Zur Vermeidung von Mißverständnissen
Das vorliegende Buch setzt Überlegungen fort, die im Resultate-Verlag unter dem gleichen Titel - "DDR kaputt, Deutschland ganz"- Ende 1989 erschienen sind und vor allem in der noch existenten DDR in großer Auflage zur Kenntnis genommen wurden.
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Zur Vermeidung von Mißverständnissen
Das vorliegende Buch setzt Überlegungen fort, die im Resultate-Verlag unter dem gleichen Titel – "DDR kaputt, Deutschland ganz"– Ende 1989 erschienen sind und vor allem in der noch existenten DDR in großer Auflage zur Kenntnis genommen wurden.
Auch dieses Buch ist kein Gedichtband; es will keinerlei Gefühlen, Ängsten und Hoffnungen "Ausdruck geben". Es zielt auch nicht auf die verständnisinnige Aufbereitung der Sorgen, die sich – mit mehr oder weniger guten Gründen- auf beiden Seiten der offenen deutsch-deutschen Grenze einge stellt haben. Es will schlicht darüber aufklären, was das Aufgehen des einen deutschen Staates im anderen bedeutet – und insofern auch darüber, zu welchen Sorgen die "Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion" Anlaß gibt.
Dieses Buch bietet also eine Alternative – zu einem Umgang mit der beschlossenen "Wiedervereinigung", der in der DDR üblich ist. Dort ist man nicht nur der Überzeugung, daß "die Einheit kommt", sondern auch dafür. Deswegen sind die Bürger neugierig auf ihre künftigen Lebensbedingungen, von denen sie sich manches Gute erwarten, wie ihre Entscheidung für die DM-Demokratie zeigt. Von denen sie andererseits auch einiges befürchten, weil sie auch von gewissen "Härten" der "Marktwirtschaft " gehört haben. Diese Zweifel sind ein Zeugnis dafür, daß die zum ersten Mal wahlberechtigten Bürger der DDR den Weg gefunden haben, sich jeglicher Alternative zu berauben. Laut und deutlich haben sie Partei ergriffen für den Übergang ihrer Gesellschaft in die "Marktwirtschaft" und die Verwandlung ihres Staates in eine Zusatzabteilung der BRD, um sich dann und dabei zu erkundigen, inwieweit ihre Interessen Berücksichtigung finden oder auf der Strecke bleiben. Mit dem Kampfruf "Wir sind das Volk!" hat das Volk die Macht in die Hände der zuständigen Politiker und Geschäftsleute gelegt, die ihm jetzt seine Fragen praktisch beantworten. Fragen, die seit dem Theater über die "Umtausch"-Regelung eindeutig als solche nach Schadensminderung kenntlich sind.
Mit dem Dialog zwischen zwei einheitsbeflissenen Regierungen, von denen die eine sich noch auf die Zwischenrufe ihres besorgten DDR-Volkes einläßt, wenn sie es ganz verantwortlich der "überlegenen" westdeutschen Art, Staat und Geld zu machen, überantwortet, hat unsere Alternative nichts zu schaffen. In die Pose des Ratgebers und Helfers werfen sich die Figuren und Wahlvereine zurecht, die um Wahlstimmen, Vertrauen und so Zeug nachsuchen, damit sie eine Macht werden, bei der man sich notgedrungen erkundigen muß, worauf es sich einzustellen gilt. Daß deren Verlautbarungen "praktisch", also wie nützliche Hinweise wirken, ist kein Wunder. Schließlich erklären die gewählten Politiker und Parteien beider Staaten dem Volk nicht, was es mit der "Einheit" auf sich hat – sie stellen sie nämlich her und richten damit die neuen Lebensbedingungen ein, an denen sich das Volk der DDR zu bewähren hat.
Umgekehrt bietet die Erklärung der "Einheit" diese Art der "Orientierung" nicht; das rechtfertigt jedoch keineswegs den Einwand, es wäre ihr keine "praktische Alternative" zu entnehmen. Dieser Einwand sagt lediglich etwas über die Bereitschaft aus, Mitteilungen unter dem Gesichtspunkt zu schätzen, daß sie Handreichungen für gelungene Anpassung darstellen. Es wird für nützlich erachtet, denen Gehör zu schenken, die aufgrund ihrer Ermächtigung das Sagen haben und mit jedem ihrer Sätze die Notwendigkeiten verkünden, die sie herbeiverhandeln und -regieren. Daß es zur Beachtung dieser "Notwendigkeiten", zum Vergleich zwischen den politischen Varianten, mit denen sie verkauft werden, keine Alternative gäbe, ist das hartnäckigste Gerücht, das 1990 in der DDR umgeht.
Die Rede ist von gewissen Haltungsfehlern beim "aufrechten Gang", der angeblich in der DDR zum guten Ton gehört. Da betont ein Volk betrübt und stolz zugleich, was es alles "mitgemacht" hat . DDR-Bürger gefallen sich in der Rolle von armen, aber ehrlich gebliebenen Menschen, die völlig unverdient alles mögliche haben ertragen müssen – aber nur, um sich bei West-Medien, West-Politikern und ihren östlichen Statthaltern die besorgte Frage zu erlauben, was sie denn demnächst wohl alles mitzumachen hätten. Bereit zum Dienst an DM und Demokratie, entdecken sie wirkliche wie erfundene Probleme, mit denen sie fertigwerden müssen und wollen. Den gar nicht grundlosen Verdacht, im einig Vaterland schlecht zu fahren, übersetzen viele schon wieder in Vorzüge des alten DDR-Ladens, in dem sie doch wahrlich zu kurz gekommen sind.
Gegen diesen Gebrauch des politischen Verstandes, der Regierungen und Systeme wie "Angebote" besichtigt – die sie nicht sind – und darüber versäumt, worum es im alten Staat ging und im neuen geht, wendet sich der vorliegende Versuch der Aufklärung. Er zeigt, warum Demokratie und "Marktwirtschaft" so manches Interesse des zum Überlaufen bereiten Volkes zuschanden werden lassen – weil andere Interessen die gültigen sind. Er wendet sich polemisch gegen die offizielle Propaganda in bezug auf die "Lösung" sämtlicher "Fragen" der deutschen Einheit. Dafür steht derTitel "Anschluß" – denn um nichts anderes als eine Annexion handelt es sich. Daß zu deren Vollzug kein Krieg vonnöten war, sich vielmehr eine Fluchtwelle und Wahlen als nützlich erwiesen haben, taugt wenig als Einspruch gegen diesen schlichten, aber wahren Befund.
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Kaum umstritten dürfte die Behauptung sein, daß sich seit Herbst 1989 in deutschen Landen eine Blüte des Nationalismus abspielt. Wenn Tausende mit Fahnen durch die Straßen rennen und die Volkszeitung "Bild" ihre Buchstaben schwarz rot-gold einfärbt, hat sich eben die Liebe zur und das Recht der Nation dazu Bahn gebrochen. Dies ist unserer bescheidenen Auffassung nach freilich kein Grund, dieser unverwüstlichen Einstellung und den ihr entspringenden Werken Anerkennung zu zollen. Eher schon halten wir es für geboten, die enormen Leistungen dieser längst wieder als "natürlich" geltenden Haltung zu überprüfen: Wie schaffen es erwachsene Mensehen, sich das Interesse ihrer Nation zueigen zu machen? Gehen ihre Interessen mit denen des Staates zusammen, für den sie so begeistert geradestehen? Kurz - lohnt sich der Nationalismus eigentlich, und für wen?
Das Ergebnis, zu dem eine solche Betrachtung des deutschen Wahns im Jahr 1990 führt, fällt recht eindeutig aus. Die Kritik des Nationalismus dürfte für seine Liebhaber und Nutz nießer allerdings kein Problem sein - sie werden ihr mit dem Hinweis "begegnen", daß zur Zeit in Deutschland so gut wie nur Nationalisten unterwegs sind; so daß man gegen den Nationalismus, der eine "Realität" und "Kraft" ist, nicht ankommt: Es kommt darauf an, ihn auszunützen und sich auf ihn zu berufen. Das Dumme ist nur, daß schon längst fest steht, wofür diese Einstellung überhaupt bloß auszunützen ist.
Zum Zuge gekommen ist diese "Kraft" ausgiebig bei den ersten freien Wahlen in der DDR- und zwar mit einer bemer enswerten Abweichung von ihrem üblichen Wirken. Die wählenden wie die wahlkämpfenden Nationalisten haben sich nicht für die eigene Nation starkgemacht, sondern für eine andere. Dieser in der Tat außergewöhnliche Nationalismus verdankt sich ebenso außergewöhnlichen Berechnungen - woher sie kommen und was sie taugen, haben wir untersucht, weil es von praktischem Interesse ist.
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Die Wahlen hat ein auf seine Mündigkeit eingebildetes Volk zum Anlaß genommen, diejenigen zu benennen, die künftig für seine "Bevormundung" Sorge tragen sollen. In aller Form hat es neue DDR-Politiker in die Volkskammer entsandt; dem Inhalt nach haben die Wähler eine Politik an die Macht gebracht, die das Regieren zielstrebig an die Bundesrepublik abtreten soll und will. Die Nachfrage nach Stimmen war bei den Wahlkämpfern aus dem Kaufhaus des Westens mit dem Versprechen angekurbelt worden: "Wir übernehmen euer Land!" Und die Wähler haben das wie ein Sonderangebot genommen. Ermächtigt wurden Parteien, die dem Einzug bundesrepublikanischer Macht und Währung garantiert keine Hindernisse in den Weg legen. Das war so schwer nicht, weil sich alle "großen" Parteien - einschließlich der PDS - sowieso zu nichts anderem als zum Anschluß beauftragen lassen wollten.
Seitdem wird das Leben in der DDR gemäß den Maßstäben, die in Bonn und in westdeutschen Geschäftskreisen gelten, gründlich umgekrempelt. Daß dabei das Recht umgestellt wird und eine neue Ordnung mit ebenso neuen Erlaubnissen wie Verboten Einzug hält, wird von den Bürgern einerseits begrüßt - soweit sie der Vorstellung anhängen, daß damit das alte Un-Recht weichen muß. Andererseits gewahren sie auch, wie mit dem Recht auch zwischen gültigen Interessen und solchen unterschieden wird, die es zwar gibt und sich sehr gerecht ausnehmen, die aber keine Garantie durch die Staatsgewalt - die das Recht setzt und wahrt - genießen. Sie bemerken , daß das hochgeschätzte bürgerliche Recht lauter Eigentumsfragen regelt. Also nicht nur die politische Macht den Techniken der Demokratie gemäß organisiert, sondern auch die "ökonomische Macht" eindeutig verteilt.
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Soviel ist mittlerweile in der DDR klar: Mit der Inkraftsetzung des Privateigentums verändern sich wesentliche Bedingungen des ökonomischen Lebens für die Bürger der DDR. Das Arbeiten, Kaufen, Wohnen, Sparen - alles funktioniert plötzlich ein bißchen anders; und daß die Veränderungen nicht gerade solche zum Guten sind, bildet den Grund für mancherlei Vorbehalte, mit denen man im östlichen Deutschland den fälligen Anschluß begleitet.
Seltsamerweise wird die Sache mit dem Privateigentum, die vornehmlich im Zusammenhang mit Haus und Garten, Woh nung und Miete zur Sprache kommt, nicht ernstgenommen. Davon, daß mit dem "unschuldigen" Rechtsverhältnis - alles gehört halt wem und jede Nutzung brauchbarer Gegenstände ist eine Frage der ausschließlichen Verfügung des Eigners - die ganze Ökonomie kapitalistisch wird, scheinen die bevormundeten Opfer jahrzehntelanger ML-Indoktrination keineswegs überzeugt zu sein. Sie rufen nach "Marktwirtschaft" und verbinden damit die Vorstellung effektiven Wirtschaftens mit ganz viel Reichtum als Ergebnis. Sie halten das westliche System für eine Methode, durch die einfach für jedermann viel mehr herauskommt - und die dazugehörigen Gegensätze für eine Nebensache, auf die die Aufmerksamkeit der Zuständigen gelenkt gehört. Sie können es kaum erwarten, daß "die DM kommt" - und wollen nichts davon wissen, welche ihren Interessen feindlichen Agenturen sie damit ins Recht setzen, wenn das Geld zum Maß allen (privaten) Reichtums wird; wenn sich Produktion, Verteilung und Konsumtion an einem in DM bezifferten Ertrag ausrichten, den sie bewirken.
Die politische Ökonomie des Anschlusses, die Analyse der Umstellung, durch die aus der DDR eine lohnende Erweiterung der BRD wird, mag denen überflüssig erscheinen, die mit ihrem Geld und ihrer Gewalt die "Währungsunion" organisieren. Denen, die als Material eines Zugewinns an Reichtum und Macht der BRD vorgesehen sind, kann die Kenntnis der Sache, um die es geht, so gleichgültig nicht sein. Denn die "Erfahrungen", die ihnen bevorstehen, verdanken sie alle einem Programm, in dem sie als Mittel gelungener Geschäfte zugerichtet werden und als Bürger einer neuen Nation für diese geradestehen dürfen.
Auch dieses Kapitel, das sich mit dem Grund und Zweck der "Wiedervereinigung" befaßt und deren Kritik darstellt, richtet sich polemisch gegen die im Volk verbreitete Einstellung zur Verwandlung der DDR in einen Geschäftsbereich der europäischen Führungsmacht BRD. Diese Einstellung ist zugleich eine auf den Anschluß, zu dem als "pro und contra" nur noch der matte Gesichtspunkt des "zu schnell" oder "zu langsam" in Betracht gezogen wird. Niemand befaßt sich ernsthaft mit der Qualität der Umwälzungen, obgleich 16 Millionen offen als mehr oder minder brauchbare Objekte wirtschaftlicher und politischer Macht verhandelt werden.
Die beiden ebenso zugänglichen wie verläßlichen Quellen für Wissen über die sog. "Marktwirtschaft" werden bei den Fanatikern wie von den Skeptikern in Sachen Einheit sträflich vernachlässigt. Dem "real existenten" Kapitalismus der BRD will das Volk – und die neue Garde der politischen Nomenklatura auch – einfach nicht die Antwort auf seine Fragen entnehmen, wenn es sich danach erkundigt, womit es künftig zu rechnen hat. Auf die in unmittelbarer Nachbarschaft praktizierte Geschäftstüchtigkeit starrt es mit unverhohlener Bewunderung, weil sie Reichtum und Effizienz garantiert. Dahinter verschwinden durchaus bekannte Eigenarten dieses Reichtums und seines Funktionierens, als wären sie nur der erträgliche Preis der neuen Freiheit. Wenn dann die unerwünschten "sozialen Folgen" zur Sprache kommen, die von der "Marktwirtschaft" befürchtet werden, so werden sie eher als Möglichkeiten denn als Notwendigkeiten verhandelt. Offenbar hält man in der DDR auch sehr wenig von der zweiten "Quelle" für sichere Kenntnisse über den Kapitalismus: Die theoretische Erklärung dieses Systems, die Marx geliefert hat und im SED Staat reichlich und billig verfügbar ist, erfreut sich der brutalsten Verachtung. Als ob Marx für die Gründung und die Umtriebe der SED verantwortlich wäre, nur weil diese Partei bei der Ausübung ihres Gewaltmonopols den alten kommunistischen Denker zur Berufungsinstanz erhoben hat, ist seine Kapitalismuskritik zum Wegwerfobjekt verdammt worden. Ein Versäumnis, durch das der Blick auf "Alternativen" in der Tat gründlich verstellt wird.
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Der politische Verstand, der sich stets bemüht, die "Realitäten" anzuerkennen, versteht sich als theoretisches Hilfsmittel zur Anpassung. Der Bürger deutet die Werke derer, die kraft ihres Amtes und Geldes dazu "die Realitäten" schaffen, ziemlich verkehrt – nämlich als gute bzw. schlechte Gelegenheiten, sich schadlos zu halten. Im Falle der "Wiedervereinigung" verpaßt diese auch "praktisch" genannte Sicht der Dinge sogar den ganz und gar ungemütlichen imperialistischen Charakter des Projekts. Es hilft aber gar nichts, die Vokabel "Imperialismus" – die ja im Wortschatz des vergeigten realen Sozialismus ihren festen Platz hatte – zu verwerfen und die Mehrung von Reichtum, Recht und Macht des neuen Deutschland mit lauter niedlichen Kennzeichnungen zu verharmlosen. Die gängigen Bilder vom "Zusammenwachsen", von der in der deutschen Menschennatur angelegten "Verbrüderung" haben nichts mit der Rolle zu tun, die die gewöhnlichen "Menschen" im ganzen Deutschland zu spielen haben. Sie sind als leistungsfähiges Inventar einer europäischen Großmacht vorgesehen, die sich auf Kosten anderer Nationen Geld und internationalen Einfluß verschafft. Wie sonst hätte mit der Entscheidung, die "Union" herbeizuführen, gleich die Frage nach der Stellung in der EG, nach den Rechten und Pflichten gegen über den Konkurrenten auf dem Weltmarkt auf die Tagesordnung kommen können? Und die aufgeregte Debatte mit Ost und West über die militärische Ausstattung und Position des gesamtdeutschen Staates spricht doch auch nicht dafür, daß die neue Nation an den internationalen "Kräfteverhältnissen" nichts verändert!
Wenn die "Wiedervereinigung", noch ehe sie fertig ist, zur weltpolitischen Affäre wird; wenn von währungs-, kreditpolitischen und militärischen Fragen keine einzige ausgespart wird, weil eine erweiterte BRD einfach mehr Mittel hat, um sich durchzusetzen; wenn der Einsatz dieser Mittel gleich als legitimes Interesse, als Recht Deutschlands zum diplomatischen Verhandlungs- und Streitfall der höchsten Mächte wird – dann ist eines ganz bestimmt keine Frage: Wer wem da zu Diensten ist, die Nation den "Menschen" oder die dem Staat, der die Weltlage aufmischt!
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Die Dienste, die von den "Menschen" im geeinigten Deutschland künftig gefragt sind, machen ihre neue Freiheit aus. Die DDR-Bürger, die in diesem Geschäft noch neu sind, müssen sich daran gewöhnen, daß sie jetzt keinem Kommando mehr, sondern lauter Sachzwängen gehorchen. Den neuen Lebensumständen entsprechend dürfen sie sich auch einen neuen Reim auf all das machen, was sie müssen. Sie stehen vor der Aufgabe, sich von der realsozialistischen "Gesinnungskontrolle" zur demokratischen Freiheit hinzuarbeiten.
Einen ersten unbeholfenen Schritt in die richtige Richtung vollzieht das Volk schon in der Zeit des Übergangs. Es ergeht sich in ausgiebigen Beschimpfungen der Mächte, denen es sich seit 1990 entzogen weiß und überhaupt nicht mehr verpflichtet fühlt. Eine davon heißt Stasi. Dieser Geheimdienst, in der alten DDR gar nicht sehr geheim, sondern allgegenwärtig, ist für aufrichtige Überläufer in das Reich der Freiheit nicht bloß ein handfester Bestandteil des alten Gewaltapparats. "Stasi" ist in der Übergangs-DDR zum Argument geworden. Er steckt hinter allem, wirkt weiter und verunglimpft vor allem die neue Nomenklatura der demokratisch geläuterten Politik. Statt allein die Nachfolgeorganisation der alten Staatspartei, die PDS zu belasten. Die Kritik an dieser Verkörperung alles Bösen macht den zweiten Bestandteil der Umschulung aus, die das tapfere Volk an sich vornimmt. Sie kürzt sich auf den energischen Vorwurf zusammen, man wüßte ja, wessen Nachfolger die sind. Der Antrag lautet "Nichtzulassung zur demokratischen Konkurrenz", so daß die Begeisterung über die Verfügbarkeit von westlich gesponsorten Wahlvereinen unübersehbar ist. Im Vorwurf des "Wendehalses" wird der PDS nichts von dem angekreidet, was sie tut, sondern vorgerechnet, daß sie von den demokratischen Manövern der neuen Politik ausgeschlossen ist. Daß sie vorerst dennoch im Geschäft bleibt, verdankt sie den Vorbehalten bezüglich der Härten des Anschlusses, zu deren Fürsprecher sie sich in Konkurrenz mit den fahnenschwenkenden Fraktionen gemausert hat.
Seine Meinungen bezieht der befreite Bürger - nicht nur über das Gespann Stasi/PDS, sondern insgesamt - ab sofort aus der Bildzeitung. Dieses freiheitliche Blatt bietet Orientierung in allen Lebenslagen, weiß Tüchtige von Versagern zu scheiden, kennt die Pflichten eines jeden Standes, von Herren wie Knechten. Es verlangt geradezu von jedem Stand seine Schuldigkeit, von der politischen Prominenz genauso wie von nackt abgebildeten Filmsternchen; von Edeka-Managern wie von Straßenbahnfahrern. Insgesamt müht sich diese Zeitung, die in der DDR auf heftigen Anklang stößt, um den Anschluß in ideologischer Hinsicht.
Die Weisheiten der offiziellen Lehre von gestern, der Histomat mit seiner einfältigen Berufung auf die "Geschichte", auf die "Realitäten", brauchen als staatsdienlicher Denksport deswegen nicht abzudanken, auch wenn die einschlägigen Bücher in den Reißwolf kommen. Daß einer jeden Figur und jeder Sache der Erfolg recht gibt und den besten Existenzgrund ausmacht, den man sich denken kann, gerät auch im Springerblatt und seinem deutschen Wahn nicht in Vergessenheit. Die Bequemlichkeit, auch weiterhin alles in der gewohnten Parteilichkeit betrachten zu dürfen - nur die Nation, der man sich verbunden weiß, ist eine andere -, weiß man von Thüringen bis an die Ostsee schon jetzt zu schätzen. Beschwerden darüber, daß damit eine gewisse geistige Verrohung verbunden ist, daß eine so bornierte Weltanschauung wie der neue deutsche Nationalismus nur das Parteibuch nützlicher Idioten sein kann, sind noch nicht laut geworden.
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