Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Noch einmal Tschernobyl:
Der merkwürdige Zusammenhang zwischen ukrainischem Strom und Euro-Kredit
Der Westen definiert die Unabhängigkeit der Ukraine: Auflösung des Verhältnisses zu Russland und Bindung an den Westen. Unter Einsatz des Kredithebels bedeutet er der Ukraine, wie sie ihre Energieversorgungsprobleme anzugehen hat.
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Systematischer Katalog
Noch einmal Tschernobyl:
Der merkwürdige Zusammenhang zwischen
ukrainischem Strom und Euro-Kredit
Angesichts der guten Nachricht – der letzte Reaktor in Tschernobyl geht vom Netz – will kaum Freude aufkommen, wird sie doch nach allgemeinem Urteil durch die schlechte Nachricht vergällt:
„Der EBRD-Kredit (Kredit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung) ist das Ergebnis eines Atom-Pokers, in dem die Ukraine den Westen regelrecht ‚erpreßt‘ habe, klagen EU-Diplomaten und Umweltschützer gleichermaßen.“ (HB, 15.12.)
„Erpreßt“ – das ist die leicht abenteuerliche Umschreibung des Sachverhalts, dass die Ukraine im Hinblick auf das Auslaufen des Tschernobyl-Memorandums Ende des Jahres 2000 zu verstehen gegeben hat, dass sie sich, nachdem der Westen bis dato keine seiner in diesem Vertrag niedergeschriebenen Zusagen wahrgemacht hat, ihrerseits nicht mehr an das Vertragswerk gebunden sehen wird. Als Fazit nach 5 Jahren westlicher Hinhaltepolitik wird die Entscheidung bekannt gegeben, dass die als Ersatz für Tschernobyl eingeplanten AKWs in Chmelnizki und Rowno, K2R4, nötigenfalls ausschließlich mit russischer Hilfe fertiggebaut würden.
Dass die im Staatenverkehr übliche Rechnungsweise, nach
der keine Leistung ohne Gegenleistung erfolgt, der
Ukraine als Erpressung ausgelegt wird, besagt also
einerseits eher etwas über das gediegene Anspruchsniveau,
von dem aus deren westliche Partner operieren. Und da
andererseits Erpressungen bekanntlich nur funktionieren,
wenn der Erpresser dazu imstande ist, ein Interesse
anzugreifen, das dem Erpreßten lieb und teuer ist, würde
man doch gerne hören, welches westliche
Interesse die Ukraine mit ihrem „Atom-Poker“ ausgereizt
hat. Dass es „uns“ einzig und allein um Gesundheit und
Umwelt, um die endgültige Schließung von Tschernobyl und
die Sanierung des zerbröselnden und strahlenden
Sarkophags zu tun ist, ist die verlogene Auskunft;
dagegen spricht schon alleine die Gelassenheit, mit der
das westliche Lager seit 1995 die Auszahlung von im
Prinzip zugesagten Krediten verweigert und dem weiteren
Verrotten der Anlage samt den unkontrollierten
Spaltungsprozessen in deren Innerem zugesehen hat. Ein
bißchen näher an die Wahrheit reicht die Mitteilung
heran, dass die Machthaber in Kiew die Unabhängigkeit
von den einstigen Zwingherren in Moskau als ein
wesentliches Motiv für die Vollendung der beiden Blöcke
ansehen
(SZ 16.12.);
ausgelassen wird dabei allerdings ein entscheidender
Punkt, nämlich der Part des Westens, der seinerseits an
diesem hohen Gut der „Unabhängigkeit der Ukraine“ heftig
interessiert ist, aber seine eigenen Vorstellungen über
deren Ausgestaltung hat.
So ist das eben mit den imperialistischen Ansprüchen, die Deutschland und sein Bündnis gegenüber ihrer näheren und ferneren Umwelt erheben: Sie gehen dermaßen in Ordnung, dass die Tiraden über die unverschämte Ukraine sie gar nicht eigens zu erwähnen brauchen. Denn es ist doch wohl selbstverständlich, dass „Unabhängigkeit“ 1. ausschließlich und einseitig „weg von Moskau“ bedeutet, nämlich 2. dazu da ist, um unser strategisches Interesse zu vollstrecken, Moskaus Einfluß auf seine ehemaligen Provinzen zu bekämpfen, und 3. positiv besagt, dass die Energiepolitik der von „Zwingherren“ gefährdeten Ukraine unter unsere Kontrolle gehört. Und deshalb hat die sogenannte Erpressung angeschlagen: Die „Drohung“, dass Kiew und Moskau die ukrainischen Energiefragen glatt ohne europäische Aufsicht, ganz alleine miteinander aushandeln könnten, hat Europa und seine Bank dazu bewogen, in letzter Minute vor dem Ablaufen des Memorandums ein neues Abkommen abzuschließen. Wie es um die herrliche Unabhängigkeit der Ukraine nach dem Willen der Westmächte bestellt sein soll, ist dem Kleingedruckten zu entnehmen.
1. Wir definieren die Unabhängigkeit der Ukraine
Nach der vollmundigen Überschrift, der Westen
finanziert Kiew neue Kraftwerke
, beruhigt das
Handelsblatt seine Leser: Es werden wirklich keine
Geschenke verteilt. Auch die EBRD scheint der Ukraine
nicht ganz über den Weg zu trauen. Sie bindet den Kredit
an strenge Vorbedingungen.
Insgesamt 35 Stück. U.a.
muss die Ukraine nachweisen, dass sie Tschernobyl auch
wirklich dauerhaft stilllegt. Des weiteren muss sie
nachweisen, dass die neuen AKWs nach westlichen
Sicherheitsbestimmungen betrieben werden. Sie muss eine
unabhängige Regulierungsbehörde einrichten und die
anderen Kernkraftwerke modernisieren
, d.h.,
ebenfalls mit westlicher Technik nachrüsten, die
Stromversorger voll privatisieren und die Stromtarife
anheben, auch wenn dies sozialen Zündstoff
liefert
. Soll wohl heißen, dass die ukrainische
Bevölkerung, die jetzt schon die Tarife nicht zahlen
kann, wenig erfreut sein dürfte, wenn ihr im Namen
rentabler Stromgeschäfte Licht und Heizung abgeschaltet
werden.
Dass wir im Westen gutes Regieren im Ausland an der Standfestigkeit in solchen Fragen bemessen, geht selbstverständlich in Ordnung. Besorgnis kommt eher auf in Anbetracht der Frage, ob sich die dortige Regierung auch an alle diese Auflagen hält, und auch da wird der Leser beruhigt: Die Ukraine ist so gut wie bankrott, also in allen Geldfragen auf westlichen Kredit angewiesen, und die EU ist fest entschlossen, diesen Erpressungshebel auch zum Einsatz zu bringen, um die Ukraine zur Erfüllung ihrer Bedingungen zu nötigen. Die jetzige großartige Zusage von Kredit hat also, genauso wie die im alten Memorandum, noch lange nicht zu bedeuten, dass der Kredit auch wirklich fließt:
„Da die Ukraine finanziell angeschlagen ist – sie konnte im vergangenen Jahr nicht einmal mehr die Zinsen auf ihre Staatsanleihen zahlen –, verlangt die EBRD zur Freigabe des Atomkredits weiter, dass auch der IWF die Kreditierung der Ukraine wieder aufnimmt. Erst dann wäre die Ukraine wieder kreditwürdig.“ (HB)
Dies die atemberaubende Logik der westlichen Hilfe:
Da
die Ukraine kein Geld hat, braucht sie unseren
Kredit, muss sich also erst einmal kreditwürdig
erweisen, was wiederum völlig außerhalb von
ihrem Handlungsspielraum liegt, vielmehr
ausschließlich im Ermessen der obersten westlichen
Kreditagentur, d.h. im Prinzip bei denselben
Weltmarktsmächten, die auch das Direktorium der EBRD
stellen. Zu den 35 Auflagen, die die EBRD für den
ukrainischen Energiesektor vorsieht, darf die Ukraine
dann noch die weiteren Gebote entgegennehmen, wie sie der
IWF im Umgang mit zahlungsunfähigen Nationen praktiziert
– falls er, d.h. natürlich die dort versammelten
Führungsnationen, eine weitere Kreditbetreuung samt
Auflagen in diesem Fall überhaupt noch für angebracht
halten. Der Chef der EBRD dürfte also durchaus Recht
haben, wenn er die vergangene Verhandlungsetappe in
Sachen Tschernobyl mit den bevorstehenden über die
Fertigstellung von Chmelnizki und Rowno vergleicht und
die hoffnungsvolle Meinung vertritt, dass die
Erfüllung der Bedingungen durch die Ukraine und die
Ausführung des Projekts aber noch viel schwieriger und
aufwendiger werde. Die Kredittranchen sollen je nach
Fortschritt der Reformen schrittweise ausgezahlt
werden.
(FAZ 8.12.) Jedes
Moment in der Energiepolitik der Ukraine hat sich in
Zukunft also vor den Westmächten zu rechtfertigen, ob es
der Staat den Westmächten in Sachen „Reformen“ damit
recht macht. Und nicht nur er.
Dass wir der Ukraine neue Kraftwerke spendieren, ist auch
in einer anderen Hinsicht leicht übertrieben. Es geht
auch um Dritte, nämlich Rußland, das einen Kredit von
123,7 Millionen $ für K2R4 beisteuert, und dazu vermerkt
das Kreditabkommen der EBRD, dass alle
Kreditgeber zu ihren Verpflichtungen stehen müssen.
Das trifft auch die Russen, die mit der Ukraine noch
ganz andere Rechnungen – nämlich für Erdöl und Erdgas –
offen haben.
(HB) In den
Führungsetagen der Osteuropabank weiß man bestens
Bescheid, wie Gläubigerrechte in Einfluß auf den
Schuldner und Rechtspositionen ihm gegenüber übersetzt
werden. Man weiß auch darüber Bescheid, was Rußland der
Ukraine gegenüber alles an unbezahlten Rechnungen und
dauerhafter Abhängigkeit in Energiefragen auffahren kann
und dass es das auch tut, um weitergehende Forderungen an
Kiew aufzumachen. Aber genau das, was nach
imperialistischem Usus aus Krediten und anderen
Erpressungsgeschäften folgt, der politische Zugriff auf
den Schuldner, das will man Rußland nicht zugestehen. Die
neue Kreditzusage der EBRD hat vor allem die Funktion,
sich in den angekündigten russisch-ukrainischen Atomdeal
einzuklinken, um die Gefahr auszuschalten, dass sich die
beiden Parteien ohne Bezugnahme auf europäische
Interessen und ohne Rücksicht auf das europäische Recht
auf Aufsicht auch in der GUS handelseinig werden.
Was man sich unter den „Reformen“ im Einzelnen vorzustellen hat, die die Osteuropabank von der Ukraine verlangt, wird bei der Gelegenheit dann auch noch mitgeteilt.
2. Wir regeln die Energieversorgung der Ukraine
Dass der Hebel des fortgesetzten westlichen
Erpressungsgeschäfts schlicht und einfach darin besteht,
dass der Staat kein Geld hat, ist zwar die ganz
selbstverständliche Voraussetzung, auf der das neue
Abkommen beruht. Genauso selbstverständlich übersetzt
sich dieses erfreuliche ökonomische Kräfteverhältnis in
ein lebhaftes Vorschriftenwesen, wie demgemäß ein
vernünftiges Modernisierungsprogramm
(SZ 16.12.) des Energiesektors in der von
uns betreuten Ukraine auszusehen hätte. Dabei spielt der
Geldmangel der Nation dann allerdings erst einmal gar
keine Rolle. Was die Einführung der Marktwirtschaft, in
der bekanntlich alles mit Geld, aber auch
nur mit Geld zu bekommen ist, in dieser Nation
angerichtet hat, geht den Sachverstand der
marktwirtschaftlichen Vordenker schließlich nichts an;
sie bestehen ja auch nur auf vernünftigen Regelungen, wie
sie in einer Marktwirtschaft gang und gäbe sind. Daher
entzieht es sich auch ihrer Wahrnehmungsfähigkeit, wie
grotesk sich ihre guten Ratschläge in einer Nation
ausnehmen, der es am elementaren Mittel des
Marktwirtschaftens gebricht.
Wie schon gesagt, der allseitige Geldmangel und dessen
Erscheinungsweisen auf dem Energiesektor sind nicht
unbekannt. Um überhaupt über diesen Winter zu kommen,
benötigt die Ukraine eine Soforthilfe von rund 100
Millionen $ für Erdgas und Erdöl. Denn das Land bewegt
sich am Rande eines Strom-Infarkts
. (HB) Massive Versorgungsprobleme wie
technische Schwachpunkte bei Leitungen,
Transformatoren, Umspannstationen
verschärfen sich
regelmäßig im Winter. Hinzu kommt der chronische
Mangel an Brennstäben, weil das Geld für sie fehlt.
Allein aus diesem Grund standen im letzten Winter einige
Reaktoren still.
(SZ)
Der Geistesblitz aus der SZ-Redaktion: Nicht Leitungen,
Transformatoren, Umspannstationen reparieren – hier heißt
es Strom Sparen! Für einfache, aber sehr
effiziente Lösungen genügt schon der gesunde
Menschenverstand, zum Beispiel, um Heizungsregler
einzubauen.
Geld für die Reparatur der Infrastruktur
ist zwar nicht vorhanden, die bescheidene Summe für
Heizungsregler dürfte ein guter Hausvater
mit dem
„gesunden Menschenverstand“ der SZ aber doch wohl
aufbringen können. Wenn schon kein Strom ankommt, kann er
ihn dann wenigstens stromsparend regeln. Eine
demokratische Presse ist pluralistisch: Der Spiegel
bemüht das Bild des vernünftigen Müllers, der die Löcher
in den Säcken stopft, anstatt immer mehr neue Säcke
anzuschaffen. Die öffentlichen Organe verraten auch die
Quelle ihrer freiwillig gleichgeschalteten Einfälle: Eine
sogenannte „deutsche Beratergruppe Wirtschaft“ bei der
ukrainischen Regierung ist auf die genialische Idee
verfallen und hat Präsident Kutschma darüber informiert,
dass der Trick neuzeitlicher Konkurrenzerfolge in
Energieeinsparung besteht, dass eine sinkende
Energieintensität zugleich zu einem wesentlichen Faktor
internationaler Wettbewerbsfähigkeit internationaler
Unternehmen
wird. Leider aber hat dieser letzte
Schluß der Weisheit bei der ukrainischen Regierung noch
nicht einmal so weit Anklang gefunden, dass die das
Programm zum Einbau von Meßeinrichtungen und Stromzählern
verwirklicht hätte, die es ermöglichten sollten, dass
der Verbraucher für jeweils konkrete Energieleistungen
zahle
. Vordergründig ist auch dieser gute Vorsatz
wieder einmal an den fehlenden Mitteln gescheitert;
tiefergründig kennen wir aber das wirkliche Problem: Der
universelle Geldmangel der Nation, die weder über
wettbewerbsfähige Unternehmen verfügt, noch über eine
staatliche Zahlungsfähigkeit zur Reparatur der
Infrastruktur, noch über eine private Zahlungsfähigkeit
zur Begleichung von Stromrechnungen, wohl aber über Reste
einer ausladenden Versorgungs-Infrastruktur samt
zahllosen Verbrauchern, verbliebenen Betrieben wie
Privathaushalten, dieses Mißverhältnis stellt genau
besehen gar keinen Mangel, sondern eine
gigantische Energievergeudung dar! Zum Beweis
dieser Diagnose muss man nur die sogenannten
„Energieverluste“, die Nichtauslastung
der Kraftwerke, die Verluste aufgrund von Havarien im
Leitungsnetz und die ausgebliebenen Einsparungen aufgrund
nicht vorhandener Einrichtungen zur Minderung des
Stromverbrauchs gegen alle Regeln der Mathematik und
Ökonomie zusammenaddieren – und schon ist der
Energieverbrauch je Kopf der Bevölkerung der höchste
in Europa, vielleicht sogar in der Welt
!
Wir kennen uns aber nicht nur mikro- sondern auch
makro-ökonomisch aus, und auf der Ebene lautet das
Rezept: Wenn Staat und Energieversorger kein Geld
verdienen und haben, um die Versorgung zu gewährleisten,
dann müssen sie sich eines verdienen! Dann
müssen eben Zwangsmaßnahmen eintreten, um den
Energiesektor rentabel zu machen! Und der
Königsweg dahin besteht in der Entflechtung der
unübersichtlichen Strukturen, in denen bisher
Energieerzeuger, Verteiler und Abnehmer mit einander
verquickt waren, sowie die Abschaffung von meist windigen
Bartergeschäften zur Abgleichung von
Energielieferungen.
Wenn in der Ukraine die Praxis
eingerissen ist, dass Energieerzeuger Abnehmer, auch wenn
diese zahlungsunfähig sind, weiterhin beliefern, damit
noch ein bißchen Produktion stattfindet, dann muss eben
dieser Verstoß gegen das Gebot des Geldmachens
unterbunden werden. Dass damit auch noch die verbliebenen
Reste von Produktion unterbunden würden, ist selbstredend
kein Gegenargument. Geld verlangen und bei Nichtbezahlung
Strom-Abstellen statt windige Bartergeschäfte
abzuwickeln, das ist das Gebot marktwirtschaftlicher
Vernunft. Und weil wir aus gutem Grund der Ukraine nicht
über den Weg trauen, verlangt das nächste Gebot, die
staatliche Einmischung in diese Sphäre endgültig
auszuschalten und die private Geldrechnung hochleben zu
lassen, also die Privatisierung der regionalen
Verteilerfirmen nach neuen Kriterien und unter westlicher
Beteiligung
. Auch wenn die westliche Beteiligung nur
sehr spärlich stattfindet, weil das Euro-Kapital im
ukrainischen Energiesektor nur wenig lohnende Projekte
ausfindig machen kann, das Recht auf Beteiligung
läßt sich die EU dennoch unterschreiben: Falls sich
jemals lohnende Chancen ergeben sollten, müssen sie
unbedingt den europäischen Fachleuten für rentables
Wirtschaften offenstehen. Und auch ohne nennenswerte
Aussichten auf attraktive Geschäfte – das kommt nicht in
die Tüte, dass die Ukraine weiterhin in ihren
„unübersichtlichen Strukturen“ herumwirtschaftet und sich
der europäischen Aufsicht und dem obersten Gebot der
Privatisierung entzieht.
So absurd, wie die guten Ratschläge an die Ukraine in Sachen Stromsparen und Versorgung durch die Zerschlagung von Staatsunternehmen ausfallen, bezieht man sie einmal auch nur einen Moment lang auf die sachlichen Gegebenheiten – weltfremd sind sie deswegen keineswegs. Sie predigen nämlich auch nur die kapitalistische Logik, nach der alles, was sich nicht rentiert, schonungslos brachzulegen ist. Und das Dogma betrifft, wenn nötig, eben nicht nur unrentable Geschäfte und Geschäftszweige, sondern auch ganze Nationen. Nationen, die sich ihre Stromversorgung nicht leisten, weil nicht rentabel bewirtschaften können, betreiben Stromvergeudung; das Abstellen unrentabler Geschäfte ist in dieser Optik die notwendige Bedingung, um rentable Geschäfte zu eröffnen. Dass diese Bedingung zwar notwendig, aber deswegen noch gar nicht hinreichend ist zur Eröffnung eines kapitalistischen Wachstums, recht eigentlich sogar jede Aussicht auf ein Wachstum in der Nation ausschließt, ist zwar Pech für die Nation, spricht aber keineswegs gegen die eigentümliche Vernunft dieses Geschäfts – woanders, als Mittel der potenten Nationen, bewährt sie sich schließlich.
Diese Vernunft, nach der sich die Ukraine auf das Maß ihrer Geschäftstüchtigkeit, also im Prinzip auf Null, gesundzuschrumpfen hat, mag zwar den Regierenden in Kiew nicht ohne weiteres einleuchten; demgemäß versuchen sie, mit dem einzigen „Kapital“ zu schachern, das sie aufbieten können: einer neuen „Abhängigkeit“ von Rußland, die der Westen doch auch nicht wollen kann. Aber auch darauf hat der Westen eine Antwort parat: Die besteht sachgerechterweise nicht darin, dass der Nation aus ihrer Krisenlage herausgeholfen wird, sondern dass sich der Westen in der Neuauflage des Schachers um Ersatzstrom das Recht auf dauerhafte Kontrolle verschafft. Kein Staatsniedergang ohne westliche Aufsicht! In diesem Sinne, nach der Logik des traditionellen Verdachts, kommentieren dann die sachverständigen Meinungsmacher das neue Abkommen: Werden die guten Ratschläge zum Stromsparen und preiswerten Energiewirtschaften in der Ukraine nicht angenommen, dann liegt das nicht daran, dass der Staat dazu schlicht nicht in der Lage ist, weil es ihm auch dazu an den notwendigen marktwirtschaftlichen Mitteln fehlt, sondern an den falschen Ambitionen dieser Nation:
„Bevor man Unsummen in den Ausbau der Atomkraftwerke stecke, solle man lieber erst einmal die bestehenden Kapazitäten der Energiegewinnung ordentlich nutzen. Durchgedrungen sind die Kritiker der Atompolitik in der Ukraine bisher nicht. Noch immer ist der Staat stolz darauf, mit Saporoschje eines der größten Atomkraftwerke der Erde im Land zu haben.“ (FAZ)
Nach wie vor besteht da ein Staat auf seinem Recht zur Nutzung von Kernkraft, die ihm nicht zusteht! Dem werden wir schon helfen.