Massaker und Autonomie
Neueste Entwicklungen im nahöstlichen Friedensprozess

Ein israelischer Selbstmordattentäter aus der Siedlerbewegung opfert sich als Märtyrer im Zuge eines Massenmordes an betenden Arabern, aus Protest gegen den „Verrat“ der Staatsführung durch das Abkommen von Oslo. Durch diesen „Ausgleich“ mit der PLO reagiert die Rabin-Regierung auf die Anti-Irak-Allianz von USA und arabischen Staaten unter Ausschluss Israels, dem die Teilnahme am Irak-Krieg untersagt worden war. Preis der Anerkennung der PLO durch Israel ist der Verzicht auf einen Palästinenserstaat; Arafat darf unter israelischer Aufsicht Teile der besetzten Gebiete verwalten und soll autonom die Intifada niedermachen. Das einem Homeland ähnliche Konstrukt dient der Abwendung eines „binationalen“ Israel durch die weitere völkische Separierung im durchmischten und durchrassten Palästina.

Aus der Zeitschrift
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Länder & Abkommen
Gliederung

Massaker und Autonomie
Neueste Entwicklungen im nahöstlichen Friedensprozeß

Der Volksstaat Israel und seine Siedler

Am 25. Februar 1994 betrat der israelische Staatsbürger Dr. Baruch Goldstein die Machpela-Höhle in Hebron. In der dürfen Juden und Moslems gemeinsam dem Abraham-Kult nachgehen. Deshalb wird die Gedenkstätte von Angehörigen der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), so nennt sich die schlagkräftigste Armee des Nahen und Mittleren Ostens, bewacht. Dr. Goldstein trug die Uniform eines Reserveoffiziers der IDF und eröffnete das Feuer auf die anwesenden Araber. Nach den bisherigen Ermittlungen eines Untersuchungsauschusses der Knesset wurden, nachdem Goldstein geschossen hatte, noch mindestens zehn Schuß von Angehörigen der IDF abgegeben. Resultat: Zwischen 29 (israelische Angaben) und 54 (palästinensische Angaben) tote Araber und 1 toter Israeli (Dr. Goldstein, wahrscheinlich Selbstmord). Die wachhabenden Angehörigen der IDF erklärten vor dem Ausschuß übereinstimmend, sie hätten Dr. Goldstein in Uniform und bewaffnet kommen sehen. „Er habe aber ihren Verdacht nicht erregt, weil sie ihn kannten. Bezüglich seiner Uniform sagte er ihnen, er leiste gerade eine Wehrübung.“[1]

Wie inzwischen offiziell feststeht, hätten die Angehörigen der IDF das Massaker gar nicht verhindern können, selbst wenn sie das gewollt hätten. Die Soldaten hatten nämlich bis vor kurzem Anweisung, auf keinen Fall mit Waffengewalt gegen israelische Staatsbürger in den besetzten Gebieten vorzugehen.[2] Nach Angaben des Oberbefehlshabers der Besatzungsstreitkräfte haben seine Soldaten freilich nur die geltende Befehlslage „mißverstanden“, weil für den „nicht vorhersehbaren“ Fall eines Terroranschlages von jüdischer Seite keine präzisen Anweisungen vorlagen. Gut verstanden haben die Grabwächter jedenfalls den Unterschied zwischen ihren Schutzbefohlenen, nämlich den Siedlern und ihrer Sache, und der überall lauernden Gefahr, den Eingeborenen der besetzten Gebiete.[3]

Dementsprechend fiel auch die praktische Reaktion der israelischen Behörden auf den Massenmord von Hebron aus: Ausgangssperre bis an die Grenze des Aushaltbaren gab es nicht für die Siedler, die ihre Sympathie mit Dr. Goldstein bekundeten, sondern für die arabischen Einwohner der Stadt – um „Zusammenstöße mit Siedlern zu verhindern“. Als Geste des guten Willens ließ Rabin 588 palästinensische Häftlinge frei.[4] Als größtes Zugeständnis erklärte sich Israel mit der Anwesenheit von 160 internationalen Beobachtern in Hebron einverstanden – wie diese Truppe Araber vor Siedlern schützen soll, ist bis zur Stunde unklar; bei der letzten Konfrontation bewaffneter Siedler, angeblich im Anmarsch auf eine Moschee, mit palästinensischer Jugend beobachteten sie auftragsgemäß den Sieg jüdischer Gewehre über palästinensische Steinschleudern. Sicher ist, daß die Siedler in und bei Hebron bleiben und daß die IDF zu ihrem Schutz ihre Truppenstärke in der Stadt erhöht hat. Gewissermaßen zur Klarstellung, daß von israelischer Seite mehr als Gesten des guten Willens nicht zu haben sind, schon gar nicht eine Änderung der Besatzungspolitik, liquidierten verdeckt operierende Agenten der IDF kurz nach dem Zwischenfall von Hebron 6 Mitglieder der Arafat-treuen Fatah-Falken, die von einer Beerdigungsfeier nach Hause fuhren.

Nach seiner Tat wurde Dr. Goldstein vom Premierminister höchstoffiziell als „irregeleiteter Fanatiker“ aus dem Judentum exkommuniziert.[5] Zwei extremistische Organisationen, die sich zu der Aktion von Hebron bekannten, wurden verboten.[6] So nahm die Regierung die rechtgläubige zionistische Siedlerbewegung vor dem Verdacht der Geistesverwandtschaft mit dem Attentäter in Schutz und ersparte sich alle Maßnahmen gegen die siedelnden Vorposten des israelischen Volkes im besetzten Land, etwa deren Entwaffnung.

Der Sache des Dr. Goldstein gab sie damit Recht, dem Mann selbst tat sie postum Unrecht. Denn immerhin war und ist es noch allemal unbestrittene israelische Politik, arabisches Land als Heimstatt für die lange genug drangsalierten Juden in Besitz zu nehmen, wobei friedliches Siedeln und gewaltsames Sichern untrennbar zusammengehören, auch wenn die Reihenfolge wechselt: Die Pioniere der zionistischen Bewegung haben den Siedlungsraum geschaffen, den ihre Streitkräfte im Krieg um die Staatsgründung dann offensiv abgerundet und für neue Besiedlung freigemacht haben[7]; der Sieg über die arabischen Feinde 20 Jahre später hat Gelände gesichert, das nach zionistischer Auffassung zum „Erez Israel“ gehört und deswegen nach und nach mit jüdischen Siedlungen ausgestattet worden ist, die quasi naturwüchsig den Schutz durch ein dauerhaftes Besatzungsregime nach sich gezogen haben. Landnahme ist erklärter Staatszweck Israels. Alle Parlamentsparteien – mit Ausnahme der arabischen – haben sich mittlerweile zu der klassischen zionistischen Definition des Erez Israel bekannt, derzufolge die Juden auf der ganzen Welt als ihr Recht die Inbesitznahme allen Territoriums zu fordern haben, das ihnen in der Bibel zugelobt worden ist. Demzufolge ist das Westjordanland nicht ein Stück okkupiertes jordanisches Staatsgebiet, sondern Judäa und Samaria.[8] Die Staatsdoktrin rechtfertigt das als zwingende Schlußfolgerung aus dem Unrecht, das dem jüdischen Volk in der Geschichte angetan worden ist.[9]

Aus diesem Staatsprogramm folgt notwendigerweise ein polemisches Verhältnis zu dem Volk, das das Pech hat, schon vor den jüdischen Siedlern am Ort gewesen zu sein. Es war und ist dort fehl am Platze, gehört verdrängt.[10] Dafür konnten die einzig rechtmäßigen Herren des Landes sich zwar immer auf ihre Verteidigungsstreitkräfte verlassen, mußten aber schon auch selbst mit Hand anlegen, wie es sich für Pioniere eines noch unfertigen Staates eben gehört. Die Besiedlung Palästinas löste „die Judenfrage“ im zionistischen Sinne, indem sie das „Palästinenserproblem“ in die Welt setzte. Für den Zionismus besteht dies seit 1967 im Wesentlichen darin, daß der Staat Israel zwar inzwischen so ziemlich das ganze von ihm anvisierte „Land Israel“ den Arabern abgenommen hat, daß aber in „Judäa“ und „Samaria“ immer noch vorwiegend Palästinenser hausen und sich sogar gegen die Besatzungsmacht zur Wehr setzen.[11] Für die Siedler erfüllt also ihr Festkrallen auf dem erbeuteten Land die gleiche Mission wie die Leistung der Pioniere, die dem Zionismus das Volk für seine Staatsgründung von 1947 stellten.

Daß diese Praxis auf das volkstümliche Urteil über die deplazierten Ureinwohner abfärbt, die mangels jüdischer Identität nun einmal kein brauchbares Staatsvolk abgeben, das versteht sich unter treuen Staatsbürgern, die nach besten Kräften privat die Sorgen ihrer Nation teilen, von selbst. Insofern spricht es tatsächlich für ein hohes Maß an Besonnenheit, wenn eine angesehene israelische Tageszeitung per Schlagzeile melden kann: „78,8% der Israelis verurteilen das Massaker[12], obwohl sich natürlich auch die Frage aufdrängen könnte, was denn in einem Lande los ist, wo anscheinend 21,2% der erwachsenen Bevölkerung sich durchaus nicht zu verurteilende Gründe für einen Massenmord an Fremdvölkischen denken können.[13] Und eine satte Zweidrittelmehrheit „sprach sich dafür aus, den Siedlern ihre Waffen zu lassen“. Sie meint nämlich, daß Dr. Goldstein mit falschen Mitteln auf ein real existierendes Problem hingewiesen hat. Dieses Problem besteht darin, daß sich die Palästinenser gegen die Besatzungsmacht überhaupt zur Wehr setzen. Nicht bloß das Leserbriefecho in den Zeitungen, auch die Kommentare führender Oppositionspolitiker und im Lande als moralische Experten angesehener Rabbis sind ein einziges Klagelied über die Leiden der jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten und über die Brutalität der Palästinenser, die sie nicht in Frieden lassen. So sorgt die Logik der zionistischen Landnahme dafür, daß auch die Moral auf israelischer Seite ist.

Israels Krise: Die Folgen der Scheidung zwischen Zionismus und US-Imperialismus

Seit bald einem Jahr wird das Volk Israels von seiner frei gewählten Regierung mit einem „Friedensprozeß“ konfrontiert, der als wichtigsten Punkt ein förmliches Abkommen mit der PLO enthält. Das verspricht den Palästinensern in gewissen Teilen der besetzten Gebiete eine gewisse Autonomie – und wird sogar in die Tat umgesetzt.

Kein Wunder, daß da mancher brave Israeli durcheinanderkommt. Immerhin hat Premier Rabin selbst den PLO-Chef Arafat immer unter die „feigen Verbrecher“ eingereiht und versprochen, ihn „in jedem Winkel der Erde zu jagen und zu vernichten“[14] – jetzt hat er ihm schon mehrfach persönlich die Hand gereicht. Und schließlich zählt Israel die besetzte „Westbank“ unter den altehrwürdigen Namen „Judäa und Samaria“ zu seinem angestammten Kernbestand – jetzt wird dort der Keim für ein Gebilde gelegt, das nach aller bisherigen Staatsdoktrin ein Feindesland ist; weitere jüdische Besiedlung ist storniert, sogar die Schließung der einen oder anderen Siedlung wird erwogen. Die Opposition sieht in dieser Politik Verrat an den zionistischen Grundprinzipien des Staates;[15] die Siedlerbewegungen drohen mit zivilem bis bewaffnetem Ungehorsam – einer der Ihren hat diesen ersten Akt echter israelischer Nachgiebigkeit seit der Staatsgründung dann nicht ausgehalten und mit einem Massenmord ein Fanal gesetzt. Und nicht wenige Bürger sind der Meinung, daß dieses Verfahren zwar grundfalsch, das Anliegen aber berechtigt ist.

Tatsächlich bricht der Staat Israel mit seiner bisherigen Intransigenz; und das ist mehr als ein Wechsel der politischen Erfolgsmethode. Immerhin rückt die Regierung von dem Anspruch auf ein jüdisches Erez Israel ab, der in der Logik der zionistischen Staatsräson Israels liegt.

Sie reagiert damit auf die Zumutung ihres amerikanischen Verbündeten, an der Erledigung des bisherigen „Nahost-Problems“ mitzuwirken – und gesteht so ein, daß die israelische Macht eben doch nur zur Hälfte auf dem zionistischen Programm und dem jüdischen Staatsvolk beruht. Entscheidende Erfolgsbedingung war immer die Rückendeckung durch ein amerikanisches Interesse; eine Rückendeckung, die einem imperialistischen Kalkül entsprang und einem Auftrag gleichkam: Als Hauptfeind des großarabischen Nationalismus diente Israel den USA zur Spaltung und Schwächung der „arabischen Welt“. Diese Funktion des „Kettenhundes“ der Amerikaner – die im Programm des Zionismus wirklich nicht vorgesehen war! – deckte das offensive und militante Aufbauprogramm des zionistischen Staates voll ab; so vollständig, daß immer beide Seiten einander für ihre Sache funktionalisieren konnten. Damit ist es vorbei, seit das amerikanische Interesse an der Weltgegend sich gewandelt hat: Hinter dem großarabischen Nationalismus droht nicht mehr der „Weltkommunismus“, gegen dessen – vermeintlichen – Vorposten die USA ihren Stellvertreter Krieg führen ließen; die neue Bedrohung durch die irakische Macht nutzten die USA zur Herstellung einer neuen Allianz, die Israel auf den Status eines „normalen“ Verbündeten, beinahe auf eine Ebene mit Amerikas Golfkriegspartner Syrien zurückstuft. Zionismus und US-Imperialismus treten erstmals seit Jahrzehnten auseinander; und das stürzt den Staat Israel in eine Krise: Vom autonomen Agenten Amerikas im Nahen Osten wird er für seinen mächtigen Beschützer tendenziell zu einem Teil des Ordnungsproblems, das die USA in dieser Weltgegend haben.[16] Damit sind Israels Freiheit Schranken gesetzt; und es muß zusehen, daß es Herr der Lage bleibt und sich nicht irgendwann als bloßes Objekt amerikanischer Regelungen wiederfindet.

Die Verhandlungsoffensive in Richtung PLO ist Israels Versuch, unter den neuen Bedingungen entscheidende Ordnungsmacht in der Region zu bleiben;[17] die Relativierung der alten Erzfeindschaft ist der Preis dafür. Denn ins neue amerikanische Kalkül paßt Israel letztlich nur hinein, wenn es sich als fertiger Nahost-Staat mit viel nützlicher Macht aufführt und nicht mehr als zionistisches Projekt mit offensiver Abschreckungswirkung auf seine arabischen Nachbarn.

Israels zionistische Staatsräson steht insoweit also durchaus auf dem Spiel. Deutlich wird das im Zuge des laufenden Friedensprozesses logischerweise vor allem daran, daß die Regierung, die diesen Schritt wagt, gleichzeitig alles tut, um nichts davon aufzugeben. Sie kämpft darum, den Deal mit der PLO so auszugestalten, daß eben doch nicht mehr daraus wird als eine neue Methode fürs alte Ziel. Und das ist ihr immerhin, bei allem Geschrei der Opposition, in bemerkenswerter Weise gelungen.

Das Arrangement mit der PLO: Autonomie für einen Hilfssheriff

In Jericho und Gaza darf jetzt die Fahne Palästinas aufgezogen werden. Aber was dort real existiert, ist kein Staat, sondern ein Konstrukt, das illustriert, welche Absurditäten man mit Diplomatie, Völkerrechtstiteln und unter Berufung auf die Geschichte in die Welt setzen kann, wenn genügend Gewalt dahintersteht, die dem applaudierenden Publikum glaubhaft versichert, das eben sei sie, die vorläufige „friedliche Lösung“ des Palästinenser-Problems und damit die Entschärfung des Nah-Ost-Konflikts.

In der grundlegenden Vereinbarung zwischen der israelischen Regierung und der PLO, der „Erklärung über die Prinzipien“ (DOP), wird den Palästinensern innerhalb der engen Demarkationslinien von Gaza und Jericho eine gewisse Autonomie zuerkannt, die PLO als Verhandlungspartner bezüglich aller besetzten Gebiete anerkannt. Damit ist zunächst einmal die souveräne Zuständigkeit Israels für diese Gebiete klargestellt und von der Weltstaatengemeinschaft inklusive der arabischen Anrainer sowie von der Organisation der Betroffenen gebilligt. Denn über die Westbank wird nicht mit Jordanien und wegen Gaza schon lange nicht mehr mit Ägypten verhandelt. Die PLO wiederum wird von Israel nach wie vor nicht in ihrem selbstproklamierten Status als Exilregierung eines Staates Palästina anerkannt, mit der es Grenzfragen zu regeln gelte, sondern ausdrücklich nur als eine „Interessenvertretung der Mehrheit der palästinensisch-arabischen Bewohner auf der Westbank und in Gaza“. Die Verwaltung des größten Teils der 1967 im Krieg eroberten Gebiete wird damit von der PLO und den arabischen Staaten, die sich hinter die DOP von Oslo gestellt haben, als innerisraelische Angelegenheit behandelt. Das hat u.a. die Folge, daß arabischer Widerstand in den besetzten Gebieten bloß noch illegitime Gewalt gegen die zuständige Ordnung ist, und zwar auch für die arabische Seite; Gruppierungen wie Hamas sind Terrororganisationen, deren Aktionen sich nicht gegen eine Besatzungsmacht richten, sondern gegen Frieden & Versöhnung im Nahen Osten, letztlich gegen ein Stück (neue) Weltordnung. Die PLO mißt sich selbst nicht mehr daran, wie sie mit der israelischen Besetzung, sondern ob sie mit dem Feind im eigenen Volk fertig wird.

Im Zuge der „Umsetzung“ ihrer Übereinkunft mit der PLO hat die israelische Seite des weiteren sorgfältig darauf geachtet, daß nirgends auch nur aus Versehen ein Stück palästinensischer Staatlichkeit zugestanden wurde. So besteht Israel auf der letzten Hoheit über die Grenzkontrollen[18] und dem Vorrang seiner Staatssymbole an den Grenzen des PLO-Reichs zu Jordanien und Ägypten, weil dort Israel an sein Ausland grenzt. Bis hin zu den Briefmarken wurde zwischen Perez und Arafat endlos um Protokollfragen gefeilscht, weil es sich dabei eben um Anerkennungsfragen handelt. Nicht einmal mit dem Titel „Präsident“ darf Arafat zu Jericho Hof halten; das hat Rabin in der Nacht vor der Unterzeichnung des Abkommens seinem jetzt als „Erster Vorsitzender des palästinensischen Verwaltungsrates für Gaza und Jericho“ firmierenden Statthalter als letzten „Kompromiß“ abverlangt. Staatscharakter besitzt PLO-Palästina rein „subjektiv“, nämlich allein in der Vertragsinterpretation der palästinensischen Seite. Dieser Interpretation kann die PLO weder außerhalb noch innerhalb ihrer Verwaltungsgrenzen gegen die israelische Souveränität Geltung verschaffen.

Heißeste und entscheidende Streitfrage des ganzen Abkommens ist die der jüdischen Siedlungen auf dem für palästinensische Selbstverwaltung vorgesehenen Gelände. Deren Fortbestand war eine Kernforderung der israelischen Seite; erst die Zustimmung der PLO hat in Oslo zum Durchbruch geführt. Den Siedlern und deren zionistischem Programm ist damit gleichwohl nicht Genüge getan; denn Landnahme im bisher praktizierten Sinn ist es nicht mehr, wenn die Besiedlung von Erez Israel nur noch Siedeln im wörtlichen Sinn bedeuten darf, also quasi funktionalistisch von der Erweiterung des jüdischen Staates abgetrennt wird. Preisgegeben wurde das zionistische Programm allerdings auch nicht. Immerhin bleibt es bei dem Recht Israels, mit eigenen Staatsbürgern und uneingeschränkter Alleinzuständigkeit für diese auf dem Gebiet der PLO-Autonomie präsent zu bleiben. Die ohnehin nur sehr teilweise Autonomie für die „Arafatianer“ (so drückte man in Israels Presse die Nichtanerkennung der PLO vor Oslo aus) wird damit unter einen sehr prinzipiellen Vorbehalt der Regierung in Jerusalem gestellt: Jede Garantie für die Sicherheit von Juden bleibt in letzter Instanz die Pflicht der IDF, deren Anwesenheit im PLO-Verwaltungsgebiet damit die Voraussetzung aller Hoheitsrechte für eine palästinensische Administration. Diese prinzipielle Festschreibung des Besatzungszustandes innerhalb der Autonomie in der DOP, die von Rabin und Arafat Hand in Hand mit Bill Clinton vor dem Weißen Haus in Washington besiegelt worden ist, hat im Kairoer Abkommen vom 10. Februar, das der PLO-Vorsitzende mit Außenminister Peres ausgehandelt hat, Ausführungsbestimmungen bekommen, mit denen Israels Angebot an palästinensische Funktionäre, ein bißchen Staat spielen zu dürfen, endgültig als Einführung von Mitbestimmung in einem Internierungslager kenntlich wird. So wird die Selbstverwaltung nicht einmal den kompletten Gaza-Streifen umfassen, von dem es hieß, Israel wäre ihn gerne losgeworden wegen seiner „Unbeherrschbarkeit.“ Von wegen: Das Gebiet erhält jetzt drei Formen von Herrschaft, mit denen sich die Zahl der Ordnungskräfte zur Niederhaltung gewalttätig werdenden Araberelends mindestens verdreifachen dürfte. Die jüdischen Siedlungen bleiben, ebenfalls Einrichtungen der IDF, und werden allein von Israel kontrolliert. In einer zweiten Zone „teilen“ sich Israel und die PLO „die Aufgaben“: „Während die Israeli die Verantwortung für die Sicherheit übernehmen, werden die Palästinenser für zivile Aufgaben verantwortlich sein.“[19] Und selbst in der dritten Zone, die exklusiv von der PLO verwaltet werden darf, ist die arabische Souveränität jederzeit begrenzbar: Die IDF dürfen „selbständige Aktionen“ durchführen, wenn sie die Verbindungswege zu und zwischen den jüdischen Siedlungen gefährdet sehen. Dabei sind sie verpflichtet, „so bald als möglich“ die palästinensische Polizei einzuschalten.

Praktisch wird damit der PLO-Administration der Schutz jüdischer Präsenz auf dem Gebiet ihrer Autonomie ins eigene (Selbsterhaltungs-)Interesse gelegt. Jeder Steinwurf auf israelische zivile Okkupanten kann die IDF auf den Plan rufen und damit die arabische Autonomie aufheben. Die PLO wird also die Intifada, die gerade als Widerstand der palästinensischen Massen gegen die schleichende Annexion arabischen Landes mittels jüdischer Besiedlung der besetzten Gebiete begann, niedermachen müssen, wenn sie die Vertragspartnerschaft mit Israel „mit Leben erfüllen“ will. Daß das nicht so einfach geht, ist der Mannschaft um Arafat klar: Gerade weil der Widerstand in den besetzten Gebieten im Unterschied zur israelischen Propaganda nicht bloß Resultat der Drahtzieher in der PLO-Zentrale in Tunis gewesen ist, sondern die ebenso verzweifelte wie ohnmächtige Gegenwehr der okkupierten, enteigneten und pauperisierten Nicht-Juden auf der Westbank und in Gaza, setzt Arafat zur Beendigung der Intifada nicht bloß auf die Begeisterung seines Volkes, wenn er höchstpersönlich in Jericho residieren und mit eigenem Hubschrauber bei seinen Untertanen in Gaza einfliegen darf, sondern vor allem auf 9000 Mann palästinensischer Polizei, die die PLO in der Autonomie stationieren darf.

Die Fedayin von Arafats eigener Fatah-Bewegung, aus ihren Reihen wird die Truppe wohlweislich rekrutiert[20], erhalten damit eine völlig neue Aufgabe, für die sie ihre „Bereitschaft zu Sterben“ unter Beweis stellen dürfen: Nachdem sie ein Vierteljahrhundert lang in Kamikaze-Kommandos das damals gültige PLO-Ziel symbolisch verfochten haben, Israel zugunsten eines Staates Palästina, in dem „Juden, Christen und Araber demokratisch zusammenleben“, abzuschaffen; nachdem sie im letzten arabisch-israelischen Krieg als Vorhut der syrischen Armee bei der versuchten Rückeroberung der Golanhöhen zahlreich den Heldentod sterben mußten; nachdem sie im Libanon einmal die eine, dann die andere Bürgerkriegspartei mit ihrer Feuerkraft verstärken durften – erhalten sie jetzt ihre vornehmste Aufgabe: Schutz israelischer Siedler durch das Niederhalten abweichender Positionen innerhalb des palästinensischen Volkes in den autonomen Gebieten.

Die andere Seite der Autonomie: ein Ausgrenzungsverfahren

Nach der einen Seite hin wahrt die Autonomie, an der Israels Regierung gemeinsam mit der PLO bastelt, alle jüdischen Interessen in und an den fortan selbstverwalteten Gebieten – auch israelisches Kapital soll sich dort frei ansiedeln dürfen; Wirtschaftshilfe ist zugesagt bzw. bei den Verbündeten angefordert für den „Wiederaufbau“; Perspektiven einer Öffnung des bislang für Produkte made in Israel gesperrten arabischen Marktes über eine Produktionsverlagerung in die Palästinenserautonomie werden bereits eruiert. Nach der anderen Seite hin geht mit dem „Autonomie-Prozeß“ eine verschärfte Ausgrenzung der Palästinenser aus dem israelischen Kernland einher.

Jahrelang haben dort Bewohner der besetzten Gebiete die Billigarbeitskräfte gestellt – eigentlich im Widerspruch zum zionistischen Ideal eines volksreinen Staats, begründet auf jüdische Arbeit.[21] Nach Anschlägen oder auch sonst zur Bekämpfung der Intifada ist die „grüne Linie“, die Grenze zwischen Stammland und besetzten Gebieten, häufiger geschlossen worden; dabei hat sich dann herausgestellt, daß nicht bloß die Palästinenser jüdische Arbeitgeber brauchen, um zu überleben, sondern daß auch die israelische Wirtschaft auf so preiswertes Arbeitsvolk schlecht verzichten kann. Seit dem Golfkrieg ist diese Abhängigkeit von palästinensischen Kräften zielstrebig abgebaut worden; teils durch Schikanen gegen jüdische Arbeitslose, die jetzt verstärkt jede Arbeit annehmen müssen, teils durch die Integration von aus den ehemaligen Ostblockstaaten zugewanderten Juden; neuerdings vermehrt mittels Import von Fremdarbeitern aus Bangladesh, Indien und Pakistan, wo Drittwelt-Paupers vor den Rekrutierungsbüros Israels Schlange stehen. Die Vorteile dieses Menschenmaterials liegen für israelische Kommentatoren auf der Hand; das Vorbild geben erfolgreiche Staaten wie die BRD und die USA ab: „Ausländische Arbeiter würden produktiv und zuverlässig Jobs übernehmen, die kein Israeli will, insbesondere auf dem Bau und in der Landwirtschaft. Und sie würden weder ihrem Arbeitgeber ein Messer in den Rücken stechen, noch behaupten, daß das Land, in dem sie arbeiten, ihnen gehört… Wenn 70000 Fremdarbeiter das Land aus seiner Abhängigkeit von palästinensischer Arbeit befreien könnten, dann sollten sie, so schnell eine Luftbrücke sie befördern kann, hierhergebracht werden.“[22] Und das scheint zu klappen: Im April hat die Regierung 18000 Arbeitsgenehmigungen für „Asiaten“ erteilt und die „grüne Linie“ nur noch für 20000 palästinensische Arbeitskräfte geöffnet.

In dieses Bild paßt auch die Maßnahme – die sehr „gelassene“ Reaktion, wie ausländische Beobachter befanden, die von der israelischen Administration offenbar anderes gewohnt sind –, mit der die Regierung die Revanche-Anschläge von Hamas-Anhängern nach dem Massaker von Hebron beantwortet hat: Die „grüne Linie“ wurde ganz geschlossen; mit Hinweis auf die Gefahr, Hamas-Kämpfer könnten einsickern, wurde – einmal mehr – zehntausenden palästinensischen Arbeitskräften die Existenzgrundlage genommen.[23]

Ersichtlich ist daraus, wie Israels Regierung sich die Sortierung der Bevölkerung im Zuge der Verwirklichung des Autonomie-Abkommens vorstellt – sie betreibt parallel zur Öffnung der Palästinensergebiete für jüdische Siedler und Unternehmer die Schließung des Stammlandes für palästinensische Wanderarbeiter. Araber sollen das Besatzungsgebiet möglichst gar nicht mehr verlassen – außer in Richtung Jordanien. Premierminister Rabin: „Ich will nicht, daß aus Israel ein binationaler Staat wird. Ich glaube an das Recht des jüdischen Volkes, im ganzen Lande Israel“ (damit meint er: innerhalb der Waffenstillstandslinien von 1967) „zu leben. Wenn ich aber die Wahl hätte, aus dem Volk von Israel einen binationalen Staat von, sagen wir mal 4,4 Mio., vielleicht auch 5,5 oder 6 Mio. Juden und 3 Mio. Palästinensern zu machen, dann ist das, meiner bescheidenen Meinung nach, nicht die Vision, die die Juden in den vergangenen 2000 Jahren von der Heimkehr nach Zion gehabt haben.“[24]

Die innerisraelische Opposition, der Likud, teilt diese Sichtweise und das Ziel der Regierung, bestreitet aber den Realismus des Konzepts und verweist auf die dem Zionismus allzu ähnliche „Vision“ des palästinensischen Nationalismus von der Rückkehr der vertriebenen Araber in das ganze „Palästina“. Deshalb sei jede Konzession an eine nationale Interessenvertretung der Palästinenser, gar die Übertragung von Hoheitsrechten und die Zulassung bewaffneter Organe, de facto die Gründung eines „PLO-Staates“ und dieser unweigerlich die Basis eines arabisch-völkischen Roll-back gegen Israel: „Als Herrscher eines solchen Staates würde die PLO Millionen von Arabern hereinlassen, die ein ‚Recht auf Heimkehr‘ für sich reklamieren würden – und das nicht bloß nach Judäa und Samaria, sondern auch nach Acre und Haifa.“[25] Deshalb verficht die parlamentarische Opposition eine alternative Autonomie gemäß dem Camp-David-Abkommen zwischen Begin und Sadat: Unter Ausschaltung der PLO und aller politischen Palästinenserorganisationen, die einen eigenen Staat fordern (damit aller real existierenden arabischen Organisationen in den besetzten Gebieten), sollen die Eingeborenen auf der Westbank und in Gaza Kommunalpolitik treiben dürfen – außerhalb der jüdischen Siedlungen, unter Aufsicht der IDF und israelischer Polizei. Als Konzession an die andere Nationalität des mit Autonomie beglückten Bevölkerungsteils bietet der Likud den Palästinensern die juristische Ausbürgerung mit Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung in dem von ihnen bewohnten Stück Erez Israel an.[26]

Für das Volk in den Lagern außerhalb der Grenzen von Groß-Israel enthält die „Versöhnung“ zwischen Juden und Palästinensern gar nichts. Israel hält hier an seiner Geschichtstheorie fest, daß die Palästinenser „Teil der arabischen Nation“ sind und die Nachbarstaaten sie gefälligst integrieren sollen. Eine Rückkehr der Vertriebenen kommt daher nicht in Frage. Zur „Familienzusammenführung“ dürfen lediglich Emigranten aus den besetzten Gebieten in diese nach und nach zurück. Da mit den Friedensregelungen im Nahen Osten das Interesse von Staaten wie Jordanien, Syrien und Libanon am Herzeigen der Flüchtlingslager als völkerrechtlich-humanitärer Anklage gegen den Verursacherstaat verschwindet, die PLO ihre seit dem Golfkrieg nur noch spärlichen Mittel auf den Ausbau ihrer Repräsentanz in der Autonomie konzentrieren wird, ist das Volk in den Lagern wieder einmal besonders beschissen dran: Bloße Manövriermasse immer schon, aber jetzt ohne mächtiges politisches Interesse, das sich dieses Instrument etwas kosten lassen will. Verständlich, daß in den Lagern der Rückhalt der PLO gegen Null geht. Sie hat ja auch entschieden, sich ihr „Staatsvolk“ von Israel zuweisen zu lassen. Und das beschränkt sich bis auf weiteres auf Gaza und Jericho.

Von der Neuordnung und den darum geführten Grundsatzdebatten betroffen sind übrigens auch die 1948 in Israel verbliebenen Araber. Ihre Demonstrationen gegen das Massaker von Hebron wurden als Indiz interpretiert, daß diese Leute, statt mit ihrem Status als israelische Staatsbürger 2. Klasse sturzzufrieden und ruhig zu sein, sich als Palästinenser mit ihren Landsleuten in den besetzten Gebieten solidarisieren. Ihr Status wird „überdacht“. In einem gewissen Widerspruch zur offiziellen Ideologie von der vorbildlichen Integration arabischer Menschen steht auch der Konsens aller Parteien in der Knesset, wonach für die Ratifizierung von Abkommen mit Arabern auf alle Fälle eine Parlamentsmehrheit ohne die palästinensischen Mandatare zusammenkommen muß. Und sehr beruhigend für die Betroffenen dürfte es auch nicht sein, daß Politiker aus Regierungs- und Oppositionsparteien sich gegen eine Evakuierung jüdischer Siedler aus den besetzten Gebieten das Argument haben einfallen lassen, wenn von Arabern eine Koexistenz mit Juden auf ihrem Land nicht akzeptiert würde, dann müsse man auch alle nichtjüdischen Staatsbürger Israels über die „Grüne Linie“ auf die Westbank, nach Gaza oder irgendwo andershin in die weite arabische Welt deportieren können.

Israels Partner

Die israelische Regierung ist sich sehr sicher, daß die PLO keine Verhandlungen definitiv scheitern lassen wird, solange Israel überhaupt mit ihr verhandelt. Ihre Anerkennung als völkerrechtlich satisfaktionsfähiges Subjekt ist nämlich der größte Erfolg in der Geschichte dieses Heimatvertriebenenverbandes – und das auch noch nach einem der größten Mißerfolge in der an Niederlagen wahrhaftig nicht armen Geschichte der PLO. Bekanntlich hat Arafat nämlich nach dem irakischen Einmarsch in Kuwait darauf gesetzt, daß nach Jahrzehnten ohne jeden Bodengewinn für die palästinensische Sache der neue Hoffnungsträger des arabischen Nationalismus Saddam Hussein Bewegung in die festzementierte Lage bringen könnte – und nicht damit gerechnet, daß die USA ihrerseits ebendiese „Lage“ durch einen eigenen militärischen Sieg neu definieren, nämlich ein Exempel für ihre „neue Weltordnung“ statuieren wollten. So wurde seine Organisation zum Teilhaber der irakischen Niederlage, verlor ihre Haupteinnahmequelle, nämlich sowohl die Zuwendungen der arabischen Ölstaaten als auch die Zahlungen der Palästinenser, die dort nun nicht mehr beschäftigt wurden, und war mit einer Allianz aller wichtigen arabischen Staaten mit den USA konfrontiert, einer Allianz, die sogar über das siegreiche Ende des Golfkriegs hinaus Bestand hatte.

Die daraus resultierende Isolierung der PLO wurde ausgerechnet durch Israel selbst durchbrochen: Die Regierung in Jerusalem hat exklusiv die PLO als Ansprechpartner und legitimen Vertreter der Araber in „Judäa“, „Samaria“ und Gaza ausgezeichnet und dadurch diesen Dachverband palästinensischer Organisationen als eine Art Völkerrechtssubjekt anerkannt. Freilich war dieser diplomatische Sieg nur um den Preis der Aufgabe des Vereinszwecks zu haben: des Vorhabens, einen palästinensischen Staat zu gründen und die Macht Israels, wenn sie schon nicht zu beseitigen war, entsprechend zu beschränken. Arafat hat genommen, was zu kriegen war – offenbar in der Einsicht, daß die arabischen Freunde und Förderer nicht bloß nach wie vor nicht fähig, sondern auch endgültig nicht mehr willens sind, die politische Landkarte des Nahen Ostens so zu verändern, daß ein Palästinenserstaat eine Chance hätte.

Nun macht er also „Staat“ von israelischen Gnaden und im Dienst israelischer Ordnungsinteressen. Das befreite Volk versieht darin im Prinzip den gleichen Dienst wie all die Jahrzehnte zuvor: Es ist Manövriermasse für den Staatswillen seiner Führung und als solche den Konjunkturen dieses Projekts und den Berechnungen seiner Betreiber unterworfen. Da mag es zwar manchen wundern, daß jetzt nicht nur die schönen Versprechungen von gestern abgetan, sondern auch die Opfer der zionistischen Politik vergeben und vergessen sind – immerhin hat Israel immer die Basis der PLO für jede Verletzung seiner sehr sensibel definierten Hoheitsrechte haftbar gemacht und jede Aktion palästinensischer Selbstmordkommandos nicht bloß mit deren Liquidierung, sondern auch noch mit Vergeltungsschlägen gegen Flüchtlingslager in Jordanien und Libanon beantwortet. Doch auch wenn Arafats Reich gar kein Staat in dem Sinn ist, so hat es doch so etwas wie eine Staatsräson; und die gebietet Unterwerfung unter jede Bedingung, die Israel stellt, weil nämlich Arafats Quasi-Herrschaft allein auf Israels Willen beruht, sich in der PLO einen Partner aufzubauen. Dagegen fällt auch den „linken“ Befreiungsbewegungen FPLP und FDPLP nicht viel ein, die als Opposition zu Arafat in der PLO die DOP ablehnen. Deren „Widerstand“ steht und fällt mit der Stellung ihrer Schutzmacht Syrien, die sie – noch – in Damaskus residieren läßt. Deshalb sind die israelischen Verhandlungen mit Assad, sollten sie erfolgreich abgeschlossen werden, zugleich das Ende des militanten Flügels der PLO. Vorsorglich haben denn auch die Habasch und Hawatmeh ihre Gegenstimmen zum Osloer Abkommen nicht mit einem Auszug aus der PLO verbunden.

Anders die Ablehnung der DOP durch den islamischen Fundamentalismus, organisiert in Gruppen wie Hamas und Dschihad. Hier handelt es sich um eine Opposition gegen die PLO und ihren Alleinvertretungsanspruch der palästinensischen Sache. Auch Hamas lehnt – Erklärungen ihrer Sprecher aus jüngster Zeit sprechen dafür – Verhandlungen mit Israel nicht grundsätzlich ab, setzt aber als Vorbedingung einen Verzicht des Judenstaats auf alle besetzten Gebiete, inklusive Ostjerusalems, voraus. So stört jetzt, kleine Ironie der Geschichte, ausgerechnet eine Bewegung die Umsetzung des Autonomieabkommens, die von Israel selbst nach dem Jom-Kippur-Krieg gefördert worden ist. Als Gegengewicht zum „bewaffneten Kampf“ der PLO, mittels dessen die unterlegenen arabischen Staaten ihren Gegensatz zu Israel weiterhin austragen wollten, hat Israel seinerzeit, nicht einmal sonderlich klandestin, die palästinensischen Ableger der sunnitischen Moslembrüderschaften unterstützt, die außerhalb der besetzten Gebiete Regimes in der Region destabilisierten, die sich mit Israel im Kriegszustand befanden, und die innerhalb des Besatzungsgebietes eine ernsthafte Opposition gegen den offiziellen Hauptfeind Israels aufmachten. Dieser Nutzen der Feinde der Feinde des Judenstaats hat sich im Laufe der Intifada dann allerdings ziemlich relativiert: Einer Bevölkerung ohne viel realistische Hoffnung auf eine Veränderung ihrer Lage hatten die Islamisten mit der schlecht zu enttäuschenden Hoffnung auf einen jenseitigen Auftraggeber noch die besten Angebote zu machen, zumal die auswärts residierende PLO-Führung mit ihrer Geheimdiplomatie dem Aufruhr vor Ort in dem Rücken fiel – so jedenfalls stellten es die Mullahs dar, die im Gegensatz zu den Kadern der PLO in ihren Moscheen über weitgehend unbehinderte Agitationsmöglichkeiten verfügten. Vor allem in Gaza setzten sich die Islamisten gegen die PLO als lokale Führer und Organisatoren des „Aufstands“ mit der Steinschleuder gegen die stärkste Armee des Nahen Ostens durch, wurden von der israelischen Regierung zunehmend mehr als Beeinträchtigung denn als Hilfsmittel ihrer Politik eingeschätzt[27] – und sind nun, in der neuen Lage, zum einen das entscheidende Ordnungsproblem, an dem die PLO ihre „Staats“-Räson zu exekutieren und sich in ihrer vertraglich zugesicherten Ordnungsfunktion zu bewähren hat.

Zum andern sind sie allerdings die wichtigsten Konkurrenten Arafats bei den Wahlen, die innerhalb von sechs Monaten in den Autonomiegebieten durchzuführen sind und die die PLO noch nicht gewonnen hat. Denn so gern das Fernsehen die Begeisterung der befreiten Palästinenser für ihren Führer vorzeigt, und so sehr die israelische Regierung ihm hilft, indem sie gezielt Fatah-Anhänger freisetzt und die freiwerdenden Knastkapazitäten mit mutmaßlichen Hamas-Fans auffüllt[28]: Daß Arafat als neuer Verbündeter des Feindes von gestern und Schöpfer einer autonomen Lagerverwaltung auftritt, macht ihn noch nicht automatisch zum demokratisch konkurrenzlosen Verwaltungschef.

Fest steht immerhin das Eine: Wenn die Wahlen stattfinden und Kräfte wie Hamas gewinnen, die Israels Diktate nicht anerkennen – dann haben die Palästinenser ihre Seite des Vertrags nicht richtig erfüllt.

*

Nach der Ausräumung der letzten Differenzen über die zuständigen Gerichtsbarkeiten im Gebiet der Teilautonomie, nach der Festlegung der Choreographie an den Grenzübergängen und mit der Vertagung einer präzisen Grenzziehung für das selbstverwaltete Palästinenserlager Jericho ist die „erste Phase“ des in der DOP vorgesehenen „Autonomieprozesses“ in Kraft getreten. Laut eben dieser famosen Vereinbarung liegt es nun an der PLO, ob sie das Abkommen überzeugend mit Leben erfüllen, d. h. die Präsenz der IDF vor Ort so weit ersetzen kann, daß über „Phase 2“ verhandelt werden kann: die Fortsetzung der Besatzung von „Judäa und Samaria“ mit weitergehendem Rückzug der Besatzungsmacht aus einem mit jüdischen Siedlungen durchsetzten PLO-Palästina… Mit einer echten Staatsgründung hat die Installierung von Arafatistan immerhin das Eine gemeinsam: Sie geht mit Gewalt und über jede Menge Leichen, nicht zuletzt aus den Reihen des dafür vorgesehenen Staatsvolks.

[1] Jerusalem Post International Edition (JPIE), 21. März

[2] Die Armeeanweisung besagt, daß wir unter keinen Umständen auf einen Siedler schießen dürfen, selbst wenn er das Feuer eröffnet… Ein Armeeoffizier erklärte, daß er einen Araber, auf den ein Jude schießt, nur dadurch schützen könne, daß er mit seinem Körper dazwischengeht. (JPIE, 19. März)

[3] Ganz in diesem Sinn urteilt auch die israelische Justiz; etwa im Fall des Rabbi Moshe Levinger: „Wegen Erschießung eines unbewaffneten palästinensischen Ladenbesitzers wurde er zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt. Nach seiner Freilassung wurde ihm die Tatwaffe zurückgegeben, und seine Gläubigen bereiteten ihm einen Empfang als Helden.“ (JPIE, 12. März)

[4] Die Freigelassenen mußten folgende Kriterien erfüllen: Sie hatten den größten Teil ihrer Strafe abgesessen, gehörten Fraktionen der PLO an, die den Friedensprozeß unterstützen, und hatten keine schwerwiegenden Straftaten begangen. (JPIE, 12. März)

[5] In seiner Rede vor der Knesset argumentierte Rabin entschieden völkisch – für bürgerliche Köpfe allemal das Nächstliegende, wenn sie unter völkisch gesinnten Bürgern besonders überzeugend wirken wollen: Dieser Killer wuchs in einem Sumpf heran, dessen Wurzeln weit weg von hier sind; sie haben mit dem Judentum nichts zu tun. Zu ihm und seinesgleichen sagen wir: Ihr seid kein Teil des israelischen Bundes… Das rationale Judentum spuckt euch aus… Ihr seid eine Schande für den Zionismus und das Judentum. (JPIE, 12. März)

[6] Ausdrücklich abgelehnt wurde die Forderung arabischer Knessetabgeordneter, die IDF von allen Kach-Anhängern zu säubern. So erfährt man wenigstens, daß in der Armee der „einzigen echten Demokratie des Nahen Ostens“ bekennende Terroristen für einen garantiert araberfreien Judenstaat gut aufgehoben sind.

[7] In seinem Buch über die Verhandlungen mit der PLO erinnert sich Israels Außenminister an „Mosche Dayans Plan: auf den größten Teil der Westbank zu verzichten.“ Diese Alternative sei „jetzt nicht mehr realistisch, Die Likud-Regierungen haben in allen Teilen der Westbank kreuz und quer Siedlungen angelegt. Der Likud sorgte dafür, daß etwa 120000 Menschen dorthin kamen. Es ist undenkbar, sie mit Gewalt umzusiedeln, es sei denn, jemand beabsichtigt, sich in einen Bürgerkrieg zu verwickeln.“ (Simon Peres, Die Versöhnung, Berlin 1993, S.35) Die grenznormative Kraft der faktischen Gewalt, auf die sich Peres da beruft, ist übrigens unter Mitwirkung der Arbeitspartei, die in großer Koalition mit dem Likud für zwei Jahre einen Premierminister namens Peres stellte, gesetzt worden.

[8] Wie weit das Land der Juden über den Golan hinaus nach Syrien bzw. westlich von Gaza in den Sinai hineinreicht, ist in Israel immer noch auslegungsbedürftig. Zwischen Damaskus und dem Nil wäre allerdings jenseits aller Exegese kein Quadratmeter vor zionistischem Siedlerwahn sicher, wenn die IDF die Grenzlinien entsprechend verschoben hätten.

[9] Entsprechend unbekümmert wahrt diese staatliche Heimstatt aller Juden Distanz zu der humanistischen Heuchelei, mit der moderne Demokratien nicht bloß ihrer angestammten Staatsbürgerrasse, sondern gleich der Menschenwürde ihren allerhöchsten Schutz versprechen – um dann im praktischen Umgang mit unerwünschten Ausländern zu zeigen,. wie das gemeint ist: Die israelische Staatsgewalt erteilt sich explizit den Auftrag, jüdisches Leben zu schützen.

[10] Es beeindruckt immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit Israel ein Recht auf Verdrängung der vorgefundenen arabischen Ethnie nicht bloß praktisch in Anspruch nimmt, sondern auch zum höchsten Maßstab der politischen Moral erhebt – und daß es dafür den weitgehend ungeteilten Beifall der zivilisierten Welt erntet, die bekanntlich Gewalt als Mittel der Politik strikt ablehnt. Politiker, die stolz darauf sind, als Speerspitze zionistischer Terrororganisationen Bomben auf Araber und britische Besatzer geworfen zu haben, um diese zum Abzug und jene zur Flucht zu ermuntern, lassen ihre Soldaten auf steinewerfende Kinder scharf schießen, nehmen die Familien mutmaßlicher Intifada-Aktivisten in Sippenhaft und walzen ihre Häuser nieder. Und während hochangesehene Mitglieder der westlichen Staatengemeinschaft den „heldenhaften Widerstand“ der afghanischen Glaubenskrieger – die sich inzwischen untereinander abschlachten – gegen die sowjetischen „Besatzungstruppen“ nicht bloß feierten, sondern auch noch bewaffneten und finanzierten, während die UNO-Mehrheit Pol Pot und seine Mannschaft gegen die vietnamesische Armee als rechtmäßige Regierung Kampucheas anerkannte, während die Bundesregierung sich unterm Titel „Schutz für deutsche Minderheiten unter fremden Souveränen“ mutig in die inneren Angelegenheiten von inzwischen befreundeten Staaten einmischte, sollen die Leute in Territorien, die der Staat Israel seit 27 Jahren besetzt hält, dem Widerstand gegen die Okkupanten abschwören. Ihr Widerstand richtet sich nämlich immer gleich gegen das „Überlebensrecht des jüdischen Volkes“, wenn sie gegen die bewaffnete Macht des Staates Israel aufbegehren, und selbst die mattesten Formen von Gewalt werden ständig von den Experten für internationale Ethik mit dem „jüdischen Schicksal“ konfrontiert und als potentieller Völkermord abgemahnt. Rein ethische Gesichtspunkte sind jedenfalls nicht der Grund, aus dem Israel diesen enormen moralischen Bonus genießt. Allenfalls insofern, als es sich mit der internationalen Moral gar nicht anders verhält als mit dem internationalen Recht: Beide sind Mittel der Mächte, die in der Staatenwelt das Sagen haben, und nicht derjenigen, die dabei unter die Räder kommen. Und für diese Mächte war Israels zionistische Staatsräson jahrzehntelang ausgesprochen funktional – sie brauchten sie gar nicht zu teilen und schon gar nicht ihre Moral ernstzunehmen, um ihr Recht zu geben; denn sie deckte sich mit ihrem imperialistischen Interesse (dazu später). Deshalb ist Israels Besatzungsregime immer nur sehr solidarisch unter dem Gesichtspunkt kritisiert worden, daß es so schwierig durchzuhalten ist und unter den besten Soldaten des Orients die Sitten gefährdet. Deshalb hat erst recht der internationale Sittlichkeitsverbrecher Saddam Hussein nach seinem Eroberungsversuch keinen Stich bei der UNO gemacht, als er die Weltorganisation auf ihre eigenen Resolutionen in Sachen Palästina hinwies und den Abzug seiner Truppen aus Kuwait anbot für den Fall der Anwendung gleichen Rechts gegen Israel.

[11] Die Intifada, der Palästinenseraufruhr in den besetzten Gebieten, ist von Beginn an dementsprechend behandelt worden: Die Armee hat von Anfang an gegen Demonstranten die Offensive ergriffen, um zu zeigen, daß sie Herr der Lage ist. … Viele Leben hätten gerettet werden können, wenn die Soldaten einfache Schilde in ihrer Ausrüstung gehabt hätten. Ich fragte Rabin letzten Sommer, warum die Armee bei Zusammenstößen mit Palästinensern nicht mit Schilden ausgerüstet ist. Er antwortete, daß die Lage in den Gebieten nicht mit Studentendemonstrationen in Paris zu vergleichen ist; es handle sich vielmehr um einen nationalen Konflikt. (JPIE, 12. März)

[12] JPIE, 12. März

[13] Hunderte von Juden, die den Siedler, der mindestens 29 Palästinenser in einer Moschee umbrachte, als Heiligen verehren, besuchten gestern sein Grab in der Nähe von Hebron. Einige trugen Waffen beim Beten, und eine Gruppe tanzte um das Grab. Andere demonstrierten in der Umgebung gegen das Abkommen Israels mit der PLO. (New York Times, 1. April)

[14] So Rabin in einer fünf Jahre alten Fernsehansprache, die vom ARD-„Brennpunkt“ am 5. Mai, dem Tag der Unterschriftszeremonie in Kairo, wieder ausgestrahlt wurde.

[15] Die im befreundeten Ausland gerne als „extremistische Minderheit“ auf Siedlerkreise reduzierte Opposition gegen jede Konzession an Araber im Herrschaftsbereich der IDF ist sich ihrer Verankerung im jüdischen Volk innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen bewußt und hat einen ebenso prominenten wie einflußreichen Fürsprecher in Ex-Verteidigungsminister Ariel Scharon, der als Feldherr des Libanon-Kriegs den christlichen Milizen eine Nacht lang freie Hand ließ, um in den palästinensischen Flüchtlingslagern Schabra und Schatila die „Bedrohung Israels“ um 5000 Köpfe zu vermindern. Scharon erinnert gegen alle Überlegungen, die Siedler aus Hebron zu evakuieren, an die zionistische Mission des Staates: „Der Zionismus ist zuallererst entstanden, um uns nach Jerusalem, Hebron, Schilo und Beit El zurückzubringen… Nur wenn wir dort sind, können wir ein freies Judenvolk sein. Das ganze Unternehmen der jüdischen Wiedergeburt ist nichts anderes als die Ansiedlung einer jüdischen Minderheit im Herzen feindlicher arabischer Gebiete. … Sollte die Regierung die Juden in Hebron entwurzeln, so würde sie damit die raison d’être (wörtlich so im englischen Original der JPIE) aufheben: jeden Juden zu beschützen, der irgendwo im Lande Israel siedelt.“ Zwar distanziert sich der alte Soldat vom Aufruf des nationalreligiösen Rabbinats an die Kämpfer der IDF, jeden Befehl zu verweigern, der die Evakuierung von Juden aus den besetzten Gebieten zum Inhalt hat, weil er die zersetzende Wirkung auf die Wehrkraft fürchtet. Er ruft aber seinerseits zum „zivilen Ungehorsam“ gegen die Regierung Rabin auf und verspricht hoch und heilig, daß die Opposition (Scharon ist Knesset-Abgeordneter für den Likud) jeden „Verrat am Volke Israels“ rückgängig machen wird, wenn sie wieder an die Macht kommt. Dafür beschwört er gut zionistisch die „Lehre der Geschichte“ und kümmert sich wenig um die These von der „Unvergleichlichkeit des Holocaust“: Von diesem Tag an muß sich jeder Jude als einer fühlen, der selbst aus Hebron exiliert werden soll… Was Juden in Deutschland und Polen vor ihrer Vernichtung nicht tun konnten, das müssen sie in ihrem eigenen Lande machen. Sie müssen aufstehen und Widerstand leisten. Als Sicherheitspolitiker bemüht Scharon schließlich den Realismus der Staatsmacht und verweist auf die Unvereinbarkeit von Konzessionen an die PLO mit den Sicherheitsinteressen des Landes überhaupt und auf den Auftrag seiner politischen Verfassung, das Recht der Juden auf Niederlassung im „ganzen Land Israel“ zu gewährleisten: Das Abkommen (mit der PLO) … ist ein Experiment, das dabei ist, Israel in eine Kombination aus Libanon, Sarajewo und Johannesburg zu verwandeln… Deshalb muß jeder Jude begreifen, daß in Hebron nicht bloß das Schicksal von ein paar hundert Juden auf dem Spiel steht, sondern die Zukunft der ganzen jüdischen Gemeinde im Lande Israel. (JPIE, 16. April)

[16] Insofern gibt es tatsächlich eine Parallele zum Fall Südafrika; freilich eine ganz andere als die, die der alte Soldat Scharon beschwört: Dort hat die neue „Weltlage“ die Deckungsgleichheit einer Staatsräson der rassischen Diskriminierung und eines imperialistischen Interesses an einem antikommunistischen Vorposten aufgelöst und die Regierung dahin gebracht, im Hinblick auf die neuen Erfolgsbedingungen der Nation deren Volksbasis umzudefinieren. Vgl. dazu in GegenStandpunkt 1-94, S.137 den Aufsatz „Die sensationelle Wende von Südafrika: Staatsmänner verschiedener Hautfarbe wählen sich ein neues Volk.“

[17] Die hier angedeuteten Gründe des nahöstlichen Friedensprozesses sind in dem Aufsatz „‚Frieden für Galiläa‘: Israel stiftet ein Stück neuer ‚Nahost-Ordnung‘“ in GegenStandpunkt 3-93, S.188 ausführlicher abgehandelt.

[18] Drollig das Zeremoniell, mit dem laut Kairoer Abkommen künftig die Grenzkontrollen ablaufen sollen. Ein Israeli sitzt für den Betrachter unsichtbar hinter „getönten Fensterscheiben“ und schaut einem palästinensischen Beamten zu, wie er die Pässe kontrolliert. In ihrem stets bemühten Verständnis für die Detailprobleme der internationalen Gewalt faßt die NZZ vom 12. Februar den Zweck dieser Farce ganz unironisch, dafür ziemlich wahrheitsgemäß so zusammen: Während Israel allein für die Grenzübergänge verantwortlich bleibt, wird die Beteiligung israelischer Vertreter an den Grenzkontrollen eng eingegrenzt.

[19] Das Abkommen wird in der NZZ vom 12. Februar referiert. Daraus die Zitate.

[20] Anhänger von Hamas sollen, einer gemeinsamen Erklärung von Fatah und Vertretern der fundamentalistischen Bewegung vom 24. April zufolge, in die palästinensische Polizei aufgenommen werden, „wenn sie zum Gewaltverzicht (gegen Israel) bereit sind.“ Gleichzeitig vereinbarten Arafats Partei und die Islamisten einen Gewaltverzicht gegeneinander und die friedliche Konkurrenz um Stimmen bei den geplanten Wahlen zur Autonomieadministration. (vgl. FAZ, 26. April) Im übrigen wird niemand palästinensischer Polizist, den der israelische Geheimdienst nicht zuvor gründlich durchleuchtet hat: eine Mitteilung, mit der das deutsche Fernsehen gemeint hat, der Autonomieregelung ein besonders gutes Zeugnis auszustellen.

[21] Eine jüdische Wirtschaft, die auf nichtjüdische Arbeit aufgebaut ist, wird ihren jüdischen Charakter verlieren. (David Ben Gurion, Jüdische Arbeit, Tel Aviv 1933, S.87) In der Gründerzeit Israels wurde denn auch arabischen Arbeitern systematisch jegliche Möglichkeit zum Arbeiten genommen.

[22] Kommentar der JPIE, 11. April.

[23] Die spektakuläre Abteilung der israelischen Reaktion auf die Autobombe von Afula bestand übrigens einerseits in Massendemonstrationen, auf denen von der parlamentarischen Opposition der Abbruch der Friedensverhandlungen, von ihren aufgebrachten Anhängern pauschal „Tod den Arabern!“ gefordert wurde, andererseits in der Inhaftierung von ca. 500 mutmaßlichen Anhängern von Hamas, unter denen sich ein Großteil der Deportierten befindet, die über ein halbes Jahr im Niemandsland zwischen Israel und dem Libanon zelten durften. Wie weit der Friedensprozeß im Nahen Osten vorangekommen ist, zeigt die Ungerührtheit, mit der Arafats PLO nach ein paar Protesten zur Tagesordnung in den Verhandlungen über die Ausgestaltung des Autonomieabkommens übergegangen ist.

[24] In einem Gespräch mit der JPIE vom 23. April.

[25] Likud-Vorsitzender Benjamin Netanyahu in der JPIE vom 16. April.

[26] Als endgültige Regelung einer Autonomie unter israelischer Souveränität sollte man der überwältigenden Mehrheit der arabischen Westbank-Bewohner, die gegenwärtig jordanische Staatsbürger sind, die Möglichkeit einräumen, diese Staatsbürgerschaft zu behalten (retain). Unterschiedliches müßte für die arabischen Bewohner des Gaza-Streifens ausgehandelt werden, weil sie überhaupt keine Staatsbürgerschaft besitzen. (ebd.)

[27] In der Tat, die PLO war immer schwächer geworden… Aber wäre eine Schwächung der PLO bis zum Kollaps tatsächlich gut für Israel? … Wäre die Hamas-Bewegung aus israelischer Sicht gesehen ein vorzuziehender Ersatz… In letzter Zeit entstand ein gemeinsames Interesse. Israel ist nun daran interessiert, die PLO zu unterstützen, damit sie auf der politischen Bühne überlebt. Innerhalb der PLO haben wir Zeichen der Veränderung erkennen können. Zumal der Mossad durch kühne Morde an PLO-Führern wie Abu Iyad selbst ein paar Zeichen gesetzt hat. (Simon Peres, a.a.O., S.33f).

[28] Der Chef der israelischen Delegation bei den Verhandlungen mit der PLO, Generalmajor Amnon Shahak, erklärte, daß Israel weder Hamas-Mitgliedern noch jenen Amnestie gewähren würde, deren Hände mit dem Blut von Israelis befleckt seien, noch jenen, die Gewaltakte nach der Autonomievereinbarung vom September begangen hätten. (JPIE, 23. April)