevolution… Man kann es drehen, wie man will, es war ein Kampf um die Macht, um die Zurückeroberung der vor über 40 Jahren verlorengegangenen Macht der Bourgeoisie. Nicht um den Sturz einer ‚persönlichen Macht‘, den Sturz der ‚Herrschaft des Politbüros‘ ging es, sondern um die Enteignung der Volkseigenen Betriebe, die Liquidierung der landwirtschaftlichen Genossenschaften, des sozialistischen Eigentums.“ (26)
– Auch die Bemerkung Honeckers, daß dieser Umsturz wohl doch nicht so ganz vorbildlich „gewaltfrei“ vonstatten gegangen ist und geht, wie immer behauptet wird, ist eigentlich nicht zu bestreiten. Es sei denn, man kann bei der Durchsetzung des eigenen Systems grundsätzlich nichts als Gewalt identifizieren, auch wenn es noch so viele Existenzen ruiniert.
„…angesichts solcher konterrevolutionärer Vorgänge wie in der UdSSR und dem Rachefeldzug in der DDR, der dort gegen Mitglieder und Funktionäre der SED, gegen 1,7 Millionen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die Mitarbeiter des Ministeriums des Inneren, gegen die Angehörigen der NVA, gegen Richter und Staatsanwälte, gegen weltweit angesehene Ärzte und Wissenschaftler, gegen die Kommunisten in allen ehemaligen sozialistischen Ländern geführt wird, und nun auch in der Sowjetunion, (kann man) die Frage nach dem Stattfinden der ‚friedlichen, sanften Revolution‘ schon heute beantworten.“ (12)
– Als bei weitem größte Unverschämtheit allerdings sind die eher schlichten Feststellungen Honeckers zitiert worden, mit denen er ein paar grundsätzliche Unterschiede zwischen den in der ehemaligen DDR garantierten Lebensbedingungen und denen festhält, die die BRD in der Ex-Zone stiftet:
„Man konnte die Mieten bezahlen, mußte nicht fürchten, auf die Straße gesetzt zu werden. Es gab keine Obdachlosenheime. Es gab Ordnung und Sicherheit. Und wir nehmen nun Kenntnis, wie Universitäten, Akademien und Institute, Theater und Orchester, Büchereien und Museen, Kulturhäuser und Jugendclubs vernichtet oder stranguliert werden.“ (39) „Trotz allem großdeutschen Gehabe, es würde nach dem Anschluß an den ‚goldenen Kapitalismus‘ allen besser gehen, keinem schlechter, ist das Gegenteil eingetreten, den wenigsten geht es besser, den meisten schlechter.“ (32)
– Und zwar nicht wegen der Marodheit der DDR-Betriebe, sondern der Anwendung der kapitalistischen Maßstäbe auf die DDR:
„Wenn irgendetwas durch die Okkupation der DDR bestätigt wurde, so die Tatsache, daß in der ‚Marktwirtschaft‘, die nichts anderes ist als eben kapitalistische Wirtschaft, große Teile der Arbeiter und Angestellten, der Bauern, aber auch der Geistesschaffenden ins Abseits gestellt werden.“ (33)
– Schließlich gibt Honecker eine Einschätzung von seinem eigenen Fall, die empört bestritten, aber als praktisches Anliegen von der deutschen Politik betrieben und von jedem deutschen Blatt erläutert wird:
„Kriminalisierung der Politik, die Hexenjagd auf all jene soll verdrängen, daß die Kosten der Vereinigung, die Wiedereinrichtung des Kapitalismus im Osten Deutschlands das ehemalige Volk der DDR schon jetzt mit ganzer Wucht trifft.“ (96)
Daß gerade die Zonis gerade jetzt ein besonderes Recht darauf haben, Honecker verknackt zu sehen, ist eben auch nur die demokratische Tour, zu Protokoll zu geben, daß die großartige BRD ihnen nicht mehr zu bieten hat und bieten will als die Bedienung eines Gerechtigkeitsempfindens, das ihnen die BRD in ständigen Kampagnen über die verbrecherischen Qualitäten ihres alten Systems beibiegt.
2.
Widerlegen lassen sich diese Behauptungen schwerlich, sondern eben auch nur empört zitieren – als Beweis, daß der alte Mann nach wie vor zu den Prinzipien steht, die er sein Leben lang für richtig gehalten hat. Den Sachverhalt könnte man auch ganz anders sehen und es für aufrecht halten, daß nach den Einlassungen von Krenz über Stoph bis Mielke wenigstens Honecker nicht auch noch die Kurve kratzen und behaupten will, daß er eigentlich immer schon heimlich für Marktwirtschaft und Demokratie gewesen und bloß leider vom Politbüro unterdrückt worden wäre. Darin unterscheidet er sich eben von seinen ehemaligen Kollegen Parteichefs und SED-Größen: Er hält nach wie vor den Sozialismus für das bessere, der Menschheit zuträglichere System und sieht einfach keinen Grund, den beliebten, aber falschen Schluß aus der faktischen Niederlage des Sozialismus auf die Verkehrtheit des politischen Programms zu ziehen.
3.
Gerade deswegen aber – und das ist das einzig Interessante an seinen Einlassungen, was die gesamtdeutschen Rezensenten mit ihrem Gegeifer natürlich nicht interessiert – gerade deswegen arbeitet er sich regelrecht an „dem schier Unverständlichen des Zusammenbruchs der sozialistischen Gesellschaft“ (6), also an der Frage ab, wie es zu dieser Niederlage des Sozialismus kommen konnte. Daß es sich um einen Sieg des kapitalistischen Systems, der imperialistischen Staaten und ihrer Nato handelt, läßt er sich nicht nehmen und stellt teilweise – unverdrossen antiimperialistisch – Ursache und Wirkung gründlich auf den Kopf:
„Der Umbruch im Herbst 89…, die ‚friedliche Revolution‘… waren nur möglich, weil sich das militärische Kräfteverhältnis in der Welt änderte.“ (11)
„Alle marxistischen Parteien in diesen Ländern wurden nach dem gleichen Drehbuch zerschlagen.“ (26)
Daß dieses „Zerschlagen“ aber in erster Linie die Tat der kommunistischen Parteien selbst gewesen ist, mit der KPdSU und ihrer Perestrojka an vorderster Front; daß ohne Gorbatschow und Co. der Sieg des Imperialismus gar nicht zustandegekommen wäre, daß es sich schließlich dabei auch nicht um einen militärisch errungenen Sieg, sondern um die freiwillige Kapitulation des Ostblocks gehandelt hat – das weiß er wiederum auch. Warum aber die Sozialisten selbst ihr System verworfen haben, die Frage macht ihm schwer zu schaffen.
Für richtig hält er nach wie vor die Gorbatschow’sche Außenpolitik und drückt gegenüber deren Weiterungen nur seine Verständnislosigkeit aus; Friedenspolitik ja, aber der Systemwechsel hätte doch deswegen nicht sein müssen:
„Es ging immer um Koexistenz… So wird das aber heute von Schewardnadse offenbar nicht gesehen. Der Erwärmung der Beziehungen der beiden Supermächte folgte die ‚Entlassung‘ der DDR und der anderen sozialistischen Länder in die ‚Freiheit‘. Die Geschichte möge beurteilen, ob es sich um die Opferung der DDR, der VR Polen, der VR Ungarn, der VR Bulgarien, der Sozialistischen Republik Rumänien auf dem Altar der Perestroika handelte, wie einer der Begründer dieser neuen Philosophie dies deutet. Tatsache ist, der Machtbereich der Nato wurde bis zur Westgrenze der UdSSR erweitert… Kann man eine solche Art ‚neuen Herangehens‘ an die Lösung internationaler politischer Fragen im nachhinein mit dem Argument rechtfertigen: ‚Sonst wären Panzer gerollt‘? Oder: ‚Die Gefahr eines Krieges wäre heraufbeschworen worden?‘ Soll das als Feigenblatt dienen? Es besteht kein Zweifel, die DDR und die sozialistischen Länder Mittel- und Osteuropas wurden Opfer des amerikanischen und deutschen Imperialismus.“ (12f)
Für Frieden war gerade die DDR mit ihren deutsch-deutschen Sonderbeziehungen schwer zu haben, aber doch nicht um unterzugehen:
„Um so mehr begrüßten wir die Idee vom Neuen Denken, die Aktivitäten zur Abrüstung, zur Schaffung eines europäischen Hauses. Allerdings hatten wir als Marxisten keine Illusionen, daß trotz der Annäherung der verschiedenen in der Welt existierenden Gesellschaftssysteme und der Möglichkeit ihres Miteinanders, Klassen, Klassenkampf, Arme und Reiche, Antikommunismus und Nationalismus von heute auf morgen aufhören würden zu existieren, oder daß die verschiedenen Ideologien und Wertvorstellungen über die weltanschaulichen Grenzen hinweg sich einfach aufheben ließen.“ (24)
Besonders viel fällt ihm zu der Frage, warum die KPdSU die Lust am Sozialismus verloren, warum die Friedenspolitik in die Auflösung des eigenen Systems überführt wurde, allerdings auch nicht ein. In seinem intellektuellen Werkzeug findet er nur „Ideen“ und „Kräfte“ vor, falsche und der Arbeiterbewegung altbekannte, die leider die Oberhand gewonnen haben:
„Haben wir alle unterschätzt, welche Gefahren sich aus der neuen Politik für die Menschheit ergaben? Nein, denn niemand konnte damit rechnen, daß die sozialistischen Länder auf dem Altar des neuen Denkens geopfert werden würden. Es war doch ein verhängnisvoller Irrtum anzunehmen, daß mit diesem neuen Denken die Unterschiedlichkeit der Gesellschaftssysteme, ob ihre Modelle nun so oder so aussehen, aufhören würden zu existieren.“ (26f)
„Nicht die Fehler einer wie immer gearteten Perestroika in der DDR und den anderen Ländern Osteuropas führten zur Liquidierung des Sozialismus, sondern die Vorstellungen über einen sogenannten dritten Weg haben zu dieser Katastrophe geführt.“ (44f) „Offensichtlich waren wir dem ‚Ansturm‘ der Dritten-Weg-Theorie, der Postulierung eines nicht definierten demokratischen Sozialismus – den übrigens viele als eine neue Theorie ansahen, die jedoch so neu nicht ist, die immer schon im Arsenal der reformistischen Strömung der Sozialdemokratie zu Hause war – nicht gewappnet, da sie nun als neue Theorie international auf die Bühne trat. Der Reformismus ist derzeit die Hauptursache für die Zersetzung unserer Bewegung, die größte Gefahr, von der man sich frei machen muß, wenn man wieder festen Tritt fassen will im Kampf um den Sozialismus, und der ist nicht auf einem wie immer gearteten dritten Weg zu haben.“ (24f)
„Wenn man, wie gesagt, davon ausgeht, daß es keine Gegner mehr gibt – und solche Theorien und Illusionen gab es –, dann mußte es zu einer Vernachlässigung einer gemeinsamen offensiven Arbeit kommen.“ (28)
Fehler, Irrtümer, Illusionen will er dingfest machen – bloß das Interesse von Gorbatschow und Co., die staatlichen Berechnungen der Sowjetunion, die zur Aufgabe des sozialistischen Systems geführt haben, die will und kann er einfach nicht kapieren. Daß die alte Arbeiterbewegung mit dem – zur heutigen SPD geläuterten – Standpunkt zu kämpfen hatte, die Lage der arbeitenden Klasse ließe sich auch in einem kapitalistischen Staat entscheidend verbessern, wenn er nur demokratisch gemacht wird, damit hat er zwar recht. Aber der damalige Übergang von gerechtigkeitsfanatischen Arbeiterfreunden zu Liebhabern demokratischen Regierens erklärt keineswegs den quasi rückwärtigen Übergang, bei dem die Vorsteher einer nun wirklich anders organisierten, aufs Wohl der Arbeiterklasse verpflichteten Produktionsweise, die es fix und fertig gab und die auf ihre Weise auch „funktioniert“ hat, meinen, sie wegwerfen zu müssen. Dabei handelt es sich nun einmal nicht um einen altehrwürdigen Irrtum, sondern um die neu erfundene Weise, den Widerspruch aufzulösen, der die ganze Crux des Ostblockkommunismus ausgemacht hat, daß das Volk seinem Staat ordentlich dienen muß, damit er ihm dienen kann, wobei im Resultat beide Seiten schlecht bedient werden. Und es handelt sich um eine Entscheidung, der eine gehörige Portion Unzufriedenheit mit dem eigenen System zugrundeliegen muß, die ihren Maßstab nicht an dessen Leistungen für die Arbeiterklasse hat, sondern aus dem systemvergleicherischen Blick auf die imperialistischen Gegner herrührt, deren „Wirtschaftsmodell“ ihnen unvergleichlich mehr Mittel verschafft.
4.
Schließlich ist es auch nur der Punkt, in dem sich Honecker von seinen ehemaligen Kollegen und heutigen Reformern unterscheidet, daß er nämlich für sich, für seine DDR keinen Anlaß sieht, den Systemvergleich für verloren zu geben. Er listet seitenweise, fast wie zu alten Parteitagszeiten, die Produktionsleistungen und Handelsbilanzen seiner DDR auf, läßt sich also seinen Stolz auf die Leistungen seines verblichenen Staatswesens nicht nehmen. Und das ausgerechnet deshalb, weil er dieselbe Unzufriedenheit auch kennt – aber die Schuldfrage ganz anders entscheidet:
„Der Maßstab für die DDR war, ob wir es wollten oder nicht, immer die Bundesrepublik. Das war ein ungleiches Rennen.“ (43)
Von wegen Kriegsschäden, Reparationen, ungleich verteilte Produktivkräfte usw. Und er macht mit ziemlich häßlichen Bemerkungen über sein altes Bündnis klar, daß sein Staatswesen im sozialistischen Lager sehr erstklassig war und die anderen die Klötze am Bein des (DDR-)Sozialismus gewesen sind:
„Wir erhielten oftmals durch ungenügende Preise weniger zurück. Die DDR war mit ihren Fortschritten wie mit ihren Hemmnissen auf das engste mit dem RGW und seinen Möglichkeiten verflochten. Das Potential des RGW reichte nicht aus, um mit der internationalen Entwicklung Schritt zu halten.“ (39)
Und ausgerechnet in seiner Schlußpassage, in der er unverdrossen den unaufhaltsamen Sieg des Sozialismus verkündet, würgt er den Russen rein, daß letztlich an ihnen und ihrer Unterentwickeltheit die sozialistische Sache diesmal gescheitert ist:
„Die sozialistische Alternative für ganz Deutschland zu erkämpfen, das bleibt auf der Tagesordnung und es wird dereinst besser gelingen. Es wird dann in vieler Hinsicht eine andere Zeit sein. Eine Zeit, in der wir nicht mehr von wirtschaftlich einst unterentwickelten Ländern abhängig sind, die einstmals die revolutionäre Umgestaltung zum Sozialismus als erste in Angriff genommen haben.“ (78)
Er ist und bleibt nämlich auch ein unverbesserlicher Nationalist:
„Wir Kommunisten waren und bleiben immer die treuesten Patrioten.“ (78)
5.
So borniert wie ehrlich erläutert er aus gegebenem Anlaß die Mühsale des realsozialistischen Staatsmachens, heutzutage kann er nämlich sein Leiden an dieser vermaledeiten Perestrojka offen aussprechen.
Er kommt selber auf den Grund zu sprechen, warum er während seiner Amtsführung, obwohl ihm die Sache doch schon länger nicht mehr geheuer gewesen sein kann, keine offene und direkte Auseinandersetzung mit den sowjetischen Genossen angestrengt hat, wie es laut Lehrbuch des Sozialismus doch unter seiner Spezies üblich gewesen sein soll: Die Abhängigkeit der DDR von der Sowjetunion, eben das objektive Kräfteverhältnis, aber nicht das allein, sondern auch dessen idealisierte Fassung, die vorschriftsmäßige Treue zur Sowjetunion, dem Vaterland aller Werktätigen, die in der DDR zur Staatsdoktrin gehört hat, hat ihm das verboten.
„Haben wir die Rolle der Sowjetunion idealisiert? Diese Frage stellte einmal Gorbatschow. Möglich, aber hatten wir das Recht, angesichts der ständigen intensiven westlichen Propaganda gegen die Sowjetunion, diese auch noch in den Dreck zu ziehen?… Eine Partei wie die SED, die Mehrheit des Volkes, ganze Generationen waren im unerschütterlichen Vertrauen zur Sowjetunion erzogen worden. Sie mußten nun zum zweiten Mal verdauen, was nun nicht mehr vom Gegner kam, sondern aus Freundesland. Alles wurde plötzlich umbewertet… es wurde alles in Frage gestellt, was bisher richtig schien, die Oktoberrevolution eingeschlossen. Wie konnte, wie mußte sich unsere Partei dem stellen? Was hätte eine Konfrontation mit einer in der Sowjetunion offiziell geduldeten Politik bewirkt? Die Isolierung der DDR? Hätten das die Menschen verstanden?.. Man kann die Politik der DDR weder in positiver noch in negativer Hinsicht abgekoppelt betrachten von dem Geschehen in Europa und in der Welt.“ (22f)
„Wie hätten wir unsere Macht verteidigen sollen? Mit der NVA? Es wäre Selbstmord gewesen.“ (26)
6.
Auch in der chilenischen Botschaft ist er ganz Landesvater geblieben: Auf sein Volk, das ja immerhin für die BRD gebrüllt hat und zum größten Teil vom Sozialismus nichts wissen will, läßt er bis heute nichts kommen. Bzw. und das ist dasselbe, er behandelt es wie die geborene Manövriermasse für Politik, die richtige Führung aber keine Kritik an ihren Fehlern verdient. Es ist durch die BRD belogen und betrogen worden:
„Heute zeigt sich, daß das nicht des Volkes Wille war, auch wenn später die Mehrheit die CDU/CSU wählte. Diesen Irrtum muß das Volk teuer bezahlen.“ (7f) „Das war in der Tat ein Wahlbetrug.“ (32)
Außerdem ist es verführt worden, zum „Konsumdenken“:
„Das durch Reklamefeldzüge und diverse andere Methoden forcierte einseitige Konsumdenken fand nicht rechtzeitig unsere gebührende Aufmerksamkeit.“ (18)
– dann hat es aber auch immerhin von seiner kommunistischen Bildung, die Honecker an anderer Stelle rühmt, nicht übermäßig viel Gebrauch gemacht oder es war eben keine. Aber das kümmert ihn weniger, er hofft nämlich auf seine braven Bürger – weil die unter seiner Regie so feine „Werte schufen“ (77) und das jetzt nicht mehr dürfen:
„Noch halten sich die Proteste gegen diesen Vernichtungsfeldzug in Grenzen. Aber wie werden sich die Dinge entwickeln, wenn die Menschen mehr und mehr lernen, diese Betrugsmanöver zu durchschauen. Die Bürger der ehemaligen DDR wissen doch, was sie zu leisten in der Lage sind, sie sind qualifiziert, sie haben Erfahrungen und ihr gesundes Selbstbewußtsein wird sich durchsetzen, wie schon in früheren schweren Jahren.“ (39f)
Ein weniger revolutionäres Motiv für die von Honecker erhoffte Gegenwehr hätte der gute Mann gar nicht aufspießen können. Schließlich betätigt sich dieser Stolz darauf, daß man immer schwer geschuftet hat, heute ganz folgerichtig, nämlich seiner unterwürfigen Natur entsprechend, als Haß auf den alten Staat, der einem die Leistung schlecht entgolten haben soll, sowie als Gejammer über heutige Zustände, in denen man als Dienstleister gar nicht gefragt ist. Ein Aufstand mit der Forderung, benützt zu werden, läßt sich schlechterdings nicht machen.
7.
Als unverbesserlicher Realsozialist verkündet Honecker auch dem Rest der Welt: Der Sozialismus wird siegen. Es gibt noch Hoffnung: China, Cuba, Nordkorea und die Kommunisten in der Sowjetunion und überhaupt die Gesetze der Geschichte.
Von denen kennt er ein paar, nämlich z.B. gefährliche Tendenzen, die wieder in Deutschland den Faschismus auf die Tagesordnung setzen könnten. Und in seiner Logik, wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch, macht es ihm gar nichts aus, wenn die Macher der gefährlichen Tendenzen –
„Der Kampf um die Neuaufteilung der Einflußsphären zwischen den stärksten Mächten ist bereits in vollem Gange!“ –
gleichzeitig auch die potentiellen Bündnispartner im Kampf dagegen sind:
„Sind nicht im Klima einer chauvinistischen Euphorie auch Millionen Deutsche mit begeisterten Heilrufen den braunen Rattenfängern in den Krieg gefolgt?… Das ist doch eine gemeinsame Erfahrung der Völker und Politiker unserer Generation. All das wissen doch zum Beispiel Willy Brandt und François Mitterrand genauso gut wie ich.“ (63)
Außerdem wird der Imperialismus auch an der sozialen Frage scheitern, weil er nämlich keine Probleme lösen kann.
„Die USA werden die Welt nicht in Ordnung bringen. Und es besteht kein Zweifel, die sozialen Fragen, die bestehenden und neu entstehenden sozialen Konflikte lassen die Träume der USA nicht in den Himmel wachsen.“ (14)
Und gerade weil die imperialistischen Regierungen so unfähig sind, die wirklichen Probleme zu lösen, unterstellt er ihnen soviel Einsichtsfähigkeit, um folgenden Appell an die BRD-Verantwortlichen loszulassen:
„Ich appelliere an die politische Vernunft der real denkenden Politiker und alle aufrechten Menschen. Rache ist kein Ratgeber für die Lösung der durch den Verlauf der Geschichte aufgeworfenen neuen politischen Probleme in Deutschland und in der Welt. Politische und ökonomische Schwierigkeiten können so nicht überwunden werden. Der Versuch, die innere Einheit Deutschlands herzustellen, darf nicht durch den Feldzug von ‚Siegern‘ zu ‚Besiegten‘ belastet werden. Das alles bringt keinen ökonomischen Aufschwung, keine Beseitigung der Arbeitslosigkeit, das führt nicht in eine bessere Zukunft der Jugend.“ (64)
Das wird sich der Kanzler zu Herzen nehmen. Eine wirklich klassische Demonstration des realsozialistischen Glaubens an die grundsätzliche Güte der Aufgaben, die – eigentlich – jede Staatsgewalt hat, wenn sie nur „real denkt“.
8.
Es ist Honeckers Veröffentlichungen immer auch besonders angekreidet worden, daß er wie ein Staatsmann spricht, was wiederum je nach Geschmack als besonders lächerlich oder anmaßend hingestellt wurde. Damit stellt sich allerdings auch nur der demokratische Politkult bloß: Warum sollen Argumente aus dem Munde eines Mannes solange besonderes Gehör wert sein, solange er ein Amt hat, aber dann schlagartig nicht mehr, wenn er gestürzt ist? Geändert haben sich doch nicht er und sein Verstand, sondern schlicht die Machtverhältnisse. Also sind es auch nur die und nicht gedankliche Leistungen der Obrigkeit, die Demokraten verehren. Sollen sie doch einmal die Respektlosigkeiten, die sie sich dem Entmachteten gegenüber leisten, an einem deutschen Kanzler in Amt und Würden ausprobieren – das wäre einmal ein Beweis für die großartige Unabhängigkeit der Presse.
Honecker spricht nach wie vor wie ein Staatsmann – aber das spricht auch nur gegen das Amt, dessen Pflichten er auch jetzt noch wahrnehmen will:
„Ich halte es einfach für meine Pflicht, mich zu den dramatischen Ereignissen seit November 1989 zu äußern… Von der Bühne der Geschichte abzutreten, ohne meinen Standpunkt zu den erdbebenartigen Entwicklungen der letzten Zeit darzulegen, das hielte ich für ehrlos, nicht nur für mich persönlich, sondern auch für die deutsche und internationale kommunistische Bewegung.“ (5)
Im Unterschied zu den üblichen Memoiren, in denen sich ‚elder statesmen‘ der bürgerlichen Politik mit unbekannten Details wichtigtun und zur Unterhaltung noch ein bißchen schmutzige Wäsche waschen, ist seine Schrift als politischer Eingriff gemeint. Als Repräsentant einer „kommunistischen Bewegung“ fühlt er sich dazu verpflichtet, 1. eine Einschätzung der Ereignisse abzugeben. Deren Qualität ist zwar nicht übermäßig, s.o., aber immerhin ist das ein Verständnis von Politik, das sich insoweit angenehm von dem demokratischer Führer unterscheidet, als zumindest der Form nach die Gemeinsamkeit von Regierung und Volk sich aus begründeten Einsichten ergeben soll. 2. aber fühlt er sich leider dazu auch deshalb verpflichtet, um seinem Ex-Volk weiteres Vertrauen in ihn und seinen Vorbildcharakter zu ermöglichen. Aus diesem Bedürfnis heraus verfaßt er nämlich ein eigenes ausführliches Kapitel, in dem er seine antifaschistische Widerstandstätigkeit, auch im Gefängnis und bis 45 hererzählt – explizit, um sein Bild als Antifa gegen jeden Verdacht zu reinigen, damit das Volk weiter zu ihm aufschauen kann. Mit der gleichen Pingeligkeit dementiert er die Skandalmeldungen der deutschen Hetzpresse über Konten im Ausland usw. – als ob es darauf entscheidend ankäme, als ob das Volk sich nicht lieber kommunistische Gedanken zu seiner neuen Lage zu bilden hätte. 3. weist er mit der ganzen Würde eines Souveräns die Anklage gegen sich wegen Schießbefehls mit völkerrechtlichen Einlassungen zurück – als ob es sich dabei um objektiv gültige Regeln und nicht nur um Rechtstitel handelte, die die wirklichen Mächte nach ihrem Bedarf in Anschlag bringen; weswegen eben jetzt gerade in seinem Fall das Grenzreglement eines souveränen Staates wie ein privates Verbrechen behandelt wird. Und 4. kann er nicht aufhören, ohne Hoffnung zu stiften. Mit den unglaubwürdigsten Argumenten, s.o., denn die objektive Lage gibt nun wirklich kaum etwas dafür her. Aber ein realsozialistischer Staatsmann meint eben, daß sein Volk ohne eine von ihm autorisierte, ermutigende Perspektive keinen Schritt von alleine tut. Das sind eben so die Ekelhaftigkeiten eines realsozialistischen Amts.
Das kann man kritisieren – aber das findet im neuen Deutschland nicht statt. Offenbar sehen sich Demokraten zu einer Widerlegung nicht herausgefordert, wenn einer wie Honecker sie in ihrer Sicherheit provoziert, in der besten aller staatlichen Welten zu hausen. Und warum sollten sie auch? Warum sollten sie sich ausgerechnet jetzt noch, wo sie in ihrer Parteinahme für die unschlagbare Güteklasse der westdeutschen Demokratie glänzend bestätigt wurden und der deutsche Un-Staat erledigt ist, von dessen vergeigtem Repräsentanten etwas sagen lassen? Sich glatt noch ans Prüfen der Gründe machen, die der unverdrossen für sich und sein Werk reklamiert? Wenn dem jetzt – endlich! – der politische Prozeß gemacht werden kann, ohne den der Rechtsstaat sich irgendwie um seine verdiente Goldmedaille betrogen vorkommt, dann brauchen diese aufgeklärten Gemüter aus den Wortmeldungen des Angeklagten nur irgendwie herauszuhören, daß Honecker ganz der Alte geblieben ist. Schon wissen sie ganz genau Bescheid: Typisch, der Mann. Einfach keine Einsicht in seine Verbrechen, null Reue. Ihre Parteinahme für die überlegene Staatsmoral stiftet Demokraten ein so gesundes Rechtsbewußtsein, daß ihnen die Kolportage von ein bis drei Zitatstellen, die nach Antikapitalismus riechen, völlig ausreicht. Die liefern ihrem kriminalistischen Verstand das klare Indiz, daß der Verbrecher – anstatt sich zu der Schuld zu bekennen, die man ihm vorwirft – glatt noch immer zu seiner üblen Gesinnung steht. Also steht er auch hinter den Machenschaften, die ihm zur Last gelegt werden. Durchschaut der Mann, schuldig! Werden Honeckers Versuche bekannt, für seinen abseitigen Standpunkt zu werben und auch noch zu begründen, weshalb er ihn vertritt, weiß dieser Verstand schon wieder ganz genau, was er davon zu halten hat: Der Herr Verbrecher sucht wohl Ausflüchte! Der will sich wohl auf seine guten Absichten hinausreden, – aber mit uns doch nicht! Durchschaut, schuldig! Will Honecker mit dem Hinweis Punkte sammeln, gar nicht allein der Verantwortungsträger für das Verbrechen namens DDR, sondern mit seinem Ostblockstaat bloß Befehlsempfänger Moskaus gewesen zu sein, steht nochmal und endgültig fest, daß der Feigling schon wieder nichts zugeben und sich nur aus seiner Verantwortung davonstehlen will. Sein Antrag, die demokratische Prozeßwut möge sich doch bitteschön auch an die alten Herren im Kreml wenden, weil die doch im wesentlichen die Befehlsgewalt in dem bekannten „Satelliten“-Staat innegehabt hätten, wird glatt erhört – nur eben genau andersherum. Dieselben Demokraten nämlich, die rund 40 Jahre lang der DDR die Anerkennung als souveränes Staatswesen verweigerten; die immer genau wußten, daß jenseits der Elbe die Deutschen in einem Völkergefängnis unter russischer Knute hausten – die fordern jetzt wie ein Mann die rückwirkende Anerkennung der DDR. Einen Dreck scheren sie sich um die Prinzipien ihrer politischen Beurteilung, die sie bis gestern hochgehalten haben – weil sie heute eben mit dem Chef des sozialistischen Unrechtsstaats abrechnen wollen. Und dabei achten sie dann noch schwer darauf, daß ihre Glaubwürdigkeit nicht leidet. Für die Suche nach passenden Zeugen ihrer Anklage machen sie sich eigens zu der ehemaligen Vormacht des Ostblocks auf, bei der sie sich schon einmal – so vor zwei Jahren – für die geschenkte DDR zu bedanken hatten, und finden dort, was sie wollen: Typen mit ähnlich gefestigter Gesinnung, wie sie sie vorzeigen können und die inzwischen gegen Devisen für jeden verlangten demokratischen Mist den Bürgen spielen. Den früheren DDR-Botschafter Abrassimow zum Beispiel. Der teilt im „Spiegel“ mit, daß man die DDR zwar durchaus „mit einem Homunkulus aus der sowjetischen Retorte vergleichen“ könne. Er gibt auch zu Protokoll, daß die Ex-DDR so etwas wie das strategische Vorfeld der UdSSR war. Was aber die Sicherung der Grenze dieses Vorfelds, ganz speziell natürlich „die Verantwortung für den Schießbefehl“ betrifft, wären die Russen schier ohnmächtig gewesen, weil „Honecker und seine Umgebung“ immer zu handeln pflegten, „wie sie wollten“. Deswegen gehöre auch gar nicht Honecker als „Alleinverantwortlicher“, sondern mit ihm zusammen das gesamte Politbüro angeklagt – das liest man dann gerne im „Spiegel“. Und den früheren Obergenossen Gorbatschow zum Beispiel. Der schwört der „Bild“-Zeitung jeden Eid darauf, vor 1985 überhaupt nicht und dann, als er Präsident wurde, mit Honecker immer nur als Herr „Alleinverantwortlicher für den Schießbefehl“ zu tun gehabt zu haben. So einfach geht die demokratische Wahrheitsfindung und Bewältigung der Vergangenheit.
[1] Erich Honecker: Zu dramatischen Ereignissen, Mai 1992