Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion
Von wegen Stabilitätspakt!
Mit einer geldpolitischen Maßnahme namens Stabilitätspakt soll der beabsichtigte Konkurrenzerfolg des zu schaffenden Euro vorweggenommen werden. In der haushalterischen Unterordnung der Nationen unter die selbst gesetzten Stabilitätskriterien sollen schlechte Staatsschulden von guten geschieden werden: Eine politische Spekulation auf die Spekulation der Märkte. Die Vertrauen stiftende Maßnahme dieser Währungsreform zielt auf die Beseitigung des überkommenen ökonomischen Nationalismus der einzelnen Nationen.
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Die europäische Wirtschafts- und
Währungsunion
Von wegen Stabilitätspakt!
1. Die guten Gründe = Vorteile des Projekts
Mit der Unterschrift unter den Maastricht-Vertrag haben die Regierungen Europas eine Währungsunion beschlossen, die sie für die notwendige Ergänzung des gemeinsamen Binnenmarktes halten. Aus den Hoheitsgebieten der Mitglieder der EU ist eine Anlagesphäre und ein Handelsraum geworden, weil die Staaten die Behinderung des grenzüberschreitenden Verkehrs von Ware und Geld, Arbeitskraft und Kapital zunehmend aufgegeben haben. In der Existenz der nationalen Gelder nehmen die Europa-Politiker die entscheidende Schranke wahr, die der Bewirtschaftung ihres gemeinsamen Marktes noch entgegensteht. Der nach wie vor gebotene Vergleich verschiedener Währungen erscheint ihnen als überflüssige Störung der Geschäfte; die an nationalen Bilanzen orientierte Benutzung eigenen wie fremden Geldes, die Unwägbarkeiten des Devisenhandels etc. beeinträchtigen die freie Konkurrenz, schaden dem Wachstum – und solchen Befunden, die in schönen Beispielen auch dem Volk plausibel gemacht werden, stellt der deutsche Finanzminister die kapitalistische Idylle der Zukunft gegenüber:
„Ein einheitlicher Währungsraum mit einer stabilen europäischen Währung bringt Wachstumsimpulse für die Wirtschaft und direkte Vorteile für den Verbraucher. Kosten für Devisengeschäfte und die Risikoabsicherung entfallen, mehr Preistransparenz bringt stärkeren Wettbewerb und günstigere Preise bei Waren und Dienstleistungen.“
Angesichts des offenkundigen Segens des Projekts, das „zum Motor für Wachstum und Arbeitsplätze“ wird, eines Segens, den zudem alle Mitgliedsländer gleichermaßen anstreben, stellt sich freilich die Frage, warum die Architekten der WWU nicht längst den Umtausch der diversen Geldsorten in das eine Euro-Geld vollzogen haben. Welchen Wert sie relativ zueinander haben, läßt sich dem Wechselkurs an jedem beliebigen Datum entnehmen, und ein Gleichheitszeichen zwischen der Anzahl nationaler Geldeinheiten und dem ECU existiert auch schon…
Die Umstände, die der Vertrag für den Weg zur Währungsunion zu machen vorschreibt, leiten sich aus einem anderen Vorteil ab, der sich mit dem Euro-Geld einstellt:
„Die gemeinsame Währung wird im Konzert der Weltwährungen zusammen mit Dollar und Yen einen wichtigen Part spielen.“
Die Mission, die dem neuen Geld hier zugeschrieben wird, ist trotz eines unpassenden Bildes aus dem Musikleben offenkundig: Der Euro-Taler, der im Innern der EU die Konkurrenz der Nationen um die Macht ihres Geldes und mit ihr beendet, ist als Mittel eben solcher Konkurrenz auf dem Weltmarkt vorgesehen. Mit seiner Hilfe will sich die EU im Kampf um die Anteile des Wachstums, das das kapitalistische Geschäft weltweit hervorbringt, gegen die anderen Wirtschaftsblöcke bewähren. Der interne Supra-Nationalismus ist als Hebel für den Erfolg eines Euro-Nationalismus vorgesehen, der im Vergleich nach außen seine ökonomischen Potenzen mehrt, insofern als er in seiner Währung über ein verläßliches Instrument verfügt.
Weil die Konstrukteure des Einheitsgeldes auf dessen Tauglichkeit für diese gar nicht bescheidenen Ambitionen aus sind, bestehen sie auch darauf, die Währungsunion so abzuwickeln, daß ihrem Geschöpf die ihm abverlangten Leistungen quasi als Eigenschaft anhaften. Die rein rechnerische Lösung – ein nach aktuellen Wechselkursen vollstreckter Umtausch – kommt für sie nicht in Frage, weil es eben nicht um ein Geld schlechthin geht: Die Währung soll stets und auf jedem Markt rentable Käufe gestatten; desgleichen soll sie ihren Empfängern die sichere Fortsetzung ihrer weltweiten Geschäfte ermöglichen, mit ihr erzielten Gewinnen muß sie ihre Wertbeständigkeit sichern; und ihren Besitzern wie europäischen Hütern hat sie das bleibende Interesse all derer in der internationalen Geschäftswelt zu sichern, die Geld haben und nach Anlage suchen…
All diese Vorzüge, die ein gutes Geld auszeichnen, fassen sich für die Vertreter künftiger europäischer Wirtschaftsmacht in der Forderung nach Stabilität zusammen, die sie dem Euro-Geld durch das Verfahren seiner Herstellung mit auf den Weg geben wollen. Denn als erfahrene Anwälte national-ökonomischen Erfolgs ist ihnen sehr wohl bekannt, daß es nicht genügt, über eine Währung zu gebieten, in der und mit der gehandelt wird; die schiere Anerkennung und Benützung einer Valuta garantiert eben noch lange nicht positive Bilanzen und den Zuspruch „der Märkte“, die sich an der komparativen Brauchbarkeit nationaler Gelder zu schaffen machen.
2. Die Bedingungen = Ansprüche an das Projekt
Der Beschluß, die Währungsunion herbeizuführen, steht – er steht aber unter dem Vorbehalt, daß eine starke Währung herauskommen muß. In den öffentlichen Palavern der Politiker wie in den von Fachkommissionen ausgeklügelten Verfahren schlägt sich dieser Vorbehalt in Gestalt eines ausgeprägten Risikobewußtseins nieder: Die Durchführung des Projekts hat bei allen Maßnahmen eine Gefahr zu gewärtigen und abzuwenden – die, daß zunächst den europäischen Geldern und am Schluß dem Einheitsgeld die Stabilität abhanden kommt.
Der Sachverhalt, mit dem sich die Währungshüter herumschlagen, ist ihnen so vertraut, daß sie ihn keines Gedankens würdigen: Die Gelder, die sie in Europa vorfinden und vereinen wollen, sind umlaufender Kredit, der aufgrund staatlicher Garantie Geldfunktionen verrichten kann. Er wird als Zirkulationsmittel ebenso verwendet wie als privater und staatlicher Schatz, und als Kapitalanlage tut er ebenfalls seine Dienste. Diese sind dank zwischenstaatlicher Anerkennung auch für die Belange des auswärtigen Handels zu haben, allerdings mit der entscheidenden Einschränkung, daß das Maß, in dem nationale Kredite weltweit als Geld taugen, ständig in Frage gestellt ist. Sie unterliegen einem Vergleich, den die internationale Geschäftswelt hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit für das Bezahlen und Verkaufen, für das Sparen und Investieren vornimmt. Und dieser Vergleich ermittelt schließlich ein ums andere Mal, was ein privater oder staatlicher Besitz einer Valuta auf dem Weltmarkt zu kaufen oder zu verdienen gestattet – kurz: wieviel Reichtum in den Geldbeuteln von Privatleuten, in den Kassen und Bilanzen von Betrieben und auf den Konten von Banken und von Nationen ist.
Dieses Risiko, dem mit der universellen „Abhängigkeit“, die der moderne Weltmarkt gestiftet hat, jedermann ausgesetzt ist – jeder vorhandene oder verlorene Arbeitsplatz, jede Investition und alle Zinsfüße, endlich jede Staatskasse ist Teil und Produkt der internationalen Konkurrenz ums Geld –, geht die Einiger Europas nichts an. Sie behandeln es als Tatsache und die internationale Konkurrenz als Feld, auf dem sie sich mit dem neuen Geld durchsetzen müssen. Die Gefahr, der sie begegnen, geht vom Mittel aus, mit dem sie in die Konkurrenz eintreten. Deren künftigen Verlauf suchen sie zu ihren Gunsten zu gestalten, indem sie dem gesamteuropäischen Kreditgeld, das sie schaffen, die entscheidende Qualität verleihen. Darauf wollen sie bei der Umstellung, im Prozeß der Überführung der nationalen Kreditgelder der Gemeinschaft in die Euro-Währung achten – ihr Geschöpf, das ist ihnen klar, setzt sich dem Urteil der Märkte aus; und denen soll ein Mittel und vorzügliches Objekt ihrer Geschäfte geboten werden:
„Der Wettbewerb der Währungen wird in der Währungsunion zwischen den Teilnehmern abgeschafft, aber nicht im Außenverhältnis. Die Märkte können zwar nicht beeinflussen, wie die Währungsunion sich im Innenverhältnis entwickelt. Aber sie verteilen Noten. Und das wirkt sich im Außenverhältnis aus. Mit dem Wechselkurs und mit dem Zinsniveau am langen Ende stellen sie schon im Vorfeld ein Zeugnis für die Solidität der Vorbereitungen aus. Die Währungsunion muß bei der Vorbereitung und erst recht später beim Vollzug ein permanentes Examen bestehen.“
Bemerkenswert an diesem Vorgehen ist weniger der zur Schau gestellte Gestus der Gewissenhaftigkeit, mit dem die Betreiber der Währungsunion eine mehr oder minder skeptische Öffentlichkeit so lange beschwichtigen, bis diese nur noch aufgeregt fragt, ob die Sache denn auch wirklich solide durchgeführt wird. Eher schon der Kontrast, in dem dieser Gestus zum Versprechen steht, dem sich das Programm verpflichtet: Immerhin wird da einer geldpolitischen Maßnahme – dem Umtausch mehrerer Währungen in eine neue, die dann einen Wechselkurs relativ zu anderen verpaßt bekommt – eine enorme Leistung zugeschrieben. Eine Leistung, von der ansonsten auch Wirtschafts- und Finanzminister wissen, daß sie Resultat von Produktion und Handel in und zwischen den Nationen ist!
Mindestens genauso interessant ist aber auch, daß mit dem Pochen auf die „solide Vorbereitung“ der Währungsunion eine Absage an die Vorstellung ergeht, da würden mehrere Nationen – zum Zweck der Wachstumsförderung auf ihrem gemeinsamen Markt – ihr Geld zusammenlegen und dem Inhalt des gemeinschaftlichen Topfes, gemäß der relativen Gewichtung der Beiträge, eine neue Denomination samt Wechselkurs nach außen verpassen.
3. Unterordnung im Namen guten Geldes
Ausgedient hat die Vorstellung vom europäischen Währungstopf dennoch nicht. Mit ihrer Hilfe läßt sich nämlich auch plausibel machen, daß die Währungsunion „so“ nicht geht, bzw. zu einem unbefriedigenden Ergebnis führen würde: Das er-mittelte Euro-Geld, eine Durchschnitts-Währung, genügt dem Maßstab, der mit „Stabilität“ und „Stärke“ umschrieben wird, einfach nicht!
Die Herkunft dieses Maßstabs ist offenkundig. Es wird ja gar nicht berechnend auf die Vor- und Nachteile eingegangen, die künftig mit der Verwendung der Durchschnitts-Währung verbunden sind. Mit den Geschäften, die mit solchem Eurogeld zustandekommen oder verhindert werden, befaßt sich kein Ökonom, Minister oder EU-Ausschuß. Denn was „Stabilität“ ist, geht aus dem aktuellen Stand der Konkurrenz eindeutig hervor; dieses für das künftige Geld angestrebte Ideal besitzt längst, hier und heute, Realität. Mit der Formel „mindestens so stark wie die DM“ ist da fast alles gesagt.
Erstens wird die Kritik an der Verfassung der Gemeinschaft, die an der Vielfalt und Konkurrenz ihrer Gelder laboriert, erweitert. Gemessen an der unzweifelhaften Stabilität der DM weisen die Gelder der europäischen Partner erhebliche Defekte auf. Nicht bloß die Verschiedenheit nationaler Währungen, die Umstände und Kosten bereitet, ist den Einigungsfanatikern als Schranke für die Bewirtschaftung Europas aufgefallen; viele der Kreditgelder sind auch das ziemliche Gegenteil von „stabil“.
Zweitens wird die Kritik, die auf die Einheit europäischen Geldes abzielt, auch relativiert: Die schwachen Gelder taugen nicht für die Währungsunion; in sie aufgenommen, bringen sie das Projekt um die ihm zugedachte Wirkung. Was aber keineswegs bedeutet, daß von ihm Abstand genommen wird.
Die Folgerungen, die die Liebhaber einer einheitlichen, durch ihr Geld jeder Konkurrenz gewachsenen Wirtschaftsmacht aus ihrem Befund gezogen haben, waren andere. Mit dem Vertrag von Maastricht, dessen Bestimmungen in allerlei Zusätzen ergänzt wurden – 1995 ist der „Stabilitätspakt“ unterwegs –, wurde aus dem Zukunftsideal praktische Politik der Gegenwart:
– Die Nationen, deren Geldwesen für den Zweck der Währungsunion nicht geeignet ist, sind seit der Unterzeichnung damit befaßt, eine Finanz- und Wirtschaftspolitik zu veranstalten, die zur benötigten Stabilität führt. Zu diesem Zweck ist „Stabilität“ sogar definiert und beziffert worden. Maß genommen haben die Sachverständigen dafür an Wirtschaftsdaten, mit denen die Statistiken des Landes aufwarten, das über eine Währung verfügt, die ihre Härte auf den Märkten unter Beweis stellt.
– Diese Kriterien für Stabilität drehen – als theoretische Aussagen über das Zustandekommen einer weltgeldtauglichen Währung genommen – das Verhältnis von Ursache und Wirkung um. Sie sind nämlich Produkt von Erfolgen auf dem europäischen und übrigen Weltmarkt, denen die Spekulation, das „Urteil der Märkte“, ihr Vertrauen nachreicht. Als Kriterien des Beitritts überzeugen sie dennoch. Die Nationen, die zur Erfüllung angehalten werden, haben nämlich wegen ihrer Verluste in der innereuropäischen Konkurrenz längst von sich aus einiges an Leiden an ihren notorischen Defiziten, am Mißverhältnis zwischen Wachstum und Schulden, das ihre Währung so weich und ihre Zahlungsfähigkeit so fragwürdig macht. Und als Volkswirtschaften, deren Wachstum längst mit der europäischen Klientel steht und fällt, wollen die Regierenden sie allemal mit der Teilnahme an der Währungsunion ausstatten.
– Wenn die Aspiranten auf die Beteiligung an der Währungsunion ihre Freiheit im Umgang mit Geld und Kredit einschränken, verzichten sie zwar auf die gängigen Techniken zur Betreuung ihres Standorts; aber als Lohn für die Unterordnung ihres Haushaltsgebarens unter die „Sachzwänge“ der Währungsunion winkt schließlich die Bestückung ihrer „Wirtschaft“ mit international respektabler Finanzkraft, an der es ihnen jetzt und noch mehr außerhalb der Union gebricht.– Daß Inhabern von politischer Souveränität das penetrante Pochen auf „Stabilitätspolitik“ bisweilen wie ein Diktat vorkommt, ist nicht zu vermeiden; die anti-deutschen Beschwerden verstummen aber auch wieder, weil die ökonomischen Potenzen für eine Konkurrenz gegen Europa keine Alternative hergeben.
Insofern ist der WWU also ein eindeutiger Fortschritt nicht abzusprechen. Die Verlierer der jahrzehntelangen innereuropäischen Konkurrenz haben bemerkt, daß sie „stabil“ werden müssen, um in die Union zu dürfen.
4. Vom Maßhalten als Stabilitätsgarantie
Während die Mehrheit der in der Gemeinschaft versammelten Nationen ihre Regierungsgewalt unter Aufbietung des geballten nationalökonomischen Sachverstandes darauf verwendet, an der Pflege ihres Standorts zu sparen, um anschließend in den Genuß zu kommen, als Teil Europas mit einem unerschütterlichen Geld ausgestattet zu sein; während diese Souveräne ihren Haushalt vor lauter Einsicht in die Notwendigkeit noch selbst beschränken, ist man in Bonn schon weiter. Das Finanzministerium entwirft bereits einen „Stabilitätspakt“ für die 3. Stufe der Währungsunion; in der – dank der „unumkehrbar“ fixierten Wechselkurse – wird
„den Mitgliedsländern ein wirtschaftspolitisches Instrument aus der Hand genommen, mit dem Wachstumseinbrüche und Arbeitsplatzverluste aufgrund unterschiedlicher Kosten- und Preisentwicklungen abgefedert und in ihren Auswirkungen begrenzt werden konnten.“
Das Versäumnis des Maastrichter Vertrags, nicht eindeutig gesagt und geregelt zu haben, daß es mit der „strikten, finanzpolitischen Stabilität“ dann erst richtig losgeht, wenn sich die WWU vollendet, wird ausgebügelt. Maßnahmen, die den langsamen, aber sicheren Entzug der Geldhoheit anvisieren, werden da einer noch gar nicht existenten Zentrale überantwortet, welche „europäischer Zentralrat“ heißt. Und das ist einerseits logisch, andererseits erstaunlich.
Logisch deswegen, weil die Wiederaufnahme der gar nicht stabilitätsfördernden Mißwirtschaft, die gegenwärtig zum Zweck des Beitritts unterlassen wird, das Unternehmen „starkes Eurogeld“ hinterher erneut in Frage stellt. Dafür, solche Rückfälle zu verhindern, ist die Zentralisierung der Entscheidungen, die die Verwendung des neuen Kreditgelds für die Mitgliedsstaaten betreffen, allemal geboten. Nur „institutionelle Sicherungen“ gewährleisten dann die Haushaltsdisziplin, die Europa für das Aufmischen des Weltmarkts braucht…
Erstaunlich ist daran, daß schon wieder der sparsame Umgang mit Schulden als der Königsweg zum respektheischenden Weltgeld empfohlen wird. Und zwar für die Zukunft, während in der Gegenwart jeder Zeitungsleser weiß, daß die einschlägigen Bemühungen der Regierungen, die sich ihren Beitritt noch „verdienen“ müssen, zu mehr als zweifelhaften Erfolgen führen. Da mag Waigel als Urheber des „Stabilitätspakts“ noch so wohlwollend berichten, daß die „Stabilitätskultur“ durch den „Stabilitätsdruck, ausgehend von Maastricht, in vielen Ländern entscheidend vorangekommen“ ist – daß keine der gemeinten Nationen die Beitrittskriterien erfüllt, wird in ganz Europa durch aussagekräftige Schaubilder täglich bekanntgemacht. Es soll sogar vorkommen, daß sich die Schuldenquoten mancherorts erhöhen, zumal das Wachstum, auf dessen Zahlen die Schulden bezogen werden, der Dienst am Bruttosozialprodukt eben, ausbleibt. Dasselbe gilt in bezug auf die Zinsen, weil deren vergleichsweise Höhe für gewisse Staatskassen ein Instrument darstellt, das Geld ihrer Landsleute im Land zu halten und Auswärtige zum Anlegen zu reizen. Kurz: Wird der Wortlaut des Kriterienkatalogs ernst genommen, findet auch keine Währungsunion statt!
Dennoch bestehen die deutschen Europa-Planer lauthals sowohl auf der Einhaltung der „Konvergenzkriterien“ als auch auf der Vollendung der WWU, wobei sie höchstens einmal vom Zeitplan des Vertrags einige Abstriche in Erwägung ziehen. Und sie schaffen es ein ums andere Mal, für das Projekt unter ihren Partnern Konsens einzuholen. So steht gegenwärtig der politische Wille zur Währungsunion in Gegensatz zu den ökonomischen Bedingungen, welche sich die Urheber dieses Unternehmens selbst zur Vorschrift gemacht haben.
Wie der Eifer, mit dem vor allem Deutschland zu Werk geht, zeigt, stürzt diese Lage die Vorkämpfer der WWU keinesfalls in Verlegenheit. Sie verlegen sich vielmehr auf die Klarstellung der Sache, um die es ihnen geht – wobei sie noch nicht einmal die Form der Darstellung zu ändern brauchen:
„Die Maastricht-Kriterien sichern die unabdingbare finanzpolitische Solidität der Teilnehmerstaaten. Niemand kommt in die Währungsunion, der nicht Finanzdisziplin für mehrere Jahre unter Beweis gestellt hat, möglicherweise dafür auch vorübergehende Anpassungsprobleme in Kauf genommen hat.“
Wenn die Maastricht-Kriterien schon von den meisten
Ländern nicht erfüllt werden, dann bleibt doch wenigstens
ein Nutzen dieses Lackmustests auf den
Gesundheitszustand kapitalistischer Partnernationen: Da
sie der Benützung des neuen Euro-Geldes nicht würdig
sind, haben sie sich zur Solidität
herunterzuwirtschaften.
5. Zu viel Kredit in Europa
Insofern hat die Rede von der Unverzichtbarkeit der „Stabilitätskriterien“ und ihrer ewigen Gültigkeit ihren guten Sinn. Weit davon entfernt, „Instrumente zur Stabilitätssicherung“ zu sein, taugen sie durchaus als Beweis für die Minderwertigkeit ganzer Nationen – und sie begründen einen Auftrag, den diese Nationen von der Gemeinschaft, der sie angehören und verpflichtet sind, erteilt bekommen.
Die Befugnis, mit ganzen Nationalökonomien so umzugehen, rührt daher, daß sie Teil Europas sind, also jede Menge Abhängigkeitsverhältnisse zwischen ihnen und ihren stabilen Partnern etabliert sind. Ihre Selbständigkeit ist sehr relativ, die von ihren Regierungen einsetzbaren Mittel sind ebensosehr Gegenstand von Entscheidungen und Interessen der anderen EU-Mitglieder.
Das gilt auch für ihre Schulden, für die allemal „die Gemeinschaft“ mitzuständig ist. Und die nimmt ihre Zuständigkeit in einer Weise wahr, die deutlich macht, daß ihre „Abhängigkeit“ von den „unsoliden“ Partnern etwas anders beschaffen ist. Der Grund für die Gemeinschaft, sich mit den Schulden ihrer Mitglieder auf neue Weise zu befassen, liegt im Bedürfnis nach dem neuen, stabilen Euro-Geld, sowie in der mit diesem Bedürfnis verbundenen Frage, wie die Lizenzen zum Gebrauch dieses Geldes zu er- und verteilen sind.
Im Namen der herzustellenden Währungsstabilität hat die Gemeinschaft ihren Mitgliedern die Botschaft zukommen lassen, daß es in Europa zu viel Schulden gibt. Mit der Angabe des Maßes für das „zu viel“ – die schönen Kriterien! – ist das stabilitätsgefährdende Defizit lokalisiert worden: Die Gemeinschaft hat beschlossen, die Schuldenberge gewisser und zahlreicher Nationen als Last für sich anzusehen; und unter Berufung darauf, daß bislang noch national bilanziert wird, ist im Hinblick auf die unerläßliche Stärke des künftigen Geldes, das ein gemeinschaftliches ist, die Bereinigung dieser Last den Staaten übertragen worden, bei denen die überzähligen Defizite aufgelaufen sind. Daß dieser Auftrag in der leicht verrückten Form ergangen ist, die Mitgliedsstaaten möchten sich ihren Haushalt besser einteilen, ändert nichts an seinem Inhalt. Es macht vielmehr deutlich, daß nicht an eine Mobilisierung der nationalen Wachstumsquellen als probates Mittel gedacht war, um das Mißverhältnis zwischen Sozialprodukt und Schulden zu bereinigen. Dasselbe geht im übrigen aus der Drohung hervor, die Lizenz zur Verfügung über das neue Geld den Nationen vorzuenthalten, die „es nicht schaffen“. Als Mitglieder der Gemeinschaft dürfen sie ihr Geld dann nämlich mit dem Euro-Geld vergleichen lassen, was die internationale Kaufkraft ihrer Kreditzettel bestimmt nicht beflügelt. Daß der Ausschluß die in den Stabilitätskriterien gebotene Unterordnung nicht nur fortsetzt, sondern sie ziemlich ruinös gestaltet, wird da von „der Gemeinschaft“ locker in Kauf genommen – das Euro-Geld steht ja zur Erschließung der ausgeschlossenen Nationalökonomien bereit. Und umgekehrt verschaffen die „soliden“ Nationen, deren Schulden schließlich nicht „zu viel“ sind, ihren vielen Kreditzeichen die Gunst, als neues Geld die Märkte zu bevölkern…
So sind die Stabilitätskriterien, die so schwer zu erfüllen gehen, dann doch ein „Instrument zur Stabilitätssicherung“ der neuen Währung. Mit ihrer Hilfe scheiden die vor allem deutschen Fanatiker der Währungsunion innerhalb der Gemeinschaft gutes Kreditgeld von schlechtem; ihre Schulden statten sie unter Verweis auf ihre „Solidität“ mit dem Prädikat Euro-Geld aus, die ihrer europäischen Partner entledigen sie ihrer Benützung als geldgleicher Kredit. Die Kontraktion des europäischen Kredits, die per Währungsunion verordnet wird und der neuen Währung ihre Härte verschaffen soll, gerät unter Berufung auf den erreichten Stand der Konkurrenz, der sich in der Stellung der DM dokumentiert, zu einer innereuropäischen Abrechnung.
Mit ihrem Programm, demzufolge die schlechten Schulden – weil zu viel – auch Schulden der sie zeichnenden Nationen bleiben, während die guten Schulden international respektiertes Geld darstellen, spekulieren die Architekten der WWU freilich auch ein bißchen. Nicht zuletzt auf die Spekulation: die Märkte müssen ihrem Abrechnungsbedürfnis schon noch recht geben. Und zwar in der Zeit vor der Fixierung der Wechselkurse (3.Stufe) ebenso wie danach, wenn der Umtausch erfolgt ist. So brauchbar da für die Mengenverhältnisse, für die Zuteilung des Euro an die Nationen, „die reinkommen“, die Schwächung der Partnerwährung aussieht, so verheerend kann sie sich auf das Projekt und damit auf die starke DM auswirken. Denn auch die bezieht ihre Stärke nicht aus der unabhängigen Bundesbank, sondern aus der DM-trächtigen Bewirtschaftung Europas. Kapitalistisch funktionierende Partner braucht das Projekt schon, an dessen Gelingen inzwischen die ganze Pracht und Herrlichkeit deutschen Geldes hängt.
6. Eine Währungsreform neuen Typs
Die bis zum Erbrechen wiederholte „Entschlossenheit“, die Währungsunion durchzuziehen, hat nicht nur die eingangs zitierten guten Gründe. Die Risikofreudigkeit, mit der Deutschland zur Sache geht und sich den Konsens der restlichen EU einholt, verweist bei allem Stolz auf die liebe deutsche Mark auf einen europakritischen Befund: Dieses Wirtschaftsbündnis, das Deutschland zur überlegenen Wirtschaftsmacht auf dem Kontinent gemacht hat, das ihm den außergewöhnlichen Status eines Weltgeldhüters eingetragen hat, taugt in seiner jetzigen Verfassung nichts mehr. Und zwar als verläßliche Quelle ökonomischer Macht.[1]
Die Einwände gegen den Fortbestand nationaler Gelder und die Produktion und Handel behindernde Kreditschwäche bei den Partnern erfolgen ja nicht deswegen, weil Deutschland zu kurz gekommen ist. An Währungsturbulenzen und Rückgang der Zahlungsfähigkeit erfährt diese Nation, daß sie die Konkurrenz mit Japan und USA, zu der sie die EG befähigt hat, ohne einschneidende Veränderungen in Europa nicht besteht. Ihre Position in der ökonomischen Hierarchie des Weltmarkts ist nicht haltbar, wenn es nicht gelingt, Europa fertigzustellen. Und für die Beseitigung des überkommenen ökonomischen Nationalismus, des Bemühens souveräner Staaten um ihre Erträge aus dem kapitalistischen Gemeinschaftsleben, erscheint ihr eine Währungsreform gerade recht.
Denn eine solche ist die europainterne Abrechnung, welche dem Kreditgeld gleich mehrerer Nationen das Maß zuweist, in dem es sich auf dem Weltmarkt betätigen kann. Der Unterschied zu den Staatsakten, die gemeinhin mit dem Stichwort „Währungsreform“ verbunden werden, ist freilich erheblich.
Von einer Notlage – infolge größerer Krise oder aufgrund eines verlorenen Krieges –, in welcher die Finanzen der Nation zerrüttet sind und vom Wertpapier bis zum Umlaufsmittel alles Geldeigentum unbrauchbar geworden ist, kann keine Rede sein. Dennoch besteht auch die Währungsunion in nichts anderem als in einer Neubewertung sämtlicher Arten privaten wie öffentlichen Besitzes, in einer Festsetzung, die alle Zirkulations- und Zahlungsmittel, auch sämtliche Eigentumstitel in einer neuen Einheit mißt und diese Einheit mit einem Verhältnis zu dem außerhalb der Nation gültigen Maß kapitalistischen Reichtums versieht. Dergleichen, so sieht es die Währungsunion vor, soll einer Notwendigkeit entsprechen, die eine Nation im Interesse ihrer starken Währung, etliche andere im Interesse ihres schwachen, aber durchaus funktionierenden, auch konvertiblen Kreditgeldes ausgemacht haben. Das neue Maß des Reichtums soll dasselbe wie das alte leisten, aber besser – die Erwirtschaftung von in ihm greifbaren Erträgen. Das ist der erste Unterschied zur Not, die der Nation das Inkraftsetzen eines gültigen Wertmaßes gebietet, weil ein solches nicht mehr unterwegs ist.
Der zweite Unterschied besteht darin, daß hier gleich für mehrere Nationen eine Eröffnungsbilanz verordnet wird. Nicht das Eingeständnis eines Staates bezüglich der Reduktion seines und seiner Bürger Reichtums findet da statt, sondern die Gewichtung der Besitztümer erstens der Teilnehmer an der Währungsunion untereinander, also ihrer relativen Ansprüche. Zweitens dekretiert diese Währungsunion ein Verhältnis zu den Geldern der ausgeschlossenen Partner, die um die Verfügung für das neue Geld in doppelter Hinsicht zu konkurrieren gehalten sind. Einerseits, indem sie sich diese Valuta verdienen müssen; andererseits durch den Beweis, daß auch sie wenig genug Schulden haben, um bei sich dieses Maß des Reichtums einzuführen und als Teil der Union unmittelbar über es zu gebieten. Drittens legt die Währungsunion den Wechselkurs gegenüber Yen und Dollar fest, damit die „Union“ das Maß ihrer internationalen Kalkulation vorfindet, von dem aus sie ihre Konkurrenz mit Japan und den USA bestreitet, um am Weltmarkt zu verdienen.
Für diesen Test auf die Märkte, zu denen wie immer das Geldkapital zählt, das sein Vertrauen verteilt, veranstaltet die EU ihre interne Auslese, versucht sich in einer friedlichen Eroberung und besteht auf einer organisierten Krise.
Der Glaube an das gute Geld und seine sorgfältige Verwaltung unternimmt da eine schwierige Mission.
[1] Von den Fragen der politisch-militärischen Emanzipationswut Europas wird hier abstrahiert. Sie gehören nämlich dazu und werden demnächst behandelt.