Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Weltpolitik als Strafgericht
Der internationale Strafgerichtshof – ein Konkurrenzunternehmen der europäischen Diplomatie zum Rechtsanspruch amerikanischer Weltpolitik

Eine globale Strafjustiz soll die im Regierungsauftrag ausgeübte Gewalt in legale und illegale scheiden, und das alles institutionalisiert von Gewaltmonopolisten, die den Strafgerichtshof als Hebel ihrer Diplomatie, aber nicht selber auf der Anklagebank sitzen wollen. Die USA drohen, alles dafür zu tun, dass dieser diplomatische Affront gegen sie, keine Zukunft hat. Das „Gesellenstück der deutschen Diplomatie“ kriegt zu spüren, dass Recht und überlegene Gewalt zur Durchsetzung von Sanktionen gegen Staaten untrennbar zusammen gehören.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Weltpolitik als Strafgericht
Der internationale Strafgerichtshof – ein Konkurrenzunternehmen der europäischen Diplomatie zum Rechtsanspruch amerikanischer Weltpolitik

1. Fünf Wochen lang treffen sich 159 Staaten in Rom zu einer Konferenz, um als ein Bollwerk gegen das Böse (UN-Chef Annan im Eröffnungsappell) den ICC (International Criminal Court) ins Leben zu rufen. Unter den versammelten Staaten herrscht breiter Konsens darüber, daß der ICC als solcher eine ‚gute‘ Sache sei und als eines der wichtigsten noch fehlenden Glieder im modernen Völkerrecht längst schon hätte verwirklicht werden müssen (NZZ 11./12.7.98). Ein bißchen besser soll die politische Welt werden, indem die Urheber von Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verantwortung gezogen werden. Trotz der vermeldeten Einigkeit über die Notwendigkeit und moralische Güteklasse einer solchen Institution steht schon im Vorfeld fest, daß die schwierigsten internationalen Vertragsverhandlungen seit Jahrzehnten (SZ 18./19.7.) anstehen. Besonders viel Weitsicht verlangt diese Prognose nicht, schließlich sind internationale Rechtsangelegenheiten Machtfragen zwischen Staaten. Diese Tatsache, daß das umstrittene Strafgericht eine ziemliche Grundsatzfrage aufwirft, weil es erheblich in die Souveränität der Staaten eingreifen (ebd.) wird, ist für die Berichterstatter allerdings ein einziger Stachel des moralischen Eifers, das Böse, wenn es denn aus dem zwischenstaatlichen Verkehr schon nicht zu tilgen geht, dann wenigstens zu ahnden: Über solche kleinen Schwierigkeiten könnten sich die Staaten mit ganz viel gutem Willen doch gut hinwegsetzen. Die Unterordnung der nationalen Politik unter internationales Recht liegt nämlich angeblich ohnehin im Trend: In Rom schlägt die Stunde der Visionäre. Eine Zeitenwende in der internationalen Zusammenarbeit scheint gekommen, das Etikett historisch ist angebracht (SZ 16.6.). Daß die wunderbare Vision einer globalen Strafjustiz, die die im Regierungsauftrag ausgeübte Gewalt in legale und illegale scheidet und dabei auch noch den Unterschied zwischen legitimer und illegitimer im Auge behält, allerdings auch zur bloßen Illusion verkommen kann, soll daran liegen, daß es Nationen gibt, die ein solches Gericht nur angeblich mögen, weil sie dessen Kompetenzen möglichst enge Grenzen setzen wollen. Derartige Torpedierungsversuche (taz, 20.7.), die die Freunde des Völkerrechts dann doch nicht ganz an eine Zeitenwende zum Positiven glauben lassen, wiegen um so schwerer, als in der sogenannten Verhindererkoalition nicht nur solche Staaten zu finden sind, die oft wegen Menschenrechtsverletzungen am Pranger stehen und daher kein Interesse an einem schlagkräftigen Tribunal haben (SZ 13.6.); auch vorbildliche Demokratien wie die Weltmacht USA und Frankreich als renommierter Eurostaat widersetzen sich dem Plan der Koalition der Gleichgesinnten. Während die hiesige Konferenzbeobachtung bei letzterer die selbstlose und deshalb so glaubwürdige Bereitschaft erkannt haben will, zugunsten eines starken und unabhängigen internationalen Justizorgans notwendige Abstriche von nationalen Vorteilsrechnungen zu machen – Sie gingen viele Kompromisse ein, manche am Rande des gerade noch Erträglichen –, stellen sie vor allem bei den USA nur das bornierte Beharren auf Souveränitätsrechten fest. Hämisch wird Amerika vorgerechnet, sich in erstaunlicher Gesellschaft mit Irak, Libyen, China, Rußland, Israel und Indien zu befinden, obwohl es, getreu der Volksweisheit von der sauberen Weste, das Recht nicht zu fürchten bräuchte. Umso unverständlicher erscheint es ihnen, daß ausgerechnet der Staat, der mehr als alle anderen den Anspruch der Weltgerechtigkeit auf seine Fahnen geschrieben hatte, das Weltgericht bis zuletzt bekämpft (Welt, 20.7.).

2. So schwankt die Stimmung zwischen Hoffnung, die der fraglos guten Sache gilt, und Skepsis, ob der Grundsatz Menschenrecht bricht Staatenrecht nicht doch an engstirnigem Nationalismus scheitert. Es fragt sich allerdings, woher die Fans dieser Einrichtung ihr Urteil haben, die Bemühung um ein internationales Recht dürfe nicht zur bloßen Konkurrenzaffäre von Nationen degradiert werden, und was sie so sicher macht, dieses Verhalten träfe nur auf eine der beiden Fraktionen zu. Die Streithähne und ihr Konferenzobjekt jedenfalls bezeugen das Gegenteil: Im Verhältnis zwischen Staaten, die die Reichweite ihrer Macht ständig durch andere Souveräne beschränkt sehen, ist das Völkerrecht ein berechnend eingesetzter Berufungstitel für nationale Interessen und wird nicht etwa dazu erniedrigt – davon legt die Konferenz zur Schaffung von Weltgerechtigkeit selber lebhaft Zeugnis ab.

Die Staaten bringen in Rom zu Papier, wozu sie sich, auch und gerade nach dem Ende des Kalten Krieges, für fähig halten: Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Angriffskrieg. Der auf dem Konferenztisch liegende 170-Seiten-Katalog der Grausamkeiten ist, wie das Strafgesetzbuch im Inneren, ein getreues Sittenbild dessen, was in der Gesellschaft – in diesem Fall in der Gesellschaft von Staaten – üblich ist. Sie geben damit aber nicht nur zu Protokoll, welche Gewaltmittel sie alle sich zur unbedingten Sicherung ihres Gewaltmonopols gegen äußere und innere Feinde zugelegt haben und wie alltäglich die Bereitschaft zu deren Einsatz ist; sie bekunden auch ihren Willen, die Brutalitäten im Staatsauftrag in Normalität und sogenannte Exzesse zu scheiden. Indem Kriegsverbrechen zur Anklage gebracht werden sollen, ist Krieg als landläufiges Mittel staatlichen Verkehrs im Prinzip gebilligt, für das feste Regeln gelten und eingehalten werden müssen; die Einführung des Rechtstatbestandes Verbrechen gegen die Menschlichkeit faßt den Umgang staatlicher Gewalthaber mit Abweichlern, Verbrechern und Oppositionellen ins Auge und zweifelt nicht etwa die Notwendigkeit und Berechtigung von Repression an, sondern versucht sich an der Definition eines Übermaßes; usw. Mit derartigen Unterscheidungen wird die Aufgabe gestellt, einzelfallweise zu ermitteln, ob da Grenzen überschritten wurden oder beispielsweise eine militärische Tötungsaktion noch dem Kriterium der „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ genügt. Ein solches Urteil kommt aber prinzipiell nie ohne Parteinahme für oder gegen die grundsätzlichen politischen Anliegen des Täters, nämlich der in ihren Exekutoren angeklagten Staatsgewalt aus: Je nach dem leuchtet massive Brutalität als optimales Vorbeugungsmittel gegen noch viel mehr „Leid & Gewalt“ ein oder bestätigt bloß den Verdacht, daß da böse Zwecke verfolgt werden. Die Prüfung, ob schuldhaft, also absichtlich gegen die Trennlinie zwischen berechtigter und unberechtigter Anwendung politischer Gewalt verstoßen wurde, setzt die Fakten ins Verhältnis zu den guten Gründen, die noch jeder Staat und jeder politische Verein für seine gewaltsamen Aktivitäten geltend macht, prüft also in Wahrheit deren Gewicht und Glaubwürdigkeit und ist folglich immer eine politische Stellungnahme zu den Ansprüchen auf souveräne Durchsetzung und Ordnungsstiftung, die von den jeweiligen staatlichen oder pseudostaatlichen auftraggebenden Subjekten erhoben werden.

Es ist darum kein Zufall, daß die zum Vorbild für die Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofs angeführten Fälle, wo Staaten über Staaten wirklich zu Gericht gesessen haben, an einer Hand abzuzählen und immer in der Folge eines eindeutig entschiedenen militärischen Kräftemessens zustande gekommen sind. Verfahren wie die Nürnberger Nazi-Prozesse bis zum Bosnien-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag setzen voraus, daß die Gewaltfrage entschieden sein muß, bevor Recht gesprochen und exekutiert werden kann: Nur die Entmachtung der Herrschaft durch überlegene auswärtige Gewalt ermöglicht es, die von ihr als Staat unternommenen Taten wie Vergehen gegen ein für sie gültiges Gesetz zu behandeln und ihre Führer, die für Weltkriege oder Vernichtungsprogramme politisch verantwortlich zeichneten, wie normale Verbrecher anzuklagen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Die Absicht einer solchen Siegerjustiz ist deutlich: An den Personen wird klargestellt, daß die Sache, der sie gedient haben, sich nicht mehr ins Recht zu setzen vermag, weswegen die durch sie gebotenen und gerechtfertigten Taten nur noch als Ergebnisse eines bösen Willens zählen. Die Leute werden bestraft, um eine Politik zu ächten; das Volk, das die verurteilte und gescheiterte Politik mitgetragen hat, ist allemal mitgemeint und soll daraus lernen, wem fortan seine Loyalität gebührt.

Das Beispiel soll nun Schule machen – aber wie: Auch ohne faktische Entmachtung und daraus folgende moralische Widerlegung eines politischen Akteurs soll dessen verbindliche und womöglich praktisch wirksame Verurteilung möglich werden. Dafür muß der Schein, es ginge tatsächlich bloß um Schuld und Sühne, also nicht um die Beurteilung eines politischen Zwecks, sondern exklusiv um die angewandten Mittel, einigermaßen übertrieben werden: Überparteiliche Richter, ausgestattet mit ganz „sachlichen“ Tatbestandsmerkmalen und einem staatlicher Justiz nachempfundenen Ermittlungsapparat, sollen unpolitisch Recht sprechen und damit ziemlich weitreichende rein sittliche Wirkungen erzielen: Die frühzeitige und öffentlich gemachte Ankündigung eines umfangreichen Verbots- und Strafenkataloges soll präventive und abschreckende Wirkung zeitigen – und zwar nicht mehr nur für Kriegsverbrechen, sondern für alle Fälle mißbräuchlicher Anwendung politischer Gewalt. Damit soll klargestellt werden, daß alle Taten, die Nationen, Bürgerkrieger und Staatenneugründer im Zuge der Wahrnehmung ihrer höchsten Interessen, Ansprüche und Rechte zu unternehmen pflegen – und deren mögliche Zunahme in der ‚Neuen Weltordnung‘ die Planer des Weltgerichts freimütig antizipieren –, der mißtrauischen Aufmerksamkeit der Völkergemeinschaft der Vereinten Nationen unterliegen. Und dabei ist doch allen klar, daß die Aufmerksamkeit sich nicht bloß nebenbei auf die guten politischen Gründe erstreckt, die noch jeder derartige politische Täter hat und nach den brutalen Gepflogenheiten der modernen Staatengemeinschaft auch mit vollem Recht als Rechtfertigungsgrund für eine Menge Terror geltend machen darf, sondern genau diese guten Gründe meint, also auf jede – werdende oder fertige – Staatsraison zielt, die sich irgendwie auffällig bemerkbar macht.

Die Aussicht, bei diesem weltumspannenden diplomatischen Beurteilungswesen zumindest dabei zu sein, hat 159 Nationen nach Rom gelockt. Und zwar in sehr eindeutiger Absicht und Eigenschaft: Auf die Gelegenheit an der Seite der „Völkergemeinschaft“ als Ankläger zu fungieren, der das Recht hat, Fälle internationaler Untaten zu definieren und vom Weltgesetzbuch abweichende Täter dingfest zu machen, sind sie natürlich alle scharf. Die Ironie bei der Sache: Aus dem gleichen Grund, weswegen sie die Kompetenzen eines Weltgerichts als Hebel ihrer Diplomatie schätzen, fürchten sie es; auf der Anklagebank will sich selbstverständlich keiner der Gewaltmonopolisten wiederfinden. Weil die eine Möglichkeit aber ohne die andere nicht zu haben ist, geraten die Vertragsverhandlungen nicht nur zu den schwierigsten seit Jahrzehnten, sondern auch zu den merkwürdigsten und verlogensten. Unter UNO-Flagge kommen 159 Nationen als konkurrierende Souveräne zusammen und sehen sich zu dem äußerst diffizilen Kunststück herausgefordert, einen 170-Seiten-Text, mit freilich noch 1400 eckigen Klammern und 900 Optionstexten, akribisch daraufhin abzuklopfen, ob ihnen die vorgeschlagenen Befugnisse des ICC als perspektivischen Anklägern und Mit-Richtern mehr schmecken oder als potentiell Betroffenen eher mißfallen. Darüber sollen sie sich dann einigen.

Es ist also ein Gerücht, die Frontlinie der Konferenz verliefe zwischen Freunden und Feinden des Völkerrechts: Rivalisierende Nationalisten treffen sich in Rom, die sich von der ICC-Gründungsinitiative für ihre Diplomatie etwas versprechen oder eben nicht. Kein Wunder, daß sich da in erster Linie die imperialistischen Hauptmächte aufgerufen sehen, die, im Unterschied zu anderen Anwesenden, tatsächlich weltumspannende Interessen haben und es sich nicht nehmen lassen wollen, diesen den Charakter einer global anerkannten Ordnung zu verleihen. Damit entbrennt notwendig der Streit, wessen Handschrift der Vertragstext trägt.

3. An der Definition der Unabhängigkeit des ICC scheiden sich die Mächte. Bezeichnenderweise: Denn die von den sogenannten Gleichgesinnten – an vorderster Front den Deutschen – erhobene Forderung nach einem unabhängigen, mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteten Strafgericht versteht die weltweit kompetenteste Macht, die USA, als Versuch zur Relativierung ihrer Stellung in der Welt. Zur Klarstellung, daß eine von ihrem Einfluß unabhängige Gerichtsbarkeit nicht in Frage kommt, macht die amerikanische Regierung zumindest schon einmal die Anbindung des ICC an den UN-Sicherheitsrat – und dabei denkt sie nicht an die anderen vier, sondern an ihr Vetorecht – zur Bedingung ihrer Zustimmung:

„Die vorgesehene Unabhängigkeit des Gerichts, zu der es gehört, auch ohne konkreten Auftrag des UN-Sicherheitsrates, Fälle von Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgen zu können, lädt zum Mißbrauch ein. Verbrecherische Staatenlenker wie Slobodan Milosevic oder Saddam Hussein könnten den Gerichtshof nutzen, um amerikanische Soldaten, die etwa auf Bitten der internationalen Gemeinschaft gegen sie eingesetzt worden sind, aus propagandistischen Gründen zu verklagen. Der Vertrag ‚bewertet nicht in angemessener Weise die wichtige Rolle, die Amerika und sein Militär weltweit spielen‘, sagt Rubin.“ (Sprecher des US-Außenministeriums, FR 20.7.)

So weisen die USA mit der diplomatisch gebotenen Höflichkeit darauf hin, daß sie ebenso daran gewöhnt wie darin verwöhnt sind, den weltweiten Gebrauch ihrer Macht mit der Wahrnehmung internationalen Rechts ineins zu setzen, und keine Veranlassung sehen, anderen Staaten – und dabei denken sie keineswegs nur an die genannten ‚Schurkenankläger‘ – autonome Befugnisse bei der Be- und Verurteilung von Verstößen gegen das Völkerrecht einzuräumen. Daß irgendein dahergelaufener Ankläger aus eigenem Antrieb einen Prozeß anstrengen können soll, kommt für die mächtigste der Rechtstaatlichkeit verpflichtete Nation (Scheffer, Clintons Chefdelegierter in Rom) nicht in Frage: Dadurch würde Unbefugten doch glatt die Möglichkeit eröffnet, die Rechtmäßigkeit amerikanischer Friedensmissionen anzuzweifeln. Wenn die USA gegen diese Vorstellungen die angemessene Berücksichtigung ihrer wichtigen Rolle einfordern, ist dies die im Grunde nicht kompromißfähige Offensive, daß sie für ihre Soldaten einen Ausnahmestatus beantragen: Sie berufen sich auf ihre „Rolle“ als Weltordnungsmacht Nr. 1, die sich in ihrer Handlungsfreiheit unter keinen Umständen beschränken lassen will und deshalb an einem supranationalen Institut nur dann ein Interesse hat, wenn es die eingerichteten Machtverhältnisse festschreibt und rechtsförmig legitimiert.

Mit diesem absoluten Zuständigkeitsanspruch für Recht und Ordnung auf der Welt, vorgetragen von der Weltmacht als Vertreter von Weltgerechtigkeit, muß das Modell von einem unabhängigen ICC konkurrieren. Seine Vorreiter nehmen den diplomatischen Kampf auf, weil sie ganz offensichtlich die Gelegenheit nicht verstreichen lassen wollen, ihren weltpolitischen Ambitionen ein Forum zu verschaffen.

4. Wider Erwarten und aller Skepsis zum Trotz – so oder ähnlich beginnen alle Berichte vom Ausgang der Konferenz, denn sie dürfen vermelden, daß sich nach fünf Wochen zähen Verhandelns eine Mehrheit von 120 Staaten für die Gründung des ICC entschieden hat. Daß sich die Position der Deutschen und der anderen „Gleichgesinnten“ so klar durchsetzen konnte – am Ende gehören sogar die ständigen Sicherheitsratsmitglieder Frankreich, das sich als einzige europäische Macht gegen die Einrichtung einer permanenten Strafjustiz ausgesprochen hatte, wie auch Rußland zu den Befürwortern –, darf als Gesellenstück der deutschen Diplomatie (SZ 20.7.) gewertet werden. Natürlich war mit dem wunderbaren Votum gleich die Aufgabe verbunden, neben der Reichweite und Befugnis des Gerichts auch die Straftatbestände sowie die Rechte des möglichen Angeklagten zu definieren; das hat dann doch einige kompromißlerische Abstriche vom Ideal einer strafenden Weltgerechtigkeit nötig gemacht:

„Das Gericht hat … keine Kompetenz, wenn der Staat, in dem die Verbrechen begangen wurden oder dessen Staatsangehörige unter Verdacht stehen, das Statut nicht unterzeichnet hat… Als Völkermord gelten… Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden definiert als… Als Kriegsverbrechen gelten unter anderem… Für den Angriffskrieg wurde keine Definition festgeschrieben; gemäß der Charta der der Vereinten Nationen soll der UN-Sicherheitsrat entscheiden, ob es sich um einen Angriffskrieg handelt oder nicht… Der Ankläger kann Ermittlungen ‚motu proprio‘ (auf eigene Initiative hin) einleiten. Vorher muß aber ein Ausschuß, bestehend aus Richtern unterschiedlicher Nationalitäten, die von den Mitgliedsstaaten ausgewählt wurden, entscheiden, ob es genügend Anhaltspunkte für eine Strafverfolgung gibt. Die Ermittlungen dürfen erst 12 Monate nach der Annahme einer entsprechenden UN-Resolution beginnen.“ Usw.

Recht muß also Recht bleiben, auch im Krieg und auch dann, wenn es zwar gelingt, den Angriffskrieg unter Verbot zu stellen, die Definition aber, was das Verbot umfassen soll, vertagt werden muß; aber was Recht ist, das bleibt die offene Frage zwischen lauter rechtsetzenden Souveränen, also eine pure internationale Machtfrage. Und fraglich bleibt erst recht, ob und wieviel sich von einem eventuellen Rechtsspruch allenfalls durchsetzen läßt. Denn daß der erzielte Kompromiß nur ein diplomatisches Gesellenstück ist, ist nach der guten die schlechte Nachricht:

„Das Meisterstück wäre es, Amerika in den kommenden Jahren von der Teilnahme am Völkertribunal zu überzeugen. Denn um sich durchzusetzen, braucht das Weltgericht Vollstreckungshilfe durch einen Weltpolizisten. Und der heißt immer noch USA.“ (SZ 20.7.)

Wie sehr also die verbindliche Festlegung eines internationalen Rechts eine Fiktion ist, weil seine Überzeugungsmacht, im Unterschied zur nationalen Rechtsprechung, nur davon lebt, daß es von allen Staaten aus den genannten Berechnungen anerkannt wird, fällt den Euphorikern spätestens dann auf, wenn sie an dessen Durchsetzung denken. Plötzlich werden sie ganz realistisch und bemerken, daß nach erfolgter Rechtsprechung die verhängte Strafe gegen den Willen anderer Staaten durchgesetzt sein will. Dafür fehlt dem ICC die Macht eines Weltpolizisten. So landen letztendlich auch sie bei dem Eingeständnis, daß Recht und überlegene Gewalt untrennbar zusammengehören.

5. Auf den notwendigen Zusammenhang von Rechtsetzung und -durchsetzung pochen die USA gemäß ihrer Lesart. Schon im Vorfeld des Kompromisses hieß es in Reaktion auf einen deutschen Plan, Kriegsverbrecher auch nicht dem Vertrag beigetretener Staaten verfolgen zu können:

„Sollte das Gericht gemäß dem deutschen Vorschlag Kriegsverbrecher verfolgen können, müßten die USA ihre Verpflichtungen in Übersee überdenken. Dies gelte auch für Europa“ (SZ 15.7.)

da hierzulande die Parole ‚Ami go home!‘ nicht so beliebt ist, zog man seinen Entwurf dann zurück. Die Reaktion der USA auf den dann erzielten Kompromiß läßt keinen Zweifel darüber aufkommen, daß sie den Vorstoß der europäischen Konkurrenz für vermessen halten und entsprechend beantworten werden:

„Dies ist das Gericht, vor dem wir und andere gewarnt haben, stark auf dem Papier, aber schwach in der Wirklichkeit.“ (Scheffer, Leiter der US-Delegation)

Dieser Kommentar ist keineswegs bloß als Genugtuung darüber zu verstehen, daß der ICC ohne Amerikas Beteiligung nur bedingt handlungsfähig ist. Vielmehr beinhaltet er die Drohung, daß die USA alles dafür tun werden, daß diese diplomatische Aktion, die sie als Affront empfinden, keine Zukunft hat. Klartext redet der Sondergesandte Scheffer, wenn er den US-Senatsausschuß für auswärtige Angelegenheiten damit beruhigt, daß Amerika nicht bereit ist, als Vollstreckungsgehilfe einer Gerichtsbarkeit zu fungieren, die nicht ausschließlich seinen Ansprüchen genügt, sondern seinerseits auf Unterordnung der Abstimmungssieger von Rom dringt:

„Die Administration hofft, daß andere Regierungen in den kommenden Jahren die Vorteile einer potentiellen Beteiligung der Vereinigten Staaten am Vertrag von Rom erkennen und die fehlerhaften Vorschriften des Vertrages korrigieren.“ (Amerika Dienst 15)

Stützen kann sich diese Hoffnung auf die Ankündigung, daß die USA

„ihr wirtschaftliches und politisches Gewicht nutzen werden, um in den kommenden Monaten möglichst viele Länder davon abzuhalten, den Vertrag von Rom zu ratifizieren.“ (FR 20.7.)

Außerdem bleibt in der Zwischenzeit die Herausforderung der internationalen Gerechtigkeit bestehen: In dieser Frage werden die USA – ICC hin oder her – auch in Zukunft nichts anbrennen lassen und den Beweis antreten, daß die Durchsetzung ihres Rechts eine gemeinsame Verpflichtung ist:

„Die Vereinigten Staaten werden weiterhin eine Führungsrolle bei der Förderung der gemeinsamen Verpflichtung aller gesetzestreuen Regierungen übernehmen, diejenigen vor Gericht zu bringen, die jetzt und in Zukunft abscheuliche Verbrechen begehen.“ (Scheffer vor dem Senatsausschuß)

So wird der angepeilte Traum der Weltgerechtigkeit in Form einer Weltstrafgerichtskammer ein mangelhafter Ersatz für das äußerst lebendige Ideal der Weltherrschaft bleiben.