Die „Entwicklungszusammenarbeit“ Marke Deutschland und Europäische Union
Politische Erziehung zu selbstlosem Dienst am weltweiten Geschäft
Europa, das seit 1975 im Rahmen des Lomé-Abkommens besondere eigene Beziehungen zu 71 AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) unterhält, sieht sich durch die amerikanische Afrika-Initiative („Handel statt Hilfe“) herausgefordert. Die „entwicklungspolitische Zusammenarbeit“, die von den zuständigen Ministern schon seit längerem vom Ruch einer kompensatorischen Aufbauhilfe befreit wurde, wird nun einerseits unter die Richtlinie gestellt, die „Strukturanpassung“ zu fördern – sprich: was für hiesige Kapitalisten dort unten rauszuholen ist, ist die beste „Entwicklungshilfe“. Andererseits gilt es „Widerstände“ zu beseitigen – dem Lomé-Kriterium der „good governance“ genügt nur, wer als 3.-Welt-Staat eigenverantwortlich die Weisungen der europäischen Mutterländer vollstreckt.
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Systematischer Katalog
Gliederung
- 1. Europas Politiker vermelden neue Freiheiten im Umgang mit der Dritten Welt
- 2. Der Auftrag: Sicherung der Funktionalität der Weltmarktanhängsel – und die passenden Ideologien dazu
- 3. Die neuen Projekt-Schwerpunkte beenden die Illusion einer „eigenständigen Entwicklung“
- 4. Nachhilfe bei dem verordneten Erfolgsrezept namens „Strukturanpassung“: Alles Produzieren und Konsumieren den privaten Geschäftsinteressen überlassen!
- 5. „Konditionierung“ der Hilfsprogramme und andere Methoden verschärfter Erpressung
- 6. „Echte Partnerschaft“ – Schluß mit dem Formalismus der Souveränität, eindeutige imperialistische Führerschaft ist gefordert!
Die „Entwicklungszusammenarbeit“ Marke
Deutschland und Europäische Union
Politische Erziehung zu selbstlosem
Dienst am weltweiten Geschäft
1. Europas Politiker vermelden neue Freiheiten im Umgang mit der Dritten Welt
Deutschland und die Europäische Union, die bislang – wenn
auch aus unterschiedlichen Gründen – weniger als die
einzig verbliebene Weltmacht USA auf die normative Kraft
des Einsatzes von militärischer Gewalt bei der
Korrektur von „Fehlentwicklungen“ in der Dritten Welt
setzen, sehen sich durch die amerikanische Offensive in
Afrika herausgefordert. Sie erklären, deswegen keineswegs
auf ihr genuin europäisches soziales
Entwicklungsmodell
verzichten zu wollen. Daß dieses
demonstrative Bekenntnis zum „abendländischen“ Sonderweg
alles andere als eine menschenfreundliche(re) Zielsetzung
im Umgang mit den Eingeborenen in Afrika und anderswo
verheißt, ist offensichtlich; da genügt schon ein Blick
in die von europäischen Staaten betreuten Hunger- und
Fluchtregionen des Schwarzen Kontinents. Ebensowenig
lassen die programmatischen Beschlüsse der stolzen
Euro-Politiker einen Zweifel daran aufkommen, daß die
Zeiten längst vorbei sind, in denen sie mit dem Angebot
einer „Entwicklungshilfe“ das Mißverständnis nährten, die
souverän gewordenen Staaten erwarte im westlichen Lager
eine echte nationale Aufstiegsperspektive samt
„nachholender“ Reichtumsentwicklung. Mit der Betonung des
von ihnen reklamierten ideologischen Gütesiegels „sozial“
statt power bzw. business sagen sie dem Großen Bruder
ihre Konkurrenz an. Dabei sind sie sich mit diesem einig
in der Arroganz des Siegers, der – nach der Kapitulation
der sozialistischen Zweiten Welt – selbstzufrieden darauf
pochen kann, nunmehr freie Hand bei der Durchsetzung
seiner politökonomischen „Vernunft“ in allen
Weltgegenden zu haben. Sehr aufschlußreich ist der von
deutsch-europäischen Entwicklungspolitikern ex post
feilgebotene Doppelpack aus Selbstbezichtigung und
-entschuldigung, wonach der leider unvermeidliche Kalte
Krieg gottlob vorbei sei und damit der furchtbare Zwang,
auch böse Potentaten und korrupte Staatswirtschaften bei
der Stange zu halten. Wichtiger als die berufsmäßige
Heuchelei, mit der die Täter sich als Opfer widriger
Umstände präsentieren, ist die darin geäußerte
programmatische Genugtuung darüber, daß mit dem Abtreten
der systemfeindlichen Gegenmacht auch jedes Zugeständnis
an die Ambitionen eines eigenständigen Nationalismus in
den Ex-Kolonien historisch und moralisch überholt ist.
Erleichterung grassiert, da mit der „Ost-West-Rivalität“
des weiteren die alles überragende Frontstellung, d.h.
der existentielle Zwang zur Unterordnung unter die
amerikanische Führerschaft im Kampf gegen „das Böse“
verschwunden ist und damit auch die Gründe für eine
Unterstützung (von Drittweltstaaten) aus ideologischen
Motiven entfallen, wodurch die Mittelmächte erneut an
Möglichkeiten zur Einflußnahme gewinnen und eine gewisse
Autonomie in der Außenpolitik zurückerhalten
(Grünbuch der Europäischen
Kommission, 1997, S.2 – im folgenden zitiert als:
G,2). Die inter-nationale Konkurrenz der
feindlichen Brüder um Benutzungs- und
Vorherrschaftsrechte gegenüber den Peripherien der
kapitalistischen Zentren ist neu eröffnet.
2. Der Auftrag: Sicherung der Funktionalität der Weltmarktanhängsel – und die passenden Ideologien dazu
Die Europäische Kommission hat in ihrem
entwicklungspolitischen „Grünbuch“ von 1997 eine Bilanz
gezogen über den derzeitigen Stand des Lomé-Abkommens mit
den inzwischen 71 AKP-Staaten,[1] welches seit 1975 besondere
Beziehungen der EU zu den beteiligten Staaten aus Afrika,
Karibik und Pazifik begründet und regelt. In dieser
Bestandsaufnahme gibt es zwei Sorten von Gründen, welche
für die Notwendigkeit einer fortgesetzten
Spezialbetreuung von Drittweltnationen durch die EU
sprechen sollen: Die erste Sorte beruft sich auf
unumgängliche Anstrengungen zur Sicherung des
ökonomischen Nutzens, auf den der europäische
Kapitalismus mehr denn je angewiesen sei. Zwar tummelten
sich die AKP-Länder auch nach 25 Jahren Lomé-Vertrag mit
einem Anteil von 2% immer noch am Rande
des
Welthandels (G,1), und
insbesondere die Subsahara-Staaten Afrikas würden immer
stärker marginalisiert, aber von deren mineralischen und
landwirtschaftlichen Rohstoffen sei und bleibe das
Wachstum des Standorts Europa nach wie vor
abhängig
. Die ökonomische Verfügbarkeit dieser
Ressourcen soll also langfristig gewährleistet werden.
Die zweite Art unabweisbarer Aufgaben, denen die
entwicklungspolitischen Maßnahmen genügen wollen, bezieht
sich auf den Schaden, den der elende Zustand der
früher „unterentwickelt“ genannten Länder in unserer
zivilisierten Weltgegend anrichtet oder anzurichten
droht. Zwar ist die strategische Gefahr der
Ausbreitung des sowjetischen Kommunismus
gebannt,
statt dessen aber wird gleich ein ganzes Ensemble von
Gefahren für gewisse Sicherheitsbedürfnisse der EU
aufgelistet: Das Auftreten systemgebundener (an
welches System gebundene?) Risiken in den Bereichen
Umwelt, Wanderbewegungen, Terrorismus, Drogen und
international organisiertes Verbrechen
(G,1) – ganz zu schweigen von der
„zunehmenden Gewalt“ mit Kriegen und Stammesfehden –
zwingt demnach zu grenzüberschreitendem Engagement in den
Chaos-Regionen. Zumal die „Probleme“ dort auch noch den
beschränkten Nutzen, für den die Staaten bislang
geradestehen, untergraben. Die neue epochemachende
Formel, unter welcher die Aufgaben der Nutzensicherung
und Schadensabwehr zu gleichwertigen Bestandteilen eines
weltweit gültigen Kontrollimperativs abstrahiert und zum
unschuldigen Sachgesetz stilisiert werden, heißt – was
sonst – „Globalisierung“. Dieser Titel steht hier für die
universelle Betroffenheit der Weltwirtschaftsnationen von
externen Einflußfaktoren und den politischen Willen,
daraus beherrschbare Instrumente für den eigenen
Konkurrenzerfolg zu machen. Der Sachverhalt, der jener
doppelten Begründung von „Entwicklungspolitik heute“ zu
entnehmen ist, ist ein anderer: Die Staaten der Ersten
Welt haben mit der Subsumtion aller Landstriche und
potentiellen Reichtumsquellen unter die Herrschaft des
kapitalistischen Privateigentums zugleich ein ziemlich
systematisches Zerstörungswerk in Gang gesetzt, gegen
dessen negative Rückwirkungen sie sich nunmehr verstärkt
„wehren“ müssen. Die Resultate der imperialistischen
Benutzungsordnung dienen als unabweisbarer
Rechtfertigungsgrund und Hebel für eine funktionale
Neudefinition der Rechte und Pflichten der
„hilfsbedürftigen“ Staatenwelt.
Worin der Maßstab dieser Neubestimmung von Entwicklungspolitik besteht, geht schon ein Stück weit aus der Generaldiagnose hervor, mit welcher hiesige Politmanager das „Scheitern“ bzw. die „Defizite“ der Drittweltstaaten in Sachen nationaler Reichtumsentwicklung erklären. Sie behaupten allen Ernstes, daß alle aus Afrika und anderen südlichen Regionen gemeldeten notorischen Handelsdefizite, Schuldenberge und Hungerkatastrophen daraus resultieren, daß diese Staaten die Integration in den Weltmarkt zu wenig oder nicht richtig betrieben haben. Diese kontrafaktische Feststellung ist einerseits ein echter Witz, schließlich sorgen die europäischen Spitzenpolitiker im Verein mit ihren amerikanischen und japanischen Partnern nunmehr seit 15 Jahren tatkräftig dafür, daß ihre Weltwirtschaftsordnung in Form von IWF-Diktaten und konditionierten Weltbank-Krediten den längst zahlungsunfähigen Verlierernationen des Welthandels gar keine Abweichung von ihrer weltmarktdienlichen Rolle erlaubt. Andererseits hat der Blödsinn solcher Negativ-Erklärung Methode. Er bekräftigt nicht nur, daß alle störenden „Begleiterscheinungen“ des kapitalistischen Gebrauchs der Länder kein Einwand gegen ihre Funktion sein dürfen. Er enthält darüber hinaus eine Schuldzuweisung an die staatlichen Subjekte dieser Länder: Indem gegen sie die ehernen Gesetze des Marktes ins Feld geführt werden und von ihnen unbedingte Systemtreue des Regierens eingefordert wird, wird ihnen verboten, nationale Vorbehalte – und das heißt prinzipiell: nationale Nutzengesichtspunkte – für die Verfügbarmachung örtlicher Reichtumsquellen geltend zu machen. Sie sollen ihre Funktion für kapitalistisches Wirtschaften zum Zweck ihrer Herrschaft machen. Mit dieser Leitlinie postkommunistischer Entwicklungspolitik, an der sich der Sinn oder Unsinn künftiger Projekte ausrichten und bemessen soll, setzen sich die Neuordner der Entwicklungspolitik ebensosehr über alle Vorteilserwägungen dieser Staaten hinweg wie über ihre Fähigkeit, den an sie gestellten Anforderungen zu entsprechen.
3. Die neuen Projekt-Schwerpunkte beenden die Illusion einer „eigenständigen Entwicklung“
Die vom Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und der EU-Kommission ziemlich
gleichlautend vorgenommenen Veränderungen in der
Hierarchie der sektoral gegliederten
Projektbereiche
im Rahmen der Finanziellen und
Technischen Zusammenarbeit
sind verräterisch. Sie
legen deren Schwerpunkt auf eine Palette
kompensatorischer „Sozialleistungen“. Diese
verheißen nichts Gutes hinsichtlich der Folgen für die
einheimische Bevölkerungsmehrheit, die von den in der
Hauptsache laufenden „marktwirtschaftlichen Reformen“
erwartet werden.
a) Armutsbekämpfung
„Die Verminderung der Massenarmut in den Entwicklungsländern“, so vermerkt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in seinem jüngsten „Journalisten-Handbuch 1997/98“, S.150 (im folgenden zitiert als: BMZ,150), „wird international heute als zentrale Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit angesehen.“
Diese Beförderung zum wichtigsten Projektbereich
signalisiert – ganz analog zum hiesigen „Kampf gegen die
Arbeitslosigkeit“ – keineswegs ein Ende der
systematischen Produktion von Massenelend durch die
inzwischen universelle Vorherrschaft des Profits. Im
Gegenteil; sie ratifiziert offiziell das Schicksal der
Massen in den Anhängsel-Staaten des Imperialismus als
bleibenden Kampf ums schiere Überleben, der
betreut und in erwünschte Bahnen gelenkt gehört. In
diesem Sinne werden in exemplarischen
Modellveranstaltungen Ländlicher Anbau
oder
Selbständiges Handwerk
inszeniert, sprich die
Armut bekämpft
, die durch die ersatzlose
Unterminierung der traditionellen Subsistenzwirtschaft
hervorgerufen wird. So wird der zynische Beweis geführt,
daß durch Hilfe zur Selbsthilfe
die Entwurzelten
das Überleben lernen aus eigener Kraft
, ohne
dauernd auf Lebensmittellieferungen angewiesen zu sein.
Das Ideal, das diesen Projekten den Schein einer
Perspektive verleiht, wird gratis mitgeliefert. Die
Menschen sollen auf diese Weise die segensreichen
Wirkungen der privatwirtschaftlichen Initiative
erlernen, also für einen Markt produzieren, damit
Arbeitsplätze und Einkommen schaffen
und so –
quasi durch Verallgemeinerung der wunderbaren Exempel –
die nötigen strukturellen Reformen in Staat und
Gesellschaft
anstoßen. (BMZ,18f) Da ein zahlungsfähiger Markt
und Voraussetzungen wie Gerätschaften fürs Produzieren
aber nur so weit reichen, wie die Entwicklungsprojekte
sie fingieren, bzw. dort, wo es eine kaufkräftige
Nachfrage gibt, diese von auswärtigen Händlern oder den
exportsubventionierten Rindfleisch-, Getreide- und
sonstigen Überschüssen der Europäischen Union
„abgeschöpft“ wird,[2] kommt die propagierte
nachhaltige
Überwindung des Hungers natürlich
nicht zustande. Es darf vielmehr eine abnehmende
Lebensmittelproduktion pro Kopf
und zunehmende
Armut
beklagt werden. (G,15) Und die vielbemitleideten
Elendsgestalten sorgen weiterhin für die bekannten
Flucht- und Wanderungsbewegungen, die bis an unsere
Wohlstandsgrenzen
gelangen – wo wir sie leider
abfangen und abschieben müssen. Denn schließlich haben
wir uns ja auch deshalb für die Armutsbekämpfung vor Ort
entschieden, damit sie bleiben, wo sie hingehören: in
ihrer Heimat!
b) Umweltschutz
Auch der Sektor „Umwelt- und Ressourcenschutz“ erhält seit einem Jahrzehnt steigende Priorität. Das ist kein Wunder, weil die natürlichen Grundlagen der Reproduktion der einheimischen Bevölkerung mehr und mehr ruiniert werden. Die diesbezügliche Expertendiagnose hört sich so an:
„Die Zerstörung der natürlichen Umwelt wird in zunehmendem Maße zu einem Hindernis der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Die armen Länder leiden unmittelbar unter den Folgen der Entwaldung und der übermäßigen Nutzung der Böden. In den übervölkerten Gebieten verschärfen sich die Probleme, deren Ursache die Wasser- und Luftverschmutzung ist.“ (G,16)
Von den Urhebern und Gründen der Umweltzerstörung ist keine Rede. Der angesprochene Sachverhalt ist andererseits auch niemandem ein großes Geheimnis: Der Zweck des gewinn- bzw. devisenträchtigen, also kostengünstigsten Abbaus von Metall-, Öl- und Gasvorkommen sorgt für die nachhaltige Vergiftung von Land und Luft, und die Verdrängung der Bauern und Nomaden von ihren Anbau- und Weidegebieten zwecks deren Inbeschlagnahme für neue Bergbau- und lukrative Plantagenprojekte dafür, daß jede „soziale Entwicklung“, sprich das pure Überleben der Bevölkerung auf dem Spiel steht.[3] Diese Notlage hat wiederum zur Folge, daß die Menschen auf der Suche nach verbleibenden Nahrungs- und Energiequellen noch den letzten Rest an zugänglichem und tauglichem Boden überweiden und die Wälder kahlschlagen – sofern die Internationale der Holzhändler noch etwas übriggelassen hat –, um neuen Boden und Feuerholz zu gewinnen. Was die Politiker dann wieder einmal als einen fatalen „Teufelskreis“ beklagen, ist also abermals derselbe Sachverhalt der Verelendung einer außer Kontrolle geratenden Bevölkerung, der – diesmal unter dem modernen Titel des Umweltschutzes – zur entwicklungspolitischen Anleitung ausgesuchter Ortschaften (neuerdings mit besonderer Betonung der Rolle der Frau!) im Sinne eines haushälterischen Umgangs mit den „knappen Ressourcen“ Anlaß bietet.
Außerdem bietet der Gesichtspunkt des Naturschutzes den
politischen Verwaltern der globalen Umwelt samt
Klimakatastrophe
die hervorragende Gelegenheit, im
heimischen Parlament oder auf diplomatischen
UNO-Umwelt-Konferenzen die eigenen Anstrengungen
herauszustreichen. Da kann auf Musterbeispiele für
angepaßte Technologien
verwiesen werden, welche
die Nutzung erneuerbarer Energiequellen wie Wasser,
Sonne, Wind
ermöglichen (BMZ,18), sowie auf dies oder jenes
Aufforstungsprojekt, mit welchem man der steigenden
Desertifikation hinterherläuft. Die Deutschen und die
Europäer kümmern sich in der Dritten Welt eben
vorbildlich darum, die Erhaltung der natürlichen
Lebensgrundlagen zu fördern
– selbstverständlich
ohne daß dies zu Lasten des Wirtschaftswachstums …
geht
(Spranger, deutscher
Entwicklungsminister im Bundestag, Anfang 1998).
Der Fortgang der naturzerstörerischen Produktionsweise
hat also erklärtermaßen Priorität. Daß es ein Unding
wäre, wenn die Milliarden Chinesen und Schwarzafrikaner
auch noch mit je einem PKW durch die Gegend führen wie
wir, ist ja ohnehin bereits von Rechts bis Grün
sonnenklar: Das alte Ideal einer „nachholenden
Entwicklung“ hin zu den Höhen der „westlichen
Zivilisation“ verbietet sich schon aus Gründen globalen
Umweltschutzes!
c) Bildung
Die Erhebung der Volksbildung in den Rang eines der drei
vordringlichen Bereiche deutscher Entwicklungsprojekte
ist zunächst insofern aufschlußreich, als damit deutlich
wird, welche anderen, traditionell bedeutsamen Ressorts
nicht mehr oder nur noch am Rande für
förderungswürdig erachtet werden. Der Vorrang von
Energie- und Infrastrukturprojekten,
Muster-Industrieanlagen oder auch Eliteförderung für die
designierte politische Klasse
, welche ehemals als
Eckpfeiler ehrgeiziger nationaler
Fortschrittsprogramme
finanziert wurden, gelten –
ebenso wie diese selbst – als überholt. Was bleibt übrig
an lohnenden Projekten? Armenbetreuungs- und
-kontrollinitiativen! Und eben Bildung, als Teil dieses
Programms. Wenn schon sonst alles, eine gewisse
Grundbildung
soll der – gemessen an der
benutzbaren Menschheit – überflüssigen Bevölkerung nicht
vorenthalten werden. Die dafür einschlägigen Begründungen
seitens gebildeter Politiker lesen sich so:
„Bildung und Wissen sind elementare Voraussetzungen für menschliche Entwicklung. In allen Partnerländern gibt es Defizite, die die Entfaltung von praktischen beruflichen Fähigkeiten, Kreativität und Selbständigkeit behindern.“ (BMZ,19)
Auf die ideologische Dummheit, eine ordentliche Bildung sei eine Art Hebel, die fehlenden materiellen Bedingungen einer beruflichen Einkommensquelle kreativ zu überspielen, wird also auch gegenüber Afrikanern nicht verzichtet. Was tatsächlich mit den Finanzierungshilfen für Unterricht anerkannt wird, ist die Unverzichtbarkeit dieser Staatsfunktion trotz bzw. gerade wegen der ansonsten existierenden Trennung der politischen Gewalt von den Massen, die sie als „ihr Volk“ betrachten soll, ohne daß die – nach wie vor – Stammes- oder Clanmitglieder praktisch als solches fungieren. Schulunterricht ist tatsächlich die einzige Form des Zugriffs auf die mit ihren unmittelbaren Existenzfristung befaßten Bewohner seines Territoriums – und insofern so etwas wie ein rudimentärer Ordnungsdienst und Einflußfaktor des Staates, für dessen Abwicklung sich europäische Entwicklungspolitiker – genau deshalb – stark machen.
4. Nachhilfe bei dem verordneten Erfolgsrezept namens „Strukturanpassung“: Alles Produzieren und Konsumieren den privaten Geschäftsinteressen überlassen!
Das Ideal, wonach ausgerechnet Initiativen einer
kompensatorischen Armuts- und Sozialfürsorge so etwas wie
einen ökonomischen Aufbruch im Lande hervorbringen
könnten, wird seit einiger Zeit von den maßgeblichen
Entwicklungspolitikern selbst des mangelnden Realismus
bezichtigt. Und die diesbezüglichen Programme werden
entsprechend zusammengestrichen. Mit dem Argument, es
bestünde die Gefahr, daß sie von den Regierungen zum
Vorwand genommen würden, an den „Strukturen“ im Lande
nichts zu ändern, wird auf der entscheidenden Bedeutung
einer tragfähigen „ökonomischen Basis“ für alle
entwicklungspolitischen Erfolge insistiert. Das
zeitgenössische Konzept aus Brüssel und Bonn lautet
Handel ist die beste Hilfe
, auch wenn man die
US-Parole Handel statt Hilfe
nicht unterschreiben
will.[4]
Integration der Entwicklungsländer als Partner in die
arbeitsteilige Weltwirtschaft
(BMZ,184) heißt die Zauberformel. Das
mutet nach 50 Jahren „Entwicklungshilfe“ wie ein
schlechter Witz an, wird aber nicht nur von den
zuständigen „Experten“, sondern auch von den
Meinungsbildnern und Dritte-Welt-Fans bitter ernst
genommen. Was da als Lösung der „strukturellen
Rückständigkeit“ empfohlen wird, ist haargenau der
Zustand, welcher Ausgangspunkt aller
imperialistischen Fürsorglichkeit war und ist: die
gelaufene und laufende „Integration“
dieser rohstoffexportierenden Ländereien in die
politische Ökonomie des schrankenlosen kapitalistischen
Akkumulationsdrangs, die jene Staatsgebilde zu Anhängseln
des internationalen Kreditsystems macht und die
ortsansässige Bevölkerungsmehrheit nicht braucht, also
auch nicht ernährt. Die Europäische Union, die seit dem
Lomé-Vertrag 1975 einen geregelten Handel mit den
AKP-Entwicklungsländern betreibt, tut einfach so, als
wären letztere gerade vom Himmel gefallen, und verkündet
im Zuge der Halbzeitüberprüfung
des Lomé
IV-Abkommens, das von 1990 bis 2000 gilt, ihr völlig
neues Konzept
:
„Wie bereits gesagt, sollen die AKP-Staaten mittel- und langfristig (!) schrittweise (!) und harmonisch (!) in die Weltwirtschaft integriert werden.“ (Europäische Kommission, Entwicklung, Dez. 1996, S.7)
Tatsächlich werden mit derartigen programmatischen Phrasen handfeste praktische Konsequenzen im Umgang mit den Drittweltstaaten angekündigt bzw. bekräftigt. Die „entwicklungspolitische Zusammenarbeit“ wird unter die Richtlinie gestellt, die „Strukturanpassung“ zu fördern und „Widerstände“ zu beseitigen. Die „Struktur“, an welche Afrika und die Dritte Welt sich bedingungslos „anpassen“ sollen, ist das System kapitalistischer Ökonomie – also die Unterwerfung der materiellen Bedürfnisbefriedigung unter den einzig maßgeblichen Zweck der Vermehrung des abstrakten Geldreichtums und die dafür nötigen Erfolgsbedingungen. Das Kapital, das keine Grenzen kennt bei der Suche nach Anlagemöglichkeiten und Zahlungsfähigkeit, gilt inzwischen erklärtermaßen als der eigentliche und adäquate Entwicklungshelfer. Und das gerechterweise, denn „(Unter-)Entwicklung“ meint ja von Anfang an nichts anderes, als daß die für Produktion, Verteilung und Konsum zuständige Geschäftswelt sich der sachlichen und menschlichen Bedingungen des Landes auf stets wachsender Stufenleiter bedient. Also präsentieren die Drittwelt-Minister die „Lage“ und ihre Hauptaufgabe so:
„Private Kapitalflüsse erreichen inzwischen ein Vielfaches der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit … Wir wollen erreichen, daß sich diese Entwicklung verstetigt und möglichst viele Entwicklungsländer in ihren Genuß kommen. Auch hierfür ist die Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die entscheidende Voraussetzung. Dort, wo die Rechtsordnung vor staatlicher Willkür schützt, wo Privateigentum garantiert und dem freien Unternehmertum Spielräume gelassen sind, wird automatisch Kapital mobilisiert. Sein Einsatz fördert Arbeitsplätze und Einkommen, Wirtschaftswachstum und Entwicklung in einem so dynamischen Prozeß, wie ihn staatlich finanzierte Programme allein nicht bewirken könnten.“ (Spranger, Rede vor dem Bundestag, a.a.O.)
Der Mann stellt erstens klar, worin der Inhalt des Programms „Durchsetzung der Gesetze des Marktes“ besteht: Alle Quellen und Gelegenheiten wirtschaftlichen Nutzens sollen in Privateigentum verwandelt werden, d.h. der ausschließlichen und ausschließenden Verfügung privater Geldbesitzer anheimgestellt werden. Dementsprechend ergeht der Auftrag an die Herrschaften vor Ort, sich aus der Ökonomie zurückzuziehen, ein für allemal herauszuhalten und den freien Unternehmern – und damit natürlich auch den tüchtigen Multis aus Deutschland und Europa – alle Bedingungen der geschäftlichen Freiheit zu verschaffen. „Privatisierung“ heißt die Formel.
Zweitens ergänzt der Lobpreiser der segensreichen Wirkungen des Kapitals dieses Programm mit dem dialektischen Lügenmärchen, gerade der politische Verzicht auf alle national-staatlichen Vorbehalte und Konditionen bei der Unterstellung der landeseigenen Ressourcen unter das Kommando des allein fürs Wirtschaften kompetenten Privateigentums sei eine „automatische“ Erfolgsgarantie – nicht nur im Hinblick auf verstärkte ausländische Kapitalinvestitionen, sondern auch und vor allem für die jeweilige Nation. Als unschlagbares Argument hierfür firmiert die spiegelbildliche Diagnose, wonach der bisherige Mißerfolg bei der „Entwicklung“ der – quasi sozialistischen – Staatseinmischung in ökonomische Angelegenheiten geschuldet sein muß; ansonsten müßte es ja längst blühende Landschaften geben! Doch nicht nur die Staaten in Afrika, Karibik und Pazifik werden als die sicheren Nutznießer der geforderten „Strukturanpassung“ vorstellig gemacht; auch für die unbrauchbaren und hungernden Massen sollen die „Multiplikatoreffekte“ der Mobilisierung von Privatkapital Arbeit und Einkommen, also endlich eine ordentliche Lebensperspektive stiften. Womit endgültig klargestellt wäre, worin die eigentliche Aufgabe der „neuen entwicklungspolitischen Priorität“ Armutsbekämpfung besteht: in der Beseitigung aller Schranken für die Etablierung der alleinigen Hoheit des weltweit agierenden Kapitals über die Quellen allen Reichtums, die Arbeit und die Natur.
Die Konsequenz dieses Standpunkts, daß sich „die
Wirtschaft“ der Entwicklungsländer vor den
„unverfälschten“ Gesetzen des Weltmarkts auf Gedeih und
Verderb zu bewähren hat, schließt nachhaltige
Revisionen im bisherigen Management der
Handelsbeziehungen ein. Geplant ist nach Ablauf von Lomé
IV nicht weniger als die Abschaffung der bislang von der
EU eingeräumten „Vergünstigungen“ für die AKP-Staaten.
Dies betrifft einerseits das System der einseitigen
Handelspräferenzen
(Marktzugangsprivilegien), welche
bis dahin als entscheidendes Instrument für die
Sicherung des Absatzes der AKP-Erzeugnisse galten
(Europäische Kommission,
Entwicklung, Dez. 96, S.7.); andererseits die
Fonds-Systeme für die Stabilisierung der
Exporterlöse
bei landwirtschaftlichen Grundstoffen
(STABEX) bzw. bei mineralischen Rohstoffen (SYSMIN),
wodurch den Lieferstaaten ein Ausgleich für
Produktionsrückgänge und Preisverfall gewährt wurde.
Bemerkenswert sind die Begründungen, mit denen diese
Töpfe gestrichen werden sollen: Trotz ihrer
Handelsvorteile
hätten die AKP-Erzeuger ihren
Wettbewerbsrückstand gegenüber ihren Konkurrenten in
Asien und Lateinamerika nicht aufholen
können (ebd.),
weshalb sie offenkundig eine überflüssige Fehlinvestition
darstellten. Außerdem würden solche Subventionen
den gegenwärtigen Verhältnissen nicht mehr
gerecht
, denn die Rolle des Staates bei der
Festlegung der Erzeugerpreise von Rohstoffen
sei
überholt und verhindere bloß die notwendigen
Reformen
zur Stärkung der privaten
Wettbewerbsfähigkeit
, auf die es ankommt. Und
überhaupt lassen die WTO-Freihandelsregeln bzw. die
Liberalisierungforderungen der USA laut EU-Kommission das
Fortbestehen solcher Schonräume
und
Ausnahmeregelungen
sowieso nicht zu, wie der
Streit um die Bananen lehre (G,11-13). Es handelt sich um lauter
ideologische und diplomatische Rechtfertigungsgründe, die
nur für eines stehen: Die Sachwalter des europäischen
Kapitalstandorts wollen die politischen Unkosten
einsparen, mit denen sie den AKP-Herrschaften in der
Vergangenheit eine halbwegs verläßliche Devisenquelle
finanziert haben. Sie gehen zufrieden davon aus, daß die
rückständigen Länder
sich den Gesetzen des
freien Wettbewerbs
ohnehin nicht entziehen können, da
sie ihnen keine Alternative lassen, und setzen auf die
heilsame Wirkung dieses Sachzwangs auf die politischen
Führer – die nötige Öffnung
zu beschleunigen. Die
müssen bloß wollen - und den Test auf
die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Angebote
den Entscheidungen der privaten Interessenten überlassen!
Dafür, d.h. für die fälligen administrativen,
institutionellen und gesetzgeberischen Reformen
gibt
es dann zweckgebundene Nachhilfe, sei es als
Beratung
oder als geldliche Zuschüsse
…
5. „Konditionierung“ der Hilfsprogramme und andere Methoden verschärfter Erpressung
Die Staaten Europas betrachten den Nutzen ihrer bisherigen „entwicklungspolitischen Investitionen“ durchaus mit Skepsis. Das kommt besonders in den Mahnungen zum Ausdruck, nach denen Projekthilfe ein tendentiell kontraproduktives Instrument ist, das die erfolgreiche „Integration in den Weltmarkt“ geradezu behindert, weil sie angeblich noch einen Ausweg läßt. Tatsächlich werden die Gelder fleißig gekürzt, der deutsche Etat sinkt derzeit unter 0,3% des Bruttosozialprodukts. Aber es werden auch weiterhin billige Kredite und Zuschüsse zur Verfügung gestellt. Allerdings unter dem Gebot „Mehr Effizienz!“ Dieses folgt der Logik der Diagnose, woran die ach so großen Anstrengungen der vergangenen Jahrzehnte angeblich kranken: Schuld sind demnach eindeutig die marktwirtschaftsfeindlichen „wirtschaftspolitischen und institutionellen Rahmenbedingungen“, auf welche alle gut gemeinten Initiativen treffen; und diese wiederum sind aus Brüsseler und Bonner Sicht der mangelnden politischen Einsicht der Drittweltstaaten geschuldet. Der „Reformwille“ muß folglich durch eine Verstärkung des erpresserischen Drucks befördert werden.
Die Orientierungslinien für die Aushandlung neuer
Kooperationsabkommen mit den AKP-Staaten
plädieren
deshalb für eine verschärfte Konditionalität
bei
der Vergabe von Mitteln:
„Die Automatik, mit der Finanzmittel bewilligt werden, und die Tendenz der Geber, für leistungsschwache Partner einzuspringen, waren nicht dazu angetan, das von den AKP-Regierungen erwartete echte politische Engagement zu fördern. Es kam insofern zu einer Fehlentwicklung, als die Instrumente der Zusammenarbeit die Politik beherrschten statt ihr zu dienen.“ (EU-Kommission, Entwicklung, Dez. 97, S.35)
Fürwahr eine gelungene Diagnose. Ausgerechnet für eine Phase des zwischenstaatlichen Verkehrs, in welcher noch eine gewisse Autonomie der Drittwelt-Partner anerkannt wurde, wird die Knechtung von deren Politik durch die Entwicklungshilfe beklagt. Und das aus dem Munde von Kommissären, die angestrengt darüber nachsinnen, wie man künftig mit entwicklungspolitischen Instrumenten das Regieren in Afrika am besten determinieren kann!
Es wird demzufolge eine gleitende Programmierung
geben, die sachgemäße Verwendung der Gelder wird schärfer
kontrolliert, für den Fall des Mißbrauchs
wird mit
Aussetzung der Maßnahme gedroht. (G,11) Die Politik, der damit gedient
werden soll, ist die forcierte Strukturanpassung
.
Daß dieses Programm nicht etwa Arbeit und
Einkommen
schafft, sondern das Elend in der
Bevölkerung vermehrt, ist den verantwortlichen
Entwicklungspolitikern vollkommen klar:
„Der Versuch, durch die Privatisierung defizitärer Staatsunternehmen die Wirtschaftlichkeit zu steigern, ist im allgemeinen eine politisch heikle und finanziell aufwendige Operation. Die Regierungen der AKP-Staaten befanden sich daher in der Zwickmühle: Sie mußten einerseits den Bürgern bittere Medizin verabreichen und andererseits soziale Unruhen vermeiden und die neuen demokratischen Auflagen erfüllen. Seit dem Inkrafttreten von Lomé IV ist die Kommission im Zusammenarbeit mit dem IWF und der Weltbank an der Aufstellung der Strukturanpassungsprogramme beteiligt; so kann sie ihre Prioritäten geltend machen und damit (?!) die schlimmsten Folgen für die sozial Schwächsten abwenden und die Erfolgschancen des Reformprozesses verbessern.“ (EU-Kommision, Dez. 96, S.3)
Die Oberverwalter der globalen Marktwirtschaft verordnen
den Drittweltstaaten den Rückzug aus der
Wirtschaft
, die sie bislang als ihre
(einzige) Form der Beteiligung am Weltmarktgeschäft
organisiert hatten, und die Sanierung des
Haushalts
durch das rigorose Streichen von
Ausgaben, die nicht durch die spärlichen Steuereinnahmen
aus den Enklaven des privatisierten Geschäfts gedeckt
sind. Dem fallen auch noch die paar bislang
aufrechterhaltenen sozialen Leistungen
und eine
ganze Reihe unproduktiver Jobs
, also Einkommen zum
Opfer. Daraus resultiert Unfrieden, und die ums Überleben
kämpfenden Massen lassen sich für konkurrierende
politische Machtkonkurrenten einspannen. Das soll die
Regierung verhindern. Aber ohne sich gewaltsam
durchzusetzen, sondern durch die Erfüllung der weiteren
Auflage namens „Demokratie“, also durch den friedlichen
Ausgleich mit rivalisierenden Stammes- und Clanführern,
damit die „Ordnung“ stabil und die Geschäftsperspektiven
erhalten werden. Ein ziemlicher Idealismus mithin – aber
die Overlooker aus den Weltwirtschaftsnationen wollen
seine praktische Umsetzung erzwingen. Die zerstörerischen
Folgen dieses Programms für die Subsistenz der
Bevölkerung und die politische Gewaltordnung vor Augen,
versehen sie die Entwicklungspolitik mit dem Auftrag, die
Anpassungsmaßnahmen
finanziell zu
ermöglichen
, ordentlich abzuwickeln und
sozialverträglich (zu) gestalten
(ebd.). Wobei dem „Sozialen“ offenbar –
wie obiges Statement mitteilt – schon dadurch Genüge
getan ist, daß inzwischen auch Manager von der
EU an der Ausgestaltung des IWF-Regimes
maßgeblich beteiligt sind.
Zum Interesse der Europäischen Union, das „Reform“-Programm und seine Einlösung selbst zu kontrollieren, paßt es, daß die Kommission zum Auslaufen von Lomé IV die Frage zur Entscheidung gestellt hat, ob man nicht gleich von der Projekthilfe zur unmittelbaren „Haushaltshilfe“ für die AKP-Staaten übergehen sollte. Sie schlägt vor, die vom IWF bereitgestellten „Strukturanpassungsfazilitäten“, die seit Ende der 80er Jahre ohnehin sog. „Kompensatorische Maßnahmen“ (bislang „Nothilfefonds“, neuerdings „Sozialsicherheitsnetze“ genannt!) beinhalten, durch „sektorspezifische Haushaltsbeihilfe“ zu ergänzen. Auf diese Weise könnten ihre Drittwelt-Funktionäre die per Staatshaushalt zu beschließende Politik ihrer AKP-Zöglinge direkt in die eigene Regie übernehmen. Sie teilen Finanzmittel zu und entscheiden über den Gebrauch, den die zum Vollzugsorgan zurückgestufte lokale Staatsgewalt davon zu machen hat.[5]
Unter dem Motto „Mehr Effizienz!“ votieren die
EU-Kommissäre nicht nur für eine verschärfte
Konditionalität
beim Folgeabkommen von Lomé IV,
sondern darüber hinaus für eine strengere
Sortierung. Die Feststellung, daß Infrastruktur-
und soziale Aufbauprojekte zwar irgendwie wirksam
waren, aber nicht automatisch eine Verbesserung der
Entwicklungsindikatoren nach sich zogen
, dient als
Begründung dafür, daß man die entwicklungspolitischen
Investitionen
auf solche Länder konzentrieren
müsse, welche mit Strukturanpassungsmaßnahmen die
Hilfe am effizientesten nutzen
(G,9). Was hier und in der politischen
Diplomatie als moralisches Auslesekriterium präsentiert
wird – die Zuteilung von Hilfsgeldern als Prämie für
Fleißarbeit und Wohlverhalten –, ist tatsächlich bloß die
Auskunft, daß die Geldgeber
künftig strenger
unterscheiden wollen, wo sie welchen Finanzaufwand für
lohnend erachten. Auf so etwas wie gleiche
Rechte
werden sich die 71 AKP-Partnerstaaten also
künftig nicht mehr berufen können. Für die hoffnungslosen
Fälle der Least Developed Countries (LDC)
bleibt
noch das Bedarfskriterium
, sprich die mehr oder
weniger symbolische caritative Hilfe.
Dem politischen Sortierungsinteresse entsprechend steht
ferner die Frage auf der Tagesordnung, ob und inwieweit
die EU die AKP-Staaten weiterhin als eine Gruppe
von Partnern behandeln soll, wo diese doch so
unterschiedlich
sind – also auch politisch neu
(zu)geordnet und dadurch besser funktionalisiert werden
wollen. Zwei Jahre vor Ablauf des Lomé IV-Vertrages (im
Jahr 2000) hat ein Grundsatzstreit innerhalb der Union
begonnen. Während Deutschlands Vertreter dafür plädierte,
die EU-Entwicklungszusammenarbeit unterschiedslos auf
alle am wenigsten entwickelten Länder auszudehnen, seien
es ehemalige Kolonien oder nicht
, was auf das Ende
des von Frankreich inspirierten Lomé-Prozesses überhaupt
hinausliefe, wies der französische Chef des
EU-Entwicklungsausschusses dieses Ansinnen scharf
zurück, weil es eine lange und bewährte Geschichte der
Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten gebe
(KNA-ID Nr. 4, Jan.98, S.8) In ihren
jüngsten Orientierungslinien
an den EU-Rat schlägt
die Kommission als Kompromiß vor, sowohl ein neues
Globalabkommen
mit allen AKP-Staaten auszuhandeln,
um diese als außenpolitisches Gewicht
, d.h. als
EU-eigenen Block in die Waagschale der weltpolitischen
Kräfteverhältnisse werfen zu können, als auch unterhalb
dieser kollektiven Anbindung zu differenzieren
und
regionale Abkommen über wirtschaftliche
Zusammenarbeit
mit einzelnen Zonen und Ländergruppen
zu schließen. (a.a.O., S.31f)
Das wäre die effizienteste
Form der Sicherung
ihrer Dienste angesichts verschärfter
„Globalisierungs“konkurrenz – also gegen die imperialen
Führungsansprüche durch die USA.
6. „Echte Partnerschaft“ – Schluß mit dem Formalismus der Souveränität, eindeutige imperialistische Führerschaft ist gefordert!
Die aktuellen entwicklungspolitischen Bilanzierungen und
Anträge der europäischen Anwälte und Nutznießer des
globalen Kapitalismus fassen sich immer deutlicher in der
Leitlinie zusammen, daß grundsätzlich nur mehr
politischer Imperialismus aus Deutschland und Europa
einen Ausweg aus der prekären Lage dieser Staatsgebilde
weisen kann. Da verfestigt sich bei eingehender
Analyse
des Objekts der ziemlich definitive, ganz
ohne Rassemerkmale auskommende Befund, wonach sich
herausstellt, daß nun mal in Afrika gewisse
Grundhandicaps bestehen
– der ganze Kontinent also
mehr oder weniger behindert ist: Durch das Vorherrschen
von Dummheit (schlechtes Bildungsniveau
),
karnickelmäßiges Fortpflanzungsverhalten (hohes
Bevölkerungswachstum
), ökonomische Lethargie
(wenig verbreiteter unternehmerischer Geist
),
Schwankungen des Klimas und der Exporterlöse sowie
unverbesserlichen Hand zum Chaotismus (politische
Instabilität
). (G,18) So
gesehen kein Wunder, wenn trotz
fünfzehnjähriger
Strukturanpassung und Unterstützung
häufig noch
die Mindestvoraussetzungen
für das Greifen
entwicklungspolitischer Maßnahmen fehlen.(G,20) Andererseits wäre – und eine
andere Logik steht den berufsmäßigen Liebhabern der
Produktivkraft Gewalt nicht zu Gebote – umso mehr die
starke Hand eines Staates vonnöten, um endlich Ordnung zu
schaffen. Als hinter allen strukturellen Defiziten
ausgemachtes Grundproblem
ist ihnen deshalb
politische Instabilität und Versagen des Staates
(G,19) aufgefallen. Statt
Demokratie, Recht und Ordnung nur Kriminalität, Gewalt,
Krieg, Machtmißbrauch und Korruption – solche
Rahmenbedingungen
müssen ja alle Erfolge von
Entwicklungs- und Strukturanpassungsanstrengungen
zunichte machen. Der vergleichende Blick aus den
Zentralen der Weltordnung mißt seine politischen
Kreaturen – Herrscher, die je nach Reichweite des
Staatsapparats den Schutz der kapitalismusdienlichen
Naturausbeutung vor störenden Bedürfnissen des lebenden
Inventars betreiben – ungerührt am Maßstab einer
gelungenen bürgerlichen Herrschaft und stellen nichts als
auftragswidrige Abweichung fest. Bei
der damit fertigen Schuldzuweisung lassen sich die
Experten der Ersten Welt wiederum nicht dadurch
irritieren, daß ihnen sehr wohl bekannt ist, daß und wie
die westlichen Weltordnungsmächte und ihr praktizierter
Funktionalismus im Umgang mit der Dritten Welt seit jeher
über Gedeih und Verderb der dort herrschenden politischen
Ordnung bestimmen. Sie verkünden geradeheraus:
„Die ersten Maßnahmen (in Sachen Strukturanpassung), die vor allem auf einen Abbau des staatlichen Sektors und auf eine Senkung der Defizite abzielten, führten zu einem Effizienzverlust im öffentlichen Dienst und trugen dazu bei, die wirtschaftliche und soziale Basis der Staaten und somit deren politische Autorität und Legitimität zu untergraben…
Mit dem Ende des Kalten Krieges … können viele Länder nicht mehr auf die ihnen bis dahin gewährte bedingungslose finanzielle Unterstützung rechnen (um sie als Bestandteile der antisowjetischen Front zu erhalten), und andererseits hat die internationale Gemeinschaft ihre Anforderungen in Sachen Menschenrechte und Demokratie höher geschraubt …“ Was statt „eine größere politische Stabilität … zu bewirken … lediglich zu Demokratieattrappen geführt (hat).“ (G,19)
Die Drittwelt-Herrschaften sollen heute das Kunststück
vollbringen, ohne die Lizenz und die gewaltmäßige
Befähigung zur Durchsetzung eines Macht-Monopols bis an
die von den ehemaligen Kolonialherren gezogenen Grenzen
„Stabilität“ zu garantieren. Ein Auftrag, der unerfüllbar
ist, was die Auftraggeber jedoch nur in der Kritik an den
notorischen Versagern in afrikanischen
Regierungsämtern beflügelt. Die Unzufriedenheit führt zu
einer politischen Selbstkritik, die eine
Änderung des politischen Aufsichtsregimes über die
Chaos-Regionen fordert: Recht eigentlich war es
die Verfehlung der postkolonialen Ära
,
den Negerfürsten, deren Art des Regierens sich an
Strukturen afrikanischer Gesellschaft anlehnt
und die
ihre Macht entsprechend selbstherrlich und unter
Mißachtung
echter demokratischer Grundsätze ausüben
(ebd.), die Staatsordnung zu
überlassen. Das haben die Führer der freien Welt zwar nie
getan, nichtsdestoweniger monieren sie heute das
angeblich zu tolerante Verständnis von nationaler
Unabhängigkeit
, welches lauter eigenmächtigen
Umtrieben Vorschub geleistet hat. Diesem selbstkritischen
Geist entspringt die aktuelle Devise der Europäischen
Kommission:
„An Stelle der Achtung der staatlichen Souveränität, die dazu führte, daß den Regierungen der Empfängerländer allzugroßes Vertrauen entgegengebracht wurde, tritt inzwischen mehr und mehr das Effizienzgebot…“ (G,7f)
Worauf es hinausläuft, dem bisherigen – ach so
respektvollen – zwischenstaatlichen Umgang mit den
Nationen der Dritten Welt den Maßstab der Effizienz
entgegenzustellen, ist keine Frage. Das Urteil
steht fest: Dieser Sorte von drittklassigen, d.h.
substanzlosen politischen Hoheiten steht ein für allemal
keine Souveränität zu, da sie noch nicht einmal für deren
interne Anerkennung sorgen können. Mit dem kategorischen
Imperativ, sich endlich auf ihre eigentliche
Aufgabe zu beschränken, nämlich das Funktionieren
rechtsstaatlicher Institutionen sicherzustellen, spricht
man ihnen das Recht ab, die Staatsgewalt gemäß
eigener Notwendigkeiten und Berechnungen, also
auch gemäß eigener Zwecksetzung auszuüben, sei
es nach innen, sei es nach außen. Und nicht nur das. Die
Tatsache, daß es gar nicht in der Macht der afrikanischen
Regenten liegt, das „Volk“ auf ein ordentliches Dienst-
und Pflichtverhältnis festzulegen, wird schnurstracks in
deren persönlichen Unwillen verwandelt, den man
ihnen nur mit den Mitteln der Erpressung austreiben kann.
Der ideellen Entmachtung unbrauchbarer Staatsführer
entspricht umgekehrt das Ideal eines vor Ort waltenden
Befehlsempfängers – früher Statthalter genannt –, der
sich bewußt ist, daß er seine Machtbefugnisse den
wirklichen Ordnungsmächten verdankt und ihren Gebrauch
vor ihnen zu legitimieren hat. Der hier angemeldete
Korrekturbedarf präsentiert sich diplomatisch –
ausgerechnet! – als endgültiger Abschied von jeglicher
Bevormundung der Dritten durch die Erste Welt. Die
Europäische Kommission kündigt den Übergang von einer
historisch bedingten Entwicklungspolitik zu einer
Strategie der Partnerschaft
an, läutet die
Totenglocke der Postkolonialzeit
und ruft unter
Berufung auf ein gemeinsames Interesse
dazu auf,
das Geber-Empfänger-Denken zu überwinden
.
(Orientierungslinien, a.a.O.,
S.12) Der Status eines Entwicklungslandes wird –
und das ist nicht ironisch gemeint – als überwunden
deklariert und statt der bis dato vorherrschenden
diskriminierenden Hilfe ein intensiver politischer
Dialog
gefordert, der die Konkretisierung eines
positiven Konzepts der Konditionalität … zwischen reifen
(sic!) Partnern gestattet
(ebd.,
S.18f).
Dieser unmittelbare Widerspruch – echte Partner, wobei
der eine sich der erpresserischen Macht des anderen beugt
– stellt klar, was verlangt ist. Dem Kriterium des
good governance
, das schon 1995 in den Lomé
IV-Vertrag eingefügt wurde, genügt, wer
eigenverantwortlich die Weisungen der europäischen
Mutterländer vollstreckt – und dabei auch noch Erfolg
hat! Die Forderung nach einer verstärkten politischen
Dimension der Partnerschaft
(ebd., S.4), wie der Wille zu stärkerem
Ausspielen der überlegenen Machtposition, also
von Pressionsmitteln gegen widerspenstige Regenten,
höflich heißt, beherrscht die Debatte um Lomé V. Denn die
Umsetzung des Imperativs zu „gutem Regieren“
will laut EU-Kommission erst noch gemacht sein. Und ein
„Patentrezept“ ist nicht in Sicht, die Neuauflage des
alten Kolonialismus nebst Truppen vor Ort nicht geplant.
Das amerikanische Programm, das eine regionale
Friedensstiftung mittels einheimischer Ordnungskräfte
unter internationaler Oberaufsicht vorsieht, findet im
Prinzip durchaus Anerkennung – nicht aber die
amerikanische Geschäftsordnung, der sich Europa
damit anschließen soll.
So oder so münden die wachsenden Ansprüche
deutsch-europäischer Entwicklungspolitik oder auch ihr
drohendes „Scheitern“ in das Verlangen nach einer
Stärkung der eigenständigen Rolle des erst noch zu
schaffenden EU-Imperialismus, seines Willens und seiner
Fähigkeit zu forcierter Gewaltpräsenz – durch Bündelung
der Kräfte der bislang (auch in Afrika) fleißig
konkurrierenden europäischen Nationen. Zum Beispiel
durch die engere Zusammenarbeit mit der
Westeuropäischen Union, insbesondere im Bereich der
Krisenverhütung und des Krisenmanagements
(ebd., S.15). Im Interesse
vermehrter Effizienz
fordert die EU-Kommission die
Integration
der Entwicklungspolitik in eine
überfällige euro-imperialistische Außen- und
Sicherheitspolitik
. Die steckt in Folge der Fortdauer
nationaler Erfolgsrechnungen leider
noch in den
Kinderschuhen, wo sie doch so dringend gebraucht würde.
Das eigentliche Problem für das Zustandekommen einer
schlagkräftigen Lomé-Nachfolge-Ordnung, die ab diesem
Herbst zur Verhandlung mit den AKP-Staaten steht, liegt
also – wieder einmal – jenseits von Afrika.
[1] 1997 trat als vorläufig letztes Mitglied die Republik Südafrika dem Lomé-Abkommen bei.
[2] Die subventionierten EU-Billigimporte zum Beispiel aus den BSE-verdächtigen Rindfleischbeständen ruinieren en masse landwirtschaftliche Existenzen im südlichen Afrika. Kenia wird mit den europäischen Getreidebergen zu Niedrigstpreisen gesegnet, um die Kosten der EU-Agrarpolitik zu ökonomisieren; gleichzeitig werden die Düngemittelsubventionen für kenianische Anbaugebiete gestrichen, deren Nutzung folglich mehr und mehr unterbleibt. So ist aus einem landwirtschaftlichen „Selbstversorger“-Land in den letzten Jahren ein „Krisengebiet“ geworden, welches unter der Rubrik verlorene Ernährungssicherheit rangiert. (Vgl. Frankfurter Rundschau, 5.9.97) Die politisch erzwungenen „Importliberalisierungen“ in der Dritten Welt lassen so jede Menge entwicklungspolitischen Handlungsbedarf entstehen. Auf daß eins, zwei, drei, viele bäuerliche Betriebe gegründet werden.
[3] Fälle wie diese sind Normalität und werden deshalb kaum noch für berichtenswert gehalten: Im IWF-Musterland Ghana zerstört der Goldabbau in gigantischem Ausmaß Wasser, Vegetation und Gesundheit. Ähnliches gilt für die Ölförderung und den Bergbau in allen ausbeutbaren Regionen, nicht bloß bei Shell in Nigeria. Vor der westafrikanischen Küste werden angesichts der „Krise der EU-Fischfanggründe“ die Meere von europäischen Fischereiflotten leergefischt, so daß die dortigen Fischer zu Hause bleiben können und das „Hauptnahrungsmittel“ für die Bevölkerung aus dem Verkehr gezogen wird. Dafür gibt es „20 EU-Entwicklungsprojekte für Fischerei“, vielleicht um den Einheimischen die Methoden der Forellenaufzucht nahezubringen. (Vgl. Frankfurter Rundschau, 20.6.97 und 9.1.98)
[4] Handel und
Investitionen sind wichtig, aber sie können die
Entwicklungszusammenarbeit noch nicht ersetzen.
(Spranger, in: Frankfurter
Rundschau, 30.3.98)
[5] Dazu paßt auch der Vorschlag der EU-Kommission, „im Zuge der Erneuerung (der Zusammenarbeit) könnten auch die nichtstaatlichen Akteure (Privatwirtschaft und andere Vertreter der Zivilgesellschaft) stärker einbezogen werden“, indem ihnen unter Umgehung der staatlichen Akteure „direkte Zugangsmöglichkeiten zu einem Teil der bereitstehenden Ressourcen“ eröffnet werden. (G,IX)