Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Clintons Staatsbesuche in Mittelamerika
Die Weltmacht übt Selbstkritik im Namen von Demokratie und Menschenrechten – eine zukunftsweisende Botschaft an ihren Hinterhof
Clintons neue Ansage für den Hinterhof: Die Unterstützung der Gorillas und Contras, die den mittelamerikanischen Kommunismus ausrotteten, war ein Fehler – heißt im Klartext: Heutzutage müssen diese Staaten ohne US-Unterstützung Verhältnisse herstellen, die amerikanischen Anforderungen genügen.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Clintons Staatsbesuche in
Mittelamerika
Die Weltmacht übt Selbstkritik im
Namen von Demokratie und Menschenrechten – eine
zukunftsweisende Botschaft an ihren Hinterhof
US-Präsident Clinton besucht innerhalb von vier Tagen die vier mittelamerikanischen Staaten Honduras, El Salvador, Nicaragua und Guatemala und schließt die Reise mit einem „Gipfeltreffen“ (die Anführungszeichen stammen aus dem Bericht der FAZ vom 13.3.99) mit den Regierungschefs „aller vier Nachbarn sowie den Vertretern von Belize, Costa Rica und der Dominikanischen Republik in der guatemaltekischen Stadt Antigua“ ab.
Er besichtigt die durch den Wirbelsturm „Mitch“
angerichteten Schäden, sagt über die geleistete
Soforthilfe hinaus weitere Unterstützung zu und spricht
mit seinen Gastgebern über den Freihandel, die
Rauschgiftbekämpfung und die illegale Einwanderung
von „hunderttausenden Mittelamerikanern, die schon
während der Kriegswirren des vorigen
Jahrzehnts großteils illegal in die Vereinigten
Staaten gekommen“ waren. „In diesem Jahrzehnt – seit
Mitch
noch verstärkt – kamen weitere zigtausend
hinzu.“ (FAZ, ebd.)
Richtiges Aufsehen erregt der Präsident auf der letzten
Station seiner Reise, in Guatemala, wo er eine
sorgfältig handschriftlich verfaßte
(FAZ, ebd.) Erklärung verliest, mit der
er sich auf den zwei Wochen zuvor veröffentlichten
Bericht bezieht, den die offizielle guatemaltekische
Wahrheitskommission … über Menschenrechtsverletzungen
während des rund 36 Jahre dauernden Bürgerkrieges
veröffentlicht
(NZZ,
28.2.) hat.
Der Bericht listet säuberlich die Greuel des Krieges
zwischen der Armee und der linken Guerilla auf – 93%
der Menschenrechtsverletzungen
, inklusive
systematischer Völkermord
, hat die Armee begangen,
3% die Guerilla
, 440 Dörfer der Maya-Bevölkerung
wurden ausradiert
(NZZ,
ebd.) – und berichtet eingehend über das
Zusammenwirken zwischen der CIA und den rechtsgerichteten
guatemaltekischen Militärs gegen linke Guerilleros und
Maya-Indianer bei Hinrichtungen, Folterungen und
Entführungen
, das allein in Guatemala etwa
zweihunderttausend Menschen ums Leben brachte
(FAZ, ebd.).
„Unter Bezug auf den Bericht … der Kommission sagte er (Clinton) wörtlich: Es ist wichtig, daß ich feststelle, daß die amerikanische Unterstützung für Streitkräfte und Geheimdiensteinheiten, die sich an gewalttätiger und verbreiteter Unterdrückung, wie sie in diesem Report beschrieben wird, beteiligten, falsch war. Die Vereinigten Staaten dürfen diesen Fehler nicht wiederholen.“ (FAZ, ebd.)
Das findet die FAZ – und nicht nur die – einigermaßen
sensationell: Das klingt nach einer veritablen
„Entschuldigung“, mit der der Präsident sehr weit
gegangen
sein soll. Und tatsächlich: Normal ist es
nicht, daß sich der Chef der imperialistischen Bel Etage
bei den Kapos seines Hinterhofes dafür „entschuldigt“,
daß er sie und ihre Vorgänger die letzten Jahrzehnte mit
Ordnungsaufträgen zur Bekämpfung des Kommunismus
versorgt, mit allen militärischen und geheimdienstlichen
Mitteln hierfür ausgestattet und insgesamt recht
komfortabel ausgehalten hat. Neben ihrer Eigenschaft als
Anbauflächen amerikanischer Fruit-Companies waren die
Länder dieser Gegend politisch nichts als mit
lizenzierter Staatlichkeit ausgestattete Dependancen der
CIA. Damit konnten die jeweils mit den Staatsgeschäften
befaßten Clans gut leben. Sie führten mit einheimischem
Personal unter Anleitung der USA den Kampf gegen die
stets des Kommunismus verdächtigen Widerstandsbewegungen
und die Bevölkerung, die sich schon durch ihre notorische
Armut als deren Sympathisanten verdächtig machte. Darin
bestand die gesamte Staatsräson dieser Länder, dafür
stiftete Washington nicht nur Costa Rica in den Zeiten
des antisandinistischen Contra-Kampfes seinen
Staatshaushalt und „investierte“ nicht nur in El
Salvador, „wo allein während der achtziger Jahre etwa
siebzigtausend Menschen umkamen, viele
Milliarden amerikanischer Rüstungsdollars.“(FAZ,
ebd.). Dieses Ordnungssystem hat zweifelsfrei
funktioniert, mit dem Erfolg, daß nirgends in der Region,
mit Ausnahme Cubas, bis zum Verschwinden der Sowjetunion,
des wirklichen oder vermeintlichen Sponsors aller
antiimperialistischen Umtriebe, die Linke dauerhaft ein
Bein auf den Boden bringen konnte. Die USA haben ihre
‚Schweinehunde‘ vor Ort zwar immer wieder ihre
Verachtung spüren lassen, sie letztlich aber doch immer
in staatlichen Ehren gehalten, waren sie doch ‚ihre
Schweinehunde‘. Und das soll jetzt alles ein
Fehler
gewesen sein?
Einerseits – hinsichtlich des erreichten politischen
Erfolges – natürlich nicht: Die Zerschlagung und
Befriedung der mittelamerikanischen Guerilla war ja das
angestrebte Ziel der US-Politik. Andererseits ist gerade
der erreichte Erfolg Anlaß zu der Überlegung, daß die
Fortführung der Verhältnisse, die ihn ermöglicht
haben, aus heutiger Sicht und für die Zukunft durchaus
ein Fehler
wäre. Der erreichte Zustand der
mittelamerikanischen Verhältnisse veranlaßt die USA dazu,
ein vergangenen Zeiten angehöriges Kapitel ihrer Politik
in der Region abzuschließen und ihr in Form einer
amerikanischen Selbstkritik eine zukunftsweisende
Botschaft
(FAZ, ebd.)
zukommen zu lassen: Nach der Zerschlagung der politischen
Alternativen ist jeder Grund dafür entfallen, den alten
uniformierten und zivilen Schlächtern Mittelamerikas mit
Milliarden von Rüstungsdollars
nicht mehr
benötigte Dienste zu vergüten und den dafür
erforderlichen Gewaltapparat zu finanzieren. Der
entsprechende Bedarf der USA und die Notwendigkeit,
diesen Staaten für dessen Deckung Angebote zu
machen, besteht nicht mehr so wie in den Zeiten, in denen
die Finanzierung der regionalen Bürgerkriege die
örtlichen Staatsfinanzen als Nebenkosten einschloß.
Die Entschuldigung
der USA für ihre Rolle bei der
„gewalttätigen Unterdrückung“ in diesen
Ländern ist also – in der Form einer moralischen
Distanzierung – eine Absage an die ehemaligen
Dienstnehmer in den ehemaligen Gorilla-Staaten
,
die sich auf Seiten der Sieger der Geschichte
eigentlich gut aufgehoben fühlen konnten, und an alle
Ansprüche in der Zukunft, die sie unter Berufung auf ihre
früheren Dienste stellen könnten. Indem die USA die
alten, von ihnen geforderten und geförderten brachialen
und damals sehr funktionellen Formen mittelamerikanischen
Regierens heute verurteilen, erklären sie sich für
gleichsam neutral gegenüber den alten
Bürgerkriegsparteien und jeder
Verpflichtung einer der Parteien gegenüber –
etwa aus früherer und heute überlebter Kumpanei heraus –
enthoben. Damit sollen sich auch die lokalen
Opfer des Staatsterrors von dessen plötzlich
reuigen US-amerikanischen Paten so mitumarmt fühlen, daß
sie garantiert kein Recht zur Opposition gegen die
künftigen, durch die Selbstkritik der Yankees geläuterten
Beziehungen zwischen den USA und Mittelamerika mehr
besitzen.
Mit der Kritik der USA an ihrer Beteiligung
an
früheren ordnungsstiftenden Greueltaten im Dienste von
freedom und democracy gegen die
kommunistischen Feinde der Menschheit ist also auch der
Tatbeitrag der einheimischen Beteiligten
kritisiert. Auch ihr opferreiches Mitwirken am
siegreichen Bestehen des Weltgegensatzes muß sich aus
heutiger Sicht nachträglich als „nicht zu
wiederholender Fehler“ qualifizieren
lassen, der heute zu keinem Bonus mehr berechtigt. Gutes
Regieren sieht nach heutigen Maßstäben anders aus: In
Zeiten, wo es für den Erwerb gut dotierten amerikanischen
Wohlwollens nicht mehr ausreicht, weltweit auf der
richtigen Seite zu stehen, weil es ohnehin nur mehr eine
Seite gibt, sind die Ansprüche bei der Beurteilung der
Legitimität staatlicher Macht gestiegen, die Vergütung
für das Bestehen der Prüfung ist allerdings eher
gesunken: Die Souveräne der Welt, und erst recht die
Lizenznehmer der unmittelbaren US-Hemisphäre, haben auch
im Inneren Verhältnisse herzustellen, die den
amerikanischen Anforderungen hinsichtlich einer
störungsfreien und dienstbaren Gewaltausübung
entsprechen. Die Kriterien für solch gelungene
Regierungstätigkeit verwalten die USA inzwischen mit
weltweitem Monopolanspruch unter dem Titel
„Menschenrechte“, und ein vorzeigbares Rating gemäß
diesem Maßstab müssen sich die mittelamerikanischen
Trabantenstaaten erst neu verdienen. Mit nennenswerter
materieller Unterstützung des früheren Schutzpatrons bei
dem von ihm angeordneten Unternehmen, auf der inzwischen
erreichten Grundlage Staat zu machen, können die
betroffenen Länder nicht hoffen. Sie sollen sich nach
dem Ende des Kalten Krieges in einen Marktplatz der Ideen
verwandeln
(Clinton) und
zusehen, ob sie davon leben können, also für sich selbst
sorgen. Demgemäß sind im Gegensatz zu der großzügigen
Militärhilfe vor allem unter Präsident Reagan die
amerikanischen Entwicklungsgelder in den letzten Jahren
zu einem Rinnsal geworden.
(FAZ,
ebd.)
Das einzige Angebot, das der reisende
US-Präsident für diese Länder neben den Almosen für die
Hurrikan-Opfer im Gepäck hat, ist die weitere Anerkennung
ihrer staatlichen Selbständigkeit unter der zuständigen
Oberaufsicht der Vereinigten Staaten. Immerhin werden sie
ja sogar – wenn auch mit unverkennbarer diplomatischer
Verächtlichkeit – besucht und zum Adressaten
amerikanischer Erklärungen gemacht. In den Gesprächen mit
den Regierungen der mittelamerikanischen Staaten werden
diese dann allerdings mit einer ganzen Reihe dringender
Wünsche der US-Regierung konfrontiert, die sie auf der
Grundlage der umfassenden Verwüstungen, die die
Bürgerkriege in der Gegend angerichtet haben, jetzt zügig
abarbeiten sollen: Es wird ihnen ein US-freundlicher
Umgang mit ihren staatlichen Drangsalen und der Not ihrer
Bevölkerung abverlangt. In Verhandlungen über
Freihandel, die Rauschgiftbekämpfung und die illegale
Einwanderung
(FAZ, ebd.)
erhalten sie von Clinton vor allem in der Frage der
illegalen Migration einige Hinweise, wie sie sich das
Washingtoner Gütesiegel für legitimes demokratisches
Regieren verdienen könnten. Sie sollen einfach ihr Elend
bei sich zu Hause abwickeln und den großen, reichen
Nachbarn im Norden weder mit Narkotika für den „american
dream“ noch mit massenhafter Emigration belästigen,
sondern ihn mit preiswerten Bananen und immer nur so
vielen Billigstlöhnern versorgen, wie der gerade brauchen
kann. Weil demokratische Staaten, so belehrt Clinton
seine südlichen Kollegen, ihre Gesetze durchsetzen und
ihre Grenzen schützen müßten
, werden demnächst
Tausende von illegal aus Mittelamerika in die USA
Eingewanderte zwangsdeportiert. Das wird für die
mittelamerikanischen Staaten teuer werden, denn die
Gelder, die legale und illegale Einwanderer aus den
Vereinigten Staaten nach Hause schicken …, sind
inzwischen die größte Einnahmequelle der vier Länder und
stützen diese mit ca. vier Milliarden Dollar im Jahr
beträchtlich …
(FAZ,
ebd.). Aber mit der letzten Weltmacht in Fragen
von Demokratie und Menschenrechten zurechtzukommen, ist
heutzutage für niemanden billig.