Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Grüne Drangsale II: NATO-Pazifismus
Frieden und / statt / ohne / mit = durch ein bisschen Krieg
Die Delegiertenmehrheit verwirft den vom Bundesvorstand ausgehandelten Kompromiss zu Militäreinsätzen in Bosnien – und wird vom Vorstand darüber belehrt, dass Abweichungen vom nationalen Konsens als basisdemokratische Relikte der Vergangenheit angehören.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Bundesparteitag der Grünen in
Magdeburg
Grüne Drangsale II: NATO-Pazifismus
Frieden und/statt/ohne/mit = durch
ein bisschen Krieg
Auf ihrem Marsch in die Leitungsinstitutionen der
Republik führen die Grünen seit Magdeburg
noch
mehr schweres Gepäck im Rucksack
mit: Sie streiten
über die Außenpolitik der Nation, die sie unbedingt
mitregieren wollen. Auf dem Parteitag fliegt dem
Bundesvorstand nämlich ein Beschluß um die Ohren
,
was natürlich ganz schlecht ist angesichts der
demokratischen Grundregel, daß, wer vom Wähler als
Führungsmannschaft auserlesen werden will, erst einmal
seine eigene Anhängerschaft geschlossen hinter sich zu
bringen hat. Noch schlimmer der Inhalt des neuen
Beschlusses: Der mühsam ausgehandelte Kompromiß
zu
Militäreinsätzen in Bosnien wird von den Delegierten
verworfen. Zwar mit nur einer Stimme Mehrheit, aber
„Mehrheit ist Mehrheit“ (Trittin) – so
blöd kann das laufen, wenn man es mit der Basisdemokratie
übertreibt. Im Wahlprogramm der Grünen bleibt es also bei
einer grundsätzlichen Ablehnung von Auslandseinsätzen der
Bundeswehr. Ebenso scheitert der Kompromiß über die Linie
der Bundestagsfraktion zur NATO-Osterweiterung: Statt
Stimmenthaltung fordert die Delegierten-Basis ein Nein –
und das ist in der BRD der 90er Jahre keine diskutable
außenpolitische Position, sondern eine von vornherein
indiskutable Verfehlung gegen unverrückbare
außenpolitische Grundsatzentscheidungen einschließlich
der dazu zirkulierenden ideologischen Dummheiten über
einen schlechterdings unauflöslichen Konnex zwischen
Macht und Verantwortung, zwischen Frieden und dosiertem
Gewalteinsatz
(Joffe, SZ
10.3.98)
Das öffentliche Echo fällt entsprechend schlecht aus:
Einen Rückfall in die Krabbelphase
bemerkt der
Spiegel voller Häme. Statt mit den jämmerlichen Resten
des einstigen friedensbewegten Pazifismus glaubwürdig
aufzuräumen; statt sich von Joschka Fischer endlich zu
der Einsicht bewegen zu lassen, daß der „brüchige
Frieden“ in Bosnien mit Marschflugkörpern geschaffen und
mit SFOR-Truppen verteidigt werden muß, der
Friedensfreund also den Kriegseinsatz zu wollen hat;
statt die NATO als Abkehr vom deutschen Sonderweg
(Fischer) zu preisen und als Ordnungsmacht für Osteuropa
zu begrüßen; statt sich also, mit einem Wort,
realitätstauglich
zu erweisen, fällen die
Delegierten einen Beschluß, der nur längst
abgehalfterte Ultras
(Joffe) freuen kann. Die
politischen Konkurrenten jaulen erfreut auf und
bescheinigen den Grünen außenpolitisches
Abenteurertum
und völlige Untauglichkeit für das
verantwortungsvolle Geschäft deutscher Machtentfaltung.
Und die ambitionierten Außenpolitiker der Partei können
dem Tadel nur Recht geben: Der Beschluß spricht schwer
gegen die internationale Regierungsfähigkeit
der
Grünen, ist eine Steilvorlage für den politischen
Gegner
(Röstel) und macht es der Partei überhaupt
in der Außenpolitik unnötig schwer
(Fischer). Auch
für sie ist es von vornherein undenkbar, Alternativen zur
Außenpolitik der Bundesregierung auch nur zur Debatte zu
stellen; auch für sie fällt am Militäreinsatz in Bosnien
und an der NATO-Frage die Entscheidung zwischen
pazifistischer Weltfremdheit und Regierungsfähigkeit –
womit sie dann ja wohl auch Recht haben werden. Es geht
eben gar nicht um die eine oder andere Linie deutscher
Politik, sondern um die bündnisgrüne Partei und ihren
schwierigen Transformationsprozeß von einer
Oppositions- zu einer Regierungspartei
(Fischer). Da
mag der Parteisprecher noch so sehr darauf bestehen, die
Regierungsfähigkeit der Grünen könne sich doch nicht
danach bemessen, ob sie die Positionen Volker
Rühes
(Trittin) übernähmen: Auch für seine Partei
stehen nicht diese Positionen zur Diskussion, sondern
allein die Notwendigkeit, den Realitäts-TÜV einer
kritischen Öffentlichkeit
(Fischer) zu bestehen. Und
wenn die Frage erst einmal so steht, dann gilt ganz klar:
Parteiliche Abweichung vom nationalen Konsens kostet
Regierungsfähigkeit. Die Interessen der Bundesrepublik
verbieten jede Alternative zu NATO und Auslandseinsätzen
der Bundeswehr; grüner Restpazifismus und Vorbehalte
gegen militärisches Auftrumpfen der Nation sind damit
unverträglich; und dieser Befund spricht ein für allemal
nicht gegen das außenpolitische Gewerbe, sondern gegen
jede Abweichung davon. Zutiefst verantwortungsbewußt der
Fraktionschef in der Bild am Sonntag:
„Ein Außenminister repräsentiert die Interessen des Landes und sonst nichts. Eine Bundesregierung – egal wer sie bildet – muß und wird in voller Kontinuität der vertraglichen Bindungen handeln, wenn sie innen- und außenpolitisch nicht in den größten Schlamassel geraten und sofort scheitern will. Sie muß sich an Geist und Buchstaben der geschlossenen Verträge halten. An der außenpolitischen Zuverlässigkeit der Bundesrepublik wird es auch unter Rot-Grün keine Zweifel geben.“ (Fischer).
Es ist folglich ein absolutes Gebot der
internationalen Regierungsfähigkeit
, um die es den
Grünen geht, die außenpolitischen Parteitagsbeschlüsse
dort, wo sie umgesetzt werden müßten, im Parlament
nämlich, zu ignorieren. Daß die Partei damit das
wahltaktisch verheerende „Bild innerer Zerrissenheit“
bietet, ist der nicht wegzudiskutierende Nachteil, der in
dem Fall aber voll und ganz zu Lasten der Basis geht:
Warum fällt die auch mit erratischen Beschlüssen ihrer
innerparlamentarischen Führung in den Rücken?! So wird
gleich noch nebenbei ein Exempel dafür statuiert, daß die
Grüne Partei spätestens bis zum Datum ihrer
Regierungsbeteiligung die letzten zählebigen Überreste
ihrer basisdemokratischen Vergangenheit auch noch
abzuschütteln hat.