Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Spanien hat seinen Terrorismus wieder
„Für den Frieden darf es keinen politischen Preis geben!“
(Parole der spanischen Regierung)

Die ETA bombt wieder, die Öffentlichkeit bekundet ihre Abscheu. Die in diesem moralischen Urteil zu Tage tretende Unterscheidung zwischen „legitimem Befreiungskampf“ und „mörderischem Terrorismus“ à la ETA lässt sich nicht durch die Anliegen der „Terroristen“ begründen, sondern verdankt sich einer entschiedenen Machtfrage: Der baskische Separatismus besitzt keine Fürsprecher und ist daher ein einziges „Verbrechen“. Der spanische Staat selbst, dessen Terrorproblem weltweit anerkannt ist, versteht unter Waffenstillstand ohnehin nichts anderes als die Selbstaufgabe der ETA.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Spanien hat seinen Terrorismus wieder
„Für den Frieden darf es keinen politischen Preis geben!“
(Parole der spanischen Regierung)

Nach einem eineinhalbjährigen „Waffenstillstand“ zündet die baskische Untergrundorganisation ETA wieder eine Autobombe in Madrid, wodurch – wie geplant – ein Offizier der spanischen Armee getötet wird. Die Meinungsbildner unserer demokratischen TV- und Presselandschaft ergehen sich unisono in verständnislosem Kopfschütteln und einem ‚Bravo‘ an die friedliebenden spanischen Bürger, die sich in imposanter Zahl als Fußvolk ihrer Politiker betätigen, indem sie deren Ruf zu Großdemonstrationen gegen die „Terroristenbande“ folgen. Ihr einziges Argument ist die Bekräftigung der Lüge, für die da demonstriert wird, dass nämlich Gewalt kein Mittel der Politik ist.

Dabei ist denen, die da ihren Abscheu vor dem „politischen Morden“ kundtun, das Anliegen der baskischen Terroristen, die seit knapp 40 Jahren für das Recht auf Selbstbestimmung ihres Völkchens zur Waffe greifen, gar nicht so fremd. Im Namen dieses Menschenrechts haben sie schließlich vor gar nicht langer Zeit ein flächendeckendes Bombardement der NATO gutgeheißen. Aber im Fall der Kosovaren ging es ja gegen einen Staat, der sich unseren Ordnungsvorschriften widersetzte, während Spanien längst als konstruktives Mitglied ins zivilisierte Europa eingemeindet ist – ein Recht auf Separatismus kann es dort nicht geben. Weil der baskische Nationalismus keine mächtigen Anwälte in der Staatenwelt besitzt, ist er zum Scheitern verurteilt – und es ist diese Gewissheit, welche europäische Demokraten davon überzeugt, dass dessen Opfer sinnlos sind und Terrorakte wirklich nichts als abscheuliche Verbrechen.

Natürlich beherrschen auch die maßgeblichen spanischen Politiker die verlogene Übung, einen mit der gültigen Staatsräson unvereinbaren politischen Zweck allein durch das Deuten auf die gewalttätigen Mittel ins Unrecht zu setzen. Sie, deren Gewaltmonopol in Form einer kompletten Rechtsordnung institutionalisiert ist, bekämpfen mit allen Mitteln – zu denen auch der „schmutzige Krieg“ mit staatlich bezahlten Killerkommandos gehört – immer nur Verbrecher und beteuern dabei, in einer Demokratie wie der ihrigen könne und dürfe doch jeder seine abweichenden politischen Ideen verfechten, wenn er es auf dem vorgesehenen „friedlichen Weg“ tue. Dieser Verfahrenshinweis schließt selbstverständlich all diejenigen aus, die sich der exklusiven politischen Hoheit des Staates als alleiniger Quelle allen Rechts nicht unterwerfen.

Mit dem Beschluss vom Sommer 1998, den „bewaffneten Kampf für die Befreiung des Baskenlandes auf unbefristete Zeit auszusetzen“, steigt die ETA in der Tat auf die Gewaltverzichts-Forderung des Staates ein. Allerdings gibt schon die als diplomatisches Angebot formulierte „Waffenstillstands“-Entscheidung zu erkennen, dass sie ihrem Standpunkt, der spanischen Regierung als Kriegsgegner, mithin als legitimer und im Prinzip gleichberechtigter Vertreter eines autonomen Volkes gegenüberzutreten, keineswegs abschwört. Vielmehr sieht sich der bewaffnete Separatismus im Gefolge seiner materiellen Niederlagen und der offenen Anfeindungen durch die eigene Berufungsinstanz, die Baskenbürger, zu einem taktischen Rückzug genötigt, mit dem er zugleich eine hoffnungsvolle Berechnung – auf eine neue Offensive nämlich – verbindet. Die ETA macht aus ihrer Not eine Tugend und setzt auf einen politischen Ersatz für die bislang verfolgte militärische Strategie, um damit ihrem Ziel einer zwar klein dimensionierten, aber dafür echt volkseigenen Herrschaft näher zu kommen: Der „Pakt von Lizarra“, in welchem die gemäßigten baskischen Nationalparteien – im Gegenzug zum Stillhalten der ETA-Kommandos – erstmals ein Bündnis mit der Pro-ETA-Partei Herri Batasuna schließen, soll die Mehrheit der Basken mobilisieren und damit die Anerkennung ihres Selbstbestimmungsrechts samt territorialer Einheit durch Spanien und Frankreich erzwingen. Das und nur das ist für die ETA ein „echter Friedensprozess“, der die Ursachen der Gewalttätigkeiten beseitigt.

Die Reaktion der spanischen Regierung ist wie aus dem Lehrbuch: Erstens verbucht sie den Waffenstillstand der ETA als Erfolg ihres kompromisslosen Antiterrorismus und verpflichtet sich feierlich weiterhin auf „Frieden und nichts als den Frieden“ als Höchstwert ihres Wirkens. Zweitens folgert sie aus dieser Pflicht, dass politische Verhandlungen über den Status des Baskenlandes als eindeutiger „Missbrauch des Friedensprozesses“ und Erpressungsversuch abzulehnen sind, da „der Frieden keinen politischen Preis hat“. Drittens ist damit klargestellt, dass für sie Frieden dasselbe ist wie die bedingungslose Zurückweisung des ETA-Standpunkts, als quasi souveräner Kontrahent zu gelten, also dasselbe wie die bedingungslose Anerkennung der spanischen Staatsgewalt als einzig legitimer Ordnung – auch und gerade für die baskischen Provinzen. Für den Fall, dass die ETA zur endgültigen Kapitulation nicht bereit ist, wird die Fortsetzung des Terrorismus erklärtermaßen in Kauf genommen. Dessen polizeilich-strafrechtliche Liquidierung geht ohnehin mit unverminderter Härte weiter, schließlich „befindet sich der Rechtsstaat nicht im Waffenstillstand“, wie der Innenminister unmissverständlich verkündet. Und die baskischen Nationalisten-Parteien und Organisationen, die sich darauf geeinigt haben, das Ziel der Anerkennung des Entscheidungsrechts der Basken hinsichtlich ihrer staatlichen Zukunft „ausschließlich auf politischem und demokratischem Weg“ zu verfolgen, werden als Komplizen und Ermunterer der „Terroristenbande“ in die Definition des Feindes der Verfassung mit einbezogen. Der Verteidigungsminister konstatiert öffentlich seinen Auftrag im Notstandsfall: Wie die Konstitution es vorsieht, wird die Armee bei Bedarf die Einheit der Nation garantieren! Im Klartext: Welche der beiden Seiten mit ihren unvereinbaren nationalistischen Programmen Recht hat, ist eine pure Machtfrage und damit längst entschieden.

Der militante baskische Nationalismus wird damit von der spanischen Regierung praktisch vor die Alternative gestellt, entweder endgültig aufzugeben und dafür eine „großzügige“ Regelung der weiteren Strafverfolgung erwarten zu dürfen, oder den selbstzerstörerischen Kampf wieder aufzunehmen. Die ETA zieht ihrerseits Bilanz und die fällt ziemlich realistisch, nämlich doppelt negativ aus: Erstens nutzt der Staat den Waffenstillstand einzig im Sinne einer polizeilichen Lösung, und zweitens endet der „Pakt von Lizarra“ womöglich damit, dass die ehemals radikale „Patriotische Linke“ von Herri Batasuna um der Erhaltung des Bündnisses mit der baskischen Regionalregierung willen immer mehr von ihrer Radikalität opfert, statt dass letztere sich „nicht bloß in Worten, sondern auch in Taten“ radikalisiert, womit der Friedensprozess „in seiner reaktionären, prospanischen Bedeutung“ besiegelt – und der jahrzehntelange „ehrenvolle Kampf“ der ETA umsonst gewesen wäre. Das darf nicht sein, heißt die Entscheidung: Wenn die Drohung mit der Wiederaufnahme der Attentate den Gegner in Madrid nicht schreckt und auch die Baskenpolitiker nicht hinreichend motiviert, muss mit ihr Ernst gemacht, d.h. die Bomben müssen reaktiviert werden. Womit die ETA zuguterletzt wieder bei dem Ausgangspunkt ihres trostlosen Konkurrenz-Kampfes mit dem als Fremdherrschaft angeklagten spanischen Staat gelandet ist, den ihre dezimierten „Comandos“ gerade überwinden wollten: Da die überlegene Staatsgewalt nicht freiwillig eine Lizenz zum Separatismus erteilt, gilt eben die Devise, ihn mit allen verfügbaren Gewaltmitteln – und das sind nur diejenigen des terroristischen Kleinkrieges – zum „Verhandeln“, d.h. zur Anerkennung der „berechtigten Forderungen des baskischen Volkes“ zu zwingen. Das klappt zwar nicht, aber zum Beweis, dass man nicht aufgibt, reicht es allemal.

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Vier Wochen nach dem ersten Attentat folgt das nächste. Der Wahlkampf zu den bevorstehenden allgemeinen Parlamentswahlen in Spanien tritt in seine heiße Phase. Die ETA beteiligt sich auf ihre traditionelle Weise: Sie jagt einen prominenten Basken-Politiker (samt Leibwächter) in die Luft, der der Sozialistischen Partei angehörte, die in ihren Augen ebenso wie die in Madrid regierende Volkspartei den Willen zur Unterdrückung der Basken-Freiheit verkörpert, und setzt der demokratischen Politikerkonkurrenz so praktisch ihren Wahn entgegen, dass im Baskenland Bürgerkrieg herrscht. Die Leichen, die sie produziert, firmieren als Beweis.