§ 6
Steuern

Zur Wahrnehmung seiner Aufgaben gegenüber seinen Bürgern verlangt der Staat von ihnen Steuern. Alle müssen sie mit einem Teil ihrer Mittel für den Unterhalt von Staatsagenten, für die Durchsetzung des Rechts, für die Unterstützung des Eigentums und für die Förderung der Lohnarbeit aufkommen. Dadurch, dass der Staat die Bürger gleichermaßen verpflichtet, Steuern zu entrichten, lässt er die einen für die Sicherheit ihres Eigentums, die anderen für die Unsicherheit ihrer Existenz bezahlen. Als Bedingung der kapitalistischen Produktionsweise beschränkt der Staat den Reichtum der konkurrierenden Privatsubjekte, er entzieht allen Klassen einen Teil ihrer Revenue und genügt nur so seiner heiligen Pflicht; als faux frais der kapitalistischen Produktion dient er der Vermehrung des Privateigentums ebenso, wie er für die Reproduktion der Lohnarbeiterklasse sorgt, die für diese Vermehrung zuständig ist. Wegen des privaten Reichtums zieht er gesellschaftliche Mittel an sich und gestaltet daher auch die Erhebung dieser Mittel entsprechend ihrem Zweck.

Aus dem Buch
1979, 1980, 1999, 2008, 2024 | 144 Seiten | 15 €  Zum Warenkorb
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Gliederung

§ 6
Steuern

Zur Wahrnehmung seiner Aufgaben gegenüber seinen Bürgern verlangt der Staat von ihnen Steuern. Alle müssen sie mit einem Teil ihrer Mittel für den Unterhalt von Staatsagenten, für die Durchsetzung des Rechts, für die Unterstützung des Eigentums und für die Förderung der Lohnarbeit aufkommen. Dadurch, dass der Staat die Bürger gleichermaßen verpflichtet, Steuern zu entrichten, lässt er die einen für die Sicherheit ihres Eigentums, die anderen für die Unsicherheit ihrer Existenz bezahlen. Als Bedingung der kapitalistischen Produktionsweise beschränkt der Staat den Reichtum der konkurrierenden Privatsubjekte, er entzieht allen Klassen einen Teil ihrer Revenue und genügt nur so seiner heiligen Pflicht; als faux frais der kapitalistischen Produktion dient er der Vermehrung des Privateigentums ebenso, wie er für die Reproduktion der Lohnarbeiterklasse sorgt, die für diese Vermehrung zuständig ist. Wegen des privaten Reichtums zieht er gesellschaftliche Mittel an sich und gestaltet daher auch die Erhebung dieser Mittel entsprechend ihrem Zweck.

a)

Der Staat verfügt über die Steuerhoheit, womit ausgemacht ist, dass es sich beim Steuerzahlen nicht um ein Tauschgeschäft handelt. Steuern sind „Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen“, (AO § l) und ihre Entrichtung erzwingt der Staat: Pflicht zur Steuererklärung und ausgedehnter Apparat der Steuerermittlung.

Bei seinen Steuergesetzen hat der Staat zunächst darauf zu achten, dass er auf seine Kosten kommt: das Maß seines Anteils am gesellschaftlichen Reichtum muss er so bestimmen, dass genügend Geld zur Verrichtung seiner Leistung vorhanden ist. Aufgrund der Gleichheit, die der demokratische Staat auch hier walten lässt, nimmt er sich vom Einkommen eines jeden Bürgers einen Teil. Hier stößt er insbesondere bei denen, die als einzigen ,Besitz’ ihr zum Verzehr notwendiges Einkommen haben, auf wenig Begeisterung, weshalb er zu einer besonderen Erhebungsform der Ein-kommensteuer übergegangen ist: Steuerabzug an der Quelle. Da die proportionale Besteuerung des Einkommens bei weitem nicht der Vergrößerung des privaten Eigentums entspricht, deren Beförderung dem Staat immer mehr Leistungen aufnötigt, gibt es einerseits eine Steuerprogression, durch die der Staat die handfesten Einkommensunterschiede für sich ausnützt und beweist, wieviel Geld manche Leute übrig haben, andererseits auch noch andere Besitzsteuern: die Einkommen juristischer Personen werden in der Körperschaftssteuer erfasst, und auch der nicht in den Konsum unmittelbar eingehende Besitz ist entsprechend seiner Größe steuerpflichtig: Ertrag-und Vermögenssteuer.

Mit den Verkehrsteuern partizipiert der Staat unmittelbar an der Vermehrung des Eigentums seiner Bürger, der sämtliche Transaktionen des Handels dienen. Die inzwischen in die Mehrwertsteuer verwandelte Umsatzsteuer macht deutlich, was Geschäftsleute mit der von Staats wegen vorgenommenen Schmälerung ihres Gewinns anstellen: alle steuerlichen Belastungen suchen sie als Kosten in ihre Kalkulationen aufzunehmen und zu einem Moment der Preisbildung zu machen: Überwälzung, wodurch sie einem Teil der Steuern, die sie zahlen, dieselbe Wirkung verleihen, welche die Verbrauchsteuern von vornherein besitzen: sie stellen eine Belastung des Einkommens der Käufer von Endprodukten dar. Jedoch hat die Überwälzung von Besitz-und Verkehrsteuern auf die Preise an der Konsumtionskraft der Gesellschaft ihre Grenzen, die in der Konkurrenz festgestellt werden, so dass die Steuergesetzgebung sich als ein Mittel erweist, dem Klassenkampf neue Impulse zu verleihen. Während den Industrie-und Handelsunternehmen das Überwälzen von Steuern eine kalkulatorische und marktbeobachtende Zusatztätigkeit verursacht, müssen die Lohnabhängigen die Schmälerung ihres Einkommens, die sie an den Warenpreisen bemerken, durch Kampfmaßnahmen ausgleichen.

b)

Doch muss der Staat auch darauf achten, dass er durch seine steuerlichen Maßnahmen seine dem Erhalt des Eigentums und der Lohnarbeit gewidmeten Anstrengungen nicht wirkungslos macht. Die Verteilung der Steuerlasten regelt er so,

  • dass konkurrenzschwache Unternehmen nicht von vornherein zerstört werden ( Vergünstigungen für Zonenrand-und andere förderungsbedürftige Gebiete, Freibeträge, weitgehende Steuerfreiheit für die Landwirtschaft etc.);.

  • dass die Reproduktion der arbeitenden Klasse nicht direkt gefährdet wird, wo er gleichzeitig bereits durch sein soziales Netz deren Schwierigkeiten anerkannt und auf ihre Bewältigung hingewirkt hat (Freibeträge, Werbungskosten, Bausparvergünstigungen, Altersfreibeträge, doppelte Haushaltsführung etc.);.

  • dass die in Unternehmensform geführten wohltätigen Vereine in ihrer Kompensationsbemühung für den notwendigen Pauperismus nicht behindert werden.

Dergleichen Rücksichtnahmen bilden stets den Hauptgegenstand der Steuerreformen, die begleitet werden von öffentlichen Auseinandersetzungen um die Billigkeit des einen oder anderen Steueränderungsgesetzes, an denen sich auch die Staatsmänner selbst beteiligen, um ihre Beschlüsse als Ausgeburt der Gerechtigkeit zu propagieren.

c)

Wenn die bürgerliche Klassengesellschaft einen Staat braucht, der sein ökonomisches Dasein aus einer permanenten Beschränkung der Gesellschaft bestreitet, für deren Zweck er da ist (faux frais), die Vermehrung des Eigentums also nicht geht ohne einen ökonomisch für seine Funktionen gerüsteten Staat, dann hat dieser Staat sich ökonomisch leistungsfähig machen müssen in Verhältnissen, in denen das Kapital und die Lohnarbeit noch nicht existiert haben, und zwar durch einen Einzug von Steuern, der ihm sein Fortbestehen sicherte und zugleich auf die Scheidung von Arbeit und Kapital hinwirkte. Der vorkapitalistische Staat war vom Handel und von der Verfügung über die abstrakte Form des Reichtums, vom Geld, abhängig und fand dennoch in seiner Gesellschaft keine ökonomischen Verhältnisse vor, die sich dem Zweck der Mehrwertschaffung verschrieben haben: Besteuerung der Bauern als Moment der ursprünglichen Akkumulation, welches ergänzt ward durch die in §7 zu behandelnde Verwandlung von Staatseigentum in Privateigentum, wobei der Staat, der Soldaten etc. brauchte, dies um seiner selbst willen tat, nicht weil er wusste, dass ein Kapitalismus her muss. Er hat sich erhalten – und sich verändern müssen!

d)

In diesen Auseinandersetzungen zeigen sich die Demokraten von ihrer materialistischen Seite: während sie sonst nicht davor zurückschrecken, ihren Nutzen in die moralische Parteinahme für den Staat zu verwandeln, haben sie hier, wo der Staat sie den Beweis für ihre staatsbürgerliche Loyalität über den Geldbeutel antreten lässt, keine Hemmungen, auf ihn zu schimpfen. Der Staat, der ihnen bedeutet, dass seine Leistungen unmittelbar an Entbehrungen der Bürger geknüpft sind, also nicht nur Pflichten des demokratischen Wohlverhaltens, sondern ökonomische Opfer verlangt, wird an den Regeln des ökonomischen Lebens gemessen: jeder betrachtet seine Steuerzahlung als Preis für Dienste, die die Regierung ihm zukommen lässt – eine Auffassung, der der Staat dadurch Vorschub leistet, dass er seinen Bürgern die Gerechtigkeit der Besteuerung dadurch plausibel zu machen sucht, dass er seine Wohltaten verkündet, sooft er kassieren geht. Bisweilen geht er sogar so weit, zweckgebundene Steuern bei denen einzutreiben, die von ihrer Verwendung „profitieren“ (Straßenverkehr) – und jeder entdeckt, dass er ein schlechtes Geschäft macht, also zuviel bezahlt. Mit dieser Kritik am ökonomischen Dasein behält der Staatsbürger sein falsches Bewußtsein, das ihm die Vorteil-/Nachteilrechnung des Konkurrierenden diktiert, bei und wird auf der Grundlage dieses Bewußtseins radikal. Und der „radikale Bourgeois“, dessen Heimat Marx im Gefilde von Steuerstreitigkeiten entdeckt hat, ist derjenige, der nichts ändern will, sondern unter gleichbleibenden Umständen seinen Vorteil zu vergrößern sucht – so dass nach verabschiedeten Steuergesetzen die Missbilligung der parlamentarischen Beschlüsse nicht zur Revolution fuhrt, sondern Anlass zu Betrugsmanövern aller Art ist. Jeder, der es kann, bescheißt den Staat um die Steuern und hat dabei keinerlei moralische Skrupel – im Gegenteil; sich in Steuersachen gut aus der Affäre zu ziehen, gilt als normales Geschäftsgebaren und liefert einem ganzen Berufsstand ein erkleckliches Auskommen: Steuerberater können bloß die meisten nicht ausnützen, und Schwarzarbeit taugt wegen des Versicherungsschwindels bestenfalls als Ergänzung zur ordentlichen Tätigkeit, deren Entlohnung den Haken hat, dass die Steuer schon abgezogen ist. Der Staat weiß um das Treiben seiner Bürger und begegnet ihrem schädlichen Verhalten mit Schnüfflern, Buchprüfern und einer Steuerstrafgesetzgebung, die vieles verzeiht. Faschisten teilen mit den Revis die Sorge um saubere Steuereintreibung und verlangen in Sachen Besteuerung kleine Sonderbehandlungen der Parasiten, vor allem der „anonymen Kapitalgesellschaften“ und Juden.