Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Bootsflüchtlinge aus Tunesien:
Von den Segnungen der Freiheit
In der Folge des Volksaufstands in Tunesien sieht sich die Europäische Union einer Flüchtlingswelle ausgesetzt. Auf Lampedusa landen jede Menge Nordafrikaner, die dort nicht hätten landen dürfen. In mehreren Verträgen hatte Europa die alte tunesische Regierung, heute den „Diktator Ben Ali“, darauf verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass das Elend seines Landes, aber auch das anderer afrikanischer Länder, für die Tunesien nur Durchgangsland ist, nicht an europäische Küsten schwappt. Im Chaos der Rebellion gegen Ben Ali und in der Anfangsphase der Übergangsregierung nutzen aber eine Menge Leute die Gelegenheit mangelhafter tunesischer Grenzkontrollen, um eben genau das zu tun. Sie kommen mit Seelenverkäufern über das Mittelmeer, werden von der italienischen Küstenwache aufgebracht und überfüllen die dortigen Aufnahmelager. Wenn die europäischen Nationen Menschen beherbergen sollen, die sie nicht beherbergen wollen, ist eine „humanitäre Katastrophe“ schnell herbeiregiert: So war die Gratulation an das tunesische Volk zur Befreiung von der Diktatur nicht gemeint, dass die Elendsgestalten die Schwäche ihres Staates ausnutzen, um zu uns zu kommen.
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Bootsflüchtlinge aus Tunesien:
Von den
Segnungen der Freiheit
In der Folge des Volksaufstands in Tunesien sieht sich die Europäische Union einer Flüchtlingswelle ausgesetzt. Auf Lampedusa landen jede Menge Nordafrikaner, die dort nicht hätten landen dürfen. In mehreren Verträgen hatte Europa die alte tunesische Regierung, heute den „Diktator Ben Ali“, darauf verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass das Elend seines Landes, aber auch das anderer afrikanischer Länder, für die Tunesien nur Durchgangsland ist, nicht an europäische Küsten schwappt. Im Chaos der Rebellion gegen Ben Ali und in der Anfangsphase der Übergangsregierung nutzen aber eine Menge Leute die Gelegenheit mangelhafter tunesischer Grenzkontrollen, um eben genau das zu tun. Sie kommen mit Seelenverkäufern über das Mittelmeer, werden von der italienischen Küstenwache aufgebracht und überfüllen die dortigen Aufnahmelager. Wenn die europäischen Nationen Menschen beherbergen sollen, die sie nicht beherbergen wollen, ist eine „humanitäre Katastrophe“ schnell herbeiregiert: So war die Gratulation an das tunesische Volk zur Befreiung von der Diktatur nicht gemeint, dass die Elendsgestalten die Schwäche ihres Staates ausnutzen, um zu uns zu kommen.
Bei allem Streit anläßlich der Verteilung der Lasten, die die Abwicklung des Flüchtlingsproblems darstellt, ist sich Europa in einem einig: Ein Bleiberecht für die Wirtschaftsflüchtlinge darf es nicht geben und das Anrecht Europas, vom afrikanischen Elend unbehelligt zu bleiben, muss – „arabischer Frühling“ hin oder her – behauptet und wiederhergestellt werden. Dafür müssen neue Grenzschutzmaßnahmen an der Außengrenze der EU, aber auch innerhalb des Schengenraums getroffen, und dafür müssen neue Verträge über Rückführung und Grenzkontrollen mit der neuen freiheitlichen Regierung in Tunesien geschlossen werden.
All dies ist gerechtfertigt, denn:
„Wenn es einen Grund gibt, Tunesien nicht mehr zu verlassen, dann jetzt, wo dort eine Demokratie aufgebaut wird.“ (Der vormalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière, welt-online, 16.2.11)
Früher, unter Ben Ali, als der Diktator im europäischen Auftrag jede Flucht verhindert hat, da mag es Fluchtgründe gegeben haben, die de Maizière, jedenfalls im Rückblick, wenn schon nicht akzeptieren, so doch hätte nachvollziehen können. Aber heute, wo der Übergang zur Demokratie ansteht, ist ein einleuchtender Grund dafür nicht in Sicht. Wirtschaftsflüchtlinge mögen ohne Demokratie in ihrer Armut noch ein Motiv gehabt haben – da mag die Armut perspektivlos und erdrückend gewesen sein, mit Demokratie wird aus derselben elenden Lebenslage eine Chance, das Leben in die eigene Hand zu nehmen. Andersrum: Ob man ein Auskommen findet, ist keine Frage der materiellen Mittel, sondern von good governance. Wenn Demokratie herrscht, dann reicht das. Per definitionem.
Das praktische Urteil der Flüchtlinge, die eine lebensgefährliche Fahrt übers Mittelmeer der Morgenröte einer demokratischen Lebensperspektive in Tunesien vorziehen, kann der Minister nicht tolerieren:
„Vor Demokratie flüchtet man nicht. Die Menschen sollten vor Ort den Übergangsprozess gestalten und am Aufbau in Tunesien mitwirken, anstatt das Land zu verlassen.“ (ebd.)
Wo Freiheit herrscht, wird die schiere Not zur Gelegenheit für nationalen Aufbau und das Ausharren im Elend zur nationalen Pflicht. Das haben sie jetzt davon.