Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Erdoğan besucht unsere Türken:
Falscher Nationalismüs auf deutschem Boden!

Der türkische Ministerpräsident Erdoğan kommt auf Staatsbesuch nach Deutschland, wo an die drei Millionen Türken als Ausländer oder als türkischstämmige Inländer mit deutschem Pass leben. Einige von ihnen sind gerade ein paar Tage zuvor in Ludwigshafen beim Brand eines Hauses ums Leben gekommen. Beim Besuch des Unglücksortes findet er „dämpfende Worte“ (t-online-nachrichten, 13.2.08) angesichts des Verdachtes, sie wären – wie schon öfter – einmal mehr Opfer antitürkischer Umtriebe geworden. Die sind nicht selten in Deutschland, wo die große Mehrheit der Türken, ganz ähnlich ihren deutschen Nachbarn, arbeitet, gesetzestreu lebt und doch immer nicht als wirklich der inländischen Volksgemeinschaft zugehörig gilt.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Erdoğan besucht unsere Türken:
Falscher Nationalismüs auf deutschem Boden!

Der türkische Ministerpräsident Erdoğan kommt auf Staatsbesuch nach Deutschland, wo an die drei Millionen Türken als Ausländer oder als türkischstämmige Inländer mit deutschem Pass leben. Einige von ihnen sind gerade ein paar Tage zuvor in Ludwigshafen beim Brand eines Hauses ums Leben gekommen. Beim Besuch des Unglücksortes findet er dämpfende Worte (t-online-nachrichten, 13.2.08) angesichts des Verdachtes, sie wären – wie schon öfter – einmal mehr Opfer antitürkischer Umtriebe geworden. Die sind nicht selten in Deutschland, wo die große Mehrheit der Türken, ganz ähnlich ihren deutschen Nachbarn, arbeitet, gesetzestreu lebt und doch immer nicht als wirklich der inländischen Volksgemeinschaft zugehörig gilt.

Für Erdoğan dagegen sind sie anlässlich seines Staatsbesuches als „Auslandstürken“ ein Publikum, dem er, einerseits direkt, andererseits mit Blick auf die türkische Öffentlichkeit, Wichtiges mitzuteilen hat. Er lädt deshalb in eine Kölner Halle ein und hält eine lange Rede. Eine von stark innenpolitischem Charakter, mit der er den türkischen Vorwahlkampf einleitet (so die türkische Internet-Zeitung bianet, SZ, 12.2.08) und um die Türken in Deutschland als Wähler wirbt, die bei den nächsten Parlamentswahlen erstmals vom deutschen Ausland aus in der Türkei wählen dürfen. Mit Hymne und Fahne, Videoclips, Licht- und Musikregie und unter dem Jubel seiner Volksgenossen präsentiert sich nach allen Regeln nationalistischer Inszenierungskunst der Popstar der türkischen Politik (SZ, 11.2.08), misstrauisch beäugt von einer kritischen deutschen Öffentlichkeit, der das bekannte Gewese auf türkisch plötzlich so befremdlich erscheint, dass manchen sogar das Wort Personenkult dazu einfällt. Erdoğan kann seinerseits nicht anders, als seinen begeisterten Zuhörern einzugestehen, dass er sie auch großartig findet. Erstens überhaupt weil sie Türken sind und – das gilt speziell für die Anwesenden – zweitens, weil sie das auch im fernen Ausland geblieben sind: Sie haben ihre Augen und Ohren immer auf die Türkei gerichtet, ..., Ihren Glauben, Ihre Werte, Ihre Kultur bewahrt und sich gegenseitig unterstützt. (Erdoğan-Rede, SZ, 14.2.08) Dieser prächtige Menschenschlag muss, so findet der leitende Türke, auch in der Fremde unbedingt erhalten werden, weshalb es nicht nur selbstverständlich ist, dass unsere Kinder Türkisch lernen, sie haben sogar noch das natürlichste Recht darauf. Auch wenn die Naturgesetze gemeinhin nicht für die Verleihung von Rechten bekannt sind, ist das Gemeinte klar: Türkische Sprache und Kultur stehen dem Auslandstürken so unwidersprechlich zu, dass Assimilation ein Verbrechen höchsten Kalibers wäre: Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. (Erdoğan-Rede, ebd.) Andererseits sollen die ausländischen Türken aber auch erfolgreiche Türken sein. Deshalb sollen sie die Sprache des Landes erlernen, in dem sie leben und davon in jeder Hinsicht profitieren: Die türkische Gemeinschaft sollte in der Lage sein, in der deutschen politischen Landschaft einen Einfluss auszuüben, Wirkungen zu erzielen ..., schließlich hat sie sich volle 47 Jahre für dieses Land verausgabt. (Erdoğan-Rede, ebd.) Und wenn Erdoğan in seiner Rede an alte Versprechungen der EU erinnert – die Türkei gehört nach Europa! –, von denen die deutsche Regierung immer weniger wissen will, dann vereinnahmt er die vielköpfige türkische Gemeinde in Deutschland als leibhaftiges Argument für seine Sicht der Dinge.

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Dieses Benehmen eines ausländischen Regierungschefs auf deutschem Boden stößt inländischen Politikern, insbesondere denen der großen Volksparteien, sauer auf. Sie sind überwiegend empört und lassen den Obertürken und seine so unbedacht jubelnden Anhänger wissen, dass sie in diesem Auftritt keinen Akt der deutsch-türkischen Verständigung sehen. Vielmehr einen zwischenstaatlicher Unhöflichkeit und einen Verstoß gegen deutsche Zuständigkeitsrechte, den sie nicht widerspruchslos durchgehen lassen wollen.

Zunächst einmal halten sie schon die Ankündigung der Kölner Veranstaltung auf türkisch und ihre Durchführung in türkischer Sprache für eine Unverschämtheit. (Ein kölscher CDU-Uckermann, Ruhrnachrichten.de, 8.2.08) Eine öffentliche Großveranstaltung in Deutschland, die von der deutschen Öffentlichkeit nicht verstanden werden kann und soll (ein CSU-Koschyk, ebd.), grenzt nämlich die Deutschen in Deutschland aus und betont das Trennende und nicht das Miteinander, weil sie sich der Kontrolle durch deutsche Politiker und Öffentlichkeit entzieht, denen es in Wirklichkeit zusteht, zu betonen, was gerade trennt und eint. So etwas schadet der Integration. (Koschyk, ebd.)

Die CSU-Chefs Huber und Beckstein stellen fest, kaum hat man ihnen das Entsprechende übersetzt, dass Erdoğan sich schuldig macht, wenn er türkischen Nationalismus auf deutschem Boden predigt (Huber, SZ, 13.2.08) und damit die türkische Sprache und Kultur eindeutig über die deutsche stellt. Dass da eine in ihren Augen ganz falsche Rangfolge aufgemacht wird, wenn deutschen Türken das Türkische als ihre naturberechtigte Muttersprache ans Herz gelegt wird, das Deutsche aber als Mittel einer ökonomischen und politischen Vorteilsrechnung, das hören die CSUler und ihre Kollegen sofort heraus. Schließlich teilen sie mit Erdoğan den gleichen nationalistischen Geist und können deswegen seine Empfehlungen nicht leiden.

Die stellen deswegen eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Deutschlands dar (Kauder, CDU; Wiefelspütz, SPD; SZ, 13.2.08), weil sich Erdoğan an Tausende Türken mit deutschem Pass gewandt habe. Und das ist schon wieder nicht gut für die Integration. (SZ, ebd.)

Für das Zusammenleben in Deutschland ist aber die deutsche Politik zuständig. (Bosbach, CDU, focus.de, 12.2.08) Und sonst niemand.

Und damit ist die deutsche Politik auch dafür zuständig, wie Integration geht hierzulande: dafür, wer wie eingemeindet wird nach den Bedürfnissen des Standortes und dem Umfang seiner politisch definierten Bürgerpflichten; wem wie viel zusteht dafür, dass er sich verausgabt hat; und wer wie ausgegrenzt wird nach den Kriterien des Ausländer-, Zuwanderungs- und Sozialrechts. Das musste dringend gesagt werden, wenn jemand versucht, als türkische Regierung Innenpolitik in Deutschland zu betreiben. (Bosbach, ebd.)

Auf die Türken in Deutschland, zumal auf die mit deutschem Pass, hat – das ist nun hoffentlich deutlich rübergekommen – niemand anders Anspruch als eben Deutschland, vertreten durch seine Kanzlerin. Wenn sich die Türkei als Schutzmacht der in Deutschland lebenden Türken aufspielt (Söder, CSU, oe1.orf.at, 12.02.08), dann überschreitet sie ihre Zuständigkeiten. Denn: Nicht Herr Erdoğan ist der Regierungschef der türkischen Mitbürger, sondern die Regierungschefin ist Angela Merkel. (Bosbach, CDU, ebd.) Und die bestätigt auch gleich, dass sie auch die Kanzlerin der türkischstämmigen Deutschen ist, weshalb auch deren Loyalität dem deutschen Staat gehören müsse. (Merkel, ebd.)

Die begleitenden fachkundigen Debatten über das Für und Wider von türkischen Schulen in Deutschland oder die pädagogischen Vor- und Nachteile von mutter- oder fremdsprachlichem Sprachunterricht leben einerseits von der Vorstellung, dass Sprache für kulturelle, damit auch staatsbürgerliche Identität stehe, die richtige Spracherziehung also auch die gewünschte deutsche Identität und damit die Zugehörigkeit zum Gemeinwesen verbürge. Andererseits sind die einschlägigen Diskussionsbeiträge eher sachfremd: In einem lächerlichen Streit um Worte – asimilasyon oder Integration !? – wird nichts anderes verhandelt als die sehr prinzipielle zwischenstaatliche Frage des politischen Verfügungsrechts über einen nicht unbeträchtlichen Teil des inländischen Volkskörpers. Als dessen – zumindest – Mitinhaber macht im Fall der deutschen Türken die türkische Obrigkeit konkurrierende Besitzansprüche, Zuständigkeiten und – wie jede Regierung mit Blick auf eigene nationale Minderheiten im Ausland – Einmischungsrechte geltend. Und die werden mit unmissverständlicher Grobheit zurückgewiesen: Unsere Türken gehören uns und sonst niemandem! Und Erdoğan soll gefälligst seine unverschämten Finger von ihnen lassen!! Wenn das klar ist, sind ansonsten die Beziehungen zur Türkei in einem ganz ausgezeichneten Zustand. (Regierungssprecher Steg, 15.2.08)

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Zur Erklärung und wie zur Entschuldigung des Jubels der inländischen Türken in Köln über ihren Erdoğan bietet der Vorsitzende des Bundesausländerrates Mehmet Kilic einen sachdienlichen Hinweis an: Wenn man Migranten ausgrenzt, dann bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich mit einem anderen Staat und einem anderen Ministerpräsidenten zu identifizieren. (linie1-magazin.de, 12.2.08)

Der Geisteszustand, dem gar nichts anderes übrig bleibt, als sich für eine Obrigkeit zu begeistern, die die Massen glaubwürdig dazu einlädt, ihr Volk zu sein, kommt einem ziemlich bekannt vor. Wenn Kilic den richtig wiedergibt, dann sind die türkischen Migranten in Deutschland, zumindest was ihr Bedürfnis nach Nationalismus angeht, bestens assimiliert.