Koblenzer Prozess gegen einen Assad-Offizier
Hoffnung für die Völker: Deutschland setzt sich als Vorsitzender Richter übers weltweite Böse in Szene

Dem nach Deutschland geflohenen ehemaligen Offizier Anwar R., der im Rahmen der staatlichen Aufstandsbekämpfung in Syrien in einem Gefängnis tätig gewesen sein soll, wird vor einem deutschen Gericht der Prozess gemacht. Angeklagt wird er von der deutschen Staatsanwaltschaft wegen vielfacher Mord-, Folter- und Vergewaltigungstaten.

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Koblenzer Prozess gegen einen Assad-Offizier
Hoffnung für die Völker: Deutschland setzt sich als Vorsitzender Richter übers weltweite Böse in Szene

Dem nach Deutschland geflohenen ehemaligen Offizier Anwar R., der im Rahmen der staatlichen Aufstandsbekämpfung in Syrien in einem Gefängnis tätig gewesen sein soll, wird vor einem deutschen Gericht der Prozess gemacht. Angeklagt wird er von der deutschen Staatsanwaltschaft wegen vielfacher Mord-, Folter- und Vergewaltigungstaten.

Die deutsche Öffentlichkeit ist begeistert: Von einer lange überfälligen Pioniertat der deutschen Justiz zum Wohle der Völker ist die Rede, die dem unerträglichen Zustand endlich ein Ende setze, dass schlimme Untaten einzig aus dem Grunde nicht gesühnt werden, dass sie auf Befehl und unter dem Schutz von fremden Unrechtsregimes begangen wurden, zu denen sich die Rechtsstaaten leider immer viel zu berechnend stellen. Ein Signal werde damit gesetzt in Sachen Abschreckung, das der Anfang eines zwar langen, aber hoffnungsvollen Weges in eine Welt sein könne, in der idealiter den regierenden Unholden die Folterknechte ausgehen könnten, weil die sich ihrer Straffreiheit niemals und nirgendwo mehr sicher sein könnten...

Die deutsche Öffentlichkeit bleibt bei aller Freude aber auch realistisch: Absehbar werde eine Zukunft ohne Menschenrechtsverletzungen wohl doch nicht Einzug halten, so groß sei die Abschreckungswirkung des offenbar jetzt schon feststehenden Urteils des Koblenzer Gerichts dann wohl doch nicht. Und wenn man ehrlich sei, dann müsse man zugeben, dass auch die deutsche Position gar nicht nur davon bestimmt ist, sich juristisch fürs Völker- und Menschenrecht starkzumachen: Es gebe noch genügend Regierungen, deren Folterkommandeure oder -knechte aufgrund höherer – oder vielmehr niederer – Erwägungen der deutschen Außenpolitik nicht damit rechnen müssen, demnächst nach deutschem Strafrecht und in Anwendung der deutschen Strafprozessordnung belangt zu werden – man denke nur an den ägyptischen Herrscher as-Sisi oder auch das notorische Guantanamo unserer amerikanischen Verbündeten...

Bleibt bei allem Hin und Her zwischen Freude und Skepsis bezüglich der Wirkung des Koblenzer Prozesses auf die Zukunft der Völker noch eine Frage: Was ist eigentlich dieser Prozess?

1.

Juristisch ist er ein ganz normaler Strafprozess: Rechtskundige und dazu befugte Justizfunktionäre verhandeln über die Strafbarkeit von Taten desjenigen, der da vor Gericht gestellt wird. Geprüft und abgeglichen wird, ob und inwiefern das, was der Angeklagte getan hat, einen Tatbestand im Sinne des Strafrechts darstellt, ob also seine Tat unter irgendeine der Definitionen fällt, mit der sie im Strafgesetzbuch – hier: im deutschen Völkerstrafgesetzbuch, VStGB – als verboten rubriziert und ihre Begehung mit einer Strafe versehen ist. Die Gründe der Tat spielen nur als Motive des Täters und nur im Sinne eines strafmildernden oder -verschärfenden Umstands eine juristisch abzuwägende Rolle. Das heißt im vorliegenden Fall, dass der gesamte politische Kontext die deutschen Juristen nichts angeht: Dass in Syrien ein von erheblichen Teilen des Volkes in seiner Legitimität bestrittenes Regime um die gewaltsame Durchsetzung seiner Autorität gerungen und dafür seine Funktionäre zu allen monströsen Taten, die zu so einem Durchsetzungskampf gehören, beauftragt bzw. von der Leine gelassen hat: uninteressant. Dass die empörten syrischen Volksteile mit ihrem Anti-Assad-Aufstand keine Minute lang allein waren, sondern die Adressaten und Empfänger massiver auswärtiger Finanz- und Militärhilfe gewesen und in kürzester Zeit zu Kombattanten eines auch mit direktem Einsatz von auswärtigen Kämpfern geführten Stellvertreterkrieges gemacht worden sind: uninteressant. Dass diese Mächte bei allen humanitären Phrasen dann doch erkennbar und auch ausdrücklich regionalpolitische Rechnungen mit Assad bzw. weltpolitische Rechnungen an Assad exekutiert haben, die ihnen einen blutigen Krieg in Syrien gerade recht haben erscheinen lassen: uninteressant. Dass diese Unterstützer und ihre Freunde vor Ort ihrerseits dort in Syrien und auch anderswo vor Taten nicht zurückschrecken, die denen des Anwar R. an Grausamkeit in nichts nachstehen: für die Juristen egal, weil ebenfalls nicht Gegenstand der von ihnen zu bewerkstelligenden strafrechtlichen Subsumtion.

Darum braucht sie auch nicht zu interessieren, dass das von ihnen hier als Maßstab herangezogene VStGB erstens – wie jedes andere Strafgesetzbuch auch – Zeugnis davon ablegt, wie üblich und systematisch, den Autoren des Gesetzes offenkundig vertraut die Formen der Gewalt sind, die da minutiös als unzulässig aufgelistet werden. Zweitens geht es sie nichts an, dass das VStGB – im Unterschied zu anderen Strafgesetzbüchern – damit in der Form des Verbots bestimmter Formen von Gewalt immerhin die Leistung vollbringt, die anderen Formen von Gewalt, die allesamt von Staaten und ihren Funktionären ausgehen, förmlich ins Recht zu setzen: Das Völkerstrafrecht ist das strafrechtsförmige Siegel darauf, dass die Gewalt staatlicher Mächte im Prinzip ihr Recht ist. Und drittens sollen und brauchen deutsche Staatsanwälte und Richter deswegen erst recht nicht der Frage nachgehen, was der Gesetzgeber, der deutsche, eigentlich daran findet, bei seiner Justiz die strafrechtliche Begutachtung und gegebenenfalls Ahndung von Gräueltaten fremder Staatsmächte in Auftrag zu geben.

2.

Politisch wird die Sache mit dem Völkerstrafrecht und seiner Praxis per Prozess jedenfalls nicht erst dann, wenn – wie des Öfteren öffentlich bedauert wird – außenpolitische Opportunitätserwägungen dessen formvollendete Anwendung verhindern. Auch das zeigt sich an diesem Prozess gegen den syrischen Folterbüttel. Am ‚Fall Anwar R.‘ wird nämlich erkennbar das syrische Regime verurteilt. Dessen Machtkampf, der im Prozess gar nicht Thema ist, wird so die Legitimität abgesprochen und damit zugleich ganz mit diesem negativen Urteil gleichgesetzt: Die mit aller zielführenden Brutalität unternommene Anstrengung, der Opposition ihre gewaltsame Aufsässigkeit abzuknöpfen und die unbestrittene Autorität der Damaszener Zentrale wiederherzustellen, ist illegitim, sonst nichts. Darin geht zugleich der Charakter dieser Zentralgewalt und ihrer zentralen Figur Assad auf: Sie und er sind illegitim; jede politische Feindschaft gegen sie im Recht, was – der Zirkel ist damit komplett – jede Abwehr gegen diese berechtigte Feindschaft zu einer politischen Untat macht, sodass sich das Regime, seine nachgeordneten Funktionäre und die von ihnen begangenen Taten alle wechselseitig und im Kreis als unmenschlich entlarven und als welche, die unbedingt zu bekämpfen sind. Gebraucht hat es den Koblenzer Prozess für die politische Feindschaft Deutschlands gegenüber Assad und seiner Mannschaft bekanntlich nicht, aber: In der vollständigen Subsumtion des Assad-Regimes und damit all dessen, was es zu seinem Erhalt tut, unter das Verdikt illegitim verfügt diese Feindschaft über eine diplomatische Waffe, die sich je nach den Konjunkturen der Feindschaft und dem Stand der gewalttätigen Selbstbehauptungsversuche des Regimes in Damaskus und auch gegenüber Dritten je nach Interessenlage dosiert einsetzen lässt.

Über alle Konjunkturen und auch über den Fall Assad hinweg besteht Deutschland mit dieser nur dem Buchstaben des eigenen Strafgesetzes verpflichteten Verfolgung der Unrechtstaten dieses Unrechtsregimes auf einer generellen Klarstellung: Egal, wie dieser Prozess genau ausgeht; auch egal, ob und wann es zu weiteren Prozessen gegen welche Missetäter im Dienste welcher auswärtigen Diktatur anlässlich ganz gewiss nicht ausbleibender zukünftiger Gewaltorgien vom Schlage des syrischen „Bürger“- oder eines echten zwischenstaatlichen Krieges es noch kommen wird; und erst recht egal, wie die Rechtssprüche dann ausfallen mögen – die Rechtmäßigkeit der Gewalt anderer Staaten wird damit unter den Generalvorbehalt Deutschlands und seines nationalen Gesetzbuches für internationale Staatsgewalttaten gestellt. Und damit leistet sich diese Nation zweierlei: Zum einen beansprucht und praktiziert sie so die Rolle des Richters über alle anderen, der sich mit dem in eigener Hoheit verabschiedeten VStGB auf die Ankläger- und Richterrolle in Sachen internationales Strafrecht verpflichtet – ausdrücklich unabhängig davon, ob der von einer Staatenmehrzahl geschaffene und anerkannte Internationale Strafgerichtshof tätig wird und wie der gemäß seinen Statuten und Büchern entscheidet. Zum anderen zielt Deutschland damit nicht nur auf die Staatenwelt überhaupt und ihre notorischen Übeltäter bzw. üblichen Verdächtigen, sondern in besonderer Weise auf seinesgleichen: Unter den entscheidenden, großen Mächten der Welt, besonders denen, die sich als westliche Demokratien verstehen und damit brüsten, dass ‚das Recht‘ überhaupt bei ihnen zu Hause ist, ist es ja ohnehin üblich, sich für die saubere und rechtlich einwandfreie Führung des Gewalthaushalts auf der Welt zuständig zu erklären und die eigenen, überlegen angesagten und ausgetragenen Feindschaften damit zu begründen, dass sie damit das Völkerrecht und die Menschenrechte schützen. Innerhalb dieser und bezogen auf diese Elite macht Deutschland sich daran, sich mittels des in nationaler Autonomie erlassenen deutschen VStGB dazu als ‚primus inter pares‘ zu profilieren. Mit ihrem nationalen Vorstoß setzt die deutsche Macht Maßstäbe für die Anwendung des Völkerrechts gerade nach seiner strafenden Seite hin, also dafür, wie das Kollektiv der westlichen Mächte – soweit es als solches agiert – seine weltpolitischen Feindschaften als weltweit geltendes Recht setzt. Beansprucht ist auf dieser Ebene der juristischen Verfolgung feindlicher Handlanger und Auftraggeber nicht weniger als eine besondere deutsche Maßgeblichkeit und Vorreiterrolle beim Ordnen und Führen der Welt.

Wenn das kein Signal der Hoffnung ist.