Europas Militär-Einsätze im Libanon
Der Einstieg der europäischen Nationen in die Konkurrenz um Krieg und Frieden im Nahen Osten

Das vorläufige Kriegsergebnis, wie es seit dem Waffenstillstand vom 11.8.06 vorliegt, wollen Europas Staaten nun mitverwalten. Mit ihrem Beschluss zur Übernahme des verstärkten Unifil-Mandats haben sich Europas Staatsmänner von ihrer Betroffenheit vom Krieg zur Mitwirkung am Frieden vorgearbeitet; und dafür geben sie sich, besonders die deutschen, eine „historische Stunde“ lang betont kämpferisch: Einige Minister fühlen sich berufen, öffentlich klarzustellen, dass jetzt ein „Kampfeinsatz“ bevorsteht, in dem Soldaten gefragt sind und nicht Angehörige des Technischen Hilfswerks.

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Europas Militär-Einsätze im Libanon
Der Einstieg der europäischen Nationen in die Konkurrenz um Krieg und Frieden im Nahen Osten

Europas Staaten sind betroffen: Israel führt Krieg an seiner Nordgrenze, der Anlass ist die Entführung zweier israelischer Soldaten, und Israel macht mit seinen Bombardements den Staat Libanon dafür haftbar, dass er die israelfeindliche Miliz beherbergt. Mit dem Begriff der Unverhältnismäßigkeit von Israels Kriegführung haben die Führer Europas die diplomatische Sprachregelung gefunden, mit der sie sich in den Krieg im Nahen Osten einmischen: Grundsätzlich zum Gegner von Israels Krieg wollen sie sich nicht aufbauen, Kritik daran wollen sie aber schon anmelden. So wie Israel den Krieg führt, geht das nicht in Ordnung, und mit dem Bekanntwerden der zivilen Opfer des israelischen Bombardements in Kanaa wagt sich sogar Deutschland vor zu behaupten, dass Israels Krieg zwar im Prinzip, in dieser Form aber nicht mehr gerechtfertigt sei. Mit den Forderungen nach einem sofortigen Waffenstillstand geben Chirac und Co. zu erkennen, dass dieser Krieg sie etwas angeht; dass Israel sie mit seinem militärischen „Engagement“ an Süd- und Nordfront gegen Hamas und Hizbullah herausfordert; dass sie mit diesem Krieg also überhaupt nicht einverstanden sind.

Das vorläufige Kriegsergebnis, wie es seit dem Waffenstillstand vom 11.8. vorliegt, wollen Europas Staaten nun mitverwalten. Mit ihrem Beschluss zur Übernahme des verstärkten UNIFIL-Mandats haben sich Europas Staatsmänner von ihrer Betroffenheit vom Krieg zur Mitwirkung am Frieden vorgearbeitet; und dafür geben sie sich, besonders die deutschen, eine „historische Stunde“ lang betont kämpferisch: Einige Minister fühlen sich berufen, öffentlich klarzustellen, dass jetzt ein Kampfeinsatz bevorsteht, in dem Soldaten gefragt sind und nicht Angehörige des Technischen Hilfswerks. Nicht ohne Stolz verkünden die Verteidigungsminister von den Kommandobrücken ihrer auslaufenden Kriegsschiffe, dass Europa nach fünf Jahrzehnten in eine Schlüsselregion des Weltgeschehens zurückkehrt – und zwar mit Militär. Europa schickt sich an, jetzt auch im Nahen Osten Frieden zu schaffen.

1. Israel erklärt Europas Nahost-Politik für irrelevant – mit Krieg

Europas Staaten interessieren sich nicht erst seit gestern für den Nahen Osten. Er ist für sie eine Weltregion, in der sie vitale Interessen geltend zu machen haben und in der sie sich befugt sehen, in allen Fragen des Herrschens und Wirtschaftens mitzureden. Ihre bisherigen Mitbestimmungsversuche, was für ein Frieden dort herrschen solle, finden freilich immer unter Rahmenbedingungen statt, die sie, die europäischen Nationen, nicht bestimmen. Die übermächtigen USA und deren kriegerischer Vorposten Israel legen stets sehr unwidersprechlich und exklusiv – nämlich immer wieder mit Kriegen – die aktuellen Machtverhältnisse fest, unter denen im Nahen Osten regiert und gelebt wird. Mit der Rückendeckung der Weltmacht kann die regionale Vormacht Israel die Region kontrollieren, so dass Europas Angebote, sich dem Judenstaat als Schutzmacht anzu‚dienen‘, einfach abgewiesen werden. Gegen die Allianz USA/Israel eine eigene, europäische Zugriffsmacht auf den Nahen Osten zu etablieren, kommt sowieso nicht in Frage; entmutigt hat dies europäische Politiker in ihren Bemühungen um einen dauerhaften Frieden in Nahost aber nicht: Sie wirtschaften aus den Vorgaben der USA und Israels eben das an weltpolitischer Mitsprache heraus, was sie mit ihren Mitteln zuwege bringen, mit Geld und Diplomatie.

Solange die USA auf eine Verhandlungslösung zwischen Israelis und Palästinensern setzen, solange kann die EU die diplomatische Bühne des „Nahost-Quartetts“ nützen, um sich in die Ausgestaltung dieser Verhandlungslösung einzumischen; solange die USA (und damit ein Stück weit auch Israel) eine Zwei-Staaten-Lösung mit einem wie machtlosen Palästinenserstaat auch immer anvisieren, solange finanziert die EU Einrichtungen der palästinensischen Autonomiebehörde mit milliardenschweren Investitionen, päppelt damit die personellen wie materiellen Voraussetzungen dieses Staatsprojektes, das neben und nicht gegen Israel existieren soll, auf und erhält sie aufrecht – um damit einen politischen Willen vor Ort zu stiften und zu betreuen, auf den Europa kraft seiner Finanzierung zuverlässigen Einfluss hat. Und Europa kann Syrien noch Angebote für den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen machen und sich darüber Erpressungspotenziale aufbauen, wenn die USA diesen „Schurkenstaat“ schon auf die „Achse des Bösen“ gesetzt haben.

So können sich die Staaten der EU als mitbestimmende Mächte in der Krisenregion einnisten. Sie erobern sich Hebel der Einmischung, indem sie den von den USA und Israel existenziell bedrohten Regimen die „Chance“ geben, sich zu ändern: Mit dem Finanzboykott der Palästinenserbehörde soll die Hamas zu politischen Zugeständnissen erpresst werden; mit der Drohung, wirtschaftliche Abkommen nicht zu ratifizieren oder aufzuheben, wird Syrien zur Räumung politisch-militärischer Positionen im Libanon gedrängt. Aber all diese Hebel haben einen großen Haken: Ihre Wirksamkeit hängt ganz von den Gewaltverhältnissen ab, welche die USA und Israel herstellen, kontrollieren und nach ihrem Bedarf verändern. Eine von den USA angezettelte „Zedern-Revolution“ im Libanon, die Syrien als Garantiemacht des Libanon absetzen soll, macht eben auch Europas vergleichsweise ‚bessere‘ Beziehungen irrelevant und ‚zwingt‘ Frankreich zur Verschärfung seines Kurses gegen Syrien, wenn es die Chance zur politischen Einflussnahme auf die künftige libanesische Staatsräson retten will. Der Krieg Israels entwertet also die Positionen, die sich die europäischen Führungsnationen wie Frankreich und Deutschland im Rahmen der unbestreitbaren amerikanischen Oberkontrolle erworben haben, substanziell: Wenn Israel den Gazastreifen mit Krieg überzieht, bleibt nicht viel von der europäischen Einflussgrundlage – der personellen wie sachlichen Ausstattung der Palästinenserregierung – übrig, und wenn es im Norden militärisch die Machtverhältnisse umwirft, auf deren Grundlage Frankreich sich eingeschaltet hat – dann muss Frankreich zusehen, wie seine Versuche, sich als Garantiemacht des Libanon gegenüber Syrien zu etablieren, von Israel überrollt werden. Europas imperialistische Positionen sind kriegerisch deklassiert, Europa ist aus der Entscheidung, welche Machtverhältnisse in Nahost herrschen, ausgemischt.

Deswegen können Europas Politiker Israels Krieg nicht leiden: Ihre notgedrungen politisch-zivilen Mittel der Einflussnahme auf die Mächte in Nahost leben von einem Frieden, den sie selber nicht geschaffen haben, den sie auch nicht garantieren können; und sie gehen verloren, wenn Israel mit Krieg ihre Grundlage zerstört und die Neuverteilung der Machtverhältnisse monopolisiert. Deswegen braucht Europa fürs Erste unbedingt den Frieden – damit es sich an seiner Ausgestaltung beteiligen und auf diesem Wege wieder in die Konkurrenz um ordnungsmächtigen Einfluss einschalten kann.

2. Europa ringt mit einer UN-Resolution um seine Bedeutung als Weltordnungsmacht im Nahen Osten

Europas Friedenspolitiker wollen ihren aktuell erlittenen Verlusten in Sachen Einmischung und Mitbestimmung in Nahost durch diplomatische Offensiven entgegenwirken. Die Versuche einzelner Nationen, Israel in seiner Kriegführung zu bremsen, scheitern; den EU-Außenbeauftragten Solana mit dem machtvolleren Einspruch eines gemeinsamen offiziellen EU-Mandates zu entsenden, bringt Frankreich nicht zustande:

„Europa war abwesend. Die EU hat ihre Aufgabe, ein starker Agent für den Frieden zu sein, nicht erfüllt.“ (Frankreichs Staatspräsident Chirac, FAZ 29.8.06)

Auch auf der UNO-Ebene gelingt es Frankreich als Ständigem Sicherheitsratsmitglied zunächst nicht, Israel zu stoppen. Es scheitert mit allen seinen Versuchen, UNO-diplomatisch Israels Souveränität in der Kriegführung einzugrenzen: Seine Forderungen nach einem sofortigen Waffenstillstand, einer frühzeitigen Aufgabe der Land- und Seeblockade des Libanon und einem schnellen Rückzug israelischer Bodentruppen werden abgeblockt. Erst nach 5 Wochen Krieg – Israel hat viele von seinen Kriegszielen erreicht,[1] vor allem die Zerstörung großer Teile der Infrastruktur des Libanon und die weitgehende Säuberung des Südens von Milizionären – gelingt es Frankreich, die USA und Israel zur Zustimmung zur Resolution 1701 zu bewegen, die die Kriegshandlungen vorerst beendet.

Der Preis, den die europäische Führungsmacht für diese diplomatische Einigung bezahlt, ist ein doppelter: Erstens billigt auch sie von höchster UNO-Stelle aus die von Israels Krieg geschaffenen Tatsachen, indem sie von einer Verurteilung Israels, etwa der vorher noch beklagten „völkerrechtswidrigen“ Behandlung der libanesischen Zivilbevölkerung, Abstand nimmt und dem Hizbullah mit seinem „Angriff auf Israel am 12. Juli 2006“ die Schuld am Waffengang zuspricht. Zweitens hat die amerikanisch-israelische Allianz die von ihr angestrebten Veränderungen der politischen Machtverhältnisse im Libanon als offizielle Ziele der UNO-Mission festschreiben können: Die Entwaffnung des Hizbullah, die Unterbindung des Waffenschmuggels für die Miliz und die Schaffung einer Sicherheitszone nördlich der offiziellen Grenze, der „Blauen Linie“, all dies soll nun angegangen werden; genau dafür haben die USA die Resolution ausgehandelt und deswegen hat Israel den Waffenstillstand unterzeichnet.

Der Ertrag, den sich Frankreich und seine europäischen Verbündeten mit der Resolution 1701 erhandelt haben, ist, dass der Krieg angehalten wurde, und zwar bevor Israel alle von ihm definierten „Sicherheitsprobleme“ im Norden vollständig bereinigt hat. Dabei ist allen europäischen Sicherheitspolitikern vollkommen bewusst, dass in Nahost am 11. August ein sehr unsicherer Frieden vereinbart wurde, der weit von einer langfristigen Lösung entfernt ist, im Klartext: dass lauter unentschiedene Gewaltfragen neu aufgerührt sind, kein Kriegsgrund der Parteien mit dem Waffenstillstand verschwunden ist, dass also keine Klarheit in den Machtverhältnissen herbeigeführt wurde. Da ist eine politisch wie militärisch immer noch handlungsfähige Hizbullah-Miliz, die entwaffnet werden soll; eine libanesische Armee, in der selbst noch gar nicht entschieden ist, ob Hizbullah-Kämpfer zu entwaffnende „Terroristen“ oder „heldenhafte Verteidiger“ des Libanon sind; eine politische Führung des Libanon, selber heillos zerstritten in west-orientierte und syrer-freundliche Fraktionen, deren Auftrag lautet, die Armee in Marsch zu setzen, um die parlamentarisch vertretene Miliz zu entwaffnen und die volle Souveränität über das gesamte Staatsgebiet zu übernehmen; und ein syrisch-iranisches „Umfeld“, das sich über den Einfluss auf diesen Staat gegen Israel behaupten will, weshalb Israel wiederum kategorisch auf der Eliminierung jeder syrischen Einmischung im Libanon besteht … All das – die Unentschiedenheit der regionalen Gewaltverhältnisse nämlich – ist für die ehrgeizigen Hauptmächte Europas nicht nur kein Problem, sondern der Zustand, den sie als Grundlage, Bedingung und Gelegenheit ihrer Wiedereinmischung, also für die (Rück-)Eroberung aufsichtsmächtiger Kompetenzen in dieser Region betrachten.

Deswegen sind Europas unermüdliche Diplomaten fürs Erste mit einem „Kompromiss“ zufrieden, der diese offenen Machtfragen in einen Resolutionstext hineinschreibt und in einen Friedensauftrag der UNO übersetzt. Sie setzen darauf, in diese ungeklärte Situation hineinstoßen zu können – als Ordnungsstifter nämlich, die an deren zukünftiger Klärung maßgeblich mitwirken. Die Übernahme des verstärkten Friedens-Mandats Unifil ist die Gelegenheit, das in einer ganz neuen, für Europas Nationen „historischen“ Weise zu tun und dafür auch noch eine völkerrechtlich einwandfreie Ermächtigung zu erhalten. So fällen die EU-Staaten auf einem außerordentlichen Treffen der Außenminister in Brüssel die Entscheidung, dass sie das „robuste“ UNO-Mandat übernehmen und von den in der Resolution beschlossenen 15.000 Soldaten 7000 mit schweren Waffen und Kriegsschiffen in den Nahen Osten entsenden.

Welchem Frieden Europas Militäreinsätze im Libanon dienen, welche langfristige Lösung der Kriegsfragen in Nahost die richtige und anzustrebende wäre, darauf haben moderne europäische Weltordner eine eindeutige Antwort. Nicht in dem Sinne, dass sie den Menschen im Libanon und ihren Familien sagen würden, wovon sie in Zukunft wieder in Ruhe leben könnten. Auch nicht in dem Sinne, dass sie eine genaue Vorstellung von der politischen Ordnung des Nahen Ostens hätten, auf die sie jetzt hinarbeiten wollen. Aber eines ist klar: Der Frieden, den sie haben wollen, soll in Zukunft nicht mehr ohne Europa ausgefochten werden:

„Europa wird künftig ein Faktor für Frieden, auch im Nahen Osten. Das ist die eigentliche Nachricht, das ist der eigentliche Einschnitt, den wir uns bewusst machen müssen.“ (Außenminister Steinmeier am 19.9. 06 vor dem Deutschen Bundestag)

Europa will präsent sein, und zwar nicht mehr bloß mit Geld und Diplomatie, sondern eben mit Waffen und Soldaten. Soviel wollen Steinmeier und Co in der jüngsten Vergangenheit nämlich aus der Art, wie die USA und Israel den Nahen Osten dominieren, gelernt haben: Ohne eigene Kriegsmittel vor Ort ist europäischer Einfluss letztlich unwichtig, zählt nichts; jeder Posten auf der Habenseite hängt dann von den Interessen und Entscheidungen der Konkurrenten ab, die mit ihrer militärischen Übermacht die Sicherheitslage vor Ort definieren, und ist deswegen prinzipiell prekär:

„Ein Erfolg der multinationalen Truppe wäre die aktive Präsenz der internationalen und europäischen Diplomatie in der Region, eine Präsenz, die man jahrelang vermisst hat. Europa hat nicht gerade viel gezählt im Nahen Osten, und Israel hat es argwöhnisch betrachtet. Die Araber dachten, dass Europa Geld zahlt, dass man sich aber in den wichtigen Angelegenheiten an die Amerikaner wenden muss.“ (Italiens Außenminister D’Alema, in: Haaretz, 25.8.06)

Europa will also mehr Gewicht im Nahen Osten. Dafür scheint ihm die Übernahme des UNO-Mandats durchaus geeignet, nach der Devise: Es kommt darauf an, was man euro-imperialistisch daraus macht. Die europäischen Nationen sind jedenfalls fest entschlossen, die UNO-Resolution 1701 und ihren begrenzten Auftrag, die Kriegsparteien zu trennen und den Frieden zu sichern, zum Hebel dafür auszugestalten, ihre eigene Rolle als Mächte vor Ort neu zu bestimmen: Sie wollen von den USA bis zum Hizbullah als Militärmächte wahrgenommen werden, die von jetzt an in die nahöstliche Dauerkonkurrenz um Machtpositionen und -status mit den Mitteln der „ultima ratio“ einsteigen. Dafür nehmen sie die Resolution als Ausgangspunkt und völkerrechtlichen Auftrag, genau wie alle anderen Parteien für ihre jeweiligen Kalkulationen auch.

3. Europa ringt mit allen interessierten Mächten vor Ort um seinen imperialistischen Nutzen aus der Stationierung von UNO-Soldaten

Was die USA angeht, so haben die, europäischen Politikern zufolge, in der Schaffung von Frieden in Nahost versagt:

„Die USA können Israel keine Sicherheit garantieren. Die amerikanische Nahost-Politik hat eine unhaltbare Lage geschaffen. Vor einigen Jahren prophezeiten die USA eine Abdankung der UNO. Ich erinnere daran, dass am Tage, als Bagdad fiel, Richard Perle schrieb: Mit Bagdad fielen auch die Vereinten Nationen. Die USA glaubten, dass sie als hegemonistische, freie Macht die Welt kontrollieren könnten. Mit dieser Ansicht richteten sie großen Schaden an, und nun suchen die USA nach einem gangbaren Weg aus dieser Situation.“ (D’Alema, in Haaretz, 25.8.06)

Die europäische Sorge und Klage um die angebliche Erfolglosigkeit der Weltmacht Nr. 1 in Sachen ‚Frieden in Nahost‘ ist allerdings noch nie eine Diagnose der Lage gewesen. Die von den USA weltpolitisch düpierten Europäer tragen der amerikanischen Regierung vielmehr auf diese Weise die von ihnen gewünschte Beteiligung und Mitsprache beim Beherrschen dieser Weltregion an, und das tun sie als konkurrierende Verbündete mit einem Angebot. Die USA würden sich imperialistische Unkosten ersparen, wenn sie ihre Partner in das Programm der Neuordnung des Nahen Ostens einbeziehen! Diplomatisch übersetzt: Europa stiftet im Namen der UNO, also aller Weltmächte, Frieden an einer Kriegsfront, welche der US-Verbündete Israel eröffnet und hinterlassen hat und welche die mit anderen Kriegsschauplätzen schon genug beschäftigten USA jetzt auch noch zu betreuen haben, und entlastet so die überforderte Weltmacht. Unübersehbar an diesem europäischen Angebot ist freilich auch der Wille, darüber Amerikas Aufsichtsmonopol aufzubrechen. Europa will sich mit den Unifil-Mandatsrechten einklinken in die bislang ziemlich ‚unilateral‘ von Amerika bestimmten Gewaltbeziehungen zwischen den nahöstlichen Staaten und eine eigene militärische Position ihnen gegenüber aufbauen. Und auch wenn die 7000 Soldaten vorerst nicht viel mehr sind als eine Art weltpolitische Willenskundgabe dazu: Europa ist fest entschlossen, sich im Nahen Osten als Macht einzupflanzen, die die USA nicht mehr einfach für irrelevant erklären können.

Auch Israel machen die Europäer eine interessante Offerte: Sie versprechen, sein Existenzrecht zu schützen (Steinmeier am 19.9.06) und ihm an seiner Nordgrenze Sicherheit zu stiften, indem sie dem Hizbullah die Kontrolle über den Südlibanon entwinden und ihn vom Waffennachschub abschneiden. Simple Erfüllungsgehilfen Israels sind Europas Politiker freilich nicht: Wie sehr dieses Angebot an Israel den Charakter eines Einspruchs gegen dessen Art und Weise, Sicherheit zu stiften, hat, zeigen schon die abweichenden Stellungnahmen der Europäer über die Parteien vor Ort: Neben den ‚Garantieversprechen‘ für Israel lassen manche EU-Politiker keine Gelegenheit verstreichen, um zu demonstrieren, dass sie die Terrordefinitionen, die Israel über Hizbullah und Hamas verhängt hat, nicht einfach übernehmen und die Lage insgesamt etwas anders sehen als die Regierung in Tel Aviv:

„Eine Organisation, die 35 Mitglieder im libanesischen Parlament und drei Minister in der Regierung hat, kann nicht als eine bloße Terrorgruppe bezeichnet werden. Der Hizbullah wird weder von der Europäischen Union noch von mir persönlich als Terrororganisation eingestuft. Er ist eine militärische Organisation, aber ebenso eine politische Kraft, die sich an Wahlen beteiligt.“ (D’Alema, in Haaretz, 25.8.06)

Mit ihrer Kombination von Angebot und Einspruch wollen die Europäer nämlich einen eigenartigen ‚Bewusstwerdungsprozess‘ bei den Israelis in Gang setzen: Israel muss sich bewusst machen, dass es den Frieden auf Dauer nicht militärisch gewinnen kann, sondern auch selbst nach Verständigung und Ausgleich mit seinen Nachbarn suchen muss. (Steinmeier am 19.9.) Woran sich europäische Politiker da zu schaffen machen, ist nicht weniger als der Erfolgsweg Israels, sich auf Grundlage allseitiger und rückhaltloser Unterstützung durch die USA zu einer regionalen Supermacht aufzubauen, die es selbst in der Hand hat, alle ihre Gegner – von den palästinensischen Terroristen bis zu den staatlichen Feinden in der weiteren Nachbarschaft – auszuschalten. Israel soll einsehen, dass es gut daran tut, auf eben dieses unumschränkte Recht auf Krieg nach und nach zu verzichten, weil Europas Staaten es Zug um Zug übernehmen wollen. Mit ihrer aktiven Präsenz als UNO-Militärmacht wollen die Ordnungspolitiker Europas Israel etwas von seiner kriegerischen Autonomie abringen und sich in die Rolle eines übergeordneten Schiedsrichters hineinbegeben, der über die Einhaltung des Waffenstillstands durch die Kriegsparteien wacht, also auch über Israel. Dafür kämpft Europa diplomatisch an mehreren Fronten um sein „robustes Mandat“. Es will auch und gerade von diesem Staat als bewaffnete Macht wahrgenommen werden: Israel und seinen militärischen Kalkülen sollen europäische Schranken gesetzt werden.[2]

Die Gelegenheit zur Einmischung in die fundamentalen Fragen der nahöstlichen Sicherheitsordnung erhält Europa allerdings nur, weil Israel dieselbe Sache, nämlich die im Mandat völkerrechtlich festgelegten Rechte und Pflichten, umgekehrt betrachtet. Es ist ja nicht so, dass sich Israel von Europa gar nichts erwarten würde: So sehr es einerseits darauf besteht, allein und exklusiv mit Unterstützung der USA sein „Existenzrecht“ gegen alle „Feinde“ genau so weit durchzufechten, wie Israel es für sich selber nötig hält, so sehr verlangt es andererseits vom Rest der „westlichen“ Welt, dafür mit einzustehen und sich diplomatisch, mit Geld und mit Waffen für sein militantes Friedensprogramm nützlich zu machen.[3] Auch die Europäer sollen sich Israels Feinddefinitionen zu eigen machen und – wenn es Israel wünscht – in deren Sinne tätig werden. Nur deshalb lädt die israelische Regierung die europäischen Staaten einschließlich Deutschlands zur Verwaltung seiner Kriegsergebnisse ein, und nur deshalb kann Europa Israel seine zweischneidigen Angebote – die feindliche Miliz von Israels Nordgrenze fernzuhalten und ihre Wiederbewaffnung zu verhindern – machen.

Wie begrenzt dieser Hebel der Einmischung in Israels Sicherheit wirkt, bekommen die Europäer an allen Fronten zu spüren: Weiter gehende Angebote der Europäer zur Ausweitung der Unifil-Zuständigkeit und Übernahme von „Verantwortung“, z.B. auch im Gazastreifen für Israels Sicherheit mit Europas Soldaten zu sorgen, werden postwendend abgelehnt. Und Israel behält sich schon mal vorauseilend das moralische Recht vor, wieder die Waffen sprechen zu lassen, wenn die UNO-Mission ihr Ziel verfehle. (Israels Ministerpräsident Olmert, FAZ, 15.8.06)

Auf etwas weniger Widerstand sind wohl Europas Angebote an den Libanon berechnet. Die europäischen Friedensstifter versprechen diesem daniederliegenden Staat nicht weniger als die nachdrückliche Unterstützung der territorialen Unversehrtheit, der Souveränität und der politischen Unabhängigkeit. (Resolution 1701, Punkt 5) Um in den Genuss dieser völkerrechtlich abgesicherten, europäischen Dienstleistung zu kommen, hat sich die aktuelle Staatsführung des Libanon freilich eine ganze Reihe von Ein- und Angriffen in und auf die gegenwärtige Verfassung ihres Staates gefallen zu lassen: Die Regierung Siniora hat fundamentale Hoheitsrechte über das Territorium an Europas Soldaten, die vor der Küste und auf dem Staatsgebiet des Libanon stationiert werden, abzutreten, auch wenn sie das die letzte Anerkennung im Lande kosten sollte. Der libanesischen Armee – ausgerechnet ihr! – wird die militärisch heikelste Aufgabe übertragen, die Entwaffnung des Hizbullah und seine Verdrängung aus dem Süden des Libanon, gleichgültig, ob sie das überhaupt will oder dazu in der Lage ist. Und mit eher symbolischen Wiederaufbauhilfen[4] versucht man, dem Hizbullah die Anerkennung und Zustimmung der libanesischen Bevölkerung abspenstig zu machen:

„Was ist der Sinn dieser Sache? Ich finde, die Menschen im Libanon sollten spüren, dass es für sie wieder vorangeht. Das sollten wir ihnen zeigen, damit keine anderen Flaggen über den wieder aufgebauten Brücken wehen, sondern möglichst europäische.“ (Steinmeier am 19.9.06)

Ob dies im Land alle gegeneinander aufbringt, den jetzigen Machtproporz in Beirut zerstört, all das kümmert die europäischen Weltordner erst einmal nur in einer Hinsicht: Sie wollen mit den Rücksichtslosigkeiten gegenüber den aktuellen Machtkonstellationen, zu denen sie sich mit dem UN-Mandat beauftragt sehen, in die Rolle des neuen Herrn über die inneren Verhältnisse in diesem Staat hineinwachsen: Von der Kontrolle des Staatsgebietes bis zur Befriedung und Entmachtung der militärisch mächtigsten Organisation – Europa kann sich die Neukonstruktion des Libanon unter seiner Führung vorstellen; mit dieser Patenschaft soll sich gleich auch noch ein Einfallstor für die Einmischung in die syrischen Machtverhältnisse öffnen. Europäische Unterhändler verhandeln mit Syrien über die gemeinsame Absicherung der syrischen Grenze zum Libanon gegen Waffenschmuggel, also über die Verminderung des syrischen Einflusses auf den westlichen Nachbarstaat, schon wieder ein echtes Angebot – angesichts der von Israel und den USA verhängten Kriegsdrohung gegen diesen „Schurkenstaat“.

Allen Mächten vor Ort soll ‚bewusst‘ werden, dass sie sich auf die europäischen Mächte neu beziehen müssen, als Stabilitätsgaranten, die letztinstanzlich mit darüber entscheiden, welche Herrschaft in Nahost auf wen hört. Ob die europäischen Libanon-Einsätze diesem weit reichenden Ziel dienen, oder ob sich Europas Staaten mit ihnen an Israels und der USA Intransigenz verschleißen, ist, weil eine Frage der Gewaltkonkurrenz, offen. Bei dieser Konkurrenz hat Europa wieder mal nicht zuletzt mit sich selber zu tun.

4. Europas Nationen konkurrieren mit- und gegeneinander um den imperialistischen Ertrag der Mission

Die allen EU-Mächten bewusste Dringlichkeit des Eingreifens in den Konflikt „vor unserer Haustür“ führt auf den beiden außerordentlichen Treffen der Außenminister am 1. und 25.8. zu „einer Spaltung der EU“ (Spiegel). Beim ersten Termin können sie sich weder auf eine Verurteilung der israelischen Völkerrechtsverletzungen noch auf die Forderung eines sofortigen Waffenstillstands einigen, weshalb sie lediglich zur „sofortigen Einstellung der Feindseligkeiten, gefolgt von einem dauerhaften Waffenstillstand“ aufrufen; und statt einer gemeinsam befürworteten Gewaltaktion spricht sich der Allgemeine Rat der Außenminister für ‚die Festlegung eines von allen Parteien akzeptierten politischen Rahmens als unerlässliche Bedingung für die Stationierung einer internationalen Truppe‘ (diplomatie.gouv.fr/de) aus. Und was die zweite Sondersitzung betrifft, in der die Aufstockung der Unifil-Truppe aus EU-Beständen verhandelt wird, so vernimmt man aus den Hauptstädten des Kontinents ebenfalls kein gemeinsames Resultat: weder was die Höhe des Kontingents noch was den Kampfauftrag angeht. Mit ihrem Beschluss, Truppen in den Nahen Osten zu entsenden, können sich die EU-Staaten also keineswegs dazu durchringen, ihre nationalen Sonderwege und -rechnungen aufzugeben und als einheitliches Subjekt der Einmischung anzutreten. Bis zum militärischen Wimpel bestehen sie auf der nationalen Erkennbarkeit ihrer Kontingente, und in der Aushandlung von Art und Umfang ihres jeweiligen Beitrags zur Umsetzung des UNO-Mandats tragen sie ihre Streitereien um innereuropäische Führungsfragen aus und kämpfen um eine militärische Rolle, die ihrer nationalen Interessenlage entspricht.

Italien nützt die Verhandlungsphase, in der Frankreich sein Angebot, als führender Truppensteller aufzutreten, zurückzieht, aus und bietet sich als Führungsnation der UNIFIL-Mission an. Die Mittelmeermacht, die sich von einigen Schauplätzen des Weltordnens ausgeschlossen sieht (Italien ist z.B. an den europäischen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm nicht beteiligt), beansprucht für sich ausdrücklich das Verdienst, die europäische Beteiligung überhaupt angestoßen zu haben und nimmt dies als Gelegenheit, sich das Gewicht in internationalen Weltordnungsfragen zu verschaffen, das sie verdient hat:

„Unser Land ist zurückgekehrt, um eine wichtige Rolle auf dem Feld der internationalen Politik zu spielen und seine Stimme im Mittelmeerraum vernehmen zu lassen.“ (Ministerpräsident Prodi)

Die Nation ist ziemlich einhellig begeistert und rechnet die 3000 Soldaten auf ihren 5 Kriegsschiffen, die luft- und see-unterstützt an Land den Waffenstillstand überwachen werden, in zukünftigen Einfluss Italiens auf den Nahen Osten um. Der erste weltpolitische Erfolg: Italien wird zu den Sicherheitsratssitzungen eingeladen.

Frankreich präsentiert als UNO-Vetomacht und Ex-Mandatsmacht für den Libanon die höchsten Ansprüche, den USA in der Beaufsichtigung des Nahen Ostens Konkurrenz und Israel zum Aufsichtsobjekt zu machen. Dementsprechend ringen die Franzosen am entschiedensten um eine Ausgestaltung der Resolution in ihrem Sinne: Nachdem der Krieg gestoppt und ein UNO-verwalteter Waffenstillstand beschlossen ist, droht Frankreich der Staatengemeinschaft inklusive Israel noch einmal mit seiner Totalabstinenz, um dem Mandat den Rang und den Kampfauftrag abzugewinnen, den es für seine anspruchsvollen Einmischungsabsichten als unabdingbar betrachtet. In diese Phase fällt Italiens Initiative: Sein Anerbieten, als Mandatsführungsmacht aufzutreten, hebelt Frankreichs Erpressungsversuch gewissermaßen aus und bringt es in Zugzwang: Mit seiner Nicht-Beteiligung im Libanon verlöre Frankreich die Kompetenz als EU-Führungsmacht, die Staaten Europas für seinen Antiamerikanismus einzuspannen, und wäre erst recht aus den aktuellen Ordnungsfragen im Libanon ausgemischt. Deswegen will Frankreich Italien die Führung der Mission keinesfalls überlassen. Die Regierung in Paris muss mit dem italienischen Vorstoß nun neu kalkulieren, entschließt sich zur massiven Teilnahme mit gut 2000 Soldaten und ringt mit Italien um die Führungsmodalitäten der gesamten Mission. Seine Zweifel am Nutzen der militärischen Beteiligung – man will sich weder von der israelisch-amerikanischen Allianz funktionalisieren lassen noch eine Konfrontation mit ihr – wird Frankreich darüber nicht los; es versucht deshalb demonstrativ, sich Respekt zu verschaffen: Es stattet seine Truppen gegen den Protest Israels mit Luftabwehrraketen aus und stellt damit klar, wie ernst es ihm mit seinem „Selbstverteidigungsrecht“ ist. Israel provoziert prompt mit Aufklärungsflügen und „Scheinangriffen“, welche den Statuten der Resolution 1701 widersprechen, die Veto-Macht; die muss sich nun die Frage vorlegen, wie weit ihr Wille reicht, die unvermeidliche Konfrontation mit Israel zu eskalieren.

Für Deutschlands Politiker stellt die Unifil-Mission die größte außenpolitische Herausforderung in der Geschichte der BRD dar. Deutschlands „Verantwortung für den Frieden“ reicht mittlerweile so weit, dass der einfachste Weg zur Vermeidung des ‚Undenkbaren‘ – dass je ein deutscher Soldat auf einen Israeli schießt – nicht mehr gangbar ist: nicht hinzufahren. Ganz umgekehrt liefert die deutsche Regierung einen eindrucksvollen Beweis davon ab, was mit moralischen Titeln aus der Vergangenheit an Rechtfertigung für die Politik der Gegenwart alles drin ist: Im Jahre 2006 folgt nämlich aus der ganz besonderen „Verantwortung Deutschlands aus der Geschichte“ für Israels „Existenzrecht“, dass es diesmal unbedingt mit einem achtbaren militärischen Kontingent dabei sein muss, wenn es um die Neuordnung des Friedens in Nahost geht.

Jenseits dieser neuesten Fassung von ‚deutschen Verpflichtungen aus Auschwitz‘ drängt es Steinmeier und Co zu der Klarstellung, dass es bei der Entsendung deutscher Soldaten in den Nahen Osten nicht um das prinzipienlose Brechen außenpolitischer Tabus geht, sondern um Glaubwürdigkeit und die Anerkennung von Normalität. (Steinmeier am 19.9.06) Deutschland beansprucht von den anderen Nationen die Anerkennung der imperialistischen Normalität, dass es sein Militär grundsätzlich dort und dann einsetzt, wo und wann es seine nationalen Interessen verlangen, und es sieht sich im Nahen Osten zur Einmischung ganz besonders qualifiziert, weil wegen seiner guten Beziehungen zu Israel und den arabischen Staaten besonders gewichtige Interessen auf dem Spiel stehen.

Deutschlands „Verpflichtung für das Existenzrecht Israels“, der diplomatische Ausdruck für die besonders guten Beziehungen zu, aber eben auch für die besonders weit reichenden Interessen an Israel, ist ein ‚Eckpfeiler‘ deutscher Außenpolitik.[5] Nur kann man sich in Berlin angesichts der gewachsenen Ansprüche an Mitsprache im Nahen Osten vorstellen, über die militärische Beteiligung am UNO-Mandat aus den guten Beziehungen zu Israel mehr an bestimmendem Einfluss über Israel herauszuwirtschaften. Das ist allerdings das wirklich „Heikle“ an dieser Mission – Deutschlands Ordnungsinteresse bekommt es hier mit der Wucht einer regionalen Supermacht zu tun, die sich in ihre Souveränität nicht so leicht hineinreden lässt wie der vergleichsweise ohnmächtige Libanon, dem man seine Souveränität vor seiner Küste zugunsten eines deutschen Kommandos abnötigen kann.[6] Daneben pflegt Deutschland seine ‚traditionell guten Beziehungen‘ zu Israels Feinden und leitet daraus seine besondere „Vermittlerrolle“ im Nahen Osten ab, die es sich kraft seiner Finanzmacht (v.a. über die Palästinenser) erworben hat und die es durch die Beteiligung am UN-Ordnungseinsatz nicht offensiv gefährden will. Zusammengenommen erhandelt es sich die militärische Führung in der seeseitigen Überwachung der libanesischen Küste, um Waffenschmuggel zu verhindern – und damit eine Art militärische Schiedsrichterrolle, mit der man genügend Eindruck auf beeinflussbare Parteien zu machen und sich unerwünschte militärische Konfrontationen, v.a. mit Israel, zu ersparen hofft.

*

Dass auch der auf ‚Risikobegrenzung‘ zielende deutsche Ordnungseinsatz zur See den Konflikt mit Israel heraufbeschwört, wird schnell offenkundig. Die hochgerüstete und von der amerikanischen Schutzmacht geförderte Regionalmacht stellt ihre Letzt-Zuständigkeit für ihre Sicherheit durch eindeutige militärische Demonstrationen klar. Sie will in jeder Hinsicht die Kontrolle über das gesamte Kriegsgebiet behalten, überprüft deshalb die Leistungen der UNIFIL-Truppen auf Kompatibilität mit ihren Interessen und Forderungen und erlaubt sich neben den Aufklärungsflügen über das Waffenstillstandsgebiet gezielte Provokationen gegenüber der deutschen Marine.

Damit haben sich Europas Mächte jetzt herumzuschlagen. Israel testet sie und zwingt sie zu lauter heiklen Entscheidungen, die allesamt an die politische Kernfrage rühren: Wie weit können sie ihrer neuen Rolle als Ordnungsmacht überhaupt Geltung verschaffen – oder, dasselbe andersherum: Was wollen sie, die sich das Recht und die Kompetenz zur Aufsicht über den Nahen Osten erobern wollen, sich von der Kriegspartei Israel alles gefallen lassen? Ihre aktive Präsenz schafft lauter gewaltträchtige Begegnungen, Gelegenheiten zur militärischen Eskalation und ganz viel Bedarf an diplomatischem Verkehr, um die Missverständnisse auszuräumen – solange das Interesse der Beteiligten dazu besteht.

[1] Kriegszweck und Kriegsgründe Israels sind in dem Artikel „Israel verteidigt sein Existenzrecht als regionale Supermacht“, GegenStandpunkt 3-06, S.191, behandelt worden. Israel wollte vorführen, dass es aus eigener Kraft in der Lage ist, den „Terror“ in seiner Nachbarschaft zu unterbinden; die libanesische Regierung wird mit dem Krieg zur Rechenschaft gezogen für die unzureichende Exekution der UN-Resolutionen 1559, in der sie zur Kontrolle ihres gesamten Territoriums und der Entwaffnung der Milizen verpflichtet wurde; und schließlich sollte den Hintermännern des libanesischen Terrors, Syrien und Iran, mit der Schwächung ihres Schützlings eine Niederlage beigebracht – und so Israels Forderung, endlich den „Terror-Unterstützerstaaten“ das Handwerk zu legen, Nachdruck verliehen werden.

[2] Dass UN-Posten von Israel bombardiert oder einfach überrannt werden und nichts folgt daraus, dies wollen sich Europas Sachwalter der militärischen Einmischung nicht mehr bieten lassen: Israel soll einkalkulieren müssen, dass es in Gestalt der Unifil-Soldaten potente Beaufsichtiger eines internationalen Rechtszustands vor sich hat.

[3] Erst jüngst nahm der israelische Botschafter in Deutschland Europa selbstverständlich in die Pflicht, gegen den Iran kompromissloser vorzugehen – im Interesse von Israels „Existenzrecht“.

[4] Deutschland z.B. spendet für den zivilen Wiederaufbau die großzügige Summe von 27 Mio. Euro, so viel wie etwa die Anreise der Deutschen Marine vor die Küste des Libanon kostet. Die Hauptlast des zivilen Wiederaufbaus überlässt Europa gerne den reichen Ölstaaten aus Arabien.

[5] Obwohl die BRD einer der wichtigsten Waffenlieferanten Israels ist – während der Verhandlungen über die UNO-Mission wurden zwei hochmoderne U-Boote ausgeliefert, über welche das Gerücht kursiert, dass Israel sie atomar bestücken will –, ein zuverlässiger Hebel des Einflusses auf die israelische Politik ist daraus bislang nicht geworden.

[6] Der Streit im Deutschen Bundestag über die militärischen Rechte des Libanon vor seiner eigenen Küste zeigt, wie weit die deutschen Einmischungsansprüche gediehen sind: ob man nämlich der libanesischen Regierung überhaupt noch den Schein von Souveränität in ihren Hoheitsgewässern gewähren soll.