Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Aufregung über Erfolge von PDS und Rechtsradikalen bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen:
Wo der ‚Konsens der Demokraten‘ heute endet

Die „Protestwähler“ haben von ihrem guten demokratischen Recht Gebrauch gemacht, keiner der staatstragenden Parteien ihr Wahlkreuz zu schenken. Stattdessen haben sie weit oberhalb der 5-Prozent-Klausel DVU, NPD und PDS gewählt und damit ihre Unzufriedenheit mit dem Reformkurs, der so manchem an die Existenz geht, genau in der Weise zum Ausdruck gebracht, die in der besten aller möglichen Staatsformen für oppositionelles Sinnen und Trachten einzig vorgesehen ist

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung

Aufregung über Erfolge von PDS und Rechtsradikalen bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen:
Wo der ‚Konsens der Demokraten‘ heute endet

Die staatstragenden Parteien

der BRD sind sich schon seit einiger Zeit in der Diagnose des Leidens der Nation weitgehend einig: Deutschland nimmt vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht international nicht den Platz ein, der ihm gebührt; und das liegt daran, dass „die Arbeit“ zu teuer ist; was eindeutig daran zu erkennen ist, dass der insgesamt gezahlte Lohn für die insgesamtige Zahl derer, die davon leben müssen, nicht reicht; nur wenn der Lohn samt seinen Nebenkosten sinkt, kann es wieder aufwärts gehen – mit der Arbeit und mit der Nation. Über die Therapie herrscht also erst recht kein Dissens. Es bedarf radikaler Reformen, die „einigen wehtun“. Also legen sich die Wahlkämpfer schwer ins Zeug. Schließlich gilt es, das Wahlvolk zur Zustimmung zu einer Politik zu bewegen, die einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung, vor allem im Osten, einiges zumutet. Das klingt allerdings schwerer, als es ist: An den Opfern, die sie den ohnehin Minderbemittelten der Nation zumuten, beweisen demokratische Machthaber „Mut“ und „Stehvermögen“ – was man zum Macht-Ausüben eben so braucht an Rücksichtslosigkeit –, profilieren sich als Macher, die sich durch keinerlei „opportunistisches Schielen auf Wählerstimmen“ von ihrem Vorhaben abbringen lassen. Wenn das verehrte Volk ihnen dafür noch nicht zujubelt, setzen sie noch eins drauf und erklären den Leuten, wie schwer sie es mit ihrem Volk haben, das zwar Reformen will, aber immer nur bei „den anderen“. Das geht dann so:

„Inhaltlich überstrahlte die Arbeitsmarktreform mit dem Etikett ‚Hartz IV‘ den Wahlkampf. Die SPD bildete eine Task Force mit Ministerpräsident Platzeck an der Spitze… Ausgestattet mit einem Sack voller Faktenfaktenfakten zog der Trupp über brodelnde Marktplätze, um die Menschen ruhigzureden. Anfangs flogen Eier und Tomaten, zuletzt legte sich der Aufruhr… Sein CDU-Widerpart Jörg Schönbohm … sagte deutlicher, dass Hartz IV grundsätzlich sinnvoll ist.“ „Spitzenkandidat Thomas Jurk … resignierte … im Wahlkampf trotz der Hartz IV-Proteste nicht …, sondern … hat … Profil gewonnen.“ (SZ, 18./19.9.04)

Dennoch: Die offensive Demonstration des Willens, Hartz IV und damit die weitere Verarmung von Millionen Ossis durchzusetzen, hat nicht jedem Mitglied des Wahlvolks eingeleuchtet. Trotz allen Bemühungen gelang es CDU und SPD nicht ganz, alle Stimmen von den Marktplätzen einzusammeln.

Die „Protestwähler“

haben von ihrem guten demokratischen Recht Gebrauch gemacht, keiner der staatstragenden Parteien ihr Wahlkreuz zu schenken. Statt dessen haben sie weit oberhalb der 5-Prozent-Klausel DVU, NPD und PDS gewählt und damit ihre Unzufriedenheit mit dem Reformkurs, der so manchem an die Existenz geht, genau in der Weise zum Ausdruck gebracht, die in der besten aller möglichen Staatsformen für oppositionelles Sinnen und Trachten einzig vorgesehen ist: Wer sich von den Maßnahmen der Regierenden aus welchen Gründen auch immer betroffen wähnt und unzufrieden ist, der soll sein Schicksal einem der Vereine überantworten, die über ihn und sein Schicksal Macht ausüben möchten und dafür um sein Vertrauen werben. Diese Vereine und Figuren erledigen dann alles Weitere: Sie lesen aus dem Wahlkreuz den Auftrag zu genau der Politik heraus, mit der sie sich alternativ-konstruktiv in die Verwaltung der Staatsgeschäfte einmischen wollen. Insoweit haben die Protestwähler im Osten eigentlich alles richtig gemacht, nämlich ihren Protest „kanalisiert“, d.h. auf seine einzig politikfähige Form heruntergebracht und Ermächtigungen ausgeteilt. Das Ergebnis geht dann aber doch nicht in Ordnung. Auch in der Demokratie ist das korrekte demokratische Procedere eben doch nicht alles: Der Konsens der Demokraten hat auch inhaltlich seine Grenzen; und die liegen derzeit in Schröders BRD nun einmal in der Nähe von Hartz IV.

Die „populistischen Protestparteien“

haben sich die Betroffenheit durch Hartz IV nicht entgehen lassen. Dass die Reformen jede Menge Arme schaffen, haben sie gleich konstruktiv zu einem Argument dafür gemacht, dass ihnen und nicht der etablierten Konkurrenz das Wahlkreuz gebührt. So haben sie sich zwar einerseits um das Vaterland verdient gemacht, indem sie den Protest gegen handfeste materielle Verschlechterungen in eine staatsbürgerliche Verlaufsform gebracht haben: Praktisch hat der „Widerstand“ sich mit der Stimmabgabe ausgetobt; und über den Wahltag hinaus ist zumindest in dem einen Punkt für eine korrekte staatsbürgerliche Sicht der Dinge gesorgt: Sozial ist, was Arbeit schafft! – das steht auch für alle empörten Protestwähler fest, wenn als einzige Kritik an der Berliner Herrschaft der Vorwurf übrig bleibt, sie wäre unfähig oder womöglich gar nicht willens, dieses ihr eigenes Programm in die Tat umzusetzen. Also gilt: Alles, was der Mensch braucht, ist ein Arbeitsplatz; zu welchen Bedingungen, das ist bestenfalls zweitrangig. Die Verfügungsmacht und das Verfügungsrecht derer, die den schönen Beruf des Arbeitgebens ausüben, über „Beschäftigte“ wie „Nicht-Beschäftigung“, also über den Lebensunterhalt der restlichen, lohnabhängigen Bevölkerung, und die Verpflichtung der Sozialpolitik auf deren Gewinn- und Verlustrechnungen als entscheidendes Kriterium, das ist damit schon mal grundsätzlich anerkannt – nicht wenig an substanzieller Einigkeit mit der Politik, gegen die da Protest eingelegt wird.

Andererseits haben die Links- wie die Rechtsabweichler in Sachsen und Brandenburg kritische Lesarten zu der Art und Weise angeboten, wie die etablierten Parteien gewisse Wirkungen dieser segensreichen politökonomischen Machtzuteilung und Aufgabenstellung bewältigen. Und mit denen haben sie den gemeinsamen Nenner von rot-grüner Regierung und schwarz-gelber Opposition in einer Weise verlassen, wie es sich hierzulande einfach nicht gehört.

Die PDS: Für das Recht des anständigen Mitbürgers auf mehr Soziales in der Marktwirtschaft

„Das Existenzminimum von Sozialhilfeberechtigten wird nun noch weiter heruntergedrückt. … Alg II und Sozialhilfe sind zu gering bemessen, um den Betroffenen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. … Die Talfahrt in die Armut für viele der jetzigen Arbeitslosenhilfebezieher/innen wird massiv beschleunigt werden und weitere Kaufkraftverluste nach sich ziehen. … Hier wirkt sich auch die sinkende Kaufkraft, die das Hartz IV Gesetz mit sich bringen wird, negativ auf die Kommunen aus … Anstatt auf eine hohe Qualifikation der Menschen zu bauen, droht als Folge der künftigen Zumutbarkeitskriterien eine breite Dequalifikation der Menschen. Dies hat nicht nur Folgen für die Lebensperspektiven der Einzelnen, sondern wird auch erhebliche Teile des gesellschaftlichen Reichtums vernichten. Hier werden noch stärker als bisher bereits durch die hohe Arbeitslosigkeit Qualifikationen entwertet, deren Entstehung die Gesellschaft viel Geld gekostet hat … Arbeitsplätze statt Druck auf Arbeitslose, soziale Gerechtigkeit statt Massenarmut … dass soziale Gerechtigkeit nicht sozialdemokratische Leerformel bleibt, sondern gelebte Wirklichkeit wird.“ (Beschluss des Parteivorstandes vom 23.8.)

Die PDS geißelt die Wirkungen der neuesten Berliner Sozialgesetze, klagt die Schädigung der vielen ohnehin Geschädigten des bundesdeutschen Arbeitsmarktes und des darüber aufgepflanzten Sozialwesens an – und hat immer noch einen zusätzlichen Gesichtspunkt anzubieten, unter dem daraus erst ein richtiger, die Allgemeinheit betreffender Skandal wird.

  • Es langt ihr nicht, dass diese Nation mit ihrem marktwirtschaftlichen System und dessen sozialpolitischer Betreuung im Zuge ihres rasanten Fortschritts und mit ihrem Jahr für Jahr eingefahrenen Wirtschaftswachstum immer mehr Leute vom produzierten gegenständlichen Reichtum ausschließt: Die soziologische Phrase von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, diese Gummiformel zur vornehmen Umschreibung von Armut und Not, die darin steckende Erinnerung an das Ideal eines gesellschaftlichen Lebens, bei dem alle mitmachen, die Billigausgabe des bürgerlichen Ideals einer allgemeinen Harmonie, das von allen in der gesellschaftlichen Realität lebendigen Interessengegensätzen mal kurzerhand abstrahiert und zu denen deswegen so unverwüstlich dazugehört wie die weihnachtliche Mildtätigkeit – das muss schon sein, damit demokratische Sozialisten sich richtig empören können. Und dass sie damit auf gar nichts Unbilliges hinaus wollen, sondern bloß auf gleiches Recht für alle, auf gleichberechtigte Teilhabe an jenem sagenhaften, über jede Kritik erhabenen gesellschaftlichen Leben, das möchten sie auch gleich betont haben.
  • Es genügt den PDSlern nicht, der Gemeinheit einer Wirtschaftsweise und dem Zynismus der dazugehörigen Sozialpolitik, die für zehn oder mehr Prozent der Bevölkerung eine Talfahrt in die Armut programmieren, den Kampf anzusagen: Die volkswirtschaftliche Reflexion, dass es den produzierenden und den Handelskonzernen dann an Kaufkraft fehlt, das marktwirtschaftliche System sich also gewissermaßen selbst ins Knie schießt, und damit die völlig unkritische Übernahme des Standpunkts, dass in diesem System und nach dessen Logik nicht die Wirtschaft für den Lebensunterhalt der Leute, sondern der Lebensunterhalt der Leute für das Funktionieren des Geldkreislaufs mit Zielpunkt Unternehmenskasse da ist – das mögen sie sich nicht schenken, so systemkonform möchten sie schon bleiben in ihrer Kritik. Und weil sie sich dann doch nicht umstandslos für die Profitmacherei von Siemens, Aldi und Co stark machen wollen, verweisen sie aufs gemütliche Stadt- und Landleben hierzulande, auf unser aller Kommunen mit ihren Gewerbesteuern als die eigentlich Geschädigten, wenn die Profite zu wünschen übrig lassen.
  • Ganz ausdrücklich genügt es der großen linken Ostvolkspartei nicht, dem Wähler vor Augen zu führen, dass alle Kenntnisse und Fähigkeiten, alle Bemühungen, die einer auf sich nimmt, um im Sinne der offiziellen Propagandaphrase von der ‚modernen Wissensgesellschaft‘ etwas Nützliches zu lernen und sich anzutrainieren, überhaupt nichts taugen und völlig für die Katz’ sind, wenn es keinen Arbeitgeber gibt, der daraus seinen Nutzen zieht, und dass der Sozialstaat die erworbenen Fähigkeiten geradezu zerstört, wenn er mit seinen Arbeitsverpflichtungen die Leute in immer stumpfsinnigere Tätigkeiten hineinbugsiert: Eindruck machen will sie mit dem Vorwurf der Geldverschwendung. Sie schert sich nicht darum, was da außer Geld eigentlich noch verschwendet wird; sie will nichts davon wissen, warum und mit welcher Notwendigkeit zum System der kapitalistischen Geldvermehrung eine Menge Geldverschwendung dazugehört; stattdessen präsentiert sie sich ihren Wählern als eine Art freischaffender oberster Bundesrechnungshof, der dem Steuerzahler zu seinem Recht verhelfen will, nämlich: dass jeder Euro, der ins Bildungswesen gesteckt wird, auch wirklich erfolgreich dafür verwendet wird, den Benutzern von Arbeit den Zugriff auf jede Menge und Sorte Qualifikationen zu verschaffen, die sie gerade brauchen.

Geradezu lehrbuchmäßig führt diese „Protestpartei“ vor, wie man als demokratischer Politiker das Elend der regierten Leute zitiert, nicht um dessen Gründe zu ermitteln, was immerhin der erste Schritt zu seiner Beseitigung wäre, sondern um es zum Sorgeobjekt zu erklären und darüber den Standpunkt des besorgten Subjekts zu etablieren: den Standpunkt der Obrigkeit, die sich um alles Mögliche kümmern muss, weil ihre Sorge dem Weiterfunktionieren jenes gesamten Ladens gilt, der das zitierte Elend beständig reproduziert. Sie führt vor, welche Rolle hierbei die Ideale spielen, die die bürgerliche Gesellschaft sich selber so gerne als ihren wahren Sinn und Zweck bescheinigt: Die wirklichen gemeinen Funktionsprinzipien dieser Gesellschaft verschwinden hinter einem heiteren Selbstbild von „gesellschaftlichem Leben“; die schnöde Realität erscheint als ewiges Bemühen um die Verwirklichung ihres Gegenteils; und das Publikum wird herzlich eingeladen, den Machern und Machthabern, die es mit der Verwirklichung ihrer Ideale immer so schwer haben, gutes Gelingen zu wünschen – und den Verantwortlichen oder denen, die es werden wollen, wenigstens ihre Wahlstimme zu spendieren. Zwischen sich und den anderen demokratischen Parteien lassen diese Linken, die ihre Agitation mit bitteren Vorwürfen von wegen Existenzminimum heruntergedrückt und Talfahrt in die Armut massiv beschleunigt anfangen, am Ende nur den einen Unterschied gelten: Sie nähmen die allgemein geteilten Ideologien über die eigentlich harmonische Natur eines richtig regierten Kapitalismus, speziell das Ideal der sozialen Gerechtigkeit, ernster als die regierende Sozialdemokratie.

So liefert die PDS mit ihrem Protest einen kongenialen Beitrag zur nationalen Wertedebatte; und damit liefert sie ein ausdrückliches Bekenntnis zu der grundsätzlichen Verlogenheit des demokratischen Kapitalismus ab: zu der Lüge, er wäre ein nach besten Kräften gelebtes Ideal. Im Namen dieses Ideals die Hartz-Gesetze abzulehnen und sie dort, wo das Ideal praktisch gelebt wird, zu vollstrecken: Das ist für die PDS dann auch kein großes Problem mehr; so systemkonform weiß sie allemal Regierungsverantwortung und wahlkämpferische Berechnung voneinander zu scheiden und miteinander zu vereinbaren. Damit verstößt sie nur gegen Eines: gegen den politischen Geist der Schröder-Republik, der von der alten sozialdemokratischen Lesart der Ideale einer ausgleichenden Gerechtigkeit im Klassenstaat nichts mehr wissen will. Und dass sie damit im Osten auch noch Erfolg hat: Das stört.

Die NPD: Für das Exklusivrecht deutscher Volksgenossen auf einen ganz und gar nationalen Kapitalismus

Was Polemik gegen die Berliner Sozialgesetze und antikapitalistische Töne betrifft, stellen NPD und DVU ihre Konkurrenz von links leicht in den Schatten.

„Zum 1. Januar 2005 findet der größte soziale Raubbau unserer Nachkriegsgeschichte statt. Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II werden Arbeitslose zu Sozialhilfeempfängern gemacht und systematisch in die Armut getrieben. Knallhart werden untertariflich bezahlte Arbeitslose, die sich an jedem Ort zu jedem Preis verkaufen müssen, gegen die noch in Lohn und Brot stehenden Erwerbstätigen ausgespielt. Wir brauchen eine Politik, die Arbeit für Deutsche schafft! … Wir fordern die Rückführung hier lebender Ausländer in ihre Heimat. Jeder beschäftigte Ausländer, der nach Hause geht, macht einen Arbeitsplatz für Deutsche frei. Jeder ausländische Sozialhilfe-Empfänger, der geht, liegt dem deutschen Sozialsystem nicht länger auf der Tasche.“ „Diese Agenda 2010 ist das Produkt einer volksfremden und international ausgerichteten Politik des BRD-Apparates. Deutschland wird nicht sozialreformiert, sondern nach dem Willen der Konzerne kapitalistisch transformiert.“ (www.sachsen.npd.de)

Mit idealisierenden Umschreibungen des Schadens, den eine systemgemäße Sozialpolitik den Arbeitslosen wie den noch Beschäftigten im Land zufügt, und mit volkswirtschaftlichen Theoriestücken zur Ermittlung der Nachteile, die das gesellschaftliche System als ganzes dadurch erleidet, halten die Rechten sich nicht auf. Das Haupt- und General-Ideal, das sie im Kopf haben, wenn sie über fehlende Arbeitsplätze und erpresserische Lohnsenkung schimpfen, der Höchstwert, den sie angegriffen sehen, wenn es Sozialhilfeempfängern und Billiglohnarbeitern noch schlechter gehen soll als bisher, das fasst sich für sie schön übersichtlich in seinem nationalen Eigennamen zusammen: Deutsch! Als Deutsche leiden die Hartz-IV-Opfer Not. Nicht in ihrer Eigenschaft als brave Dienstkräfte einer freien nationalen Marktwirtschaft und nicht nach der Logik noch jeder sozialen Klassengesellschaftsverwaltung werden sie ins Elend gestürzt; angetastet wird dadurch recht eigentlich ja auch ganz etwas anderes, etwas viel Höheres als ihr Lebensstandard: In ihrer „Eigenschaft“, das Fußvolk einer und derselben Staatsmacht zu sein, als Eingeborene eines Herrschaftsbereichs, den Rechte sich gerne wie einen politischen Chromosomensatz in Herz und Hirn jedes Volksgenossen vorstellen, erleiden sie ein Unrecht, dessen ganzer Inhalt damit auch schon feststeht: Hartz IV würdigt die Tatsache nicht, dass dadurch nicht einfach ziemlich normale Zeitgenossen, sondern Menschen geschädigt werden, die der deutsche Staat zu seiner angestammten Manövriermasse zählen darf. Stattdessen werden Volksfremde, Ausländer, genauso behandelt wie überflüssig gemachte Einheimische: Das ist für Rechte der Skandal. Da spielt es auf einmal auch gar keine Rolle mehr, dass die bösen Ausländer genauso schlecht behandelt werden wie ihre deutschstämmigen Klassenbrüder und -schwestern, genau demselben sozialen Raubbau ausgesetzt sind, der gerade vorher angeprangert worden ist: Das Schlimme an der Arbeitslosigkeit ist nicht, dass es sie gibt, sondern dass ein paar Volksfremde davon verschont bleiben; die Kritik an Billiglöhnen und der neuen Sozialhilfe gilt nicht deren erbärmlichem Niveau, sondern den Nicht-Eingeborenen, die davon auch noch etwas abkriegen. Andersherum: Wenn man wenigstens keinen Ausländer mehr zu Gesicht kriegt, der auf einem Arbeitsplatz hockt, den ein Deutscher nicht kriegt; wenn es wenigstens kein Fremdling ist, der beim Lohnsenken gegen die anderen Erwerbstätigen ausgespielt wird; wenn es wenigstens nur noch geborene Deutsche sind, die mit einer abgesenkten Sozialhilfe abgespeist werden: Dann wäre die Welt schon wieder in Ordnung. Die soziale Anklage ist nichts als Material für eine nationale Beschwerde, der polemische Auftakt dazu, darauf zu bestehen, dass wenigstens bloß Deutsche in den Genuss von Ausbeutung und sozialpolitisch betreuter Armut gelangen.

Dieser absurde Übergang funktioniert nur, weil auf die ökonomische Natur und die Gründe der ‚sozialen Missstände‘, über die, und auf die sozialpolitische Logik des Elends, über das da Beschwerde geführt wird, wirklich kein Gedanke verschwendet wird und deswegen auch gar nicht erst die Frage aufkommt, wie denn die Ausgrenzung von ein paar Mit-Betroffenen die Lage der in moderne Verelendungskarrieren abgeschobenen Lohnabhängigen zum Guten wenden soll. Aber so borniert funktioniert er prima. Die Rechten brauchen gar kein Ideal einer Volksgemeinschaft auszumalen, die mit rasserein deutschen Proleten und Sozialhilfeempfängern wunderbar harmonisch ein ewiges Weihnachten feiern würde: Die militante Außenseite dieses albernen Ideals tut’s schon. Die Ausgrenzung derer, die auf alle Fälle nicht dazugehören und die man daran erkennt, dass sie nicht schon mit einem deutschen Pass auf der Glatze geboren sind, steht dafür, dass innerhalb der dicht gemachten Grenzen der Kapitalismus zur Idylle wird. Die Grenzen nicht dicht gemacht zu haben, ist folgerichtig der eigentliche und entscheidende Vorwurf an die Bundesregierung mit ihrer „Agenda 2010“: Sie bedient den Fanatismus der Ausgrenzung nicht. Das langt schon, um den BRD-Apparat als Büttel internationaler Konzerne dingfest zu machen, und umgekehrt soll mit diesem Vorwurf auch gar nichts anderes gesagt sein, als dass es die Pflicht einer wahrhaft volksnahen Obrigkeit wäre, die falschen Billiglöhner und Sozialhilfeempfänger aus Deutschland ’rauszuschmeißen.

Vom Konsens der Demokraten, die in Berlin regieren bzw. oppositionell mitregieren, sind die Rechtsradikalen damit wirklich nicht weit weg. Aber dass sie erstens ausgerechnet die über jeden Zweifel erhabenen kapitalfreundlichen Sozialreformen hernehmen, um zweitens in so wüster offensiver Form ausgerechnet den regierenden Schilys und Becksteins sträfliche Pflichtvergessenheit in Sachen ‚Deutschland den Deutschen‘ vorzuwerfen – und dass sie drittens damit auch noch gut ankommen und in zwei Bundesländern zwischen 6 und 10 Prozent der Wählerstimmen einkassieren –: Das ist ihr Verstoß. Dabei fallen sie vor allem dadurch auf, dass sie sich mit ihrer patriotischen Polemik gegen eine Etikette versündigen, die die demokratisch etablierte Rechte im Land immer noch, wenn auch bisweilen zähneknirschend, respektiert: Gerade wenn sie gegen das angebliche „Multi-Kulti-Deutschland“ eifern, aus der Europawahl eine Gelegenheit machen, „gegen die Türken“ zu stimmen, und Unterschriften gegen ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz sammeln – „Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?“ –, pflegen die C-Gruppen das Ausgrenzende am Nationalismus, die Ausländerfeindlichkeit, an die sie appellieren, zugleich zu dementieren. Diese Verlogenheit im patriotischen Wahn kündigt die militante Rechte auf und kommt damit nicht bloß dem Monopolanspruch der christlichen Volkspartei auf nationalistische Wählerstimmen in die Quere. Sie macht sich auch noch in einer grundsätzlicheren Hinsicht verdächtig: Ihre Ausländerhetze ist zwar eindeutig darauf berechnet, gewählt zu werden und in den Parlamenten öffentlichkeitswirksam für eine kompromisslosere Ausländerpolitik einzutreten; sie ermuntert ihre Adressaten womöglich aber nicht nur zu einer Wahlstimme und einer Unterschrift, sondern zu außerparlamentarischen Aktivitäten gegen Ausländer, die der Rechtsstaat unter die Verbrechen gegen sein Gewaltmonopol rechnet.

Auf alle Fälle aber wird dem normalen braven Wähler auch von rechts eine „echte inhaltlich-programmatische Alternative“ anstelle einer „reinen Personalityshow“ geboten. Von links ist, wie gesagt, auch ein Beitrag im Angebot, der sich deutlich vom Konsens der „Mitte“ abhebt: Beste Voraussetzungen eigentlich für einen Wahlkampf, in dem der demokratische Diskurs zur Hochform auflaufen könnte. Und in der Tat. Genau dieser Diskurs findet im Wahlkampf ausgiebig statt – dazu zwei Artikel in der vorigen Nummer dieser Zeitschrift –; und das Wahlergebnis wird genauso sorgfältig aufgearbeitet.

Die Reaktion auf die Wahlerfolge von NPD und PDS

zeugt jedenfalls von der Lernfähigkeit unserer öffentlichen Meinungsbildner. Der Totalitarismus, den unsere Demokratie in ihrer Agitprop gegen die Hartz-Proteste unter Beweis gestellt hat, scheint ihnen gleich so in Fleisch und Blut übergegangen zu sein, dass sie durch die Wahlerfolge der Protestparteien, die Hartz IV „populistisch ausgenützt“ hätten, die Demokratie in Deutschlands befreitem Osten in Gefahr wähnen: Auch 15 Jahre nach der Einheit ist Ostdeutschland von einem stabilen demokratischen Gemeinwesen noch weit entfernt. (Badische Zeitung, 20.9.) Auch und gerade, wenn es massenhaft Unzufriedenheit gibt, hat die sich nämlich nicht in der Wahl einer „Protestpartei“ zu artikulieren, vielmehr haben die etablierten Parteien gerade dann ein unveräußerliches Recht auf Zustimmung. Das von der Angst, abgehängt zu sein auf Dauer (Milbradt, SZ, 21.9.), geplagte Wahlvolk hätte also gefälligst seine Stimmen zwischen CDU und SPD hin und her zu schieben. Dass das nicht passiert, die Voten, die die SPD nicht bekommt, nicht automatisch bei den Christen – oder wenigstens im auch schon viel zu großen ‚Lager der Nicht-Wähler‘ –, sondern bei den völlig Falschen landen, überfordert das wohlwollende Verständnis der demokratischen Öffentlichkeit für die ‚Reform-Verlierer‘.

Inwiefern PDS und NPD/DVU so eindeutig die falschen Vertreter der nationalen – oder auch nur der brandenburgisch-sächsischen – Sache sind, das bedarf keiner weiteren Begründung; was für Einwände sie überhaupt gegen Hartz IV haben, gehört sich gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Ihre Parteinahme für den Protest disqualifiziert beide Seiten gleichermaßen. Den konformistischen Idealismus der sozialen Gerechtigkeit auf Seiten der PDS von dem Standpunkt des Unrechts an den geborenen Deutschen auf Seiten der Rechtsradikalen auch nur zu unterscheiden: die Mühe macht sich keiner der aufgeschreckten Volksaufklärer. Dafür haben die Schlauesten unter ihnen gleich eine prima Idee, wie sie das Bemühen der ungeliebten linken Volkspartei des Ostens um demokratische Seriosität ausnutzen und zugleich desavouieren können: Sie machen die PDS für die Wahlerfolge von NPD und DVU verantwortlich. Die PDS nämlich hätte nicht nur ihr eigenes parteipolitisches Süppchen auf der Unzufriedenheit der Ossis gekocht und mal wieder die Nation gespalten; sie wäre außerdem am Erfolg der Rechten schuld, insofern und weil sie mit ihren Einwänden gegen Hartz IV und die ‚Agenda 2010‘ deren Protest quasi ins Recht gesetzt hätte. Das ist nicht bloß ein schöner Fall von redlicher demokratischer Auseinandersetzung und herrschaftsfreiem Austausch von Argumenten. Der Vorwurf macht auch deutlich, was Demokraten von ihrem Wahlvolk halten: Das braucht für seine Meinungsbildung und sogar für den Protest, den es sich traut, eine Autorität, eine anerkannte Macht, die ihm eine abweichende Meinung gestattet; hätte die Volkspartei PDS das Tabu des Protestwahl-Verbots nicht gebrochen, dann hätten auch die Wähler der Rechtsradikalen davor gekuscht. Stimmvieh, das sogar noch für seine verkehrte Proteststimme eine Lizenz von irgendwie befugter Stelle braucht: Das ist die hohe Meinung mündiger Demokraten von ihresgleichen.

Für eine ‚inhaltliche Auseinandersetzung‘ mit der anderen Seite, den Rechten, braucht es erst recht keine Kritik ihrer Werbeparolen – was könnten gediegene deutsche Demokraten auch einzuwenden haben gegen einen Antrag auf Bevorzugung der eingeborenen Manövriermasse, auch und vor allem bei der Verelendung des armseligsten Teils, vor den Zugereisten; vorausgesetzt nur, der Antrag wird in höflicher Form gestellt und so, wie es sich gehört. Daran lassen die Rechten es fehlen, ganz bewusst sogar; sie machen das verlogene Dementi des nationalen Ausgrenzungswahns nicht mit; damit disqualifizieren sie sich; und dafür gehören sie exkommuniziert. Eigentlich und am besten per Verbot; und dass der entsprechende Versuch an innerjuristischen Bedenklichkeiten des höchsten Gerichts gescheitert ist, ändert an dem demokratischen Anliegen, den Feind von rechtsaußen durch Nicht-Zulassung zu widerlegen, überhaupt nichts. Der Bundesinnenminister gibt den Urteilstenor vor:

„Eine Partei, die eindeutig antisemitisch ist und die Verfassung bekämpft, sollte zu Wahlen nicht zugelassen werden.“ (Schily im ‚Spiegel‘, 40/04).

Dass sie eine eindeutig antisemitische Partei sowieso nicht wählen, traut der Innenminister seinen Deutschen nicht zu; auch auf eine durchschlagende Wirkung des moralischen Etiketts, das er den Rechtsradikalen anhängt, mag er sich nicht verlassen; da vertraut er schon eher auf den Wink mit einer rechtlichen Diskriminierung der falschen Vereine als Mittel der Wählerabschreckung.

Diese Vorgabe wird von der Öffentlichkeit prompt kreativ umgesetzt. Allenthalben machen sich Reporter auf den Weg, um hinter der Maske des gern im Anzug und weißem Hemd, das Handy stets am Ohr, verbindlich, bürgerlich auftretenden NPD-Funktionärs den doch eigentlich kurz geschorenen, … Springerstiefel tragenden (SZ, 21.9.) verfassungsfeindlichen, Auschwitz leugnenden Brandstifter zu entlarven; am besten gleich ganz direkt – Frage des Interviewers an den NPD-Mann: Wann sagen Sie dem Wähler endlich, dass Sie eine Neonazi-Partei sind? Den Staatsmann, der an die Macht will, um sie ganz gediegen auszuüben, findet der erfahrene Beobachter in solchen Typen schon gleich nicht:

„Die Unfähigkeit von NPD- und DVU-Abgeordneten hat sich bisher immer schnell offenbart, sie waren jedes Mal das Zerrbild eines Volksvertreters.“ (SZ, 18.9.)

Dieses Zerrbild wird gleich am Wahlabend inszeniert: Die Fernseh-Moderatorin hält dem Vertreter der NPD das Mikrophon hin, um es ihm sofort wieder wegzuziehen, lässt ihn noch nicht einmal die üblichen Danksprüche an den Wähler ’rüberbringen und führt damit den Beweis, wie wenig Neonazis zu sagen und an politischem Programm zu bieten haben, dass sie politische Nieten sind, und wie sehr die staatstragenden Parteien gegen sie im Recht sind. Wer solche Figuren trotzdem wählt, ist politisch einfach nicht zurechnungsfähig:

„Sachsen ist zum Zentrum des politischen Irrationalismus in Deutschland geworden.“ (SZ, 21.9.)

So eingeordnet, hat die grundlegende Veränderung der politischen Landschaft in Sachsen (Biedenkopf) am Ende sogar noch eine gute Seite: Allen unterbelichteten (Die Zeit, 23.9.) Zeitgenossen, die am Reformkonsens der bundesdeutschen Demokratie etwas auszusetzen haben, muss spätestens jetzt klar werden, „dass es zu den Reformen keine Alternative gibt“. Denn man sieht ja, wo diejenigen letztlich landen, die das immer noch nicht glauben wollen.