Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der deutsche Mülltrenner

Der deutsche Mülltrenner durfte bis neulich noch daran glauben, mit der Gründlichkeit, die er beim Sortieren seiner Haushaltsabfälle walten lässt, seinen kleinen Beitrag zu Erhalt und Schutz der Umwelt zu leisten. Doch weil zu Jahresbeginn im fernen China ein Einfuhrstopp für Fremdmüll verhängt wurde, muss er sich nun von den Tagesthemen vorrechnen lassen, was für ein naiver Quatsch das immer schon gewesen ist.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Der deutsche Mülltrenner

durfte bis neulich noch daran glauben, mit der Gründlichkeit, die er beim Sortieren seiner Haushaltsabfälle walten lässt, seinen kleinen Beitrag zu Erhalt und Schutz der Umwelt zu leisten. Doch weil zu Jahresbeginn im fernen China ein Einfuhrstopp für Fremdmüll verhängt wurde, muss er sich nun von den Tagesthemen vorrechnen lassen, was für ein naiver Quatsch das immer schon gewesen ist:

„Die Weltmeere sind eine unserer Lebensquellen, und konsequent wie wir sind, verschmutzen wir sie entsprechend. Meeresschildkröten ersticken förmlich an Plastik, Fische und Schalentiere gehen ein ... von den unfassbaren 78 Millionen Tonnen Plastikmüll, die wir jährlich auf dem Planeten produzieren, [landet] fast ein Drittel unkontrolliert in der Umwelt... Jetzt werden Sie sagen ‚Schlimm, schlimm, aber ich trenne ja meinen Müll; mein Plastik wird recycelt, die anderen müssen eben was tun.‘ Aber ‚die anderen‘, das sind auch wir. Denn Deutschland exportiert jede Menge Plastikabfall, z.B. nach China. Die Chinesen aber wollen unseren Müll jetzt nicht mehr und sorgen damit für Erkenntnisse, die unser gutes Gewissen über den Haufen werfen.“ (alle Zitate aus den Tagesthemen, 9.1.18)

Bei der ernüchternden Klarstellung, dass ambitioniertes Mülltrennen der Umwelt nichts nützt, bleibt es nicht. Der verantwortungsbewusste deutsche Bürger bekommt auch haarklein vorgeführt, woran sein Anliegen scheitert – was nämlich losgeht, wenn er den Deckel seiner Mülltonne mal zugeklappt hat:

Zunächst wird ihm erklärt, dass er, bzw. wir, die wir als Deutschland ja nicht bloß Mülltrenner, sondern auch die anderen sind, in Gestalt der deutschen Entsorgungsindustrie mit dem kostenlos vorsortierten Müll geschäftstüchtig kalkulieren: Anders als bei Papier und Glas ist seine Vorsortierung bei Plastikmüll leider nicht ‚sortenrein‘ genug, um ihn hierzulande unter Einsatz deutscher Hochtechnologie lohnend weiterzuverarbeiten, weswegen die Substanzen aus gelbem Sack und gelber Tonne entweder in der Müllverbrennung landen oder sich als eine lukrative Einnahmequelle erweisen, indem sie in die Dritte Welt verscherbelt werden. Bislang hauptsächlich nach China, zuletzt 560 Tausend Tonnen Altplastik-Export, ohne dass jemand genau wusste, was damit passiert. Bei den bereits ausgeloteten, vielversprechenden Alternativen Vietnam, Indonesien oder Osteuropa weiß der Bericht allerdings genaue Auskunft zu erteilen, wie die entscheidenden marktwirtschaftlichen Faktoren lauten, derentwegen man dort Lohnenderes mit ausgespülten Joghurtbechern anzufangen weiß als hierzulande: Während die Sortierung einer Tonne Müll in Deutschland 90 € kostet, sind es beispielsweise in Rumänien nur etwa 10 €. Und: Es fehlt an Kontrollen. Dank der landestypischen Kombination aus illegalen Mülldeponien und niedrigen Arbeitskosten kann die dort ansässige Unternehmermafia die einträglichen Bestandteile des Plastikmülls recyceln und den Rest in der Landschaft herumliegen lassen – und so der deutschen Entsorgungsindustrie weiterhin ihr einträgliches Geschäft garantieren, deutschem Mindestlohn und deutschem Umweltschutz zum Trotz.

Gleich nachdem die schmutzigen Kalkulationen ins Bewusstsein gerufen sind, die zwischen seiner Mülltrennung und seinem Unvermögen, damit irgendeinen Beitrag zur sauberen Umwelt zu leisten, stehen, wird ihm die Perspektive präsentiert, die er – deswegen! – im Hinblick auf ebendiese Kalkulationen einnehmen soll: Die Plastikmüllgeschäfte müssten sich gleich in Deutschland lohnend abschließen lassen. Würde man die deutsche produzierende Industrie zu einer umweltschonenden Verhaltensänderung erziehen, nämlich dazu, mehr recycelte Materialien einzusetzen, würde das auch die Recycler dazu ... bringen, bessere Qualität anzubieten. Wie man dann erfährt, liegt der Grund dafür, dass das produzierende Gewerbe bislang nicht auf das Recyclingplastik heimischer Anbieter zurückgreift, wiederum in derselben schnöden Kostenfrage: Es ist ihm einfach zu teuer.

Umweltschützer wie -verseucher kommen zu Wort, um die Lösung für dieses Problem zu präsentieren: Hier ist der deutsche Gesetzgeber gefragt. Könnte der nicht einfach für jeden Produktionsprozess [einen] Mindestsatz an Recyclingrohstoffen vorschreiben oder beschließen, bei der Beschaffung – da könnte die öffentliche Hand vorangehen – nehmen wir alleine Produkte, die aus einem Recyclingverfahren stammen? Mit einem zielgerichteten Eingriff staatlicher Gewalt wären Geschäft und Umwelt doch wohl zu versöhnen: So schafft man Markt, so schafft man Nachfrage und so haben Recyclingrohstoffe eine Chance. Schon wäre die Welt wieder ein Stückchen besser – und um eine deutsche Geldquelle reicher.