BVerfG klärt Rechtslage i. S. Erderwärmung
Der Klimawandel braucht mehr Generationengerechtigkeit

Der 29. April 2021 ist nach allgemeinem Dafürhalten ein „großer Tag für das Klima“: Das Bundesverfassungsgericht gibt an diesem Tag sein „revolutionäres“ Urteil zu mehreren Verfassungsklagen bekannt, die sich gegen das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung von 2019 richten, gestellt von acht Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die ihre Zukunft auf dem elterlichen Bauernhof oder Tourismusbetrieb gefährdet sehen, einer bekannten FFF-Aktivistin, Menschen aus Bangladesch und Nepal, deutschen Wissenschaftlern und Prominenten sowie mehreren Umweltverbänden. An dem Urteil und den Reaktionen darauf wird deutlich, was aus der Sache „Klimaschutz“ wird, wenn sie zum Gegenstand des Rechts und zum Gegenstand des demokratischen Machtkampfs wird.

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BVerfG klärt Rechtslage i. S. Erderwärmung
Der Klimawandel braucht mehr Generationengerechtigkeit

Der 29. April 2021 ist nach allgemeinem Dafürhalten ein „großer Tag für das Klima“: Das Bundesverfassungsgericht gibt an diesem Tag sein „revolutionäres“ Urteil zu mehreren Verfassungsklagen bekannt, die sich gegen das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung von 2019 richten, gestellt von acht Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die ihre Zukunft auf dem elterlichen Bauernhof oder Tourismusbetrieb gefährdet sehen, einer bekannten FFF-Aktivistin, Menschen aus Bangladesch und Nepal, deutschen Wissenschaftlern und Prominenten sowie mehreren Umweltverbänden. Daran, wie das Urteil und die Reaktionen darauf ausfallen, wird deutlich, was aus der Sache „Klimaschutz“ wird, wenn sie I. zum Gegenstand des Rechts und II. zum Gegenstand des demokratischen Machtkampfs wird.

I. Sache und Recht: Über die Verwandlung von Betroffenheit durch die Klimakrise in verletzte Freiheitsrechte

Die neun jungen Beschwerdeführer aus Deutschland, deren Klage am bekanntesten ist, halten das Klimaschutzgesetz für völlig unzureichend, um den deutschen Beitrag zum Aufhalten des Klimawandels oder auch nur zu seiner Abbremsung durch die Begrenzung der globalen Durchschnittserwärmung auf höchstens 2 °C, möglichst 1,5 °C, zu leisten. Ihr gewohntes Umfeld, in dem sie sich eingerichtet haben und ihr künftiges Leben und Arbeiten planen, ist durch den Klimawandel in erheblicher Gefahr. Sie sehen sich in ihrem Recht auf ihre angestammte Heimat beschädigt. Dass ihre Sorge um ihre Zukunft für sich nichts gilt, ist ihnen bekannt: Dafür müssen sie schon gerichtlich gegen den Staat vorgehen. Damit stehen sie vor einer ziemlich verrückten Aufgabe: Sie müssen den Klimawandel justiziabel, also die bedrohliche Aufheizung der Atmosphäre zum Gegenstand eines Rechtsstreits machen. Und siehe da: im Rechtsstaat geht das.

Dafür müssen die Beschwerdeführer ihre Sorge in Rechtstitel kleiden, an denen der Staat sich messen lässt. Also machen sie sich mit Rechtsbeistand über die Verfassung her und finden mehrere Artikel, in die sie ihr Anliegen übersetzen können und in denen sie zugleich unmittelbar persönlich betroffen sind, wie es eine solche Verfassungsbeschwerde verlangt. Als Grundlage dient der Art. 20a zum „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ als Staatspflicht, und damit verbunden vier Grundrechte. Die durch den Klimawandel zu erwartenden Krankheiten und Todesfälle insbesondere in den heute jungen Generationen stellen der Klage zufolge einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 – Leben und körperliche Unversehrtheit – dar. Dazu liefert die Klage seitenweise wissenschaftlich fundierte Erklärungen. Weil ihre Betriebe künftig vom mangelhaft gebremsten Klimawandel zerstört zu werden drohen, sehen sich die jungen Kläger außerdem in ihrer freien Berufswahl (Art. 12, Abs. 1) eingeschränkt und werfen dem Staat einen Verstoß gegen den Schutz ihres Eigentums vor (Art. 14, Abs. 1).

Neben diesen vergleichsweise noch konkreten Rechten bringen sie als größtes Kaliber das deutsche Übergrundrecht in Anschlag: die unantastbare Würde des Menschen. Die steht allerdings so sehr über allem, dass es schon gewisser Kunstgriffe bedarf, um eine katastrophische Umwelt mit versinkenden Bauernhöfen und hitzebedingtem frühem Ableben als Angriff auf sie zu erklären. Den Juristen, die die Klage unterstützen, gelingt aber auch dies – schließlich lassen sich mit der Würde des Menschen auch Abtreibungsverbote begründen oder die Frage beantworten, wann die Bundesregierung ein vollbesetztes Verkehrsflugzeug abschießen lassen darf. Unter Anwendung der Verfassungsgrammatik erklären sie die wenig rosigen Zukunftsaussichten ihrer Klienten zum Anschlag auf deren geheiligte Qualität als freie Rechtssubjekte:

„Klimaschützende Regelungen, die nicht erwarten lassen, dass das kategorisch gebotene Ziel, ‚menschengerechte Lebensgrundlagen zu sichern‘, erreicht wird, verstoßen nach Auffassung der Beschwerdeführer gegen Art. 1 GG. Denn sie negieren die Subjektqualität der Beschwerdeführer, weil Menschen ohne gesicherte Lebensgrundlagen zu bloßen Objekten einer Entwicklung werden, die sie nicht mehr selbst beeinflussen können.“ (Klageschrift, S. 95)

Auf der verfassungsrechtlich garantierten Würde zu bestehen ist gleichbedeutend damit, von allen konkreten Zwecken und den Mitteln zu deren Verwirklichung abzusehen. Ausgerechnet das Pochen auf die Abstraktion, dass sie sich auch zukünftig selber Zwecke setzen können dürfen müssen, soll dem Anliegen der Beschwerdeführer besonderen Nachdruck verleihen.

In dieser verwandelten Form können sie ihr Anliegen dem Verfassungsgericht zur Prüfung antragen. Was da geprüft wird, eben die Frage, ob der Staat sich an seinen eigenen Prinzipien vergangen hat, sehen die Kläger eindeutig als gegeben an:

„Das Bundesklimaschutzgesetz programmiert sozusagen alles zukünftige Handeln des Staates auf ein Ziel, welches die in Bezug auf die Beschwerdeführer zu beachtenden Schutzpflichten missachtet.“ (Klageschrift, S. 102)

Auf genau dieser Ebene antwortet dann auch das Gericht – und führt mustergültig vor, was die das Staatshandeln regelnden Rechtstitel für ein Anliegen wie „meine Zukunft sichern“ wert sind. Es erkennt zwar ganz im Sinne der Kläger an, dass der Artikel 20a, der den Staat auf den „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ verpflichtet, auch die Verpflichtung auf den Schutz des Klimas umfasst und dass darin der Schutz von Gesundheit, Leben und Eigentum enthalten sind, teilt also in dieser Hinsicht die Interpretation der Verfassung. Es kommt jedoch in Bezug auf die Artikel 2 und 14 zu dem jeweils fast gleichlautenden Schluss: Dass die grundrechtliche Schutzpflicht durch die von den Beschwerdeführenden als unzureichend beanstandeten Regelungen verletzt ist, lässt sich derzeit nicht feststellen. (Urteil, Absatz 148-151) Der Staat schützt nämlich das Klima gemäß seinen Pflichten hinreichend:

„Dass der Staat Anforderungen verletzt hat, die zur Vermeidung existenzbedrohender Zustände katastrophalen oder gar apokalyptischen Ausmaßes an ihn gerichtet sein könnten, kann aber nicht festgestellt werden. Deutschland ist dem Pariser Übereinkommen beigetreten und der Gesetzgeber ist nicht untätig geblieben. Er hat im Klimaschutzgesetz konkrete Maßgaben zur Reduktion von Treibhausgasen festgelegt ... mit dem langfristigen Ziel, Treibhausgasneutralität bis 2050 zu erreichen... Auf dieser Grundlage erscheint es bei entsprechender Anstrengung möglich, dass – soweit Deutschland zur Lösung des Problems beitragen kann – jedenfalls der Eintritt katastrophaler Zustände verhindert wird.“ (Urteil, Absatz 115)

Angesichts der Klage, die so eindeutig darstellt und nachweist, dass es im Nachhinein zu spät sein wird, den womöglich doch verpassten strengen Klimaschutz nachzuholen, und deren ganzer Zweck ein verschärfter Klimaschutz war, ist das ein guter Witz. Warum allein die Möglichkeit, dass die Katastrophe nicht eintritt, genügt, um den deutschen Gesetzgeber von einer Schutzpflichtverletzung freizusprechen, wissen die Richter jedoch in aller Ernsthaftigkeit ausführlich zu begründen:

„Die Beschwerdeführenden halten allerdings schon das Klimaschutzziel des Pariser Übereinkommens, das ... dem Klimaschutzgesetz zugrunde gelegt ist, für unzureichend... Wenn der Gesetzgeber dem nationalen Klimaschutzrecht gleichwohl die Verständigung der Vertragsstaaten des Pariser Übereinkommens zugrunde gelegt hat, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 °C und möglichst 1,5 °C zu begrenzen, mag dies danach politisch als zu wenig ambitioniert beurteilt werden. Angesichts der erheblichen Unsicherheit, die der IPCC [Weltklimarat] selbst durch die Angabe von Spannbreiten und Ungewissheiten dokumentiert hat, bleibt dem Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner grundrechtlichen Schutzpflicht derzeit jedoch ein erheblicher Entscheidungsspielraum ... zumal er die Erfordernisse des Gesundheitsschutzes auch mit entgegenstehenden Belangen in Einklang zu bringen hat...
Anders als die Beschwerdeführenden meinen, kann aktuell nicht festgestellt werden, dass der Gesetzgeber diesen Spielraum mit der Zugrundelegung des Paris-Ziels überschritten hat. Die Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten lässt sich nicht unmittelbar aus normativen Annahmen und Feststellungen zum Klimaschutz ableiten. Klimaschutz und der Schutz der in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG genannten Rechtsgüter menschlichen Lebens und körperlicher Unversehrtheit weisen zwar eine große Schnittmenge auf, sind aber nicht deckungsgleich... Es ist eben nicht von vornherein auszuschließen, dass eine Temperaturschwelle von 1,5 °C zwar zur Begrenzung des Klimawandels angeraten erscheint, zum Schutz menschlichen Lebens und menschlicher Gesundheit aber doch schon das vom deutschen Gesetzgeber übernommene Paris-Ziel ausreicht, den Temperaturanstieg auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C zu begrenzen.
Unterschiede zwischen Klimaschutz- und Gesundheitsschutzerfordernissen können sich auch deshalb ergeben, weil sich die Gefahren des Klimawandels für Leben und Gesundheit der Menschen zu einem Teil durch Anpassungsmaßnahmen lindern lassen.“ (Urteil, Absatz 158-164)

Es mag also schon sein, dass der Staat die Nation sehenden Auges in den Klimawandel führt. Aber erstens können die Kläger mit aller Wissenschaft nicht garantieren, dass die prognostizierten Schäden an Leib und Leben der Menschheit dadurch wirklich in genau dem Ausmaß eintreten, zweitens lassen sie sich ja womöglich durch den Einsatz von Klimaanlagen in Altenheimen, die Planung von Frischluftkorridoren in Städten oder sonstige Maßnahmen eindämmen, die den zuständigen Stellen bis dahin einfallen mögen. Weil es also unsicher ist, eben nicht von vornherein auszuschließen, dass die Gesundheit durch die klimaschutzgesetzkonforme Erderwärmung weniger beeinträchtigt wird als gedacht, kann das Verfassungsgericht mit Sicherheit ausschließen, dass der Gesetzgeber gegen seine Schutzpflicht für Gesundheit und Leben verstoßen hat. Dafür spricht dem Gericht zufolge drittens, dass der staatliche Gesundheitsschutz nur einer von zahlreichen, auch entgegenstehenden Belangen ist, die der Gesetzgeber im Rahmen seines erheblichen Entscheidungsspielraums zu berücksichtigen hat – dies eine deutliche Auskunft an jene, die den Schutz von Leben und Gesundheit für ein ganz besonders unwidersprechliches Argument halten.

Auf ein Defizit hinsichtlich der Verfassungskonformität hat eine der Klagen die Richter dann doch aufmerksam gemacht:

„Eine andere Frage ist, ob die damit für die Zeit nach 2030 angelegten, mit Freiheitsbeschränkungen verbundenen Anstrengungen verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sind oder aber das Klimaschutzgesetz Reduktionslasten in unzulässiger Weise auf die Zukunft und die dann Verantwortlichen verschoben hat...“ (Urteil, Absatz 115)

Der verfassungsrechtlich gebotene Klimaschutz steht prinzipiell im Gegensatz zu allen verfassungsgemäßen Freiheitsrechten der Bürger, weil deren Wahrnehmung noch auf längere Zeit mit CO2-Ausstoß verbunden sein wird. Also hat der Staat beides, jetzt und in Zukunft, in Einklang zu bringen:

„Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten. Konkret erfordert dies, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln.“ (Urteil, Leitsätze) Die bisherige Festlegung der Ziele nur bis 2030 und der Plan, erst 2025 weitere festzulegen, sind „mit den Grundrechten unvereinbar, soweit eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen nach Maßgabe der Gründe genügende Regelung über die Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume ab dem Jahr 2031 fehlt. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum 31. Dezember 2022 die Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume ab dem Jahr 2031 nach Maßgabe der Gründe zu regeln.“ (Urteil, Urteilsspruch)

So schaut sie also aus, die einzig verfassungsrechtlich relevante Kritik am Klimaschutzgesetz: Die Regierung muss die Klimapolitik, die den Klägern zwar unzureichend erscheint, an der es aber nun erwiesenermaßen verfassungsmäßig nichts auszusetzen gibt, nicht nur bis 2030, sondern auch darüber hinaus festschreiben. Damit erlässt das deutsche Höchstgericht ein verbindliches „Weiter so!“, das auch den Jungen ein Recht auf ihren gerechten Anteil am erderwärmenden CO2-Ausstoß für die Zukunft garantiert. Diesen Dienst an den Freiheitsrechten künftiger Generationen verlangt das Gericht der Regierung mittels der Fortschreibung ihrer Klimapolitik über das Jahr 2030 hinaus ab.

Nicht einmal in die materiell-rechtliche Prüfung des Urteils hat es der Versuch der Umweltverbände geschafft, als Anwälte der Natur zu klagen. So einfach ist es eben nicht, eine Menschheitsnaturkatastrophe justiziabel zu machen: Vergehen kann der Staat sich nur an den persönlichen Schutzrechten, die er gewährt. Bangladeschis und Nepalesen könnten solche zwar einklagen, sind aber von der einzigen festgestellten Grundrechtseinschränkung nicht betroffen, nämlich künftigen strengen Restriktionen durch die Dekarbonisierungspolitik in Deutschland, und da sich die deutsche Klimapolitik darüber hinaus von ihrem Höchstgericht keine Grundrechtsverstöße vorwerfen lassen muss, ist eine Verletzung ihrer Grund- und Menschenrechte durch ihr prognostiziertes Absaufen und Verhungern für das BVerfG nicht ersichtlich.

II. Sache und Demokratie: Klimaschutz als Ausweis der Machtbefähigung

Die mit der Beschwerde angegriffene Regierung wiederum ist von dieser Ohrfeige kein bisschen betroffen oder über das Urteil empört, sondern mindestens genauso begeistert wie die Kläger: Umweltministerin Schulze verspürt endlich den Rückenwind für ihre Politik, der ihr für die Durchsetzung gegen die Union immer gefehlt hat. Wirtschaftsminister Altmaier findet das Urteil epochal für Klimaschutz & die Rechte der jungen Menschen. Usw. Das ist, auch wenn die Klimaaktivisten in ihren Fernsehinterviews es sich nur als Heuchelei erklären können, auch kein Wunder. Das höchste deutsche Gericht hat zum einen das Ethos der Bundesregierung, ihre Energiepolitik verdanke sich dem Ziel des Klimaschutzes, in der Verfassung verankert, misst sie also an genau der Verwechslung, die sie selber immer hochhält. [1] Und zum anderen bescheinigt das Urteil den herrschenden Klimaschützern, dass sie zur Umsetzung dieser Pflicht auch alles Nötige im Rahmen ihres Spielraums tun. [2] Wozu die Regierung also mit der Verpflichtung auf konkrete Ziele auch nach 2030 aufgefordert wird, ist: konsequenter ihr eigenes Programm zu verfolgen.

Das leuchtet den Politikern an der Macht – die umgehend versprechen, das Klimaschutzgesetz noch in dieser Legislaturperiode zu ändern – genauso ein wie denen, die sie erringen wollen und sich deshalb mit Änderungsvorschlägen sowie besseren Konzepten hervortun und sich darüber auslassen, dass die aktuell Regierenden nur so überhastet reagieren, weil sie die Opposition fürchten. Das Thema ist also spätestens mit dem Urteil im Wahlkampf angekommen, der sich nun darum dreht, wer der glaubwürdigste Klimapolitiker ist. In der vom Urteil vorgegebenen Gleichung von Klimaschutz und Freiheitsschutz entdeckt noch jede Partei mit ihren jeweiligen Schlagern sich als besten Macher. [3]

Die Grünen sehen die Gelegenheit gekommen, nicht nur bei ihrem Leib- und Magenthema zu glänzen, sondern dabei auch endlich ihr Image als spaßbremsende Verbotspartei loszuwerden, und schützen das Klima jetzt um der Freiheit willen (Habeck, 8.5.21). Die Kanzlerkandidatin äußert sich schon ganz als die Kanzlerin in spe entsprechend:

„‚Wir werden unser Land auf die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens ausrichten und das Klimaschutzgesetz entsprechend ändern.‘ ... ‚Wir haben als politisch Verantwortliche die Aufgabe, nicht nur in kurzfristigen Zyklen zu denken, sondern Grundrechte langfristig zu garantieren.‘ Sie forderte ein ‚Klimaschutzsofortprogramm‘, das unter anderem den Ausbau erneuerbarer Energien und den Kohleausstieg beinhalten müsse.“ (FAZ.net, 29.4.21)

Das können die Unionsvertreter so nicht stehen lassen. Erstens waren sie es, die das Klimaschutzgesetz in der GroKo beschlossen haben, nicht die Grünen, die nur reden und nicht regieren. Zweitens:

„Wir müssen Klimaschutz so gestalten, dass wir die eine Generationenaufgabe, nämlich den Klimaschutz, nicht dadurch erfüllen, dass wir bei einer anderen Generationenaufgabe, nämlich bei den Staatsfinanzen – Stichwort ‚Verschuldung der öffentlichen Hand‘ –, eine tiefe Wunde aufreißen.“ (Stephan Stracke, CSU, Bundestagsdebatte 7.5.21)

Das sollen sich die Pellwormer Bauernkinder mal überlegen, ob sie in Zukunft wirklich unbedingt auf ihrer Insel und zusätzlich noch auf einem riesigen staatlichen Schuldenberg sitzen bleiben wollen. Wer wirkliche Freiheit will, wählt die Union, die diese Freiheit unter dem Stichwort „Kosteneffizienz“ mit dem Klimaschutz vereint. Die SPD hadert einmal mehr damit, dass sie schon längst vor seiner Ausarbeitung immer im Sinne des Urteils gehandelt und die Fortschritte betrieben hat – stets behindert durch den Miesepeter aus dem Wirtschaftsministerium – und keiner es ihr dankt. Die demokratisch hochwertige methodische Debatte, in der die einen den anderen vorwerfen, „nur Ziele“ anzugeben statt eine „konkrete Umsetzung“, und die dagegenhalten, dass sie als Einzige „ambitionierte Ziele“ fassen, während den anderen nur „planlose Einzelmaßnahmen“ einfallen, wird durch die FDP um einen weiteren Gesichtspunkt ergänzt, der mit Sicherheit sonst völlig untergegangen wäre, wenn alle um die „Versöhnung von Ökologie und Ökonomie“ bemüht sind:

„Wir brauchen nach Auffassung der Karlsruher Richter mehr Verbindlichkeit bei den Reduktionszielen für Treibhausgase. Diese Haltung vertritt auch die FDP. Zugleich sollten wir aber stärker auf Ideenwettbewerb und einen Technologieschub setzen. Bisher hat sich die deutsche Klimapolitik planwirtschaftlich verzettelt und technologisch festgefahren.“ (Lindner auf Twitter, 29.4.21)

Verbindlichkeit gegen Planwirtschaft: Wenn schon die Freiheitsrechte zum knappen Gut werden, kann nur der Markt deren Verteilung als (CO2-)Preisfrage lösen, denn der verteilt Knappheiten so effizient wie nichts anderes (Lukas Köhler, FDP, Bundestagsdebatte 7.5.21) – aber bitte unter freundlicher Förderung jeder dafür in Frage kommenden Technologie durch den Staat.

Bei alldem werfen sich alle Wahlkämpfer beständig gegenseitig vor, das Thema nur für den Wahlkampf zu nutzen, und nur der eigene Verein nehme das ernste Thema wirklich wichtig. Es ist schon interessant, dass jeder meint, man werde der Ernsthaftigkeit der verhandelten Sache nicht gerecht, wenn sie Gegenstand des Wahlkampfs wird, weil es dann bloß noch um die Profilierung gehe, nicht mehr um sie selbst. Deshalb ein sachdienlicher Hinweis über die Rolle von „Sachthemen“ in der Herrschaftsform, deren Hochamt die Wahl ist: Jede Sachfrage gibt es als politisch relevante überhaupt nur, soweit Machthaber sie sich zum Zweck machen. Und weil die Macht in der Demokratie immer umkämpft ist, weil die führenden Positionen der Machtausübung regelmäßig dadurch besetzt werden, dass die Bewerber um die Zustimmung in der Partei und im Volk konkurrieren, ist jede Sache zugleich dem Oberzweck untergeordnet, die Machtbefähigung desjenigen zu demonstrieren, der sie vertritt. Insofern verhält es sich genau umgekehrt: Eine Sache ist überhaupt nur dann wirklich wichtig, wenn sie für den Machtkampf funktionalisiert wird.

Ein höherer Stellenwert kann also dem Klimaschutz im politischen Leben eines demokratischen Rechtsstaats gar nicht eingeräumt werden, als dass er zum verfassungsrechtlich geadelten Gegenstand des Geschachers um die Macht wird.

[1] Mehr zu dieser gerne gesehenen Verwechslung im „PS“ zum Artikel Klimaschutzprogramm 2030, Klimaschutzgesetz, Wasserstoffstrategie... Deutschlands Energieimperialismus wird klimaneutral in GegenStandpunkt 1-21.

[2] Auch der imperialistische Gehalt der deutschen Energiesystemwende, dass die nämlich, um sich volkswirtschaftlich auf Dauer zu lohnen, weltweit zum Programm gemacht werden und die Welt z.B. als Abnehmer deutscher E-Autos und Wasserstoffproduktionstechnologie eingebunden werden soll, wird vom BVerfG ausdrücklich als Notwendigkeit aus dem Art. 20a abgeleitet und damit als Pflicht des Staates seinen Bürgern gegenüber ins Recht gesetzt: Das Klimaschutzgebot verlangt vom Staat international ausgerichtetes Handeln zum globalen Schutz des Klimas und verpflichtet, im Rahmen internationaler Abstimmung auf Klimaschutz hinzuwirken. (Urteil, Leitsätze)

[3] Die einzigen, die – neben ein paar Inseln in der Union und der FDP – nicht wie alle anderen plötzlich grün sind (tagesschau.de, 6.5.21), sind die aufrechten Klimawandelleugner von der AfD: Das BVerfG hat die Verfassung & Grundrechte zu schützen, nicht ideologische Klimaziele. (Weidel auf Twitter, 29.4.21) Ihnen leuchtet nicht ein, dass die Zukunft des deutschen Standorts sich ausgerechnet an einem globalen Anliegen bemessen soll, dass die Regierung sich dafür auf ein internationales Abkommen festlegt und das Verfassungsgericht dies glatt mitmacht, wo es doch deutsche Bürger zu schützen, also vor solchen Verrücktheiten zu bewahren hätte.