Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Zum Tod von Ignatz Bubis
Die Dialektik der Aussöhnung kommt unter die Erde
Post mortem verzeiht die deutsche Öffentlichkeit ihrem Vorzeigejuden, dem Mann der Versöhnung, die lästige Rolle als „Gewissen der Nation“, nicht aber, dass er sich nicht in deutscher Erde bestatten lassen wollte.
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Zum Tod von Ignatz Bubis
Die Dialektik der Aussöhnung kommt
unter die Erde
Bis grade eben hat man Ignatz Bubis eigentlich nicht mehr so richtig leiden können. „Böse Worte“ hat er geäußert, deutsche Dichter gekränkt und überhaupt alle möglichen Deutschen mit der „Moralkeule“ bedroht, die nur mal eben aus vollem Herzen Deutschland liebhaben wollten. Aber – de mortuis nihil nisi bene – die deutsche Öffentlichkeit ist nicht nachtragend, vor allem dann nicht, wenn sich der schwierige Tote trotz allem hervorragend für den nationalen Lobpreis eignet. „Ein großer Deutscher jüdischen Glaubens ist tot.“ (Alle). „ Als deutscher Patriot jüdischen Glaubens war Ignatz Bubis immer auch Botschafter unseres Landes in der Welt“ (Kohl).
„Ein Mann der Versöhnung und des Ausgleichs, aber kein Mann der Indifferenz und der Beliebigkeit“, der „als ein Beispiel dafür, daß Juden in Deutschland leben können.“ (Rau) dazu beigetragen hat, „daß für Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens eine Zukunft in Deutschland überhaupt wieder vorstellbar wurde.“ (Schröder)
So mögen wir unsere Juden: als Patrioten, die ihre Anhänglichkeit an die deutsche Nation nicht trüben lassen durch deren einstige Untaten, vielmehr, deutsch bis ins Herz, als Jude vor aller Welt den Kronzeugen der seither eingetretenen enormen sittlichen Besserung Deutschlands spielen. So groß ist letzere ausgefallen, daß es für Juden im neuen Deutschland glatt eine Zukunft jenseits des Gasofens gibt – davon wußte Bubis mit der geballten Autorität des Repräsentanten der einstigen Opfer zu künden. Das verdient ein dickes Lob. Die deutsche Nation rechnet es sich offenbar hoch an, daß sie zumindest eine der mörderischen Unterscheidungen zwischen Deutschen und Anderen bis auf weiteres so nicht mehr betreiben will, ja sogar so weit geht, den für deutsche Patrioten nach wie vor unschwer identifizierbaren Juden in ihren Reihen zuzulassen. Als Lohn für diese edle Tat hat es die moralisch geläuterte Republik dann ja wohl verdient, daß die einstigen Opfer sich um „Ausgleich“ bemühen. Das hat Ignatz Bubis, so hört man, in vorbildlicher Weise erledigt; und dieser Freispruch erster Klasse, den die Republik dem Leben und Wirken des großen „Brückenbauers“ und „Mannes der Versöhnung“ entnimmt, gefällt ihr so gut, daß sie sich ausnahmsweise großzügig zeigt und dem Mann seine lästige Rolle als „Gewissen der Nation“ nachträglich verzeiht. Mit der „moralischen Autorität“, die dem Zentralratsvorsitzenden und Überlebenden „Deutschlands dunkelster Stunden“ zugestanden worden war, ist er dem deutschen Staatsverein, der seine Vergangenheit für nunmehr „abgeschlossen“ erachtet, nämlich nicht immer, aber immer öfter ziemlich auf den Senkel gegangen. Im Nachhinein läßt sich dies aber glänzend als „wichtige Funktion“ des „unbequemen Mahners“ würdigen, weil – wie so üblich beim Mahnertum – die geduldete Existenz von Einem, der der Nation ins Gewissen redet, schon auch als so etwas Ähnliches genommen werden kann wie ein ihr ausgestelltes Gütesiegel.
Wäre Ignatz Bubis also einfach nur gestorben und am
Frankfurter Nordfriedhof beerdigt worden, so wäre das
auch schon so ziemlich alles, was sich von ihm hätte
sagen lassen. Leider aber bleibt den professionellen
Nachrufern aller Ämter und Presseorgane ein
Wermutstropfen, oder vielmehr deren zwei, nicht erspart.
Man kann als Jude zwar in Deutschland leben,
offenbar aber nicht begraben sein. Bubis’
letztwillentliche Verfügung, in Israel beigesetzt zu
werden, auf daß sein Grabmal nicht zum
Naherholungszentrum rechtsradikaler Sprengstoffexperten
wird, muß als gemeine Spitze des teuren Verblichenen an
seine Mitpatrioten verstanden werden. Es könnte zwar
jedem, also auch Bubis, egal sein, was nach seinem Tod
auf dem Fleckchen Erde passiert, in dem man seine Leiche
vergräbt, aber der Totenkult gehört nun mal mit zum
Hartnäckigsten allen metaphysischen Blödsinns. Und weil
es „uns Deutschen“ auch nicht egal ist, entnehmen wir dem
Begräbniswunsch eine gewisse unmißverständliche
Absage an die deutsche Heimaterde, nach der sich
jeder echt patriotische Kadaver doch innig sehnt. Das, so
befindet Bundespräsident Rau, hätte es nicht gebraucht.
Denn es gibt in der Bundesrepublik keine nennenswerte
rechtsradikale Bewegung.
Das mußte mal wieder gesagt
werden, sonst geht der ganze gute Eindruck, den unser
„Botschafter“ in der Welt verbreitet hat, wieder flöten.
Daß Bubis auf die Ehre, in deutschem Grund und Boden verscharrt zu werden, verzichtet, ist eine Konsequenz der Bilanz, die er kurz vor seinem Tod über sein eigenes Lebenswerk gezogen hat: „Ich habe nichts oder fast nichts bewirkt“ (SZ 16.08.99). Nichts leichter, als dieses „weitgehend negative“ Resümee als übergroße „Bescheidenheit“ zu kommentieren und damit zurückzuweisen – bloß: Es ist nun einmal seine Bilanz und die Bilanz des Werkes, für das Bubis so gelobt wird, und wegen des Todesfalls und der Begräbnisverfügung ist diese Bilanz auch nicht mehr aus der Welt zu schaffen: Experiment mißlungen – Deutschland doch nicht ganz so in Ordnung.
Bubis hinterläßt testamentarisch einen Vorwurf an
Deutschland – und was für einen! Nichts an diesem Staat
hat ihn gestört, nicht sein vierzig Jahre währendes
Drängen auf Wiederherstellung einstiger Größe und nicht
die Armut im schließlich wieder angeeigneten Osten. Im
Gegenteil, er gehörte zu der Partei, die immer schon das
Soziale für übertrieben findet und lieber die
Besserverdienenden vertritt. Zu denen gehörte er selbst,
dank erfolgreicher Bodenspekulation in der Frankfurter
City, für die er sich einst den Haß vertriebener Mieter
und linker Häuserkämpfer zuzog. Alles das gehört, wie er
selbst es ausdrückt, zu der Suppe, die mir
schmeckt
, und die nicht mit dem einen Haar
verwechselt werden soll, das er kritisiert: den Judenmord
von damals und die immerwährende Prüfung, ob die
Gegenwart Deutschlands hinreichend für das „Nie Wieder!“
garantiert. Genaugenommen aber war seine Prüfung der
antirassistischen Reife der Deutschen gar kein Messen und
Prüfen; vielmehr war seine werte Person selbst und der
Respekt, den man ihr in diesem Land zollte, schon der
ganze Prüfstein der antifaschisten Selbstkorrektur der
Deutschen. Seine Identität als Jude und Deutscher war die
Herausforderung an das ewig gefährdete Deutschland, und
seine Beheimatung in ihm die Überwindung der Gefahr. Das
rundheraus positive Programm dieser doppelten Identität
ist antikritisch in seine beiden Richtungen: Daß er, 8000
Jahre nachdem Jehova die Welt erschuf, zum auserwählten
Volk gehört, das kein unkoscheres Fleisch ißt, kommt ihm
ebensowenig lachhaft vor wie sein Deutschtum, das ihn mit
anderen Mitgliedern der Kulturnation verbindet und über
Goethe und Schiller, Kant und Gneisenau in geistige
Verwandschaft bringt. Bubis hat die zwei Identitäten
gelebt, war also ein doppelter Fanatiker der furchtbaren
Gleichsetzuung von Individuum und Nation und hat wie
wenige die Nationalideologie für das Wesen seiner
doppelten Persönlichkeit gehalten. Jetzt hinterläßt er
der Welt den Vorwurf, er sei mit seinem Programm der
Vereinbarkeit seiner beiden Identitäten an den Deutschen
gescheitert.
Gescheitert ist er tatsächlich nicht an der Unbelehrbarkeit einer speziell deutschen Volksseele, sondern an der Unbelehrbarkeit des Standpunkts der nationalen Identität selbst, den er ebenso innig wie doppelt gelebt hat – als Jude und Deutscher. Denn wer bei nationaler Identität anfängt, muß auch dabei bleiben. Wer sich neben sein Deutschtum noch als Jude stellt, betont eine Differenz, die diese die ganze Person umfassende Identität nicht verträgt und die zu der Idee einer quasi naturwüchsigen Mitgliedschaft im nationalen Verein auch nicht paßt. Wer dazu noch „Versöhnung“ anbietet, legt den Finger darauf, daß es noch immer etwas zu versöhnen gibt, drückt also aus, daß diese Differenz moralische Qualität hat und einen Vorwurf an das zugleich bejahte Deutschtum enthält. Patrioten haben ein feines Gespür für diese Dialektik; sie merken wohl, daß das Verzeihen an die Sünde erinnert, den Vorwurf wach hält und den, der vergibt, über den setzt, dem vergeben wird. Das nehmen sie dem „Versöhner“ übel.
Anders gesagt: Als ganzer Jude ganz Deutscher sein zu wollen, ist noch viel widersprüchlicher als der Doppelpaß, der kürzlich vom Parlament abgelehnt wurde – gewissermaßen ein moralischer Doppelpaß. Es ist das Bekenntnis zur ausschließenden, unbedingten Zugehörigkeit zum nationalen Verband, und zugleich das Festhalten an einem Vorbehalt dagegen. Bayern, Katholiken etc. können ohne weiteres zugleich Deutsche und auch noch Europäer sein, weil die diversen Kollektive, in die sie sich einreihen, keinen Gegensatz untereinander haben. Mit ganzer Seele Jude und Deutscher sein, das geht nicht auf. Bubis wollte vereinen und vorleben, daß deutscher Patriotismus eine feine Sache ist, allerdings nur jüdisch gebremst und durch die Tugend kollektiven „Erinnerns“ geläutert. 50 Jahre lang hat die Republik diese moralische Selbstkritik ins verbindliche Bild der Nation aufgenommen – und Bubis das ehrenvolle Amt eines Wächters über diese Selbstkontrolle des nationalen Ich verschafft. Mehr als eine berechnende Heuchelei, die in ihrer Zeit gute Dienste geleistet hat, war das aber nie. Und sie wird mit der „Berliner Republik“, die ihre Holocaustdenkmäler selber baut, zunehmend als überflüssig und störend empfunden. Das hat Ignatz Bubis zu spüren bekommen: Deutsche Patrioten haben ihm deutlich gemacht, was für eine unglaubliche Zumutung es für sie ist, daß moralisch einwandfreies Deutschtum nicht dem Deutsch sein selbst entspringen soll, sondern erst noch einer Zertifikation durch die Opfer von ehedem bedarf. Den ebenso unglaublichen Freispruch, der damit an die Republik bei allem ergeht, was sie im In- wie Ausland so anrichtet, solange sie nur unterhalb der Schwelle ihres historischen Mißgriffs, des Völkermordes, bleibt, hat Bubis niemand mehr so richtig zugute halten wollen. Umgekehrt wurde ihm bedeutet, daß keine „normale Nation“, die auf sich hält, so eine Moralwachtel aushält. Das Bekenntnis zur Nation als sittlichen Gemeinschaft und verpflichtendem Kollektiv kann keine noch so gut gemeinte Distanz vertragen, und entlarvt sogar noch den, der mit ihr moralisch kokettiert, als einen, der gar nicht richtig dazugehört.
Noch anders ausgedrückt: „Jüdische und nicht-jüdische Deutsche“, resümiert Bubis, „seien sich weitgehend fremd geblieben.“ (SZ, 16.08.99) Wie hätte das auch anders ausgehen können: Wer den Patriotismus, also die Gesinnung, die den besonderen Wert der eigenen nationalen Identität im Gegensatz zu den Mitgliedern anderer Volkskollektive hochleben läßt, nicht ablehnt, sondern sich daran abarbeitet, in vaterländischer Gesinnung Deutschtum und Judentum zu versöhnen und in seiner Person für alle vorbildlich zur Deckung zu bringen – der muß damit rechnen, bis in alle Ewigkeit „der Jude“ zu bleiben.
Die Gleichung, die nicht aufgehen will, läßt sich auch von der anderen Seite her buchstabieren, und auch das hat Bubis immer wieder eingeholt. Der Vorwurf, er „verrate das Judentum“, mache Deutschland schon allein deswegen wieder salonfähig, weil er dort wohnt, ist gegen ihn – von ebenfalls überaus vaterlandsliebenden Vertretern des jüdischen Nationalempfindens Marke Israel – erhoben worden. Und auch die Flucht vor Deutschlands heimattreuen Grabschändern und heim in die „heilige Erde“, ist Bubis nicht so recht gelungen. Fast wie von deutscher Seite bestellt, hat sich kurz nach der Beerdigung ein durchgeknallter israelischer Künstler gefunden, der dem „Verbrecher“ einen Eimer Farbe auf den Grabstein schüttet. Was immer den getrieben haben mag, der Selbstgerechtigkeit deutschen Nationalbewußtseins hat er einen großen Dienst erwiesen. Wenn es demnächst mal wieder auf jüdischen Friedhöfen in Deutschland drunter und drüber geht, kann sich die deutsche Patriotenwelt beruhigen: Wer als Jude in Deutschland nicht begraben sein will, kann sein Grab ja in Israel schänden lassen.