Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Air Berlin ist pleite – ein Herbstmärchen
Mitte August meldet Air Berlin Insolvenz an, und Ende Oktober ist mit dem Flugbetrieb dann endgültig Schluss. Nostalgisch besingt die Republik das Ende eines Stücks deutscher Luftfahrtgeschichte.
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Air Berlin ist pleite – ein Herbstmärchen
Mitte August meldet Air Berlin Insolvenz an, und Ende Oktober ist mit dem Flugbetrieb dann endgültig Schluss. Nostalgisch besingt die Republik das Ende eines Stücks deutscher Luftfahrtgeschichte.
Die abzuwickelnde Sache
ist allerdings weder die Luftfahrt selbst – Flugzeuge werden umlackiert, die Belegschaft fliegt zum Teil in anderen Kostümen weiter – noch das Deutsche an ihr – die Bundesregierung tut alles dafür, dass die Pleite die Deutsche Lufthansa stärkt –, sondern das Schicksal eines spekulativen Underlyings. Ein bisschen Abstraktionsvermögen ist also schon verlangt für die wohlige Anteilnahme, in der die Republik sich ein paar Herbsttage lang übt.
Die Fluglinie, die sich als Billigbomber nach Mallorca bei ihrer urlaubsreifen Kundschaft Ruf und Namen erwirtschaftet hat, hat irgendwann um die Jahrtausendwende beschlossen, über sich hinauszuwachsen, und sich mit dem nötigen Kredit und Kapital an der Börse ausgestattet, um überall dorthin zu fliegen, wo andere längst hinfliegen. Die in Angriff genommene Ausweitung des Geschäfts konnte auf die Tatsache, dass die Großstädte und Urlaubsziele dieser Welt längst durch das engmaschige Flugnetz der Konkurrenz verbunden sind, nicht nur keine Rücksicht nehmen – im kapitalistischen Geschäft mit dem Lufttransport von Urlaubern und Geschäftsleuten sind solche ehrgeizigen Wachstumspläne ja ohnehin darauf berechnet, auf Kosten der Mitstreiter zu gehen und deren gleichlautende Bemühungen zu entwerten, um sie im Idealfall zum Aufgeben zu bewegen oder mittels Übernahmen vom Markt zu nehmen. Die Strategie, die geschätzte Kundschaft mittels Billigangeboten in die eigenen Flieger statt in die der Konkurrenz zu locken und darüber kreditwürdiges Umsatzwachstum zu generieren, hat auch am anderen Ende der betriebswirtschaftlichen Kalkulation von Kost- und Marktpreis mit Kampfpreisen hantiert: mit Gehältern nämlich, die der Belegschaft am Boden und in der Luft ordentlich Beine machen. Mit der sympathischen Kombination aus nicht so schönen, dafür günstigen Service- und Reisebedingungen für Mensch und Handgepäck und der ebenfalls nicht so schönen, dafür günstigen Bezahlung der Belegschaft hat Air Berlin es zwar nie so recht in die Gewinnzone geschafft – in den letzten zehn Jahren hat das Unternehmen praktisch nur Verluste erwirtschaftet –, ist so aber zur zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft herangewachsen. Die Kombination aus Größe und Geldbedarf hat das Unternehmen interessant für die Spekulation eines aufstrebenden Wettbewerbers aus Nahost gemacht: Etihad Airways, qua Regentenbeschluss schärfster Konkurrent der Emirates im Kampf der internationalen Drehkreuze auf der arabischen Halbinsel, ist bei Air Berlin groß eingestiegen, um die Fluggesellschaft zum Zubringer für ihre Homebase Abu Dhabi umzukrempeln. Und jetzt? Ein paar Jahre und Kreditspritzen später gibt Etihad aus seinen Gründen seine Pläne mit Air Berlin wieder auf, kündigt den benötigten Kredit und das war’s dann: Air Berlin ist ein Konkurrenzverlierer, Air Berlin ist pleite.
Die Anwärter auf den Aufkauf der maroden Fluggesellschaft führen anschließend noch einmal öffentlich vor, welche vernünftigen Maßstäbe walten, wenn der Luftverkehr, wie alles andere, als kapitalistisches Geschäft organisiert ist. Die gute Nachricht ist, dass bei Air Berlin in einer Hinsicht alles funktioniert hat und noch funktioniert. Die Flugzeuge können prima fliegen, die eingespielten Belegschaften beherrschen ihr Handwerk; nur in der alles entscheidenden Hinsicht war das Zusammenspiel mangelhaft: Die beanspruchte Rendite hat es nicht eingespielt. Die Interessenten wissen, wie man aus diesen Überresten eines unrentablen Flugunternehmens wieder etwas Gutes, weil Einträgliches zusammenzimmert: Die Billigtochter der Deutschen Lufthansa und easyJet übernehmen die Flugzeuge und unterbreiten dem Personal – jedenfalls Teilen davon – ein Angebot, das es nicht ablehnen kann: Für ein Drittel weniger kann es im Prinzip so weitergehen wie gehabt – schon sind die Gewinnaussichten wieder rosig.
Die Belegschaft
ist die betroffen gemachte abhängige Variable, die von
allen beteiligten Konkurrenten vorgeführt bekommt, welche
Rolle sie für das Geschäft mit der Beförderung von
Passagieren zu spielen hatte und hat. Sie sieht die Sache
aber lieber ganz anders und schließt sich mit dem
Unternehmen zur Air-Berlin-Family zusammen, aus der sie
die Konzernvorstände energisch ausschließt:
Winkelmann, Pichler, Mehdorn und Co., ihr wart keine
von uns, niemals, ihr wart nie Air-Berliner, ihr seid
nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt, ihr habt einfach
nicht den gleichen Spirit.
(Ein
Pilot nimmt in der Berliner Morgenpost Abschied von Air
Berlin, 27.10.17) Die Opfer der
Betriebskalkulation fingieren sich als Gemeinschaft, die
diejenigen, die über sie kommandieren, moralisch
knallhart ins Unrecht setzt. Wie beleidigte Liebhaber
legen die Rausgeschmissenen Wert auf die verlogene
Umdeutung, wer hier mit wem Schluss gemacht hat: Sie
trennen sich von ihren Chefs, weil die nie so recht zu
ihnen gepasst haben.
Die Arbeitsplätze – inkl. aller Anforderungen und der
Vergütung – geraten der Belegschaft zum persönlichen
Habitat, das sie, indem sie alle Anforderungen stets
ausgehalten hat, zu dem ihren gemacht hat. Für dessen
Fortbestand haben die Kollegen, die alle bereit waren,
über diesen langen Zeitraum für eine Firma zu kämpfen, an
freien Tagen arbeiten gingen, ihren Urlaub zurückgegeben
haben oder in ihrer Freizeit Gepäckstücke sortiert haben
und bis zum letzten Tag gehofft haben, dass das nicht
umsonst war und der Kampf sich am Ende lohnt oder
zumindest dass es einem jemand dankt
(ebd.), so vieles auf sich genommen, dass
das Management ihnen den Fortbestand dessen, wofür sie
sich aufreiben, geschuldet hätte. Die über diesen
langen Zeitraum
angesetzten Extraschichten deuten sie
umstandslos als frei erbrachte Beiträge, die ihnen nicht
gedankt worden sind. So wenig die Betroffenen darauf
kalkulieren, dass die Beschwörung ihres Verzichts sich
für sie irgendwie lohnt oder durch Rücksichtnahme
beantwortet wird, so sehr kommt es ihnen im Nachgang auf
die moralische Botschaft an, damit ihren solidarischen
Beitrag zu einer gemeinsamen Rettungsaktion geleistet zu
haben, der Dank verdient hätte. Damit adeln sie die
Umstände, die ihnen zu schaffen machen, ebenso wie sich
selbst:
„...ganz tolle Kollegen, die gerade in schweren Zeiten mit einer Leidenschaft und Begeisterung bei der Arbeit waren, ... in einer großartigen Firma mit Seele, die es so schnell nicht wieder geben wird.“ (Ebd.)
So gesehen war es schon eine tolle Zeit! Die Belegschaft zelebriert ihre Trauer über das Ende der großartigen Firma und nimmt wehmütig Abschied von Kollegen, Fluggästen, Flugzeugen und Firmenlogo. Sie nimmt den Verlust ihrer Existenzgrundlage wie ein ungerechtes, vom Management verschuldetes Schicksal hin, dem sie nichts außer Klagen und ohnmächtige Enttäuschung – das aber schon – entgegenzusetzen hat. So verwandelt sie ihre Rolle als Manövriermasse der Betriebskalkulation in einen moralischen Sieg, der größer ist als ihre Lohn- und Arbeitslosenlage: Die Lebensgrundlage mag man ihr entziehen können, den Stolz auf ihre Leistung und auf die Zugehörigkeit zu einer großartigen Betriebsfamilie lässt sie sich nicht nehmen.
Die Öffentlichkeit
ist von so viel falschem Bewusstsein gerührt und erteilt der Belegschaft dafür gute Noten. Zwischenfälle, wie der Versuch der Piloten, über kollektive Krankmeldungen mehr ihren hilflosen Unmut auszudrücken, als wirklich Verhandlungsdruck aufzubauen, sind schnell vergessen im Lichte all ihrer kreativen Events rund um den Firmenabschied. Gerne nimmt sie Anteil an der persönlichen Abschiednahme eines Piloten, der mit einem unerlaubten Flugmanöver den letzten Langstreckenflug der Linie gebührend feiern will und sich damit die eigene Zukunft versaut. Sie fühlt sich auch in das Wechselbad der Gefühle des Bodenpersonals ein, das die letzten Passagiere mit Herzchen verabschiedet – ohne das Schicksal zu verschweigen, das dem Personal jetzt blüht. Warum auch: Die Einsparung des Lebensunterhalts ist ja nicht die Sache, um die es bei der Transformation von Air Berlinern in Easyjetter, Eurowinger und Arbeitslose geht, sondern die bedauerliche Schattenseite des Endes einer traditionsreichen Ära.
Eine Ära, so erfährt man unweigerlich, die eigentlich irgendwie die ganze Republik eingeschlossen hat. Im Zeichen dieser selten glücklichen Pleite, bei der alles derart glatt von der Hand geht und sich niemand aufdrängt, der einen Schadensfall als Einwand geltend machen will, lässt die Journaille die Piloten und Stewardessen ein paar Tage lang als unsere scheidenden Botschafter Berlins in aller Welt firmieren. Und das Kollektiv der deutschen Flugreisenden kann sich an den höheren Sinn erinnern lassen, den es Air Berlin zu verdanken hat:
„Dabei waren ja gerade Freitagabendflüge wie der von München nach Berlin immer eine Routineveranstaltung, mit genervten Berufspendlern, denen der Platz fürs Handgepäck zu knapp war. Doch heute ist noch mal das zu spüren, was das Fliegen zu mehr macht, als bloß von A nach B zu kommen: Hoch in der Luft, abgeschieden von allem und jedem, bilden sich Ad-Hoc-Schicksalsgemeinschaften – bis zur Landung, wenn sich die Passagiere zurückverwandeln in ein Rudel Wölfe im Kampf um den schnellsten Ausstieg.“ (sz.de, 28.10.17)
Über den Wolken ist die Luft eben etwas dünner. Ehe unsere Meinungsmacher nach ein paar Tagen wieder runterkommen, gönnen sie sich und der Republik ihren Höhenrausch.