Die „gemeinsame Vision“ für ein „souveränes Afghanistan“
Ein Land, ein Auftrag: Übernahme des US-Kriegs gegen den Terror
Nach zehn Jahren Krieg gegen Al Kaida und die Taliban, nach der Eskalation dieses Kriegs durch die Regierung Obama steht jetzt der Exit auf dem Progamm. Die zwischenzeitlich mehr als 140 000 Mann starke Kampftruppe aus den USA, der Nato und sonstigen Partnerländern soll bis Ende 2014 das Land verlassen. Vor dem Abzug hat Obama wie mit dem Irak jetzt mit Afghanistan ein „strategisches Partnerschaftsabkommen“ geschlossen und darin die Pflichten dokumentiert, welche die USA dem von ihnen ins Amt gehievten und geschützten Karsai-Regime hinterlassen. Denn auch wenn das amerikanische Militär geht, ist Amerikas Aufgabe damit nicht erledigt. „Die Afghanen“ sollen sich künftig „der Verantwortung stellen“, also die Arbeit übernehmen; schließlich ist es ihr Land, in dem immer noch Feinde Amerikas ihr Unwesen treiben. Und der US-Präsident ist auch in diesem Fall optimistisch, denn „das Ziel“ ist nicht mit unrealistischen Entwicklungsversprechen befrachtet, sondern „sehr einfach“.
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Länder & Abkommen
Die „gemeinsame Vision“ für ein
„souveränes Afghanistan“
Ein Land, ein Auftrag:
Übernahme des US-Kriegs gegen den Terror
Nach zehn Jahren Krieg gegen Al Kaida und die Taliban, nach der Eskalation dieses Kriegs durch die Regierung Obama steht jetzt der Exit auf dem Progamm. Die zwischenzeitlich mehr als 140 000 Mann starke Kampftruppe aus den USA, der Nato und sonstigen Partnerländern soll bis Ende 2014 das Land verlassen. Vor dem Abzug hat Obama wie mit dem Irak jetzt mit Afghanistan ein „strategisches Partnerschaftsabkommen“ geschlossen und darin die Pflichten dokumentiert, welche die USA dem von ihnen ins Amt gehievten und geschützten Karsai-Regime hinterlassen. Denn auch wenn das amerikanische Militär geht, ist Amerikas Aufgabe damit nicht erledigt. „Die Afghanen“ sollen sich künftig „der Verantwortung stellen“, also die Arbeit übernehmen; schließlich ist es ihr Land, in dem immer noch Feinde Amerikas ihr Unwesen treiben. Und der US-Präsident ist auch in diesem Fall optimistisch, denn „das Ziel“ ist nicht mit unrealistischen Entwicklungsversprechen befrachtet, sondern „sehr einfach“:
„Das Ziel, das wir anstreben, kann erreicht werden. Es ist sehr einfach: Es darf keinen Zufluchtsort geben, von dem aus die Al Kaida oder ihre Anhänger Angriffe gegen unser Land oder unsere Verbündeten durchführen können. Wir versuchen nicht, Afghanistan zu einem perfekten Land zu machen. Wir werden nicht zeitlich unbegrenzt in den Straßen auf Streife gehen oder in den Bergen patrouillieren. Dafür ist die afghanische Regierung verantwortlich, die ihre Fähigkeiten ausbauen muss, ihre Bürger zu schützen, und die eine Volkswirtschaft, die von Krieg gezeichnet war, in eine verwandeln muss, die zu dauerhaftem Frieden beiträgt. Was wir tun können und werden, ist der Aufbau einer Partnerschaft mit der afghanischen Bevölkerung, die Bestand hat und uns in die Lage versetzt, weiterhin gegen Terroristen vorzugehen und eine unabhängige afghanische Regierung zu unterstützen.“ (US-Präsident Obama zum weiteren Vorgehen in Afghanistan, 22.6.11, Amerika Dienst)
Mehr will er gar nicht von diesem Land, aber auch nicht weniger: Von ihm darf nie mehr eine „Bedrohung für die amerikanische Nation“ ausgehen. Dementsprechend wird das ganze Land – seine Herrschaft, seine Machtmittel und seine Bevölkerung – auf den einen und einzigen Zweck reduziert und festgelegt, den USA die Terrorbekämpfung abzunehmen. Die Erfüllung dieser Funktion ist für den leader aus Amerika genau der Dienst, welchen die einheimische Bevölkerung von ihrer Regierung – und nicht länger von fremden Soldaten – erwartet. Den Hohn von der „Volkswirtschaft“, die statt für den Drogenanbau künftig für Frieden zu sorgen habe, gibt es noch gratis dazu, als Ersatz für jenes Ideal von „nation building“, das Obama als kostspielige Illusion des George W. Bush verworfen hat.
Der Anspruch der USA an den afghanischen „Partner“ stellt in Rechnung, dass mit dem Land am Hindukusch sonst weiter nichts anzufangen ist. Er unterstellt, dass der Bürgerkrieg nicht ausgefochten ist bzw. neu entbrennt, wenn die Truppen der USA und ihrer Verbündeten abziehen, der „Terror“ also ständig weiter nachwächst – warum bräuchte es sonst den Dauerauftrag an „eine unabhängige Regierung“, den Antiterrorkampf in Eigenregie zu nehmen, und das großzügige Versprechen aus dem Weißen Haus, der Regierung dabei auch ein weiteres Jahrzehnt zu helfen?
Bewerkstelligt werden soll die Umsetzung des Auftrags nicht allein durch eine afghanische Armee, in der Untergebene von Stammesfürsten und ‚Warlords‘ aller Provinzen ihren Sold verdienen, sondern nicht zuletzt durch eine Partnerschaft der auswärtigen Kriegsherren mit der afghanischen Bevölkerung. Eine interessante Koalition! Damit ist das Misstrauen gegen die von den USA selbst installierte Regierung Karsai offiziell zu Protokoll gegeben und den Insassen des zerstörten und verelendeten Landes ein doppelter Auftrag verpasst: Sie sollen ihre Proteste gegen amerikanische Drohnenflüge und die nächtlichen Razzien einstellen, sich damit abfinden, dass USA und Nato bis zum endgültigen Abzug weiterhin zuschlagen, wenn die afghanischen Sicherheitskräfte mit den Taliban- und sonstigen Terroristen nicht alleine fertig werden; sie sollen lieber selber „pro-aktiv“ – per Beteiligung an Dorfmilizen, Infrastruktur-Schutzkräften u.ä. – dafür sorgen, dass Afghanistan nie wieder ein „safe haven“ für Feinde Amerikas wird; und sie sollen zuguterletzt für eine „unabhängige“, nicht „korrupte“ Regierung sorgen, welche Karsai immer nicht hinkriegt, weil er seine Herrschaft durch die Einbindung von konkurrierenden Stammesvertretern absichern will. Das kostet eben Geld und heißt bei den westlichen Sponsoren von Gewalt und Geld dann „Amtsmissbrauch“ und „Sumpf der Bestechung“.
Mit dem Auftrag ist eines klar: Auch in Afghanistan soll
Schluss sein mit der massiven militärischen Intervention,
das ist Beschluss. Also muss es auch anders
gehen, ohne „das Ziel“ zu gefährden! Dementsprechend
erklärt der Oberkommandierende der US-Streitkräfte die
Voraussetzungen des militärischen Abzugs für gegeben,
jetzt schon und dann erst recht im nächsten Jahr.
Großzügig definiert Obama die „terroristische Bedrohung“
herunter, erklärt die Hauptsache mit der glorreichen
Exekution des Osama für erledigt und den Beweis für
erbracht, dass die Feinde der Weltmacht zur
Rechenschaft gezogen werden, ganz gleich, wie lange es
dauert
(22.6.11).
Osama bin Laden is dead and General Motors is
alive
(Wahlkampfmotto,
Vizepräsident Biden). Amerika hat gewonnen. Nicht
Rückzug nach gescheiterter Mission, sondern „Übergabe der
Sicherheitsverantwortung“ als Zeichen erfolgreicher
Ordnungsstiftung. Die Hälfte der Talibanführer getötet,
die Offensiven zurückgeschlagen, so lautet die geschönte
Bilanz; mit Restbeständen der Taliban
können und
müssen die Afghanen bald selber fertig werden, sie
erschießen, mit ihnen verhandeln, ihnen ein Gehalt für
einen Seitenwechsel spendieren oder was auch immer – das
ist jetzt nicht länger Sache der USA. Hauptsache, das
Ergebnis stimmt.
Keine Frage ist auch: Die Kontrolle behalten die USA. Als die berufene Ordnungsmacht, welche die fälligen Aufträge erteilt und ihren Vollzug prüft, gewährt und organisiert die US-Regierung auch Unterstützung, soweit sie diese für nötig befindet. Was auf jeden Fall nötig ist, um im Kampf mit den Taliban die Oberhand zu behalten, weiß Obama schon heute: Die afghanische Armee und die Polizei müssen weiter ausgebildet werden; und auch wenn die immerhin auf 352 000 Uniformierte angewachsene heimische Truppe auf Dauer zu teuer wird und deshalb auf „nachhaltige“ 230 000 Mann gesundgeschrumpft werden soll, müssen die Sicherheitskräfte, ihre Ausstattung und ihr Training mit auswärtigen Dollars bezahlt werden – denn dafür reicht die im Lande ansässige „Volkswirtschaft“ nicht aus. Etwa 4 Milliarden Dollar pro Jahr hat der Natogipfel in Chicago eingeplant. Und natürlich behalten die USA sich auch die Entscheidung darüber vor, bei Bedarf auch nach 2014 wieder direkt in das Gewalt-Geschehen einzugreifen. Die Drohnen fliegen weiterhin, vor allem Richtung Pakistan, einige „Kampfeinheiten für die Terrorbekämpfung“ sollen vor Ort bleiben, und Killerkommandos der Marines lassen sich bekanntlich immer schicken. Für sonstige zivile Aufbauleistungen fehlt es an Zeit, Geld und Menschenmaterial – alle drei Dinge sind Amerika entschieden zu kostbar, um sie noch länger in Afghanistan zu investieren. Das ist die „eindeutige“ Antwort Obamas auf die rhetorische Frage, warum Amerika nicht mehr will als das „eine Ziel“:
„Die Antwort darauf ist eindeutig: Es ist nicht unser Ziel, ein Land nach amerikanischem Vorbild aufzubauen oder alle Spuren der Taliban zu beseitigen. Um dies zu erreichen, bräuchte es viele Jahre Zeit, viele weitere US-Dollars, und vor allem würde es viele weitere amerikanische Menschenleben fordern.“ (2.5.12)
Der Führer der USA bekräftigt die Linie, welche er schon
lange vorgegeben hat: dass es „Hilfe“ für die
„unabhängige afghanische Regierung“ nur mehr gibt, „um
die beiden eng umrissenen Sicherheitsaufgaben –
Bekämpfung des Terrorismus und weitere Ausbildung
(dafür!) – zu erfüllen“. Und statuieren damit ein schönes
imperialistisches Exempel: Die USA – und ihre
Nato-Verbündeten mit ihnen – demonstrieren, dass sie
durchaus damit leben können, wenn ein Land nebst Inventar
ein ganz und gar untauglicher Flecken ist und bleibt,
wenn von ihm nur „keine Gefahr ausgeht“ für die
Sicherheit Amerikas. Ein failed state ist hier regelrecht
im Programm, oder anders ausgedrückt: Dieser state cannot
fail, sofern er die eine elementare Funktion erfüllt, auf
die Amerika ihn reduziert: den Feinden der USA gewaltsam
jede Heimstatt und schon gleich die Eroberung der lokalen
Herrschaft zu verwehren. Und die amerikanische Regierung
hat abermals kein Problem damit, die
Souveränität dieses Staates und die
Unabhängigkeit
seiner Regierung gleichzusetzen mit
der Erfüllung der Weisung aus dem Weißen Haus.
Die USA sind schließlich der Garant, die militärische
Schutzmacht dieses Staates, den – wer wollte es
bestreiten – es sonst so gar nicht gäbe.
Das exklusive Recht der Schutzmacht auf seinen souveränen Partner
Wenn die amerikanische Regierung jetzt auf die Souveränität Afghanistans und eine unabhängige Regierung pocht, dann ist damit mehr gesagt, als dass sie sich eine Zentralgewalt in Kabul wünscht, die über die rivalisierenden Stammesinteressen wacht und gewaltsam dafür sorgt, dass antiamerikanische Gotteskrieger nirgendwo eine Heimstatt finden. Sie erhebt damit zugleich gegenüber dem Rest der Welt den Anspruch, die Gleichung von afghanischer Staatsgewalt und amerikanischer Funktionszuweisung unbedingt zu respektieren.
„Auf der Suche nach dauerhaftem Frieden verfolgen die Vereinigten Staaten lediglich die Absicht, dass Al Kaida keine Zuflucht mehr gewährt und die Souveränität Afghanistans geachtet wird.“ (Obama, 2.5.12 – Amerika Dienst)
Das ist die andere, die internationale Seite des Auftrags aus Washington. Es handelt sich um eine eindeutige Warnung und die ist hauptsächlich an jene Nachbarstaaten gerichtet, welche den angestrebten regionalen Frieden durch eigene Rechnungen durchkreuzen könnten. Sie sollen sich nichts vormachen. „Im Stich gelassen“ wie 1989, wo nach dem Abzug der sowjetischen Truppen auch die amerikanischen das Land verließen, bloß weil der Auftrag der Russenvertreibung erledigt war, wird Afghanistan garantiert nicht. Nicht hingenommen wird eine Missachtung der Souveränität des Partners durch Anrainer, die meinen, der Exit der US-Truppen biete ihnen die Chance, das Chaos zu nutzen und auf die internen Machtverhältnisse Einfluss zu nehmen, sprich die „Stabilität der Region“ zu untergraben. Das etwaige Chaos des „Übergangs“ mag kommen, wenn die amerikanischen Ordnungskräfte gehen, aber an Amerika vorbei geht gar nichts. Das ist die politische Lektion. Die betrifft einerseits den Nachbarn im Westen, den Iran, der sowieso als aktueller Hauptfeind Amerikas im Visier ist. Andererseits und explizit den Hauptverbündeten auf der anderen Seite der afghanischen Grenze: Pakistan – das Land also, welches die zerstörerischen Wirkungen der amerikanischen Rollenzuweisung ebenfalls besonders drastisch erfährt. Originalton Obama:
„Ich habe auch dem Nachbarland Pakistan klar gemacht, dass es ein gleichberechtigter Partner in diesem Prozess (der Befriedung Afghanistans) sein kann und sollte, und zwar unter Berücksichtigung der Souveränität Pakistans, seiner Interessen und demokratischen Institutionen.“ (2.5.12)
Keinen Zweifel lässt der Präsident auch hier, worin die Gleichberechtigung des souveränen Partners besteht. „Keine Zuflucht“ für Terroristen darf das Land bieten, so lautet der Befehl. Wenn der pakistanische Freund das nicht selber erledigt, dann erledigt es eben Amerika – auch wenn dabei weiterhin pakistanische Soldaten und Zivilisten unter Feuer geraten. Und unfreundliche Reaktionen auf derartige ‚Irrtümer‘ wie das Schließen der Nachschub- und Abzugsroute für die US-Krieger sind nicht zu tolerieren. Auch das ist „sehr einfach“!
Der exklusive Kontrollanspruch der USA schließt
unerwünschte Einmischung Dritter aus. Zugleich
ergeht die Einladung an die näheren und ferneren Partner
Amerikas, sich Amerikas einzigem Ziel anzuschließen und
die dafür unvermeidlichen Lasten und Kosten mit der
Weltmacht zu teilen. Wenn Amerika sich für einen Zeitplan
entscheidet und seine Helden heim – bzw. an andere,
strategisch wichtigere Orte – holt, dann darf das nicht
als Signal für einen ungeordneten Rückzug der
Nato-Partner missverstanden werden. Auch an dieser Front
ist leadership also dringend nötig. Denn nicht nur
Frankreich, dessen neuer Präsident seine Kampftruppen
„vorzeitig“ abzieht, verfolgt seine Ziele, die
keineswegs deckungsgleich sind mit dem Ziel, für
welches Amerika seine Verbündeten einspannen will –
nämlich der angeschlagenen Weltordnungsmacht auf dem
afghanischen Schauplatz doch noch zu einem glaubwürdigen
Erfolgsbeweis zu verhelfen. Deshalb präsentiert die
Regierung Obama auf dem Nato-Gipfel ihre
„Afghanistan-Initiativen für das nächste Jahrzehnt“,
organisiert Foren hier und dort und macht gehörig
diplomatischen Druck – auch die Vision einer Neuen
Seidenstraße
darf nicht fehlen –, um die neuen
Aufgaben zu „regionalisieren“ und die Lasten der
„Stabilisierung“ auf die internationale
Staatengemeinschaft zu verteilen.
Das alles ist verlangt für das „einzige“ und „enge“ Ziel,
Al Kaida zu zerstören
.
Dann steht einer blendenden Zukunft für Afghanistan nichts mehr im Wege – und Amerika macht einen wichtigen Schritt nach vorn, um sich auf die großen strategischen Aufgaben im Nahen und Fernen Osten zu konzentrieren. Auf Amerikanisch:
„And I am confident that although our challenges are not yet behind us, that the future before us is bright.“ (Obama in Kabul, 1.5.12)[1]
Die Etappe des Krieges gegen den Terror soll ein Ende haben, die nächste Etappe der Behauptung der amerikanischen Führungsrolle gegen staatliche Störenfriede und mächtige Rivalen hat schon begonnen, und die Soldaten Amerikas werden den Segen Gottes weiterhin brauchen. Das ist gewiss:
„Diese Zeit des Krieges begann in Afghanistan und wird auch hier enden. Lassen Sie uns also mit gegenseitigem Vertrauen und einem festen Blick in die Zukunft die vor uns liegende Arbeit zu Ende bringen und einen dauerhaften, gerechten Frieden schaffen. Gott segne unsere Soldatinnen und Soldaten, und Gott segne die Vereinigten Staaten von Amerika.“ (Obama, 2.5.12)
Dauernd die imperialistische Vorherrschaft sichern – wenn das keine harte Arbeit ist.
[1] Zu Deutsch: Und
ich bin zuversichtlich, dass die Zukunft, die vor uns
liegt, für uns glänzend ist, obwohl unsere
Herausforderungen noch nicht hinter uns liegen.