Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Bundesparteitag der Grünen in Magdeburg
Grüne Drangsale I:
Der Ökobenzinpreis – Falsche Fünfer oder was?
Lehrreiche Erfahrungen der Grünen auf dem Weg zur Regierungsfähigkeit: Was als grüner Wahlknüller gedacht war – der Ökobenzinpreis – wird ihr von der Konkurrenz um die Ohren gehauen; die Partei zeigt sich betroffen und um eine demokratische Erfahrung reicher…
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Bundesparteitag der Grünen in
Magdeburg
Grüne Drangsale I:
Der Ökobenzinpreis – Falsche Fünfer oder was?
Gerade eben noch waren die Grünen so nahe an der Macht
in Bonn wie nie zuvor
. Sie haben alles richtig
gemacht, Wahlen gewonnen, ihre Führer – deren einer
vielleicht sogar demnächst Außenminister wird –
angemessen bejubelt, Staats- und Standort-tragende
Kompromisse auf Länderebene ausgehandelt, kurz:
Bereitschaft und Qualifikation für die
Regierungsvollmacht im Staat glaubwürdig unter Beweis
gestellt und dafür von der Öffentlichkeit das berechtigte
Kompliment endlich erreichter politi-scher Reife
und Regierungsfähigkeit
ausgestellt bekommen – und
schon versaubeuteln sie wieder alles. Jetzt bläst den
Grünen der Wind ins Gesicht
, sie haben sich aus
der Politik abgemeldet
, ja sie sind gar zu einem
erheblichen Sicherheitsrisiko
geworden – je nach
dem für Deutschland
(Kohl) oder für den
Machtwechsel
(Schröder), was letztlich aufs selbe
herauskommt. Vielleicht werden die Wahlforscher am
Abend des 27. Septembers vermerken, daß die Grünen auf
ihrem Magdeburger Parteitag das System Kohl noch einmal
festgezurrt hatten
, menetekelt Chefkommentator Joffe
von der SZ (10.3.98). Was um Himmels willen ist
geschehen?
Für ihren Magdeburger Parteitag hat sich die Partei einen
Riesenknüller ausgedacht. Sie beschließt den Einstieg
in die Öko-Steuer
, die – ganz wie es sich gehört –
den Dienst an artgerechten Umweltbedingungen für Volk und
Wald sinnreich mit der allgegenwärtigen Sorge um „die
dringend erforderliche Senkung der deutschen
Lohnnebenkosten“ verknüpft – und auf alle Fälle für
ein bißchen zusätzliches Staatshaushaltsgeld gut ist.
Teil dieser grün-alternativen Steuerreform ist eine
allmähliche Anhebung des Benzinpreises auf fünf Mark
innerhalb von zehn Jahren. Ein echtes Angebot an den
Wähler: Die Grünen sind eine verantwortungsbewußte
Öko-Partei, dem Wohlergehen der Umwelt verpflichtet und
bereit, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Sie haben ein
Konzept für den Verkehr der Zukunft und verstehen sich
prima mit der deutschen Automobilindustrie und deren
Zukunftskind „Dreiliterauto“, für dessen
Konkurrenzfähigkeit die Preissteigerung beim Kraftstoff
einen einzigen Segen darstellt. Sie wähnen sich voll im
Einklang mit den Empfehlungen des Umweltrats der
Bundesregierung und den entsprechenden Beschlüssen des
Europaparlaments. Und sie haben Lösungen für nationale
Notwendigkeiten wie Steuerreform und Umbau des
Sozialstaats. Ein rundum gelungenes Konzept also, sollte
man meinen und meinen jedenfalls sie selbst: fast alle
drängenden Sachzwänge der Republik berücksichtigt und
dafür 1 A Lösungen parat – einfach unangreifbar.
Doch dann kommt alles anders: Ein Aufschrei tobt durch
die deutsche Öffentlichkeit. Alle Parteien stürzen sich
begeistert auf die offene Flanke, welche die Grünen
bieten, und wollen aus dem ganzen „Konzept der Zukunft“
nur noch die gänzlich unpassende Preissumme heraushören:
5 Mark pro Liter Benzin! Dieser
Steuererhöhung wird der ehrenwerte Status einer
unausweichlichen Konsequenz aus allgemein anerkannten
Sachzwängen nicht zugebilligt – im Gegensatz etwa zu dem
1 Prozent mehr Mehrwertsteuer ab 1. April; dieser
Besteuerungseinfall ist eindeutig antisozial
und
bloß parteipolitischer
Natur. Der angepeilte
Koalitionspartner SPD ergreift beherzt die prächtige
Gelegenheit, sich mit lautstarkem Quatsch
und
Nicht mit uns!
von den notorischen
Autofahrerfeinden
zu distanzieren, mit denen er
eventuell seinerseits bündeln will. Die CDU ist erst
recht obenauf: Sie erinnert sich und ihr Publikum daran,
daß sie schon immer für Freie Fahrt für freie
Bürger
war, und wirft sich für den deutschen
Autofahrer in die Schlacht. Pastor Hintze erfindet
höchstpersönlich ein Pickerl mit der Aufschrift Laß
Dich nicht anzapfen
. Christdemokratische
Steuerpolitiker finden den Wahlkampf an den
Tankstellen
zwar nicht so genial, weil sie in
sorgfältigen Expertenberatungen ihrerseits herausgefunden
haben, daß ein Kraftstoffpreis von sachzwanghaften 4 Mark
65 auf Dauer unumgänglich ist. Für einige Wochen darf
sich der deutsche Autofahrer aber als eine von
Öko-Faschisten
bedrohte Gattung vorkommen und den
Grünen alles übelnehmen, was ihn am Zugriff des Fiskus
schon lange ärgert. Und dabei geht es nicht bloß ums
Geld, sondern, wie gesagt, um unser höchstes Gut, die
Freiheit, in die die drohenden 5 Mark schlimmer
eingreifen als die versammelte christlich-liberale
Obrigkeit. Da fehlt dann nur noch die bayerische Grüne,
die auch noch dem Flugbenzin die Steuerfreiheit rauben
will und dazu die geschäftsschädigende Parole ausgibt,
ein Durchschnittsverbraucher bräuchte auch nicht alle
Jahre fortzufliegen – und schon liegt offen zutage, was
im harmonischen Verhältnis zwischen Stimmvieh und
Gewählten ansonsten nie ein Thema ist: Dem Bürger sollen
Vorschriften gemacht werden.
Ein klarer Fall von grobem Schnitzer – diesen Schuh
ziehen Sprecher der Bündnisgrünen sich postwendend an;
sie denken eben genauso wie ihre gehässigen Gegner. Statt
den Steuer- und Öko-Experten im Wähler zu begeistern,
haben sie nur tiefe Angst vor einem grünen
Bevormundungsstaat
geweckt; den wahlkampftaktisch
unverzeihlichen Fehler haben sie begangen, ihre
Adressaten mit parteispezifischen Inhalten
zu
belästigen, statt ihnen die nationalen Sachzwänge
vorzubuchstabieren, die man so gut wie möglich
„abzumildern“ – also hinfort an ihnen zu vollstrecken
gedenkt. Als Umweltpartei „Profil“ zu zeigen, mag in
Ordnung gehen, gerade wenn man Gefahr läuft, von Schröder
an die Wand gedrückt
zu werden; aber dabei muß man
nicht nur beherzigen, daß alle Sorgen über den
kapitalistischen Gebrauch der Umwelt in konstruktive
Lösungen für die Probleme des Kapitalstandorts
Deutschland zu münden haben. Gerade wenn man mit der
Parole Mut zu unpopulären Lösungen
auf Stimmenfang
geht, darf man doch nicht plötzlich im Klartext und sogar
noch bezifferbar etwas wirklich Unpopuläres versprechen!
Das ist doch gerade der Witz an diesem Slogan: daß man
sich darüber mit dem Wählervolk
zusammenschließt; gegen irgendwelche ohnehin
längst allgemein geächteten Standpunkte wie z.B. gegen
„liebgewordene Gewohnheiten“, unter denen sich jeder die
schlechten Angewohnheiten seiner Mitmenschen vorstellen
kann. An der Stelle eine bestimmte, wirklich
„liebgewordene Gewohnheit“ wie einen vergleichsweise
moderaten Benzinpreis anzusprechen und deren Abschaffung
anzukündigen – das ist nachgerade ein
Anfängerfehler, und zwar der dümmste, der einer
Partei passieren kann. Da helfen dann auch keine
Rechenkunststücke mehr, die nachweisen, daß man, wenn es
nach den Grünen geht, im Jahr 2009 nur noch 15 Mark auf
100 Kilometer zu bezahlen hätte statt den derzeitigen 15
Mark 30 – vorausgesetzt, es gibt bis dahin das
Dreiliter-Mobil und man kann es sich leisten… Die besten
umweltpolitischen und verantwortungsethischen
Begründungen nützen nichts, beweisen vielmehr bloß, daß
die Partei den Bürger nicht nur schröpfen, sondern auch
noch belehren will, was überhaupt zu den
allerschlimmsten Verstößen gegen die Freiheit des
mündigen Wählers gehört. Und wenn es erst einmal soweit
gekommen ist, dann schreien aus jedem Parteiziel Zwang
und Bevormundung. Kurzum: Der Fünfer fürs Benzin, das
gestehen die Grünen nunmehr ein und bereuen es tief und
ehrlich, riecht nach „abgehalfterten ideologischen
Schablonen der achtziger Jahre“; nach jenen
gerade glücklich überwundenen Zeiten also, in denen die
Grünen noch so ganz und gar regierungsunfähig
waren, weil sie Parteiprogramme mit Katechismen
zu
verwechseln pflegten, statt sie, wie es sich unter
erwachsenen Demokraten gehört, als „Köder mit
begrenztem Haltbarkeitsdatum“ (Joffe, SZ
10.3.98) zu handhaben. Regierungsanwärter mit einem
Händchen für die Macht machen niemandem Vorschriften,
weil sie ganz pur und unverschämt die Bevollmächtigung
einfordern, in Zukunft gleich alle Vorschriften
machen zu dürfen, die dann freilich keine mehr sind,
sondern nur die Verwaltung all dessen, was ohnehin sein
muß – wer das nicht beherzigt, ist einfach nicht reif für
die demokratische Macht.
Die Grünen müssen also noch viel lernen: nicht nur Kenner und Liebhaber der Macht und des gelungenen Wahlkampfs um sie – wie der Fachmann der Süddeutschen – wissen da Bescheid. Und sie lernen dazu:
„Wir haben den Fehler gemacht, die Benzinpreiserhöhung als Ziel hinzustellen und nicht, so wie es gemeint war, als Instrument zur Beschäftigungssicherung“ (der grüne NRW- Bauminister Vesper).
Programmpunkte zu verkünden und dabei die Anknüpfung an
die geltenden Selbstverständlichkeiten zu
vernachlässigen, das muß ja förmlich vom Wähler
abgestraft werden: Gehe zurück auf Los. Tief beeindruckt
und beschämt bezichtigen sich die Grünen, schlechte
Marketingexperten
zu sein, und bessern sich: Zur
Schadensbegrenzung und zwecks Rückerlangung der fast
verspielten Regierungsfähigkeit starten sie eine Kampagne
nach den Regeln der Kunst.
Die besteht im Wesentlichen darin, die Öffentlichkeit mit
der Sorge zu beschäftigen, wie man als Grüne Partei aus
dem – eigentlich natürlich völlig unverdienten –
Stimmungstief
wieder herauskommen kann. Was steht
der Partei besser an: ein Widerruf, der beweist, daß man
zu einer besseren Einsicht gelangt ist? Da besteht das
Risiko, daß man dann als Umfaller
etikettiert
werden kann und vielleicht erst recht unglaubwürdig wird.
Oder demonstrative Prinzipienfestigkeit, hinter der die
unglückselige Zahl 5 allmählich verschwindet, so daß sich
der Wähler nur noch die tapfere Absage an jeden
„populistischen“ Opportunismus merkt? Am besten wohl die
Kombination aus beiden Strategien – also die
nachdrückliche Versicherung, daß man sich in der Sache
nicht irre machen läßt, verbunden mit der Ankündigung
eines „kleinen Parteitags“ im Juni, auf dem die Partei
ein „Kurzprogramm beschließt, in dem die
Forderung nach einem Benzinpreis von fünf Mark
in zehn Jahren mit Sicherheit nicht mehr enthalten
ist.“ Und wichtig ist es vor allem, der
wahlberechtigten Menschheit immer wieder nahezulegen, die
Sache so zu sehen wie ihr prominenter Fraktionssprecher –
daß die Partei nämlich kein Revisionsproblem, sondern
ein Kommunikationsproblem
hat. Wenn die
Sprachregelung sich durchsetzen läßt, dann ist das
„Kommunikationsproblem“ nämlich schon gelöst, und keiner
redet mehr über den Benzinpreis. Oder allenfalls so, wie
der überaus regierungsfähige Joschka Fischer es
verstanden haben will: als ein Symbol
für grüne
Politik – ungefähr von der Art, wie die Christen doch
auch ihren Herrn Jesus haben, ohne daß der gleich als
Bundeskanzler vorgesehen ist…