Die Automobilindustrie
Fallstudie über eine „Schlüsselindustrie“ des Kapitalismus, den weltweiten Wettstreit der Kapitale und die Standortkonkurrenz der Nationen.

Behandelt werden:

  • die grundlegende Rolle des industriellen Guts, das den heutigen gesellschaftlichen Bedarf nach ‚Mobilität' bedient
  • der kapitalistische Modellcharakter des Geschäfts, das mit diesem Massenartikel gemacht wird
  • die Konkurrenzmethoden, mit denen sich die Handvoll Großkonzerne national und global die Märkte erobern und streitig machen
  • deren Rolle im kapitalistischen Getriebe der großen Nationen, die diesen Unternehmen einen Sonderstatus und besondere staatliche Aufmerksamkeit und Förderung sichert
  • die Folgen für das dort beschäftigte Proletariat, das sich zur nationalen ‚Arbeiterelite' zählen und in jedem Sinne eine Vorreiterrolle spielen darf.
Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Gliederung

Die Automobilindustrie
Fallstudie über eine „Schlüsselindustrie“ des Kapitalismus, den weltweiten Wettstreit der Kapitale und die Standortkonkurrenz der Nationen

I. Zum gesellschaftlichen Bedarf nach Mobilität

Die Autoindustrie bildet eine gewichtige Abteilung der kapitalistischen Akkumulation. Für die umfangreiche Nachfrage nach Automobilen aller Art sorgen einmal die Gepflogenheiten des Kapitals bei der Ausgestaltung und Abwicklung des Transportwesens in der modernen Gesellschaft. Einen Großteil des Güterverkehrs wickelt die Geschäftswelt über die Straße ab; Handelskapitalisten ersparen sich Zirkulationskosten bei der Belieferung ihrer Vertriebsstätten, industrielle Produzenten reduzieren die Kosten der fabrikinternen Vorratshaltung, indem sie ihre jeweiligen Lieferungen im Rhythmus des anfallenden Bedarfes ‚just in time‘ organisieren, die Vorratshaltung also gewissermaßen auf die Straße verlagern. Für seine kleinen und größeren Funktionäre unterhält das Kapital eine Flotte von repräsentativen Firmenwagen, jedes zweite in Deutschland zugelassene Auto ist ein Dienst- oder Geschäftswagen. Doch auch bei den einfachen Leuten ist in einer modernen Gesellschaft der dauerhafte Bedarf nach einem fahrbaren Untersatz garantiert. Die als große Errungenschaft der freiheitlichen Moderne gefeierte Mobilität geht wesentlich auf die räumliche Trennung der privaten Wohnstätten der Bürger von den Orten zurück, an denen sie zum einen ihren beruflichen Pflichten nachzukommen haben, auf die sie sich zum anderen verwiesen sehen, wenn sie sich in ihrer Freizeit um die Abteilungen Versorgung und Vergnügen kümmern. Da Wohnraum für den Durchschnittsverdiener umso teurer wird, je näher er sich in ‚zentraler Lage‘ städtischer Ballungsräume befindet, massiert sich die Bevölkerung zunehmend in Vorortbereichen – und ein Heer von Pendlern aus diesen und noch weiter entfernten Regionen macht sich alltäglich auf die Reise zu in den Städten zentrierten und um sie herum gruppierten Fabriken und Dienstleistungsbetrieben. Die kapitalistischen Handelsbetriebe siedeln sich gleichfalls dort an, wo Bauland günstig zu haben ist, und bieten in riesigen ‚Industrieparks‘ und Einkaufszentren ‚auf der grünen Wiese‘ irgendwelcher Vorortbereiche dem Publikum die Stätten an, an denen es dann auch noch beim Kauf von Lebensmitteln und Möbeln sparen kann. Was die fürs Leben der Bürger gleichfalls nicht unbedeutende Abteilung des Freizeitvergnügens betrifft, so sorgt die Tendenz zur Zentralisierung auch des hier einschlägigen Angebots vom Multiplex-Kino bis zum Kulturpark dafür, dass massenhafter Umsatz mit entsprechend massenhaftem ‚Verkehrsaufkommen‘ derer einhergeht, die sich aus entfernteren Stadtvierteln oder Vorortbereichen ins Kino, in die Disco oder zu sonst einem kulturellen ‚Event‘ aufmachen. Da in der bürgerlichen Gesellschaft selbstverständlich auch die Bewältigung notwendiger Ortsveränderungen dem Grundsatz unterliegt, dass Zeit Geld ist, regiert die allgegenwärtige Hetze auch bei der Überbrückung räumlicher Distanzen, so dass alles zusammengenommen für keinen der Weg an der Verfügung über ein eigenes Fortbewegungsmittel vorbeiführt: Ein eigenes Vehikel für die Fahrt zum Arbeitsplatz, zur Erledigung von Besorgungen wie für die Familienfahrten in Freizeit und Ferien – das gehört in einer modernen kapitalistischen Gesellschaft zum beinahe unverzichtbaren Konsumgut für Jedermann und zum normalen Lebensstandard aller, die von Lohn leben müssen und sich den daher auch noch für Kauf und Unterhalt eines Autos einzuteilen haben.

II. Die marktwirtschaftliche Bedarfsdeckung: Das Geschäft der Autokonzerne

1. Konkurrenz mittels ‚Modellpolitik‘

Ein hochkomplizierter Apparat, aufwendig industriell zu fertigen und dementsprechend teuer zu verkaufen, ein hochpreisiges Industriegut also, das aufgrund der gesellschaftlichen Bedarfslage nicht nur das Transportmittel des kapitalistischen Güterverkehrs, sondern auch ein Artikel für den Massenkonsum ist und solange bleiben wird, wie es die moderne Zivilgesellschaft mit ihrem ‚Individualverkehr‘ gibt: Für kapitalistische Produzenten ist das ein gefundenes Fressen. Mit der Produktion des Angebots für den breiten Bedarf eröffnet sich ihrem Kapital ein riesiger Wachstumsmarkt, wobei sich an den unternehmerischen ‚Strategien‘, mit denen sich die Produzenten der Autoindustrie den als ihr Geschäftsmittel herrichten, vor allem eines exemplarisch studieren lässt: So richtig zu einem kapitalistischen Erfolgsschlager wird die Produktion eines Gebrauchswertes erst dann, wenn der überhaupt nicht nur einen vorhandenen Bedarf deckt, sondern Bedürfnisse befriedigt, die von seinen Produzenten gleich mitproduziert werden.

Autofabrikanten betreiben eine ganz spezielle und äußerst umfassende Angebotspflege. Mit dem Bau von immer neuen, noch schnelleren, noch besser ausgestatteten und noch schöneren Autos setzen sie einmal auf das auch von ihren kapitalistischen Kollegen anderer Branchen bewährte Prinzip, mit vergleichbaren Angeboten zu billigeren Preisen Kunden ihren Wettbewerbern abspenstig zu machen; dazu später mehr. Zum anderen werfen sie sich darauf, sich stets neue Käuferschichten darüber zu erschließen, dass sie im Prinzip für jeden Geldbeutel das passende Angebot ins Repertoire nehmen. Ein moderner Produzent wie VW beschränkt sich längst nicht mehr auf den Bau von Fahrzeugen für das ‚Massensegment‘, sondern hat auch den Markt für ‚Premium‘-Ware für sich entdeckt; Produzenten der Luxuskategorie wie Daimler und BMW schämen sich überhaupt nicht, mit Kleinwagen aus dem eigenen Haus auf Kundenfang in der ‚kompakten Mittelklasse‘ zu gehen, und was dem ‚Branchenprimus‘ Porsche mit seinem Geländewagen innerhalb des allerobersten Preissegments recht ist, hat im Prinzip auch allen anderen billig zu sein – seien es auch riesige Summen, die sie in ‚gläserne Fabriken‘, italienische oder englische Markennamen und 3 Bugattis à 1000 PS investieren: In die Konkurrenz um die zahlungsfähige Nachfrage für das Massenkonsumtionsmittel Auto steigen moderne Firmen mit Angebotspaletten ein, die im Prinzip jeden Käufergeschmack abzudecken und möglichst jede Preiskategorie für das Unternehmen abzuschöpfen haben. Gleichfalls beträchtlich ist der Aufwand, den sie zur Pflege der Nachfrage nach ihrem Angebot betreiben. Im Wissen um den allgemeinen Bedarf nach Autos, aber natürlich auch stets mit Blick auf die beschränkte Zahlungskraft des Massenpublikums, die von ihren Produkten heftig strapaziert wird, belassen es die Fabrikanten überhaupt nicht dabei, ihrer Kundschaft ein bloßes Mittel zur Fortbewegung von A nach B und zur Erledigung berufsalltäglicher und anderer Notwendigkeiten anzubieten. Im Zuge ihrer berühmten Modellpolitik passen sie ihre Erzeugnisse vor allem den Bedürfnissen an, die die Bürger in Sachen Mobilität bei ihrer Freizeitgestaltung entwickeln, und unterbreiten ihnen ein weit gefächertes Angebot, den Nutzen der teuren Vehikel vor allem dort zu entdecken, wo sie als Privatmenschen auf ihre Kosten kommen wollen. Dass sie mit ihren fürs Fortbewegen nun einmal unverzichtbaren Vehikeln eine elementare Bedingung für alles sind, was der betuchte Single für sein sportliches Freizeitvergnügen und die proletarische Familie für die Fahrt in den Urlaub braucht, machen sich die Autoproduzenten auf ihre Weise zunutze: Sehr großen Wert legen sie darauf, dass ihren Kunden die teure Anschaffung überhaupt nicht nur als bloßes Mittel zum Zweck erscheint – Fahrspaß heißt umgekehrt das Vergnügen, das dem Publikum mit der feinen Ware versprochen wird und sich bei so manchem dann auch ganz einfach darüber einfindet, dass er das Mittel ein wenig zum Zweck macht und im Fahren selbst ein Stück von dem Lebensgenuss entdeckt, der für allerlei entschädigt. Ist diese Glücksverheißung als Gesichtspunkt zur speziellen Wertschätzung eines Fortbewegungsmittels erfolgreich in der Welt, kann sich ihr allein schon deswegen keiner mehr so recht verschließen, weil die Erfinder dieses Gesichtspunkts alles daran setzen, die Vehikel, die alle Welt braucht, unmittelbar als Garanten kompensatorischen Lebensgenusses an den Mann zu bringen: Ohne sich durch den Haufen von Sonderausstattungen, Lackierungen, Motoren und technischem Schnickschnack durchzuwühlen, dessen Posten allesamt viel Fahrfreude verheißen, kommt bei der Anschaffung eines Autos auch die Minderheit altfränkischer Studienräte nicht aus, die bei der Suche nach einem fahrbaren Untersatz einfach nur mit den Kriterien ‚billig & praktisch‘ unterwegs sind. Umgekehrt sucht und findet die breite Mehrheit des bürgerlichen Publikums im Angebot der Autoindustrie den Stoff zur Befriedigung des Bedürfnisses, das die erfolgreich in die Welt gesetzt hat: Für jeden Geldbeutel zugeschnitten, präsentiert sich der Automarkt vom schmucken 2,8-Tonner mit erhöhter Sitzposition bis zur 120-db-Anlage im Kleinwagen als eine riesige Wundertüte, mit der sich PS als Freiheitsversprechen und das Fortbewegen als Quelle von Lebensfreude entdecken lassen. Was dem praktischen Glück in diesem Reich der Freiheit dann – neben den laufenden Kosten für Unterhalt und Sprit – allerdings permanent in die Quere kommt, sind die fahrbaren Untersätze und das sperrige Fahrverhalten aller anderen, die gleichfalls flott voran oder auf ihre Kosten kommen wollen.[1]

Dieser ganze Sumpf des privaten bürgerlichen Irrsinns – der Autonarr ist hierzulande kein Schimpfwort, gleichfalls keine Schande ist eine lebenslange Markentreue, die sich nicht wenige dann auch noch eine ebenso lange Verschuldung kosten lassen – ist das Produkt einer Kundenerziehung, auf deren Basis die Autokonzerne dann mittels stets neuer Modelle, die sich aus 4 Rädern, Antrieb und Karosserie fertigen lassen, gegeneinander ihre schwierige ‚Politik‘ betreiben: Ein Modellwechsel darf nicht zu früh erfolgen, damit die Entwicklungskosten für das bislang aktuelle Modell sich amortisieren können; die Modellpalette darf nicht zu vielfältig sein, damit es nicht zu einer Verwässerung der eigenen Marke kommt, an die man die Kunden binden will; andererseits muss mit einem stetigen Feuerwerk neuer Produkte dafür gesorgt werden, dass das Publikum das Interesse an der Konkurrenz verliert; dazu genügt bisweilen auch die überzeugt in die Welt gesetzte Behauptung, bei einfach allen Waren des eigenen Hauses handele es sich um die Verwirklichung einer besonderen Qualitätsanmutung (der Chef von Audi), auf die das Publikum Wert lege, usw. Es ist eine schwierige, letztlich aber doch leicht machbare Kunst, einen Gebrauchswert unter dem Gesichtspunkt zu entwickeln, dass er das Interesse an einem vergleichbaren Gebrauchswert gründlich zerstört: Auf die schlichte Idee, einen mobilen Blechhaufen innen mit Mahagoni auszustatten und ihn dann zu entsprechenden Preisen zu versilbern, muss man ja auch erst einmal kommen. Jedenfalls hängt in einer modernen Marktwirtschaft vom Erfolg der Bemühungen, mit gigantischen Aufwendungen in die werbewirksame Selbstdarstellung einer Firma und das unverwechselbare Image ihres Produkts die Geistesverirrung eines ‚Publikumsgeschmacks‘ erst zu bilden und dann über den Kauf der eigenen Marke abzuholen, der Geschäftserfolg der Firmen und zusammen mit dem auch die Lebenslage von Hunderttausenden ab, die ihm mit ihrer Arbeit zu dienen haben.

2. Konkurrenz mittels ‚moralischen Verschleißes‘

So bieten die Autokonzerne für jede Geschmacksnuance, die sie bei ihren Kunden heranzüchten, die wunderbaren Dinge an, die das Käuferherz perfekt zu befriedigen verstehen – freilich zu dem Zweck, sich darüber gegen die Konkurrenten den je eigenen Geschäftserfolg zu sichern. Neben dem fürs eigene Unternehmen möglichst erfolgreichen Ausschlachten des gesamtgesellschaftlichen Wahns, mit dem sie ihre Kfz zu Glücksversprechen verklären, kommt es für sie entscheidend darauf an, im Preiskampf gegeneinander zu bestehen, und das Hilfsmittel für den Zweck, mittels Produktion zu billigeren Kostpreisen und über Verkauf zu billigeren Marktpreisen ihre Wettbewerber zu erledigen, ist der ‚technische Fortschritt‘ mit seinen Segnungen für die Arbeitsproduktivität. Um eine anonym vor sich hin prozessierende Wesenheit, deren Früchte dann von industriellen Pionieren zum Wohle aller nutzbar gemacht werden, handelt es sich bei dem allerdings nicht. ‚Moralischen Verschleiß‘[2] hat Marx vielmehr den absurd verschwenderischen Umgang mit der Arbeit und ihren Produkten genannt, der darin besteht, dass in einer kapitalistischen Marktwirtschaft das Vorwärtstreiben der Arbeitsproduktivität, die technische Fortentwicklung der Produktionsmittel, die beständige Revolutionierung der Fertigungsmethoden usw. kein Beitrag zum gesellschaftlichen Reichtum, zur Mehrung des Wohlstands und zur Entlastung von Arbeitsmühen sind: In der Konkurrenz der Kapitale fungieren sie als Mittel der Entwertung, werden eingesetzt, um bei anderen Akkumulationserfolge zunichte zu machen. Lohnstückkosten zu senken, Arbeit im Wege der Einsparung immer noch weiter kapitalistisch rentabel zu machen: Darin haben alle Investitionen in die Umwälzung der Produktion ihr Maß; sie haben als der Hebel zur kapitalistischen Geldvermehrung zu fungieren und finden dementsprechend unbedingt statt. Dabei besteht die Besonderheit der Automobilindustrie darin, dass seit Henry Fords Zeiten der große Umfang der angewandten industriellen Arbeit den besonderen Stachel zur Kosteneinsparung und die hohen Stückzahlen des geschaffenen Produkts die besonders günstige Bedingung für eine beständige Rationalisierung des Produktionsprozesses bilden: In der Jagd nach dem Ideal, die Kosten für den ‚Faktor Arbeit‘ gegen Null zu drücken, den Arbeitsprozess zu automatisieren und umgekehrt das Produkt automatengerecht zu konstruieren, hat die Autoindustrie Wirtschaftsgeschichte geschrieben,[3] heute ist sie der Großkunde für den Highend-Bereich der Rationalisierung, der Robotertechnik.

Der Wettlauf um den Verschleiß der Produktionsmittel wirkt seinerseits als Stachel für die der industriellen Produktion vorgelagerten Bereiche von Forschung und Entwicklung. Haufenweise Wissen aus so gut wie allen naturwissenschaftlichen Bereichen und Technologien zu dessen praktischer Umsetzung ist für die kontinuierliche Neugestaltung des Produktionsprozesses und die permanente Neuerfindung von Produkten verlangt, die von den Notwendigkeiten des Konkurrenzerfolgs diktiert werden: Wissen und Technologie sind Waffen im Wettbewerb der Konzerne, also kommt es auf den Wissensvorsprung an, den der eine gegen die anderen eine Zeit lang erfolgreich monopolisieren kann. Entscheidend ist, wer bei Produkt und Fertigung als erster mit einer ebenso revolutionären wie ausgereiften Neuerfindung einen neuen gesellschaftlichen Standard des produktiv Machbaren etabliert und damit Waren wie produktives Inventar seiner Konkurrenz entwertet, also die Geschwindigkeit, in der neue Konzepte technologisch umgesetzt und marktreif gemacht werden können. Unbedingt, möglichst schnell und auf möglichst allen Gebieten gilt es, jederzeit auf einen innovativen Schlager zur Produktivitätssteigerung zugreifen zu können, der die Fertigung von Massenartikeln noch mehr rentabel macht,[4] und dabei zugleich auch noch allen Anforderungen gerecht zu werden, die vom Zwang zum kontinuierlichen Wechsel der zu fertigenden Produkte gesetzt werden – ein Widerspruch, der sich u.a. mit hochmodernen Modul- und Systemtechnologien bewältigen lässt, in denen komplette Funktionssysteme zu einem Bauteil integriert sind, das dann für verschiedene Modelle verwendbar ist: Das senkt die Produktionskosten und ermöglicht zugleich – dialektische Gratisbeigabe der Standardisierung – eine größere Modellvielfalt und einen schnelleren Modellwechsel der Autofirmen.

*

Allein der Dialektik von Bedarfsweckung und -deckung durch psychologisch geschulte Experten des Marketing und der Anarchie der Konkurrenz überlassen bleibt der gesellschaftliche Bedarf nach Fortbewegungsmitteln zu Lande allerdings nicht: Der politische Hüter des Standorts kümmert sich auf seine Weise darum, dass er auch ordentlich befriedigt wird. Er errichtet und unterhält ein umfängliches Straßenverkehrswesen, mit dem er sein Territorium bis in den letzten Winkel hinein dem ‚Individualverkehr‘ zugänglich macht, mit einem nicht weniger großzügig bemessenen Rechts- und Aufsichtswesen sorgt er dafür, dass sich die unvermeidlichen Risiken der freien Fahrt seiner freien Bürger in Grenzen halten: Mit einem Straßenverkehrsrecht, einer Straßenverkehrsordnung sowie einer dauerpräsenten mobilen Exekutive kümmert er sich zum einen um ein verbindliches Mindestmaß an Ordnung im öffentlichen Verkehrswesen, zum anderen sorgt er mit Auflagen an die Produzenten der fahrbaren Untersätze dafür, dass ihre Vehikel einem Mindeststandard an Sicherheit genügen und auch die Belastung der lieben Umwelt in Grenzen bleibt. Neben den aus den diversen Anforderungen einer gesellschaftlichen Mobilität herrührenden Eigenschaften – Schnelligkeit, Sicherheit, Bequemlichkeit usw. – machen diese staatlichen Auflagen an die Autoproduzenten, von denen später noch in anderem Zusammenhang zu reden ist, die Bedingungen des Gebrauchswerts aus, mit dem von den Herstellern die Konkurrenz um die zahlungsfähige Nachfrage bestritten wird: In der freien Marktwirtschaft von heute sind nicht zuletzt sie es, die zum Katalysator des Wettbewerbs der Fabrikanten werden, zum Stachel ihrer Suche nach beständiger technischer Perfektionierung ihrer Produkte.

3. Konkurrenz mittels Zentralisation

So investieren die Autofirmen in ihrer Konkurrenz um den moralischen Verschleiß Unsummen in die Produktivitätssteigerung ihrer Anlagen, hinzu kommen die Aufwendungen, die sie mit ihrer ‚Modellpolitik‘ in ihrer Konkurrenz um Marktsegmente und Käuferschichten zu tätigen haben, und beim Vorschießen des nötigen Geldes tun sie sich keinen Zwang an. Sie kalkulieren ihre Produktion als Hebel einer erfolgreichen Markteroberung, planen den Erfolg ihrer Investitionen als ein in fernen Jahren sich einfindendes Bilanzergebnis ein. Dafür stellen sie schon jetzt alle produktiven Mittel bereit, und zwar möglichst überall dort, wo sich ein erfolgversprechender Markt auftun lässt – und heraus kommen die für die Automobilindustrie typischen strukturellen Überkapazitäten. Die Konzerne kalkulieren die Kosten einer jetzt in jeder Hinsicht überdimensionierten Produktionsanlage im Vergleich zu denen einer später eventuell nötigen Produktionserweiterung – und entschließen sich zu einem Geschäftserfolg, dem einfach nichts zu teuer sein darf: Sich jetzt nicht rentierende Investitionen in Produktionsanlagen sparen nach ihrer Rechnung ‚Kosten‘, die bei verlängerten Lieferzeiten fürs eigene Produkt – von der irgendwann boomenden Nachfrage nach ihm geht man aus – über das Abwandern der Kundschaft zur Konkurrenz entstehen; und in ‚neuen Märkten‘, auf denen die Konkurrenz noch nicht vertreten ist, erscheint ihnen das Hinstellen einer ‚Überkapazität‘ des eigenen Angebots gleichfalls als nicht zu teuer, kommt sie doch einem zeitlichen Monopol für den Zugriff auf Nachfrage gleich.[5] Also wird von den Autokonzernen investiert, in die beständige Modernisierung ihrer Modelle und deren Produktion wie in die beständige Erweiterung des Geschäfts. Die dafür aufzuwendenden Summen haben von vornherein ihr Maß nicht in den Erlösen, die ihnen ihre bisherigen Erfolge bei der Ausbeutung rentabler Arbeit erbracht haben, und die Techniken, sich dieses Kapitalmangels zu entledigen, lassen sich in der Autoindustrie wiederum besonders eindrucksvoll studieren. Angesichts der Dimension des Produzierens in dieser Branche ist jedes in nur einer Hand konzentrierte Kapitalvermögen zu klein. Die Aktiengesellschaft, die durch die Zusammenfassung des Vermögens Vieler das Hervorbringen einer Kapitalgröße ermöglicht, die für einen Erfolg im Wettbewerb erforderlich ist, ist daher von Anbeginn die adäquate Form der Kapitale dieser Branche. Das Anspruchsniveau in Sachen produktiver Vermehrung, auf dem sich Kapital der Größenordnung einer AG bewegt, reicht dann freilich auch über alle gewöhnlichen Techniken hinaus, über ein Mehr an eigener Geschäftstätigkeit auch mehr Kapital auf sich zu konzentrieren: Man sucht seinen Wachstumserfolg nicht mehr allein durch die Ausdehnung des eigenen Geschäfts und so durch ein Mehr an eigener Akkumulation, sondern über die Zentralisierung von Kapital im Wege der Übernahme fremder Geschäftstätigkeit: Man verschafft sich mehr Marktanteil und Kapitalmacht, indem man florierende wie im Wettbewerb unterlegene Konkurrenten aufkauft, andere individuelle Kapitale also einfach aufsaugt und deren Markt- und Kapitalmacht der eigenen zuschlägt. Die spezielle Form der AG, in der die Autokonzerne verfasst sind, ist dann auch für diese Methode ihrer Konkurrenz gegeneinander wie geschaffen. Im Wege einer Aktienbeteiligung an der Gesellschaft des Wettbewerbers eröffnet sich einem der finanztechnische Weg zur Zentralisierung des Kapitals in eigener Hand. Man stärkt den ‚Börsenwert‘ und damit die Finanzmacht des Konkurrenten keineswegs nur, um als Aktionär an dessen zukünftigem Erfolg teilzuhaben. An den Erwerb eines entsprechend dimensionierten Aktienpakets knüpft sich die weitergehende Berechnung, mitbestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik des Unternehmens zu gewinnen und sie zum eigenen Vorteil zu lenken, und oft genug fädelt man auf diese Weise seinen ersten Schritt zur kompletten Übernahme des Ladens ein, die dann in einer Fusion besiegelt wird. Denn vor allem Fusionen mit einem Konkurrenten[6] – oder weniger höflich: dessen Übernahme im Wege des Aufkaufens – führen zu der Kapitalgröße, die einem Marktbeherrschung verspricht: Man verzichtet auf die weitere Konkurrenz gegen einen Wettbewerber – und gründet im Wege des Zusammenlegens des eigenen mit dessen Kapital eine Kapitalmacht, die ein Überleben im Kampf gegen den Rest der Konkurrenz zu garantieren vermag.

Diese Macht der eigenen Größe ermöglicht einem Konzern dann auch umgekehrt die nur scheinbar dem Zweck des eigenen Größer-Werdens widersprechende ‚Wettbewerbsstrategie‘ eines Outsourcens von Abteilungen der eigenen Fertigung. Er verfügt über ganze Sphären der industriellen gesellschaftlichen Produktion und funktionalisiert diese zu seinen Zuliefererbetrieben um, die ihn mit all dem technologischen Stoff zu versorgen haben, den er für das Dauerprogramm der Rationalisierung braucht – ihren Niederschlag findet diese Verfügungsmacht und –freiheit in dem Strukturwandel, der speziell in der europäischen und deutschen Autoindustrie um sich greift:[7] In den letzten 10 Jahren hat sich der Anteil der Autofirmen an der automobilen ‚Wertschöpfung‘ halbiert, aktuell umfasst er ca. 25%, in den modernsten Fabriken auch 10% und weniger. Die auf diesem Weg herbeigeführte ‚verschlankte Produktion‘ oder ‚geringe Fertigungstiefe‘, die einen Teil der ursprünglich eigenen ‚Wertschöpfung‘ anderen als Quelle ihres Profits überlässt, hat ‚Rationalisierungseffekte‘ zur Folge, die der Kapitalmacht des Konzerns gleich doppelt zugute kommen: Indem er sein Geschäftsinteresse an billigerem Bezug von Vorprodukten zur Triebfeder des Engagements anderer Kapitalisten macht, spart er sich rentabilitätssteigernde Investitionen in den eigenen Produktionsbetrieb. In Gestalt dieser Ersparnisse verfügt das Unternehmen dann umgekehrt gleich wieder über mehr von den Mitteln, die es zum einen für die Senkung von Lohnstückkosten in dem großem Maßstab braucht, der für diese Branche kennzeichnend ist, und die zum anderen die sog. ‚Kriegskasse‘ munitionieren, mit der es seinen Kampf um eigene Kapitalgröße durch die Übernahme anderer führt.

4. Konkurrenz global

Angesichts der Größenordnung des Kapitals, das auf dem Automobilsektor angelegt ist und Ansprüche auf Verwertung akkumuliert, ist jeder ‚nationale Markt‘ zu klein. Die großen Konzerne jedenfalls warten gar nicht erst ab, bis sie an dessen Schranken stoßen – nicht einmal im riesigen Binnenmarkt der USA! –, sondern machen sich daran, sich auch den Rest der Welt als Sphäre für den Absatz ihrer Erzeugnisse zu erschließen: Die auf ihre Standorte verteilte Erdbevölkerung kommt ihnen vor wie eine riesige Masse virtueller Verkehrsteilnehmer, die von ihnen und mit ihren feinen Produkten zu wirklichen Autofahrern erst zu machen wären, und was das Allerschönste an dieser Sicht der Dinge ist: In der Größe ihres Kapitals haben ihre Urheber das Mittel zur Verfügung, sie praktisch wahr werden zu lassen – und über die Eroberung der Märkte auch jenseits ihrer Heimatländer die Erdenbürger mit dem zivilisatorischen Quantensprung zu beglücken, den sie daheim in ihren Fabriken schaffen lassen. Die Schranken, die beim Export von Autos zu überwinden sind – beim Transport sind große Entfernungen zu überbrücken, fremde Sitten und Gebräuche im Verkehrswesen stellen neue Anforderungen an die Konstruktion der Autos –, mögen auch für sie Kosten bedeuten; der gigantische Aufwand, den sie zur Überwindung dieser Schranken betreiben, zeigt aber schon, von welch relativem Gewicht sie für diese Großkonzerne sind: Autos, die für die Weltregionen mit Linksverkehr taugen, lassen sie auch in kleiner Stückzahl zu konkurrenzfähigen Preisen zusammenbauen, ihre große Nachfrage nach Transportmitteln spornt unmittelbar den Bau von Frachtschiffen zu Höchstleistungen an, die mit ihrer zunehmenden Größe dann wieder die Transportkosten merklich reduzieren. Wo Währungsschwankungen den Ertrag auch erfolgreicher Exportoffensiven zu gefährden drohen oder Zölle, Kontingentierungen und andere Hindernisse seitens der Importländer ihnen den Marktzugang erschweren, legen sie Zeugnis von den Freiheiten ab, die sich Kommandeure großer Kapitale auch gegenüber Staaten herausnehmen können. Selbst wenn sie gegen ‚Wechselkursrisiken‘ durch die Geschäfte ihrer eigenen Finanzabteilungen ‚versichert‘ sind: Dass in dem einen oder anderen Fall ein Staat etwas zur ‚Währungspflege‘, die ihren Geschäftserfolg sichert, zu tun hat, lassen sie den bei Bedarf schon wissen, gleichfalls, dass sie tarifäre und nichttarifäre ‚Handelshemmnisse‘ teils keinesfalls hinzunehmen bereit sind, teils auf ihrer Einführung bestehen müssen. Solches können sie sich erlauben, weil diese Staaten ihrerseits sehr an den Geschäften interessiert sind, die mit den ausländischen Großkonzernen da in großem Maßstab laufen, und ihr Interesse an gutem Einvernehmen mit denen gewinnt für sie nur noch mehr an Gewicht, wenn diese das Projekt, sich anderswo einen Markt zu erobern, über den Export der Produktionsanlagen ihrer Vehikel vorantreiben: In vor Ort errichteten Montagefabriken, in denen die aus dem Stammland angelieferten Werkteile endmontiert werden, in mehr oder weniger selbständigen Tochterfirmen mit eigener Verwaltung, eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen und in dem ganzen übrigen Rest, den ein moderner Konzern für seinen Betrieb so braucht, entdeckt ein von Multis zum Kapitalstandort gewähltes Land unmittelbar eine Wachstumsquelle für sich.

Genau so, wie sie die ganze Welt als eine einzige Nachfrage nach ihren Produkten begreifen, benutzen die Autofabrikanten den Globus also auch praktisch als eine einzige Anlagesphäre ihres Kapitals. Im Kampf um den Geschäftserfolg eröffnet ihnen der länderübergreifende Ortswechsel, zu dem sie ihre Kapitalmacht instandsetzt, neue Freiheiten der Kalkulation, die auch in Bezug auf ihren heimischen Markt nicht ohne Folgen bleiben. Die Fabriken im Heimatland wie die auswärts errichteten oder auch nur geplanten Fertigungsstätten werden als Momente eines weltweiten Fertigungsverbunds betrachtet und penibel auf ihre jeweiligen geschäftsfördernden und -schädigenden Voraussetzungen hin überprüft. Landestypische Besonderheiten der verfügbaren Infrastruktur wie der Steuergesetzgebung und des Gewinntransfers, der Verfügbarkeit, der Qualifikation und vor allem des Preises der Arbeitskräfte – alles geht als kalkulatorische Größe in eine Kostenrechnung ein, an der die einzelnen Produktionsstandorte miteinander verglichen werden und an der – in Kombination mit den ermittelten Absatzchancen eines ‚neuen Marktzugangs‘ – sich dann die Wahl des Standorts der Produktion entscheidet. Wenn ein Konzern wie VW zum Beispiel bei der Auftragsvergabe für die Produktion eines neuen Wagens den Standort Portugal mit Deutschland an dem Kriterium vergleicht, wo sich für ihn das Produzieren mehr rentiert, dann gibt er damit deutlich zu verstehen, welchen Status seine Gastländer für ihn haben: Für einen großen internationalen Autokonzern besitzen sie mit ihrem menschlichen Inventar und allem Übrigen, was sie an ‚Angebot‘ für dessen lohnende Ausbeutung darstellen, ungefähr die Funktion einer riesigen, staatlich gemanagten Zulieferfirma. Wenn die allen an sie gesetzten Anforderungen genügt, hat VW in Portugal seinen neuen Standort – und in Wolfsburg wächst die Zahl der Arbeitslosen auch noch deswegen an: So viel Zugriffsmacht und -freiheit hat ein Großkonzern in einer staatlichen Welt, in der alle nur noch erfolgreiche kapitalistische Standorte sein wollen.

So tobt parallel zum erbitterten Kampf um Marktanteile auf den heimatlichen Märkten die globale Konkurrenz der Autokapitale: Im Wettlauf, mit stets neuen Produkten und immer mehr Investitionen in deren produktivere Herstellung, also ständig verbilligten und darüber noch rentabler gemachten Arbeitskräften die Konkurrenz von ihren Stammmärkten zu verdrängen, in derselben Manier möglichst frühzeitig und umfassend erfolgversprechende Zukunftsmärkte zu besetzen und andere vom Zugang zu ihnen auszuschließen,[8] bleiben ganze nationale Großkonzerne auf der Strecke. Die Zahl der unabhängigen Autofirmen hat sich weltweit in den letzten 25 Jahren von 35 auf 13 reduziert, Fachleute spekulieren, dass demnächst noch fünf Konkurrenten übrig bleiben könnten. Wo die Verlierer nicht gleich zusperren und ganze Fabrikanlagen stilllegen, werden sie im Zuge der Zentralisation von der Konkurrenz übernommen. Andere sehen in den einer Fusion vorgelagerten Formen einer strategischen Zusammenarbeit, nämlich in der teilweisen Suspendierung eigener Konkurrenzanstrengungen ihre Chance. Sie sparen sich aufwendige Entwicklungsarbeiten, lassen gemeinsame Modell-Plattformen fertigen und konkurrieren dann mit den besonderen Accessoires um die Gunst der Kunden, die sie jeweils um identische Motoren oder Bodengruppen drapieren. Wieder andere reduzieren die Kosten für den Aufbau und die Unterhaltung eines eigenen Vertriebsnetzes zur Erschließung ‚neuer Märkte‘ in Lateinamerika, Asien und sonst wo, indem sie beim Aufbau dieser für die Beteiligten gleichermaßen unverzichtbaren Bedingung fürs anschließende Konkurrieren gegeneinander gemeinsame Sache machen. Daneben gibt es Formen einer finanziellen Verflechtung bis hin zur Überkreuzbeteiligung beim Aktienkapital, ohne dass deswegen die Konkurrenz gegen den Geschäftspartner storniert würde.

Kein Wunder, dass sich die Konzerne mit all diesen Techniken ihrer Konkurrenz in eine Krise hineinwirtschaften. In der bleibt nicht nur an der einen oder anderen Stelle ein Hersteller auf einem seiner Produkte sitzen, sondern so gut wie alle leiden quer durch die Palette ihres Angebots unter Umsatzeinbrüchen. Selbige haben sie auch nicht nur auf dem einen oder anderen Markt zu verzeichnen, sondern die weltweit zusammenaddierte Zahlungskraft gibt die Erlöse nicht her, die allein die riesigen Investitionen in ihre Produktionsanlagen und ihre Millionen produzierter Autos zu einem für sie rentablen Geschäft machen würden. Und so, wie sie mit exorbitanten vorgeschossenen Kapitalsummen, die sich nicht verwerten, Vorreiter der globalen Wirtschaftskrise sind, sind die Konzerne der Autobranche auch Vorbilder der globalen Krisenkonkurrenz, die den Prozess der Zentralisierung weiter vorantreibt: Das Arsenal der Methoden, mit denen sie ihren Preiskampf führen, gelangt mit der ausdrücklichen Zielsetzung zum Einsatz, die Konkurrenz als Hindernis des eigenen Markterfolgs auszuschalten. Verdrängungswettbewerb nennt sich das Bestreben, die eigene Kapitalmacht letztendlich vernichtend gegen den Konkurrenten in Anschlag zu bringen und dessen Marktmacht zu usurpieren. Dazu führen die Konzerne auf den heimischen wie internationalen Märkten vornehmlich ihre berühmten Rabattschlachten. Zugunsten der Masse an Profit, die sie angesichts der kontrahierten gesellschaftlichen Zahlungskraft noch an Land ziehen können, ignorieren sie für eine gewisse Zeit das Verhältnis gleich komplett, in dem der Profit zu den für die Produktion ihrer Waren getätigten Aufwendungen steht. Rücksichtslos gegenüber dem Maß, an dem sich die Rentabilität ihres gesamten Geschäfts bemisst, setzen sie den Verkaufspreis ihrer Wagen herab, zur Not eine Weile auch noch unter das Niveau ihrer Herstellungskosten – und ihre Konkurrenten damit dem Zwang aus, es ihnen früher oder später gleichzutun, wollen sie nicht an Marktmacht verlieren. Sie rechnen damit, dem Kostendruck, unter dem sie leiden und den sie auf diese Weise verschärft zum Leiden aller machen, besser gewachsen zu sein und den Verzicht auf einen Teil ihres Profits länger auszuhalten als ihre Wettbewerber – und setzen im Gegenzug alle anderen Kostenfaktoren unter Druck.

Das trifft im unmittelbaren Umkreis ihrer ökonomischen Verfügungsmacht zuallererst die Belegschaften, die sie kommandieren. Die Aufwendungen, mit allen technischen Künsten der Rationalisierung die Lohnstückkosten auf ein konkurrenzlos niedriges Niveau abzusenken, unterbleiben deswegen, weil sie nur bedingt Erfolg versprechen, natürlich nicht; zusätzlich zu ihnen wird über die Lohnquote ganz ohne jeden technischen Aufwand herrschaftlich verfügt. Die Unternehmen betreiben Kostensenkung, indem sie sich eines Teils ihres Personals entledigen und dem verbleibenden Rest ihrer Mannschaft ein interessantes Angebot unterbreiten: Wollen sie in ihren heimatlichen Stammwerken – die Welt als Standort steht ja alternativ zur Verfügung! – weiter beschäftigt werden, dann haben die lieben Mitarbeiter dafür zu sorgen, dass ihre Arbeit das Unternehmen weniger kostet. Nur dann ist sie angesichts der schwierigen Marktlage noch rentabel, und sofern sie dies dann ist, hat das Unternehmen auch gleich wieder mehr Bedarf nach ihr. Auf Basis aller erfolgreich in die betriebliche Praxis umgesetzten technischen Methoden der Produktivitätssteigerung, die sie sich jede Menge kosten lassen, werden die Chefs der Autoindustrie zu Vorkämpfern des Prinzips der kapitalistischen Ausbeutung von Arbeit in seiner ganzen barbarischen Einfachheit – Aneignung unbezahlter Mehrarbeit: Dazu erpressen sie ihre Belegschaften mit einer ‚konzerninternen Kostenkonkurrenz‘, mit der Drohung einer kompletten ‚Standortverlagerung‘, mit eigens erfundenen Entgeltformen wie ‚5000 x 5000‘[9] oder auch nur mit dem schlichten Gebot, generell zu geringeren Löhnen mehr Arbeit abzuliefern. Einen Sinn für Gerechtigkeit aber haben die Konzernherren bei all dem schon auch noch: Sie sorgen dafür, dass ihre Arbeiter nicht die einzigen Opfer der Krise bleiben, in die sie selbst sich gewirtschaftet haben. Den Zwang zur Kostensenkung machen sie auch für ihre Zulieferer verbindlich. Die haben, wollen sie weiter im Geschäft bleiben, ihre Vorprodukte einfach billiger abzugeben; wie sie das hinbekommen, bleibt ihnen überlassen, ist im Übrigen aber auch überhaupt kein Rätsel: Genau so, wie ihre Auftraggeber es ihnen vormachen, haben auch sie aus ihren Arbeitern das Quantum Mehr an rentabler Arbeit herauszupressen, das ihren Profit auch bei reduzierten Erlösen sichert.

III. Die Konkurrenz der Nationen

1. Zu den Besonderheiten einer Schlüsselindustrie

Die kapitalistischen Nationen schätzen ihre Autoindustrie als eine Hauptquelle des nationalen Reichtums wie als Hebel zur Beförderung der gesamten Akkumulation auf ihrem Territorium: Deren vor- und nachgelagerte Bereiche addieren sich zu beträchtlichen Teilen der Volkswirtschaft; in der ‚Wertschöpfungskette‘, wie der nationalökonomische Sachverstand dasselbe nennt, dieser Branche ist von der Stahlproduktion, dem Metall- und Maschinenbau bis hin zur chemischen Industrie und zur Energiewirtschaft alles mit eingebunden, was in einem modernen Standort ökonomisch von Gewicht ist. Des Weiteren ist die Autoindustrie Zentrum wie Schrittmacher des technischen Fortschritts im nationalen Standort, definiert den Standard an Produktivität maßgeblich mit, der sich dann von seinen Zentren ausgehend in allen Abteilungen des nationalen Geschäfts zu dessen Produktivitätsniveau verallgemeinert: Sind die neuesten Technologien erst einmal hier erprobt, massenhaft angewendet und durch ihre massenhafte Herstellung selbst entsprechend verbilligt, wird ihr Einsatz auch in anderen Branchen rentabel. Zudem ist die Automobilproduktion das Scharnier zwischen den klassischen Industriezweigen, die Europa groß gemacht haben, und den neuen Hochtechnologien, von denen die europäischen Führer sich die entscheidenden Impulse für künftiges Wachstum versprechen.[10]

Speziell für das Autoland Deutschland – hier finden 45% der automobilen Wertschöpfung der EU-15 statt – ist die Autoindustrie das Herzstück der nationalen Reichtumsproduktion. Dabei setzen deutsche Autokonzerne im Zuge ihrer rentablen Bewirtschaftung der Arbeit schwerpunktmäßig auf eine Technologieführerschaft und suchen nicht nur im Fahrkomfort bei Vollgas und Schlaglöchern, sondern auch in Sachen Verkehrssicherheit, Umweltschutz und Energieökonomie weltweit führend zu sein. Indem sie die negativen Wirkungen und Schranken des Individualverkehrs zur Grundlage ihrer ganz besonderen Erfolgsstrategie machen, wird umgekehrt die Autoindustrie in Deutschland noch mehr als in anderen Nationen zum entscheidenden Träger des technologischen Fortschritts. Das deutsche Autokapital bedient sich dabei der Bedingungen des deutschen Forschungs- und Technologiestandortes sowie der Spitzenstellung des deutschen Maschinenbaus, die ihrerseits wiederum Resultat der erfolgreichen deutschen Autoindustrie ist. So hat die deutsche Autoindustrie einen wesentlichen Teil des technologisch-industriellen Komplexes im Schlepptau, der die Grundlage nationalen Reichtums und nationaler Größe ist.

Allein darin, innerhalb einer kapitalistischen Nation als riesige Maschinerie des Kapitalwachstums zu fungieren, geht die Bedeutung einer Autoindustrie jedoch nicht auf: Die Wirtschaftsmacht des nationalen Standorts, die auf sie zurückgeht, greift von ihr ausgehend auch über dessen Grenzen hinaus. Was sie im Inneren der Nation an kapitalistischer Verfügungsmacht darstellt, übersetzt sich in den internationalen Handelsbeziehungen, die ein moderner Standort unterhält, unmittelbar in eine Zugriffsmacht auch auf den Reichtum, der in anderen Ländern zu verdienen ist. Eine Autoindustrie, die dank ihrer überlegenen Produktivität dazu in der Lage ist, erst mit dem Export ihrer Produkte, dann mit dem ganzer Produktionsanlagen in den Bedarfsabteilungen Transport & Mobilität weltweit die Zahlungsfähigkeit für sich in Beschlag zu nehmen, ist ein gewichtiges Instrument einer jeden Nation, die es mit ihrer Wirtschaftsmacht auch zu einer Weltwirtschaftsmacht bringen will. Zu Recht beehren daher nationale Führer wie Nationalökonomen die Autoindustrie ihres Landes mit dem Titel einer Schlüsselindustrie. Sie würdigen damit das Gewicht, das diese Abteilung der industriellen Produktion für die Wirtschaftskraft ihres Landes hat – und bringen zugleich das Interesse zum Ausdruck, das sie deswegen an einem weiteren Erfolg der Kapitalisten dieser Branche haben und auch praktisch wahrzunehmen gedenken.[11] Sinngemäß gilt das Motto des amerikanischen Imperialismus: ‚Was gut ist für GM, ist auch gut für Amerika!‘ erst einmal für jede Nation, die einen Autokonzern ihr eigen nennt – und entsprechend stark machen sich diese Nationen denn auch als Schutz- und Garantiemächte des Erfolgs ihrer industriellen Herzstücke, nach innen wie nach außen.

In etwas anderer Bedeutung bekommt schließlich auch noch das arbeitende Fußvolk im Standort das Gewicht einer ‚Schlüsselindustrie‘ zu spüren. Traditionell werden in diesem modernen Profit-Zentrum eines kapitalistischen Standorts an die Verausgabung von Arbeitskraft mit die höchsten Anforderungen gestellt und die – am gesellschaftlichen Durchschnitt gemessen – höheren Löhne bezahlt; auch in der Hinsicht hat die Autoindustrie die Traditionsbranchen ‚Stahl- und Bergbau‘ ersetzt. Die schiere Masse der Leute, die hier auf gehobenem Niveau beschäftigt wird, sorgt dafür, dass die Autoindustrie nicht nur in Bezug auf das nationale Lohnniveau maßstabbildend ist, sondern auch in Hinblick auf alle übrigen Umgangsformen mit Lohn und Lohnarbeitern dem Kapitalstandort maßgeblich seine jeweils nationale Ausprägung verleiht: Wegen der Größe und Bedeutung dieser Industrie entscheidet sich hier viel für das Klassenverhältnis in der Gesellschaft, für den Stellenwert der Gewerkschaft, für den Verkehr zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern, fürs staatliche Regulierungswesen und überhaupt für die im Umgang mit dem ‚Faktor Arbeit‘ im Standort praktizierten Sitten – im Guten wie im Schlechten. In Deutschland z. B. war die Autoindustrie lange Zeit Vorreiter und Vorbild des Prinzips, dass Unternehmen und Gewerkschaften ‚an einem Strang ziehen‘;[12] was an ‚Humanisierung der Arbeit‘, ‚Konzepten der Gruppenarbeit‘, ‚Entgeltmodellen‘ und anderen effektiven Techniken rentabler Ausbeutung von Arbeit in dieser „Schlüsselindustrie“ erfunden und in die Tat umgesetzt wurde, verallgemeinerte sich von der ausgehend auch im Rest des Standorts. Umgekehrt kommt daher in Zeiten, in denen es diese Standorte vor allem in Bezug auf das Verhältnis von Lohn und Leistung international wettbewerbsfähig zu machen gilt, auch der Branche der Autoproduktion eine Schlüsselrolle zu: Bei der Senkung des nationalen Lohnniveaus spielt sie den Vorreiter. In ihr gibt es besonders viel abzubauen an Lohnkosten, die, blickt man nur einmal kurz nach Osten oder auch nach Portugal, ein einziger Standortnachteil sind, Exportweltmeister hin oder her. Der Abbau dieser Kosten erfolgt in ihr dann auch gleich in derartigen Größenordnungen – in Bezug auf die Höhe der eingesparten Lohnsummen wie auf die Zahl derer, die wahlweise von Mehrarbeit, Lohnkürzungen oder Entlassungen betroffen sind –, dass ein neues ‚Arbeitszeit- und Entgeltsystem‘ bei VW oder Daimler nicht zu Unrecht schon als ein gelungenes Stück der ‚Sanierung‘ gefeiert wird, die der Gesamtstandort Deutschland braucht. Dass sich die Verelendung der Massen in Wolfsburg und Sindelfingen dann auch als nachahmenswertes Vorbild in seinem ganzen Rest jenseits der Automobilbranche empfiehlt, versteht sich da ganz von selbst.

2. Die politische Betreuung einer nationalen Reichtumsmaschine

In bestem Wissen darum, was sie an ihrer Autoindustrie haben, überlassen die kapitalistischen Staaten deren Geschäftserfolg nicht dem Zufall.[13] Mancherorts geht ihre Gründung ohnehin auf einen staatlichen Hoheitsakt zurück und wirtschaften die Autokonzerne mit dem Kredit des Staates als ihrem Kapital. In Ländern wie Frankreich arrangiert der Staat selbst die Zentralisierung seiner Firmen zum Großkonzern PSA und überlässt den auch in der weiteren Konkurrenz nicht allein seinem Schicksal. Und Italien, wo sich die industrielle Potenz des Landes um einen Fiat-Konzern gruppiert und damit auch die Finanzmacht der Nation zu einem gewichtigen Teil an dessen Erfolgen hängt, versteht sich die staatliche Aufmerksamkeit, die dem Konzern gilt, ohnehin von selbst. Nicht minder ist man in Deutschland entschlossen, die eigene Rolle als führendes Auto-Land immer wieder neu zu verteidigen (Ex-Wirtschaftsminister Clement), und betreibt dazu zunächst auf regionaler und nationaler Ebene die zum Ziel führende Wirtschafts- und Industriepolitik. Bei der Bereitstellung ‚allgemeiner Geschäftsbedingungen‘ für eine erfolgreiche kapitalistische Ausbeutung lassen es die politischen Betreuer des Standorts hier jedenfalls nicht bewenden: Der Erfolg dieser Industrie liegt derart in öffentlichem Interesse, dass es selbstverständlich auch für die größten Fanatiker eines ‚Wirtschaftsliberalismus‘ und Kämpfer gegen ‚staatlichen Dirigismus‘ höchste Verpflichtung ist, als Vertreter des Allgemeinwohls den Handvoll Kapitalisten zu Diensten zu stehen, die dieses Wohl so nachhaltig befördern. Die Ansiedlung ihrer Fertigungsstätten macht man ihnen daher mit Steuererleichterungen und anderen Formen geldwerten Entgegenkommens schmackhaft. Wo sie es wünschen, baut man ihnen einen eigenen U-, S- oder Autobahnanschluss ans Firmengelände. Auch die Freiheit der Wissenschaft an den Universitäten erfreut sich einer besonderen staatlichen Fürsorge und bekommt die Adresse mitgeteilt, an die sie ihr für den Konkurrenzerfolg der Sphäre so nützliches Wissen abzuliefern hat.[14] Mit Schröder ist ausgemacht, dass Autokanzler ein einziges Kompliment ist und keineswegs Kritik an der unbedingten Dienstbarkeit für die Geschäftsherren dieses Industriezweigs meint, die ein Regierungschef sich heraushängen lässt: Volkswagen ist das industrielle Herzstück Niedersachsens. Ohne Volkswagen ist der Industriestandort Niedersachsen nur noch die Hälfte wert. Schon aus diesem Grund gibt es für die Niedersächsische Landesregierung keine Neutralität, wenn es um Wohl und Wehe des wichtigsten privaten Arbeitgebers im Lande geht (Ex-Kanzler Schröder). Die Vertreter des Allgemeinwohls leiern zur Beförderung des Erfolgs der Branche einen industriepolitischen Dialog zwischen Staat und Wirtschaft mit ihren Unternehmen, Banken und Gewerkschaften mit dem Ziel einer gemeinsamen Ausrichtung der Kräfte an, dessen Zweck sie in der Kontaktvermittlung von Unternehmen sehen, die sich sonst nur über den Markt als Kontrahenten begegnen (ders.) – und bestellen sich so selbst zu Anwälten und Förderern nicht nur der Techniken, die Kapitalisten dieser Sphäre in ihrer Konkurrenz gegeneinander in Anschlag bringen: Sie haben auch ihre eigenen Ideen, wie man ihre Konkurrenz eventuell ein wenig regulieren und zu einer national schlagkräftigeren Ausrichtung hindirigieren könnte. In diesem Sinne moderiert und initiiert man politisch die Konzentrationsprozesse, die in Gestalt von Entwicklungs- und Produktionsgemeinschaften für Systeme und Module innerhalb der Zulieferer-Industrie entweder schon im Gange sind oder befördert werden sollen, und unterstützt mit Nachdruck alles, was die Autokonzerne in ihrem Kampf um die für den Konkurrenzerfolg überlebenswichtige Kapitalgröße tun – die Landesregierung begrüßt das Daimler-Chrysler-Interesse an VW. Wir stehen seit Jahren in guten Gesprächen, und vermehrte Kooperationen liegen in beiderseitigem Interesse (SZ, 1.10.05). Vor allem nämlich liegen solche Kooperationen im Interesse des deutschen Staates, dessen Beifall daher auch dann laut wird, wenn nicht DaimlerChrysler, sondern Porsche groß in den niedersächsischen Autokonzern einsteigt und Hauptaktionär wird. Auch so kommt als vorläufige Zwischenetappe der Krisenkonkurrenz in der deutschen Automobilbranche immerhin eine deutsche industriepolitische Lösung heraus – wobei das Prädikat ‚deutsch‘ nur unterstreicht, dass der Staat dann, wenn er sich um den nationalen Besitzstand seiner Autoindustrie kümmert, selbstverständlich immer auch alles im Blick hat, was ihre Eigenschaft als einer Hauptquelle der nationalen Erlöse aus dem Exportgeschäft betrifft. Diesem Interesse widmet er daher auch ein eigenes politisches Engagement.

3. Die staatlichen Interessen an und auf einem „globalisierten Automarkt“

Wegen des großen Gewichts, das ihre „Schlüsselindustrien“ für die kapitalistischen Nationen besitzen, erfreut sich deren internationaler Wettbewerb einer ganz besonders aufmerksamen staatlichen Betreuung: Im Weltgeschäft mit Autos lässt sich exemplarisch studieren, wozu sich die Staaten ihren ‚Freihandel‘ eingerichtet haben und mit welchen Instrumenten sie daher auf dessen von ihnen gewünschten Gang einwirken.

  • Wenn sie ihre Großkonzerne und damit Hauptquellen des Wachstums, das ihre Machtgrundlage ist, einem globalisierten Wettbewerb aussetzen, dann natürlich zu dem Zweck und in der Berechnung, dass die den Wettbewerbsvergleich auch erfolgreich bestehen. Zur Weltwirtschaftspolitik imperialistischer Staaten gehört daher zuallererst der Protektionismus, mit dem sie speziell die Konkurrenz ihrer Großindustrien begleiten und so gleichzeitig für deren Bestandsschutz wie Konkurrenzerfolg zu sorgen suchen: Der freie Handel auf dem Welt-Automarkt läuft auch in Zeiten einer WTO und „Globalisierung“ auf Basis fein austarierter Zollvorschriften und Sondersteuern, Einfuhrquoten, Lizenzvereinbarungen, ‚Abkommen zur freiwilligen Selbstbeschränkung‘ bei Importen usw., und er wird vom Dauerstreit der Nationen über die unzähligen Handelshemmnisse begleitet, die sie wechselseitig bei der jeweils anderen in Steuergesetzen, Zulassungsvorschriften, Sicherheitsstandards oder Regeln für den Umweltschutz ausfindig machen.[15]
  • Im Niederringen solcher dem eigenen Geschäftserfolg bei anderen im Wege stehender ‚Wettbewerbsschranken‘ besteht daher auch schon der erste Teil der Maßnahmen zur Exportförderung, mit denen die Staaten den internationalen Geschäftserfolg ihrer Autoindustrien befördern. Der zweite Teil konzentriert sich auf spezielle Formen industriepolitischer Unterstützung, die eigens den Firmen des autoindustriellen Komplexes im heimatlichen Standort gewidmet sind. Was der deutsche Alt-Kanzler mit dem kleinen Wörtchen ‚muss‘ erledigt – da die Industrialisierung der Welt voranschreitet und immer mehr Länder vergleichbare Industrieprodukte anbieten, muss die Landesregierung auch die außenwirtschaftliche Position ihrer Automobilindustrie im Blickfeld haben –, meint der Sache nach das Interesse, das der deutsche Staat – hier eben in Gestalt einer Landesregierung, aber was gut ist für VW, ist gut für Niedersachsen und den Standort D – am Außenhandelserfolg seiner Autokonzerne wie ihres industriellen Anhangs hat. Auch da haben Staatsmänner in Gestalt ihrer politischen und finanziellen Verfügungsmacht die Mittel in Händen, sich überall dort, wo ihnen die Erträge aus dem kapitalistischen Weltgeschäft zu gering ausfallen, an die Optimierung der Geschäftsbedingungen ihrer „Schlüsselindustrie“ zu machen – vor allem dem berühmten Mittelstand der deutschen Zulieferer-Industrie gilt es den Weg auf den Weltmarkt zu ebnen: Auch Eberspächer, Mahle und alle anderen aufs Zuliefern der Autokonzerne spezialisierten Spitzenbetriebe sollen global präsent sein, sollen im Schlepptau ihrer heimischen Abnehmer auch an den auf der Welt verstreuten Produktionsstätten deutscher Automobile antreten und dort die Wettbewerber mit ihrer überlegenen Produktivität vom Markt fegen. Der Staat leistet ihnen dabei gerne Hilfe, indem er zur Förderung der Auslandsinvestitionen kleiner und mittlerer Unternehmen, auf Länder- wie auf Bundesebene, Garantiefonds für Auslandsbeteiligungen und ähnlich nützliche Instrumente zur Verfügung stellt.
  • Wenn die Staaten sich um den Erfolg ‚ihrer‘ Automobilindustrie kümmern, ist das besitzanzeigende Fürwort für sie von relativem Gewicht. Den kapitalistischen Erfolg der Branche, den Ertrag ihres Akkumulierens, der sich als Wachstum im Standort, in Gestalt von Steuereinkommen, ‚Binnennachfrage‘ usw. niederschlägt und die Grundlage der Freiheiten stiftet, die sie sich bei ihren Haushaltsplanungen herausnehmen können, haben die Standorthüter im Auge, wenn sie von ‚ihrer‘ Autoindustrie reden. Um dieses Wachstum im Standort können sich also nicht nur auch auswärts ansässige Konzerne verdient machen – sie sollen dies auf ausdrücklichen Wunsch des Staates hin auch tun, und damit sie es gerne tun, betreibt er nach außen eine Konkurrenz um Kapitalimport und macht mit weltweiten Werbefeldzügen, Angeboten eines speziellen steuerlichen Entgegenkommens, eigens aufbereiteter Infrastruktur usw. seinen Standort für ausländische Investoren ‚attraktiv‘. Englische Patrioten mag es verstören, wenn alteingesessene heimische Autofirmen zugrunde gehen: Mit seinen Angeboten an japanische und US-amerikanische Konzerne, durch ihre Investitionen in eine auch international schlagkräftige Produktivität anstelle der alten Firmenchefs den industriellen Produktionsbetrieb im Standort England aufrecht zu erhalten, legt der englische Staat praktisch von seinem Interesse Zeugnis ab, dass ihm rentable Ausbeutung der Arbeit im Land weit wichtiger ist als Nationalität oder Hautfarbe der Ausbeuter. Für die neuen EU-Mitglieder im Osten hat sich die Alternative, zwischen Kapitalimport aus dem goldenen Westen oder dem Bestandsschutz für ihre einheimischen Autoproduzenten abzuwägen, gar nicht erst gestellt. Eine kapitalistische Wachstumsquelle derartigen Gewichts im eigenen Land zu haben, war ihnen ohne jedes Nachrechnen ungleich wertvoller als der Weiterbetrieb der eigenen Fabriken mit ihrem hoffnungslos unterlegenen Produktivitätsniveau – und als der Lebensunterhalt derer, die in denen werkelten, schon gleich.
  • Wegen des Gewichts, das der Autoindustrie für einen kapitalistischen Standort zukommt, versteht es sich von selbst, dass deren politische Betreuer auch sehr viel für die andere Seite des internationalisierten Kapitalverkehrs übrig haben, nämlich für den Kapitalexport, den ihre Multis betreiben. Wo in der Welt die sich die Erlöse erkämpfen, die sie für ihre weitere Behauptung in der Konkurrenz brauchen, ist ihnen im Grundsatz gleichgültig: Sie sollen es am besten überall tun. Denn so verdienen sie am Rest der Welt, nutzen auswärtige Zahlungsfähigkeit für ihr Wachstum, stärken ihre Konkurrenzposition; und damit bereichern sie ihre Aktionäre, heben ihren Börsenwert und beleben das einheimische Börsengeschäft, rechtfertigen alle Kredite, die sie aufgenommen haben, stärken die Steuerbasis der Nation – und nützen nicht nur so ihrem heimischen Standort. Kapitalexport in der Größenordnung, in der Kfz-Multis ihn betreiben, ist schon per se ein bedeutender Beitrag zum Status ihrer Heimatnation als Weltwirtschaftsmacht. Denn so bringen sie Kapital und Kredit in heimischer Währung weltweit in Verkehr, verschaffen dieser dadurch praktische, nämlich im Gebrauch betätigte Anerkennung, tragen dazu bei, das nationale – im Fall des Euro: ein supranationales – gesetzliche Zahlungsmittel, das von außen betrachtet erst einmal nichts weiter ist als ein staatlich garantiertes Zahlungsversprechen, ökonomisch, durch erfolgreiche kapitalistische Verwendung, als definitives Welt-Geld zu beglaubigen. Was ihre heimischen Geldhüter als allgemeines Geschäfts- und ökonomisches Machtmittel „schöpfen“, wird auf die Art nicht bloß zum weltweit gern genommenen Kaufmittel, sondern steckt als Ausgangs- und Endpunkt, als wahrer und eigentlicher „Stoff“ des kapitalistisch betätigten Eigentums in der auswärts zustande gebrachten Kapitalakkumulation mit drinnen. Das benutzte Geld wird für die ganze Welt zum realen Inbegriff des Reichtums, um den sich alles dreht, weil davon alles abhängt, sogar die materielle Basis der Macht der staatlichen Souveräne. Freilich leistet das selbst die potenteste Autoindustrie einer Kapitalexportnation nie und nimmer allein. Aber dass Staaten – sowieso nur einige wenige – eine solche Karriere zum Weltgeld-Schöpfer hingekriegt haben, beruht auf der Fähigkeit zu weltweitem Kapitalexport, zu der eine florierende Kfz-Produktion ein ganz wichtiger „Schlüssel“ ist.

4. Der Auto-Binnenmarkt Europa

So haben sich die kapitalistischen Handelsnationen einen Weltmarkt für Automobile geschaffen, auf dem ihre Großkonzerne um ihre Erlöse und sie selbst um ihren Ertrag aus dem Weltgeschäft konkurrieren, und auf diesem Weltmarkt hat es eine Handvoll potenter Nationen auch noch zu einem eigenen einheitlichen Wirtschaftsraum und Binnenmarkt gebracht. Was dessen ‚einheitliche Bedingungen des Wettbewerbs‘ betrifft, die selbstverständlich auch für den Automarkt gelten, so besteht deren Leistung vor allem in einem: Seitdem sie für die Produzenten in ihren diversen Standorten verbindlich gelten, ist ihr Wettbewerb um einiges ‚freier‘ von den unfairen Praktiken und Verzerrungen, mit denen die Staaten den ungehinderten Vergleich der Produktivkräfte ihrer Konzerne wie des allgemeinen Produktivitätsniveaus ihrer Ökonomie nie so recht haben gelten lassen. Ein einheitliches Normenwesen, EU-weit verbindlich definierte Standards für Technik, Sicherheit, Umwelt usw. sind planerische Vorgaben für alle konkurrierenden nationalen Autokonzerne, sie sind richtungsweisend für ihre produktivitätsfördernden Anstrengungen, ihre Aufwendungen für Forschung & Entwicklung und ihre ‚Modellpolitik‘. Freilich ist die auf diese Art allen Unternehmen gleichermaßen zukommende kalkulatorische Sicherheit in einer Produktion, in der 4-6 Jahre zwischen Planung und Fertigung eines neuen Modells liegen, deswegen nicht auch schon gleichbedeutend mit einer allen Teilnehmern des Wettbewerbs gleichermaßen zur Verfügung gestellten Erfolgsgarantie, im Gegenteil. Die politisch dekretierte Zone eines freien Vergleichs der Produktivität und Rentabilität entfesselt die Konkurrenz der Konzerne um die Senkung von Kost- und Marktpreisen ihrer Produkte ja erst so richtig, und sie soll dies nach dem Willen der beteiligten europäischen Standhorthüter auch tun. Die wollen mit den einheitlichen Wettbewerbsregeln ihres Binnenmarkts genau den Methoden und Techniken der Konkurrenz möglichst ungehindert freie Bahn verschaffen, die oben unter den Stichworten ‚moralischer Verschleiß‘, ‚Zentralisation‘ und ‚Konkurrenz global‘ charakterisiert wurden.

In dieser Konkurrenz wollen die Staaten gewinnen, sind im Gegenzug grundsätzlich dazu bereit, sich auch für ihre nationalen Großindustrien negativ ausfallenden Konkurrenzergebnissen zu stellen. Über den Erfolg im nationalen Wettbewerb hinaus auch noch zur „Schlüsselindustrie“ eines Automobilstandorts Europa zu werden: Das ist der politische Auftrag der europäischen Standorthüter an ihre jeweiligen nationalen Wachstumszentren. Dazu richten sie ihren Binnenmarkt zum Schauplatz einer Vernichtungskonkurrenz um Kapitalgröße her, die überall kleinere selbständige Autoproduzenten reihenweise vom Markt fegt, der eine genuin englische Autoindustrie schon früh nicht mehr gewachsen ist, eine italienische inzwischen kaum noch, und deren übriger aktueller Zwischenstand in Bezug auf die nationalen Schlüsselindustrien in ihren Details alljährlich im ‚Wettbewerbsbericht der EU‘ nachzulesen ist. Begleitet wird die mit dieser Konkurrenz einhergehende Neu- und Umgewichtung der nationalen Industriestandorte in Europa dann von deren Konkurrenz, die sich aller oben genannten Praktiken bedient. Diese führen die EU-Staaten erstens gegeneinander. Sie kämpfen nicht nur bei der Vereinbarung der für alle verbindlichen Wettbewerbsregeln um den jeweils eigenen Vorteil bzw. die Vermeidung befürchteter Benachteiligungen, sondern tun dies auch bei so gut wie allen Fragen, die im Handelsverkehr untereinander wie in dem mit außereuropäischen Staaten das Import-Export-Geschäft mit Kfz und Kapital betreffen. Zweitens betreiben sie dann noch als Subjekte eines gemeinsamen Wirtschaftsraums vereint ihre Konkurrenz gegen die restlichen Zentren des Weltgeschäfts. Ihre Autokonzerne bilden insofern einen geschlossenen und staatshoheitlich geschützten Block, als die Konkurrenten aus Japan und den USA bei ihren Exportbemühungen an den hier geltenden Normen für die Zertifizierung von Kfz wie deren Einzel- und Ersatzteile, an Vorschriften für Umweltschutz, Sicherheit, Zulassung und unzähligen anderen Rechtsregeln Maß zu nehmen haben – und in der Handhabung dieses Regelwerks ihrer Konkurrenzmacht gezielt nach außen haben Europas Staaten dann auch noch ihr gemeinsames Instrument, sich um die Optimierung ihrer Erträge aus dem international in die Krise geratenen Welt-Autogeschäft zu kümmern.

5. Die Krisenkonkurrenz der Autokonzerne und die Konkurrenz ihrer Standorte

Der ausgiebige Gebrauch, den die Auto produzierenden Multis von den Freiheiten eines weltweiten Standortvergleichs machen, ist solange eine feine Sache für die Standorte, von denen sie losziehen und in denen sie sich niederlassen, wie allenthalben Wachstum geschaffen wird. Genau dieselben Manöver des länderübergreifenden Investierens von Kapital aber werden dann zum Standortrisiko, wenn die Konzerne nicht mehr allseits auf erweiterter Stufenleiter akkumulieren, sondern in der Hauptsache darum kämpfen, dass nicht sie von den Folgen ihrer Überproduktion getroffen werden, sie ihre Selektion der Standorte alternativ gestalten und an dem einen zwar Wachstum schaffen, dafür aber an einem anderen nicht mehr. Wenn der Einstieg von VW in Portugal oder sonst wo damit einhergeht, dass in Wolfsburg Geschäfte unterbleiben oder gar zurückgehen, wenn die Konzernmutter GM oder Ford abwägt, welche ihrer Töchter in Europa zugunsten von Investitionen ins Wachstum anderswo in der Welt zuzusperren sind, dann sehen die von dieser Akkumulationsstrategie betroffenen Nationen sich beschädigt. Dann heißt – unbeschadet aller für die nationale Geldware positiven Effekte – Kapitalflucht, was vorher als Export willkommen, und Abhängigkeit von US-amerikanischer Willkür, was als Investition im Land Gegenstand der Zufriedenheit war, und in beiden Bewertungen wird deutlich, dass der deutsche Standorthüter sich durch die Praktiken seiner ‚global player‘ ernsthaft in seinem kapitalistischen Besitzstand angegriffen sieht. Zwar ist es allemal ein Widerspruch, wenn er über das supra-nationale Geschäftskalkül seiner Konzerne, sich die für sie am meisten lohnenden Weltgegenden zur Kapitalanlage herauszusuchen, national Buch führt und deren Geschäftserfolge dem Kapitalwachstum seines Standorts zurechnet. Aber dieser Widerspruch kann dem Staat solange egal sein, wie seine Rechnung praktisch aufgeht und auch er vom international erfolgreichen Engagement seiner Konzerne profitiert. Jetzt, wo dieser Gegensatz zutage tritt und er zu gewärtigen hat, dass die Kalkulationen seiner Großfirmen sich auch gegen ihren Heimatstandort entscheiden und in dem deswegen Wachstum nicht wie gewünscht stattfindet, kommt es ihm umso mehr darauf an, die praktischen Folgen dieses Widerspruchs nicht gelten zu lassen: Die politischen Regenten des Standorts insistieren darauf, dass sich beides zu decken hat, der Geschäftserfolg der Unternehmen und der Erfolg für den Staat. Sie packen ihre Kapitalisten an ihrer vaterländischen Ehre – sie mögen sich daran erinnern, welches Land ihre Firmen groß gemacht hat (Stoiber) –, mahnen von ihnen den praktischen Dienst an, den sie ihrem Vaterland schuldig bleiben, und verlangen von ihnen nichts Geringeres, als für das praktische Aufgehen einer Ungleichung zu sorgen: Sie sollen supra-national kalkulieren, sollen einerseits also ruhig weiter Gebrauch machen von allen Freiheiten der geschäftlichen Kalkulation, die ihnen ihren Erfolg auch und gerade in Zeiten stagnierender oder schrumpfender Geschäfte zu sichern versprechen; sie sollen sich andererseits dabei aber unbedingt daran orientieren, dass ihre Erfolgsmethoden auch garantiert in einem Wachstumserfolg ihrer Nation resultieren.

Dass es ein wenig paradox ist, den Aktivisten des weltweiten Standortvergleichs zu eben diesem Vergleich mit allen Maßnahmen zur Beförderung des Kapitalexports den Weg zu ebnen und im selben Zug von ihnen zu verlangen, ihren Vergleich stets zum Vorteil des heimatlichen Standorts ausgehen zu lassen, ist dessen Hütern egal: Sie probieren einfach alle in ihren Händen liegenden Mittel aus, gegen ihresgleichen und konkurrierende Standorte zu erkämpfen, was sie wollen. Was Europa betrifft, kümmern sich die führenden Zentren der Automobilindustrie – Deutschland, Frankreich, Großbritannien – zusammen mit der einschlägigen EU-Kommission darum, ihren Binnenmarkt als Waffe der globalen Konkurrenz zu perfektionieren. Einmal dadurch, dass sie in Bezug auf die vereinbarten Bedingungen für den Wettbewerb im Binnenmarkt Fortschritte bei der Harmonisierung verlangen: Dessen Vollendung kommt darüber voran, dass den erfolgreichsten Wettbewerbern Schranken ihres weiteren Wettbewerbserfolgs weggeräumt werden. Zum anderen nehmen sie sich vor, bei den allfälligen Neuregelungen und Fortschreibungen dieser Wettbewerbsbedingungen streng und noch viel besser als bisher schon darauf zu achten, dass die auch ihren „Schlüsselindustrien“ zugute kommen: Deren führende Vertreter sitzen gleich mit am Tisch, wenn die Wirtschaftsminister der Mitgliedstaaten mit den Vertretern der EU über demnächst geltende Bestimmungen für Aufprallschutz, Scheibenwischer, Umwelt usw. verhandeln und ausmachen, welche anderen – weil den Wettbewerb allzu sehr belastend – ausgemustert werden sollen.

Dieselbe Runde tagt dann auch noch im Rahmen einer CARS-21-Initiative. Diese macht sich gleichfalls um die für die Automobilindustrie in Europa geltenden Wettbewerbsregeln verdient, die ihrem Erfolg dienen, nur eben in einer unmittelbar nach außen gerichteten Weise. Man macht sich stark für die weltweite Geltung der in Europa verbindlichen Kfz-Zulassungsstandards und UN/ECE-Regeln – tested once, accepted everywhere, heißt die Parole, unter der man der Schlagkraft des europäischen Produktivitätsniveaus weltweit freie Bahn zu brechen versucht. Speziell von den USA fordert man, dass dort etablierte Wettbewerbshindernisse wie Einzelzertifizierungsverfahren u.ä. Rechtsvorschriften abgebaut werden – nach dem Motto: Wer in die EU exportiert, muss ja ohnehin schon die hier einschlägigen Regeln beachten, kann also auch gut den europäischen Autokonzernen zu denselben Bedingungen Zugang zum eigenen Markt gewähren. Südkorea und einige andere Länder macht man zum Teil, WTO-Mitglied und DIN-Partner China ziemlich komplett als Geschäftshindernis aus: Dieses Land war ausersehen, sich als riesiger Markt für den Absatz von VWs Massenartikeln und die Bonbons von BMW und DaimlerChrysler zur Verfügung zu stellen – und ist für Europas Produzenten doch so schwer zugänglich. Heftigen Anstoß nimmt man im Automobil-Standort Europa an nichts Geringerem als an den Methoden, mit denen sich der chinesische Staat um Aufbau und Schutz seiner Automobil- und „Schlüsselindustrie“ kümmert – hierzulande hat man also offenbar die Versorgung von einer Milliarde Chinesen mit Autos und den daraus resultierenden ‚Wachstumsschub‘ schon dem eigenen Besitzstand zugeschlagen und verteidigt nur noch sein gutes Recht, den auch zu wahren. Usw.: Ausdrücklich dazu aufgefordert werden die europäischen Autokonzerne von der EU-Kommission, über alle anderen ‚Einschränkungen‘, die ihnen im Handel auch mit der übrigen Staatenwelt so begegnen, regelmäßig Bericht zu erstatten.

Und dann hat der Standort Europa neben seinen Mitteln zur Drangsalierung der Konkurrenzstaaten auch noch ein Rezept, sich als Standort für die Wahl seiner Großkonzerne zu empfehlen. Seine führenden Nationen klagen ja nicht nur darüber, dass Arbeitsplätze aus ihnen in die ‚Billiglohnländer‘ ‚abwandern‘, die inzwischen Mitglieder ihrer Union sind; sie beschweren sich nicht nur über eine EU, deren Erweiterung als Wachstumsmittel der Erfolgreichen gedacht war und nicht als rechtlicher Schutzraum ökonomisch drittrangiger Nationen, sich zum Nachteil der etablierten Wachstumszentren zu konkurrierenden Kapitalstandorten emporzuarbeiten: Sie haben auch die nötige Macht, ihre eigenen Standorte gegen diese Konkurrenz zu einem für die Anlagestrategien ihrer Autokonzerne lukrativen Angebot zu machen, und gebrauchen sie entsprechend. Damit aus ihnen möglichst kein einziger der so sündteuren wie für die Nation so wichtigen Arbeitsplätze mehr abwandert, setzen neben den Autokapitalisten auch sie alles daran, die Arbeit, die für ihre Profiteure derart unerträgliche Kosten verursacht, so billig wie nur möglich zu machen.

[1] Der kleine Privatkrieg, den sich die Bürger auf den Straßen liefern, kennt keine Klassengrenzen, vor dem Recht auf Glück, das sich nicht wenige im Verkehr gegen andere herausnehmen, sind alle gleich; im übrigen findet ein Volk von Autofahrern die Auseinandersetzung über die Klasse des Autos auch viel wichtiger als die Erinnerung an die Klasse, der man selbst zugehört.

[2] Mit ‚moralischem Verschleiß‘ grenzt Marx die Entwertung eines Produkts von dem Verschleiß ab, dem er als physisches Ding unterliegt. Produktivkräfte wie Waren können im Kapitalismus noch so intakt sein und anstandslos funktionieren: Sie werden entwertet, taugen schlagartig weniger für den Zweck der kapitalistischen Produktion, wenn sie von einem neuen Standard der Produktivität oder einer neuen, verbesserten Qualität überholt werden. Über die Maschinerie heißt es bei Marx: Neben dem materiellen unterliegt die Maschine aber auch einem sozusagen moralischen Verschleiß. Sie verliert Tauschwert im Maße, worin entweder Maschinen derselben Konstruktion wohlfeiler reproduziert werden können oder bessre Maschinen neben sie treten. In beiden Fällen ist ihr Wert, so jung und lebenskräftig sie sonst noch sein mag, nicht mehr bestimmt durch die tatsächlich in ihr selbst vergegenständlichte, sondern durch die zu ihrer eigenen Reproduktion oder zur Reproduktion der bessren Maschine notwendige Arbeitszeit. (Marx, Das Kapital, Bd. 1, MEW 23, S.426 f.)

[3] Wer sich für Einzelheiten interessiert, kann sich in der bürgerlichen Wirtschaftsgeschichtsschreibung zum Fließbandwesen von Ford und Taylor wie zur japanischen Erfindung der ‚lean production‘ alles Nötige für den Überblick über die Techniken des Kapitals verschaffen, mit immer neuen und gigantischeren Investitionen ins ‚Sachkapital‘ die Kosten der Arbeit zu senken. Um diesen Stoff auf seinen Begriff zu bringen, empfiehlt sich eine andere Lektüre: K. Marx, Das Kapital, Bd. 1, IV. Abschnitt, MEW 23, S. 331 ff.

[4] Die Konkurrenz der Automobilkonzerne auf diesem Feld aufs Sportliche auszudehnen, ist auch ein Argument für den Zirkus einer ‚Formel 1‘. Mag sein, dass die Großkonzerne mit Erfolgen auf der Rennstrecke vordringlich ihr ‚Marken-Image‘ zu polieren suchen: Zumindest ein Kollateralnutzen des Aufwands, ein riesiges Testlabor für neue Werkstoffe und deren Verarbeitung, für neue Motor- und Antriebstechniken, revolutionäre aerodynamische Konzepte usw. alljährlich um die Welt zu schicken, sind die ‚spin-off-Effekte‘, die sich dann, wenn sich die Technik auf der Piste bewährt hat, auch bei der Fertigung ordinärer Straßenwagen in einem technologischen Vorsprung vor der Konkurrenz materialisieren lassen. Dass sich die Organisatoren dieses Extrakts der mobilen Spaßgesellschaft, das alle zwei Wochen eineinhalb Stunden lang verbissen im Kreis herumhetzt, an ihrem Werk auch noch dumm und dämlich verdienen, geht marktwirtschaftlich besehen vollkommen in Ordnung. Es wäre ja glatt ein Verzicht aufs Geschäft, würde man die beim Publikum so überreichlich vorhandene Liebe zum ‚mobilen Leben‘ nicht auch noch so als Geldquelle ausschlachten, dass man die Objekte seiner Begierde zu Werbeträgern für Zigaretten, Benzin oder Kleider ausstaffiert.

[5] Ausgesprochen verständnisvoll erklärt sich die EU-Kommission diesen eigentümlichen Hang der Autoproduzenten zur strukturellen Überproduktion: „Three main factors explain the structural overcapacity: – When setting up a final assembly plant, car makers must assess the market potential for the model(s) that will be produced in this assembly several years ahead. Since the marginal cost of an ex-post capacity increase is much higher than the cost of building the capacity at the start, it may be preferable to err on the optimistic side; – in addition, the cost of extended delivery times which are the result of lower capacity is especially high in market segments which are fiercely competitive and where the possibilities of product differentiation between companies are relatively low. Also in this case, companies may choose to build new plants on the basis of the more optimistic variants of sales forecasts; – Finally, car manufacturers may seek first mover advantages in new or emerging markets by being the first to produce locally and reaching a significant market share very early. As a consequence, the overall capacity of new plants in emerging markets often exceeds current and near-future market potential quite dramatically. Presently, this seems to be the case in the expansion plans of automotive producers in China.“ (European competitiveness report 2004,S. 167f)

[6] Zur vertiefenden Lektüre zum Thema Fusion wird der Artikel „Mega-Mergers“ – Kapitalkonzentration im globalen Maßstab, in GegenStandpunkt 4-98, S.143, empfohlen

[7] Anders als in Japan und in den USA verfolgen die deutschen Zulieferer eine eigenständige Akkumulationsstrategie, beliefern mit ihren Spitzenprodukten auch die auswärtige Konkurrenz und sind auch in anderen Bereichen des Maschinenbaus und der Hightech-Produktion Weltmarktführer. Auf Basis der Trennung von Autofirmen und Zulieferern gibt es unter ihnen dann wieder strategische Partnerschaften; die Kooperation zwischen Autofirmen und Zulieferern wird ergänzt durch ein strategisches Netzwerk, das die Zulieferer untereinander entlang der gesamten ‚Wertschöpfungskette‘ bilden, um auf diese Weise den Übergang vom Teile- zum Systemlieferanten zu bewerkstelligen.

[8] Vorbildlich ist hier der große Einstieg internationaler Autokonzerne beispielsweise in die neuen Oststaaten der EU, der schlagartig die dort vor sich hinwerkelnden einheimischen Produzenten erledigt hat. An Erlösen mögen sich die Unternehmen zwar mehr als das versprochen haben, was ihnen von Kunden zufließt, die sich auf eine kleine Geld- und Geschäftselite reduzieren: Die ‚neuen Märkte‘ dort aber hat man jedenfalls schon ‚besetzt‘, und zwar mit konkurrenzlos billig zu betreibenden Produktionsstätten, von denen aus gleich ganz Europa beliefert wird.

[9] Siehe dazu den Artikel „Lohnform ‚variables Kapital‘, oder: Die Wahrheit über den Lohn als Prinzip seiner Bezahlung“ in GegenStandpunkt 3-01, S.75

[10] Über die große Bedeutung des Autobauens für die Nation kann der nachfolgend zitierte Fachmann sich denn auch kaum mehr einkriegen: „Die Automobilindustrie ist nicht selbst eine der neuen Hochtechnologieindustrien, aber sie ist, auch am Ende des 20.Jahrhunderts, weiterhin eine Industrie von höchster strategischer Bedeutung…Von der Autoindustrie strahlen entscheidende Impulse auf den gesamten cluster der neuen Hochtechnologieindustrien aus: – Die Automobilindustrie ist ein immer wichtiger werdender Leit-Kunde der informationstechnischen Industrien. Mit ihren Produktionsprozessen ist sie Technologietreiber für die Entwicklung von Robotern und von computerintegrierten Automatisierungssystemen (VIM). Und sie ist einer der großen Nachfrager nach Halbleitern, Computern und Telekommunikationsprodukten. Zu Beginn des 21 Jahrhunderts werden bis zu 30 Prozent der Produktionskosten eines Automobils auf die Elektronik entfallen. – Sie ist Leit-Kunde nicht weniger auch für die Hersteller neuer Werkstoffe wie Hochleistungskeramiken, Verbundwerkstoffe und umweltfreundliche Materialien sowie für die Fertigungstechnologien zur Bearbeitung dieser Werkstoffe. – Die Entwicklung des Elektroautos treibt darüber hinaus die Entwicklung von neuen Batterien voran, die Entwicklung des Ökoautos, die Entwicklung von Solarzellen usw. Durch all dies ist eine moderne Automobilindustrie eine unentbehrliche Basis für die Entwicklung der neuen Hochtechnologieindustrien. Umgekehrt wird die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie immer stärker davon abhängig, dass es in Europa eine unabhängige und erstklassige informationstechnische Industrie und Industrie der neuen Werkstoffe gibt, die als Partner an Ort und Stelle zur Verfügung stehen.“ (K. Seitz, Co-Vorsitzender der Kommission „Wirtschaft 2000“ Baden Württembergs, in: Krise als Chance, 1994)

[11] In dieser Bedeutung einer Schlüsselindustrie hat die Autoindustrie in Deutschland die Schwer- und ‚Montan-Industrie‘ abgelöst, die über Dezennien hinweg das industrielle Zentrum der Nation war und auch für zwei Weltkriege ihr stets zuverlässiger Ausrüster mit allen strategisch wichtigen Gebrauchswerten aus der Abteilung Energie und Stahl.

[12] Nicht viel anders in den USA: In der erfolgreichen Zeit der ‚big three‘ in Detroit haben es die Gewerkschaften dort zu einem bedeutenden Machtfaktor gebracht – ein Umstand, der deutsche Kapitalexporteure dazu bewog, ihre Zweigniederlassungen besser im ‚gewerkschaftsfreien‘ südlichen Landesteil aufzuziehen.

[13] Dieses Wissen ist es, das Nationen wie China und Indien dazu bringt, bei ihrem ökonomischen Aufbruch ins imperialistische Weltgeschäft schwerpunktmäßig auf eine eigene Autoindustrie zu setzen: An ihren arrivierten Konkurrenten haben sie studiert, welch wuchtiger Bestandteil einer nationalen kapitalistischen Reichtumsproduktion dieser Industriezweig ist, wenn er auch im Außenhandel mit Erfolg besteht. Sie adaptieren einen gewichtigen Bestandteil des imperialistischen Erfolgswegs von Japan und Europa als Erfolgsrezept, mit dem auch sie groß werden, setzen darauf, dass sie in Gestalt einer erfolgreichen Autoindustrie über eine wichtige Voraussetzung für die ‚internationale Wettbewerbsfähigkeit‘ ihres Standorts verfügen.

[14] Die auf den Mittelstand ausgerichtete Technologieförderung soll Innovationen auch bei den Kfz-Zulieferern unterstützen, die sonst unter Umständen an fehlenden Geldmitteln scheitern würden. Der Technologietransfer von den niedersächsischen Hochschulen und Instituten zu den Unternehmen der Automobilindustrie wurde intensiviert. Wir fördern ganz gezielt technologiepolitisch wichtige Ansätze und Projekte, die wesentlich sind für die niedersächsische Industriestruktur. (Automobilindustrie in Niedersachsen – Industriepolitische Gestaltungsspielräume zur Überwindung der Krise, in: Krise als Chance, 1994, S.141)

[15] Auch für die Schwellenländer ist die Autoproduktion eine „Schlüsselindustrie“, eben der Schlüssel für die nachzuholende Industrialisierung und der Schlüssel für die angestrebte Korrektur der Verteilung des Nutzens am Weltkapitalismus, und entsprechend Gegenstand einer politischen Betreuung, die sich ihrer Protektion annimmt. Der Aufbau einer weltmarktfähigen Autoindustrie soll den Erfolgszirkel nationaler Produktionsbedingungen und nationaler Produktionserfolge, über den die etablierten Handelsmächte bereits verfügen, erst noch etablieren. Das verlangt den staatlichen Schutz für eine Industrie, die erst noch konkurrenzfähig werden soll, und eine staatliche Unterstützung bzw. planerische Organisation, die alle nationalen Kräfte auf dieses Ziel konzentriert – ungefähr so, wie man es in Deutschland während des ‚Dritten Reiches‘ und nach dessen Untergang im Nachfolgerstaat gleich wieder angepackt hat. China z.B. will sich der Benutzung durch das internationale Autokapital nicht entziehen, sondern dieses für die nationale Entwicklung benutzen. Das Reich der Mitte erschwert den Import von Automobilen, um den Import des Automobilkapitals zu fördern, und erlaubt den Kapitalimport nur als Minderheitsbeteiligung an chinesischen Unternehmen (mit beschränkter Haftung für das geistiges Eigentum): Mit einem Technologietransfer auf der einen Seite und einer Zentralisation der unproduktiven einheimischen Betriebe auf der anderen, die der Staat nicht den überlegenen Multis überlässt, sondern in eigener Regie betreibt, peilt China die Entwicklung einer nationalen Automobil- und Zulieferindustrie an: In wenigen Jahren will das Land über eine exportfähige nationale Autoindustrie verfügen, der chinesische Marktführer soll dann zu den sechs größten Industriekonzernen der Welt gehören.