Das BAG definiert Gleichbehandlung in Sachen Ausbeutung
Im Falle etwaiger Unzufriedenheiten steht Arbeitnehmern der Rechtsweg offen. Jeder kann im Zweifelsfall prüfen lassen, ob er richtig eingruppiert ist, ob die diversen Sonderanforderungen an ihn ordentlich, d.h. gemäß den tariflichen Abmachungen über Lohn und Leistung vergütet werden. Sogar dem stets präsenten Zweifel wird nachgegangen, ob die tarifvertraglich getroffenen Regelungen selbst mit den Gerechtigkeitsmaximen des bürgerlichen Gemeinwesens kompatibel sind. Beim Dauerbrenner Gleichbehandlung hat das Bundesarbeitsgericht jüngst in zwei Fällen Klarheit gestiftet.
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Das BAG definiert Gleichbehandlung in Sachen Ausbeutung
Unternehmen kaufen sich mit der Bezahlung der bei ihnen Beschäftigten von der Hilfs- bis zur Leitungsfunktion all die Dienste ein, die für ihren Gewinn sorgen. Die Freiheit, über ihre Arbeitskräfte ganz nach betrieblichem Bedarf zu verfügen, lassen sie sich dabei einiges zusätzlich kosten. Gegen einen Aufschlag lassen sie Belegschaften in Schichten rotieren; für Nachtschichten fällt der etwas höher aus. Auch der Einsatz von Arbeitskraft on demand ist zu haben, wenn nicht im Rahmen geeigneter flexibler Arbeitszeitmodelle, dann ebenfalls per Aufschlag auf den Lohn. Zeit- und Leiharbeit erlauben, nie zu viele Leute fest einzustellen und trotzdem keine Ertragsgelegenheit am Personalmangel scheitern zu lassen. Die fälligen Preise regelt der für die jeweilige Branche aktuell gültige Tarifvertrag, den Arbeitgeber und Gewerkschaften miteinander ausgemacht haben. Im Falle etwaiger Unzufriedenheiten aufseiten derer, die die Arbeit machen, steht ihnen der Rechtsweg offen. Jeder kann im Zweifelsfall prüfen lassen, ob er richtig eingruppiert ist, ob die diversen Sonderanforderungen an ihn ordentlich, d.h. gemäß den tariflichen Abmachungen über Lohn und Leistung vergütet werden. Sogar dem stets präsenten Zweifel wird nachgegangen, ob die tarifvertraglich getroffenen Regelungen selbst mit den Gerechtigkeitsmaximen des bürgerlichen Gemeinwesens kompatibel sind. Beim Dauerbrenner Gleichbehandlung hat das Bundesarbeitsgericht jüngst in zwei Fällen Klarheit gestiftet.
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Einmal in der Frage unterschiedlicher Nachtzuschläge. In der sind insgesamt um die 6 000 Verfahren anhängig, ein echter „Großkonflikt“ (FAZ, 23.2.23, daraus alle folgenden Zitate) in der deutschen Arbeitswelt. Im Februar werden ein paar der rund 400 letztinstanzlichen Revisionsverfahren anhand des Präzedenzfalls einer Angestellten von Coca-Cola entschieden. Die Frau erhält für ihre regelmäßige Nachtarbeit in Wechselschicht einen manteltarifvertraglich geregelten Aufschlag pro Stunde von 20 Prozent, während ihre nur unregelmäßig nachts arbeitenden Kollegen einen Aufschlag von 50 Prozent beziehen.
„Diese Praxis verstoße gegen den Gleichheitssatz. Mit ihrer Klage verlangte sie die Differenz zu den höheren Zuschlägen. Regelmäßige Nachtarbeit im Schichtdienst sei noch belastender, als wenn man nur gelegentlich zur Schlafenszeit arbeite.“
Der Verweis auf die größere Belastung im Dauernachteinsatz soll unwidersprechlich machen, was für die Klägerin aus dem Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG zu folgen hat: „Gleicher Zuschlag für gleiche Zumutung.“ Beides folgt der Form der Bezahlung, mit der sich das Unternehmen die kontinuierliche Verfügung über Arbeit sichert: Im Tarifvertrag ist der Nachtarbeit wie jeder Arbeitsleistung eine Bezahlung zugeordnet – nämlich ein mit einem Aufschlag versehener Stundenlohn. Mit dieser Zuordnung wird eine Fiktion wahr gemacht: ein Entsprechungsverhältnis zwischen der zu erbringenden Leistung, in diesem Fall der Zusatzanstrengung gegenüber dem Normalarbeitstag, und ihrer Bezahlung. Fiktion deswegen, weil schon ab der ersten Minute des Arbeitstags nicht der Aufwand des Arbeiters entgolten wird, also auch nicht die zusätzliche Belastung durch Nachtarbeit. Hier wie dort wird vielmehr die freie Verfügung über die Arbeitskräfte auf Zeit eingekauft, und zwar mit dem einzigen Ziel, aus deren Anwendung einen Geldüberschuss über den Vorschuss des Unternehmens herauszuholen – sonst lässt es sie weder tagsüber noch nachts antreten. Dieses Mehr ist das einzige Entsprechungsverhältnis, das für das Unternehmen überhaupt infrage kommt; das gilt für den Normallohn wie für jedes Mehr an Geld für ein Mehr an Verfügung über gewinnbringend einzusetzende Arbeitskraft. Genau diese Nicht-Entsprechung, die überhaupt den unternehmerischen Gewinn ausmacht, wird in eine ganze Welt von penibel geregelten, tarifvertraglich verbürgten Entsprechungsverhältnissen zwischen Geldgrößen und Leistungsparametern überführt.
Das macht die hundertfach kodifizierte Entsprechung zwar ökonomisch nicht wahr, aber durchaus zu einem juristisch überprüfbaren Gegenstand: Wird das Versprechen der gerechten Entsprechung von Lohn und Arbeitsmühe auch wirklich eingelöst? Es ist der immanente Zynismus dieser Gleichsetzung von Verschleiß und Mühsal für den Arbeitenden mit dem Anrecht auf ein Quantum Einkommen, den die Klägerin vorführt, wenn sie ihre Belastung durch die Nachtarbeit – unendlich weit entfernt von der Frage, wo die herkommt und wofür sie gut ist, stattdessen vergleichend – als ihren starken Grund für genauso viel Lohn ins Feld führt, wie ihn andere, ihrer Meinung nach entsprechend Belastete beziehen.
Unterstützung erhält sie dabei von der Gewerkschaft:
„Auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) fordert mittlerweile ,bei den Nachtzuschlägen für Gleichbehandlung zu sorgen‘. Es gebe keinen Gewöhnungseffekt bei Nachtarbeit, wie man inzwischen aus der Arbeitsmedizin wisse.“
Mit dem Argument ihres arbeitsmedizinisch verbürgten Erkenntnisgewinns in Sachen Arbeitsbelastung erhebt die NGG ganz im Sinne der Logik der Lohngerechtigkeit Einspruch gegen die einschlägige Festlegung des von ihr selber ausgehandelten Tarifvertrags. Worüber da gestritten wird, sind nicht die wirklichen Belastungen, die das Arbeiten unter der Regie von Unternehmen mit sich bringt, denen es immerzu um möglichst ergiebige Arbeitsleistung, um zeitweilige oder dauerhafte Ausdehnung der Schranken des Arbeitstags geht. Die Auseinandersetzung dreht sich vielmehr um die einkommenswirksame Zuerkennung von unterschiedlichen Graden von Mühsal, Verschleiß, psychischer Belastung bzw. im Engeren um die vorgebliche Rolle der ‚Gewöhnung‘ an unterschiedlich organisierte, anerkanntermaßen schlecht aushaltbare Überarbeit. Die einigermaßen brutale Logik, um die da gestritten wird, ist die Frage, ob – ausgerechnet! – die dauernde Belastung durch Schichtarbeit, die den Beschäftigten permanent aufgenötigt wird, sodass die sich wohl oder übel an diesen Dauerzustand „gewöhnen“ müssen, eventuell als leichter aushaltbar, mehr oder weniger „normal“ zu gelten hat, also – konsequent gemäß der tarifvertraglichen Logik – weniger Zusatzgeld wert ist. Deswegen gilt die Berufung auf die erstaunliche arbeitswissenschaftliche Erkenntnis, dass man sich an dauerhafte Arbeitsüberlastung nicht gewöhnt, nicht als Absurdität, sondern als gerichtsfestes Gerechtigkeitsargument für einen Lohnanspruch, der durch den Vergleich mit geltenden, lohnwirksamen Belastungen ermittelt wird. Da ist die Gewerkschaft in Sachen gerechter Lohn offenbar in ihrem Element.
Und das oberste zuständige Gericht in dem seinen. Da der Lohn nicht nur überhaupt als Frage der Gerechtigkeit organisiert ist, sondern auch als solche vor Gericht gebracht wird, ist für deren verbindliche Auslegung das BAG zuständig: Wenn die kapitalistische Gewohnheit, Nachtarbeit zu erzwingen, eben nicht – wie die Arbeitsmedizin nun mitteilt – zur Entlastung der betroffenen Arbeiter per Gewöhnung führt, dann stehen regelmäßige und gelegentliche Nachtarbeiter in Sachen „Belastung“ gleich da, dann entfällt also der Rechtsgrund für unterschiedliche Bezahlung. Auftragsgemäß prüft das Gericht also, ob für die vorfindlichen ungleichen Zuschläge eine anerkennungswürdige Rechtfertigung noch „erkennbar“ ist, sucht nach einem anderen Rechtsgrund für eine Schlechterstellung der Klägerin – und findet ihn:
„‚Eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, verstößt dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist, der aus dem Tarifvertrag erkennbar sein muss.‘ Zulässig sei es, wenn mit dem höheren Zuschlag neben den spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit auch die geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes bei unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden solle... Das angestrebte Ziel, den gelegentlichen Nachtarbeitern einen Ausgleich für schlechtere Planbarkeit zu gewähren, habe sich aus dem Manteltarifvertrag ergeben.“
Wo die Tarifvertragsparteien sich in ihrem nüchternen Vertragswerk überhaupt nicht über irgendwelche „Ziele“ der dort festgelegten Zuschläge auslassen, kommt das BAG bei der rechtlichen Auslegung zu weiterführenden Erkenntnissen: Es findet in der „geringeren Planbarkeit“ der unregelmäßigen Nachtarbeit einen „sachlichen“, manteltarifvertraglich irgendwie abgedeckten und damit rechtswirksamen Grund für die Schlechterstellung der Dauerschichtarbeiter, die sich bestens verplant in ihren regelmäßigen Nachtschichten einrichten können; es anerkennt, d.h. definiert einen Rechtsgrund für die Ungleichbehandlung des Ungleichen, bestätigt damit letztinstanzlich die Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes im vorliegenden Fall und liefert die rechtskräftige Absage an die verlangten höheren Nachtzuschläge. So macht sich das Gericht nach seinen Kriterien der Lohngerechtigkeit zum Erfüllungsgehilfen des unternehmerischen Interesses, die Kosten für massenhafte regelmäßige Schichtarbeit niedrig zu halten, sich den fallweisen Bedarf an Extraarbeit aber etwas mehr kosten zu lassen und sich so insgesamt die bedarfsgerechte Verfügung über Arbeitskräfte möglichst billig zu sichern.
Die Gewerkschaft findet das zwar nicht gut, aber:
„Das Bundesarbeitsgericht habe nun entschieden, dass bei der Höhe der Nachtschichtzuschläge auch die Planbarkeit berücksichtigt werde. Das müssen wir akzeptieren. Immerhin hätten Beschäftigte in Zukunft Klarheit.“
Von wegen „müssen“! Die NGG hat einfach nicht vor, die Nachtzuschläge zur gewerkschaftlichen Streitfrage zu machen. So sorgt die höchstrichterliche Entscheidung für die geräuschlose Abwicklung eines „Großkonflikts“.
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Über die Gesetzgebung im Bereich der Leiharbeit herrscht schon seit 20 Jahren Klarheit. Damals wurde dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz der Gleichstellungsgrundsatz hinzugefügt, dem zufolge Leiharbeitnehmer grundsätzlich zu denselben Bedingungen beschäftigt werden müssen wie die Stammarbeitnehmer. Zumindest im Prinzip – der Gesetzgeber hat die ökonomische Vernunft walten lassen, abweichende Regelungen im Tarifvertrag für zulässig zu erklären. Die deutschen Tarifparteien haben davon regen Gebrauch gemacht, die Unternehmer darauf gedrungen und die Gewerkschaft sich bereitgefunden, dem Interesse der Unternehmerseite an Lohnkosten, bei denen neben dem Anwender von Leiharbeitern auch noch das Verleihunternehmen seinen Schnitt macht, tarifvertraglich Geltung zu verschaffen.
Unruhe in dieses gedeihliche Verhältnis bringt Ende 2022 ein Urteil nach übergeordnetem Europarecht:
„Der EuGH hatte im Dezember auf Vorlage des BAG entschieden, Tarifverträge, die für Leiharbeitnehmer ungünstigere Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen als für die Stammbelegschaft vorsähen, seien prinzipiell möglich, allerdings nur, wenn den Leiharbeitern zur Neutralisierung Ausgleichsvorteile gewährt würden. Dabei hatte der EuGH auf die erforderliche ‚Achtung des Gesamtschutzes‘ der Leiharbeiter verwiesen.“ („Sicherheit für Zeitarbeiter“, FAZ, 1.6.23, daraus auch alle folgenden Zitate)
Kein halbes Jahr später bietet ein Präzedenzfall die Gelegenheit für eine Klarstellung bezüglich der deutschen Verhältnisse:
„Das Bundesarbeitsgericht hatte über die Klage einer befristet beschäftigten Leiharbeiterin entschieden. Für ihre Tätigkeit erhielt sie zuletzt einen Brutto-Stundenlohn von 9,23 Euro. Grundlage dafür war ein Tarifvertrag von iGZ [Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen] mit verdi. Vergleichbare Stammarbeitnehmer hätten 13,64 Euro erhalten, trug die Klägerin vor... In den beanstandeten Tarifverträgen fand sich keine explizite Regelung zu Ausgleichsvorteilen.“
Das BAG stiftet die von der FAZ gewürdigte „Sicherheit für Zeitarbeiter“ mit der Entscheidung, dass es da juristisch rein gar nichts zu beanstanden gibt. Es liefert auch in diesem Fall zur Erledigung der Klage den Gesichtspunkt für die Rechtfertigung des Minderlohns gerichtsfest nach. Wer sagt schließlich, dass der geforderte Ausgleich über den Tarifvertrag gewährleistet werden muss? Der ist per se gegeben, schließlich haben die Leiharbeitsfirmen laut Gesetz ihren Angestellten glatt „auch in verleihfreien Zeiten ein Entgelt zu zahlen, und zwar auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen“. Welcher Nicht-Leiharbeiter kann das schon von sich behaupten? Dass die Verleihunternehmen sich so die permanente Verfügung über diese Arbeitskräfte als Billigangebot sichern, um aus dem flexiblen Arbeitskräftebedarf anderer Unternehmen ihr Geschäft zu machen – also genau der prekäre Status der Leiharbeiter als Billigarbeitskräfte, den der Gleichstellungsgrundsatz gerade etwas korrigieren soll –, ist so gesehen schon der fertige Ausgleichsvorteil, der jeden materiellen Ausgleich im Sinne des „Gesamtschutzes“ überflüssig macht. Genial.