Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die Wahloffensive der GRÜNEN im Wahljahr 2011
Deutschland besser regieren mit der „Gemeinwohlpartei“: Politökonomisch „nachhaltiger“ – demokratisch „engagierter“

Zum Auftakt des Wahljahres 2011 präsentieren die Grünen ihre Weimarer Erklärung, die mit der schwarz-gelben Regierungskoalition abrechnet.

Wie die fünf, sechs Fakten und drei Deutungen der schwarzgelben Regierungstätigkeit aus dem Jahre 2010 zu verstehen sind, das stellen die Grünen am Anfang ihrer Erklärung gleich selbst in einem kurzen Satz unmissverständlich klar: „Das Jahr 2010 war ein verlorenes Jahr für Deutschland“, die Regierung hat beim erfolgreichen Management der Nation auf ganzer Linie versagt. Und wenn eine Oppositionspartei das laut verkündet, ist schon gleich klar, wofür das steht: Sie kann „es“ besser und hat es verdient, vom Wähler den Auftrag zum Regieren zu erhalten. Kritik, die etwas zählt, findet überhaupt nur als Konkurrenz um Macht über die Bürger statt, und diese demokratische Frechheit beherrschen natürlich auch die Grünen aus dem Effeff.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung

Die Wahloffensive der GRÜNEN im Wahljahr 2011
Deutschland besser regieren mit der Gemeinwohlpartei: Politökonomisch nachhaltiger – demokratisch engagierter

Zum Auftakt des Wahljahres 2011 präsentieren die Grünen ihre Weimarer Erklärung, die mit der schwarz-gelben Regierungskoalition abrechnet. Die Stichwörter der Kritik lauten:

„Steuerliche Entlastung von Hotelkonzernen – ein 100 Milliarden-Euro-Geschenk an die vier Energiekonzerne – Laufzeitverlängerung für Altreaktoren – die ärmsten Kinder gingen beim Kindergeld leer aus, Merkel und Co. strichen den Langzeitarbeitslosen das Elterngeld und den Rentenzuschuss – massive Beitragserhöhungen für die Krankenkassenbeiträge – die Bundesregierung verweigerte sich einer tatkräftigen Bekämpfung der Finanz und Eurokrise – Deutschland verlor so seine gestaltende Rolle in Europa – Außen- und Sicherheitspolitik findet als Schaulaufen bei Kerner statt – mit dem Hindukusch im Hintergrund. Von einer Strategie ist nichts zu erkennen.“ (Weimarer Erklärung der Grünen zur Eröffnung des Wahljahres 2011)

Wie die fünf, sechs Fakten und drei Deutungen der schwarzgelben Regierungstätigkeit aus dem Jahre 2010 zu verstehen sind, das stellen die Grünen am Anfang ihrer Erklärung gleich selbst in einem kurzen Satz unmissverständlich klar: Das Jahr 2010 war ein verlorenes Jahr für Deutschland, die Regierung hat beim erfolgreichen Management der Nation auf ganzer Linie versagt. Und wenn eine Oppositionspartei das laut verkündet, ist schon gleich klar, wofür das steht: Sie kann „es“ besser und hat es verdient, vom Wähler den Auftrag zum Regieren zu erhalten. Kritik, die etwas zählt, findet überhaupt nur als Konkurrenz um Macht über die Bürger statt, und diese demokratische Frechheit beherrschen natürlich auch die Grünen aus dem Effeff:

„Wir Grüne wollen das Jahr 2011 nutzen, um die Handlungsspielräume der Regierungskoalition im Bund für ihre unsoziale und unökologische Politik deutlich zu beschneiden. Wir werden in den Ländern dieser Politik unsere Alternativen entgegensetzen.“

Vielleicht fühlt sich ein in Würde ergrauter Wähler bei Formulierungen wie Handlungsspielräume beschneiden, Alternativen entgegensetzen noch an die alten Devisen von grün-alternativen Bürgerinitiativen erinnert, die im Namen eines geschädigten Interesses gegen die Regierung Einspruch erhoben. Heute schwingen diese Parolen Grüne, die der Kanzlerin das Leben an der Macht schwermachen wollen, indem sie ihr im föderalen Getriebe zwischen Bund und Ländern ein Stück Macht entreißen, damit sie es haben. Und das ist der Auftakt für weiterreichende Ansprüche:

„Die Landtagswahlen 2011 werden wir zu einem Signal für einen politischen Wechsel in Deutschland machen. 2011 stehen sich zwei Konzepte gegenüber: das schwarze und das grüne.“ (ebda.)

Hier meldet sich eine Regierung im Wartestand zu Wort, die ihren Anspruch auf die höchsten Ämter im deutschen Herrschaftsapparat vorträgt. Die Grünen exerzieren zur Eröffnung ihrer Offensive 2011 mustergültig vor, womit sich eine demokratische Partei für diesen Anspruch qualifiziert: Erstens mit der demonstrativ vorgetragenen Arroganz, die einzige ernstzunehmende Alternative zu Schwarz-Gelb zu sein: Premiumopposition, das sind allein sie, weil sie schon errungene Erfolge haben, und wenn es nur prognostizierte sind. Schließlich sind die Grünen die Umfragehelden des Jahres 2010 mit Werten bis zu 30 Prozent, haben also schon im Prinzip die Zustimmung, die zur Machtübernahme berechtigt. Zweitens mit der Präsentation einer leicht fasslichen, griffigen Parole, die republikweit auf allen Wahlplakaten dem Wähler den grünen Willen zur Macht signalisiert: Grün packt an!

Die Regierung registriert ihrerseits Erfolgstüchtigkeit und Machtanspruch der Grünen, schlägt auf derselben Ebene zurück und stempelt sie demokratisch vorbildlich als Dagegen-Partei ab – gegen die Zukunft, die Modernisierung, Weihnachten, kurz: gegen Deutschland überhaupt. Hier stellt sich kein ernstzunehmender Gegner auf, sondern bloß eine zeternde Protestpartei, die sich von vorneherein für die Herrschaft disqualifiziert. Die erste Hälfte politischer Willensbildung ist mit dieser Art von Dialog zwischen politischen Konkurrenten um die Macht eigentlich erledigt. Die zweite Hälfte steckt in den Wahlaussagen, mit denen sich die Grünen als die erfolgreicheren Standortpolitiker und die besseren Demokraten empfehlen.

Das grüne Gemeinwohl 1: Besser wirtschaften mit dem Nachhaltigkeitsstandort D

Die Grünen von heute präsentieren sich als ausgesprochen innovative Modernisierungspartei, die mit ihrem wirtschaftspolitischen Green New Deal für neue Arbeit und Innovation den deutschen Standort voranbringen will. Natürlich geht das nicht ohne ein vollkommen neues Fundament, einem Umbau der deutschen Wirtschaft. Diese Emphase sind sich die Grünen als Partei in der Opposition schuldig – sie wollen an die Macht. Und schon deshalb muss alles anders werden: Aus Deutschland soll der grüne Nachhaltigkeitsstandort werden (Cem Özdemir):

„Mit unserem Green New Deal schaffen wir ein stabiles Fundament für wirtschaftlichen Aufschwung, von dem alle profitieren. Wir wollen nicht weniger als eine neue industrielle Revolution einleiten und eine Million neuer Arbeitsplätze in Deutschland schaffen.“ (Bundeswahlprogramm 2009 = BWP, Präambel, S. 16)

Aufschwung, Jobs, Arbeitsplätze – in der deutschen Politiklandschaft sind das eigentlich die Parolen der anderen etablierten Parteien. Es ist in gewisser Weise neu und bemerkenswert, dass anno 2010/11 sich ausgerechnet die Grünen mit dem Wahlversprechen von Millionen Arbeitsplätzen zu Wort melden. Üblicherweise gehört es zum zynischen Pflichtrepertoire von CDU, FDP oder SPD, den einfachen Leuten, die von der Arbeit leben müssen, die Aufschwungoffensiven der Politik in deren Sinne und ihrem systemtreuen Bedürfnis nach Arbeit auszudeutschen, gerade so, als ob Standortpolitik wegen des Lebensunterhalts der Beschäftigten gemacht werden würde. Diesmal hauen die Grünen mit ihrem Green New Deal damit aufs Blech. Sie hätten das Rezept aller Rezepte für einen Aufschwung, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat, weil die Grünen die industriepolitisch besten Anwälte des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland sind:

„Grüne Industriepolitik ist ein wichtiger Bestandteil einer strategischen Wirtschaftspolitik, die den Umbau gerade in der gegenwärtigen Wirtschafts-, Ressourcen- und Klimakrise forciert und vor den klassischen Industriebranchen nicht Halt macht. Dadurch erschließen wir neue Märkte. Dazu gehört auch eine intelligente und unbürokratische steuerliche Forschungsförderung für kleinere Unternehmen, bei denen viel technologisches Know-how und Erfindergeist vorhanden ist.“ (BWP, S.36)

Die Gleichung von „Grün ist gleich Industriepolitik ist gleich strategische Wirtschaftspolitik, die neue Märkte fürs deutsche Kapital erschließt“, gehört nicht direkt zu den angestammten Werbeartikeln der grünen Partei. Und dass sich die Grünen auch noch als die Förderer kleinerer Unternehmen, also des deutschen Mittelstands präsentieren, erfüllt nun fast den Tatbestand des Diebstahls von Wahlkampfparolen, die bislang von der FDP gepachtet waren. Unverkennbar machen die Grünen von heute den anderen Parteien ihre wirtschaftspolitische Kernkompetenz, also die Markenzeichen speziell ihrer Politik offensiv streitig. Das war nicht immer so. Die Grünen haben sich als Umweltpartei oder Partei der Ökologie etabliert, die sich als eine Alternative verstanden hat – natürlich schon immer als demokratische im System des bundesdeutschen Kapitalismus und nicht als Alternative zu ihm, aber eben doch als politische Kraft, die allen möglichen Bedenken gegenüber dem schrankenlosen deutschen Wachstum eine politische Heimat gegeben hat:

„Als Partei der Ökologie geht es uns um die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen, die durch industriellen Raubbau und überschießenden Ressourcenverbrauch gefährdet sind.“ (Aktuell gültiges Grundsatzprogramm der Grünen von 2002, S. 10)

Diese Phraseologie aus ihrer Gründerzeit haben die Grünen als Erkennungsmerkmal nicht aufgegeben. Weshalb auch? Der Partei im Jahre 2011 kann es herzlich egal sein, was Fundis, Realos oder Protestbewegte zur Zeit der prominenten Flügelkämpfe mit diesen Begriffen verbunden haben. Ob die Vereinbarung von Ökologie und Ökonomie und die anderen grünen Schlachtrufe je ein Einspruch gegen die zerstörerische Indienstnahme von Mensch und Natur als Reichtumsquellen des freien Unternehmertums waren, ob diese Skepsis überhaupt jemals wirklicher Standpunkt der Partei war oder ob „Realos“ das schon immer als phrasenhaften Ehrentitel für ihre demokratische Machtkonkurrenz instrumentalisiert haben, spielt heute sowieso keine Rolle. Die grüne Partei zeigt nämlich, was alles an moderner Wähleransprache in ihren Einspruchstiteln von damals – Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, industrieller Raubbau, Ressourcenverbrauch usw. – steckt. Auch ein Wähler von heute darf sich gerne an alle möglichen Schädigungen und Zerstörungen am Standort D erinnern, weil die grüne Partei eindrucksvoll vorführt, was in den Phrasen von der Vereinbarung von Ökologie und Ökonomie und dem Gestus des Veränderns an vorwärtsweisender Lesart steckt:

„Bewahren können wir nicht durch ein Zurück, sondern nur indem wir die heutigen Industriegesellschaften nachhaltig verändern. Ökologie ist eine unverzichtbare Dimension der Modernisierung unserer Gesellschaft. Mit der ökologischen Erweiterung des Gesellschaftsvertrages setzen wir Bündnisgrünen der Zukunftsvergessenheit traditioneller Politik unsere Politik der Verantwortung für die künftigen Generationen und unsere Mitwelt entgegen.“ (Grundsatzprogramm 2002, S. 10)

Dass die Grünen der Sache nach einen Kapitalstandort mit all seinen verheerenden Prinzipien bewahren wollen, wenn sie von unserer Gesellschaft reden, das braucht man dem Wähler nicht groß auf die Nase zu binden. Der soll sich zu der grünen Partei hingezogen fühlen, weil sie ihm eine neue Gleichung verspricht: Unsere Gesellschaft wird modernisiert, also in der Zukunft besser, gerade weil die Grünen ökologische Politik machen. Sie umwerben heutige Menschen mit dem Hinweis, dass Ökologie und Nachhaltigkeit nicht nur keine Bremse, sondern vielmehr die beste Produktivkraft am Standort sind. Und für diese Art, sich dem Wähler als politischer Garant für ein zukunftsfähiges Deutschland zu präsentieren, haben die Grünen einen Leitbegriff gefunden, der der politischen Kultur der Vereinnahmung der Menschen für das System des deutschen Kapitalismus in der Tat ein Glanzlicht aufgesteckt hat:

„Umweltpolitik als gesamtgesellschaftliche Politik hat mit der Nachhaltigkeit einen grünen Leitbegriff gewonnen. Nachhaltigkeit bedeutet die zukunftsfähige Verbindung von ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung. Dabei ist die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen unser zentrales Anliegen.“ (Grundsatzprogramm 2002, S. 10)

Nachhaltigkeit – damit drücken die grünen Parteistrategen ihre ganze Parteilichkeit für das Gelingen der Gesellschaft, wie sie steht und geht, aus und müssen keine Silbe über den ökonomischen Zweck dieses monströsen Ensembles privatwirtschaftlicher Bereicherung verlauten lassen. Mit Nachhaltigkeitsstandort umwerben die Grünen nichts als den zukünftigen, langfristigen Erfolg des deutschen Kapitals als die Sache von uns, und die Wähler dürfen sich unter diesem grünen Ehren-Denkmal zusätzlich an alle schönen und guten Vorstellungen erinnern, die mit Ökologie, Umwelt, Ressourcenschonung usw. verknüpft sind. In der Tat ein Highlight demokratischer Parteiideologie!

*

Mit diesem politischen Markenkern tritt die grüne Partei anno 2010/11 ausgesprochen triumphierend auf. Und dafür muss sie sich nicht mehr auf den realen Verkaufserfolg „ökologischer“ Waschmittel oder von „Bio“-Kaffee berufen, wenn sie als die Standortpartei besser als Schwarz, Gelb oder Rot den ganzen deutschen Kapitalstandort voranbringt, so dass die deutsche Wirtschaft im globalen Wettbewerb die Nase vorn hat – egal ob es sich um Automobile, Kühlschränke oder Unterhaltungselektronik handelt. (BWP, S.36)

Ihre Glaubwürdigkeit bezieht diese Angeberei mit dem erfolgreichsten Managen Deutschlands nach den stinknormalen, gültigen Maßstäben des Kapitalwachstums daraus, dass am deutschen Standort tatsächlich Schlüsselindustrien wie die Automobilwirtschaft oder die Energiebranche umgekrempelt werden – und zwar unter haargenau den Überschriften, wie sie die grüne Partei in ihren Programmheften hat: Klimaschutz – solarer Aufbruch – ökologisches Wachstum – Ressourcenschonung – nachhaltige Energien usw. Seit mindestens zehn Jahren wird ein Standortaufbruch über alle Parteien hinweg staatlich betrieben und gefördert, und längst gehört es zu den vordringlichsten Anliegen der deutschen Staatsräson, CO2-freie, ‚nachhaltigere‘ Energiequellen und das Geschäft mit der dazu nötigen Technologie so auszubauen, dass sie in Preis und Verfügbarkeit mit den endlichen Quellen Öl, Gas, Kohle und auch Atom konkurrenzfähig werden. Dafür ist ein ganz gewaltiges Wachstum in alten und neuen Industriesphären nötig, und deshalb wird die ökonomische Substanz – die privaten Unternehmen – staatlich gefördert, damit der solare Aufbruch dem Standort nicht nur Kosten verursacht, sondern sich am Ende als deutsche industrielle Reichtumsquelle für den Zugriff auf den Weltmarkt und als daraus entstehende Finanzmacht bewährt. Dafür wollen deutsche ‚grüne‘ Unternehmen gleich weltweit Geld verdienen, weshalb die deutsche Regierung fremde Staaten als globale Absatzmärkte öffnet, indem sie von ihnen diese Energiewende einfordert – unter dem schönen „grünen“, diplomatischen Namen Klimaschutz, dem neuen und besten Menschheitsanliegen imperialistischer Politik aus Deutschland und Europa schlechthin.

Eben das: der Zuwachs deutscher Weltmarktgeschäfte mit ‚clean tech‘, die Sicherung deutscher Souveränität in der Verfügung über fremde billige und stets überreichlich vorhandene Energie und die Verpflichtung der Staatenwelt auf dieses Programm – das ist der polit-ökonomische Stoff, auf den sich die Grünen berufen und aus dem sie ihre Gemeinwohl-Phantasien und ihre ganz besondere Wahlempfehlung stricken. Die Grünen schmarotzen als politische Partei von diesem deutschen imperialistischen Aufbruchsprogramm; und von den ideologisch-diplomatischen Titeln, unter denen es international in Verkehr gebracht und der Bevölkerung verdolmetscht wird. Sie präsentieren sich sozusagen als originäre Erfinder des nationalen Erfolgswegs, der sie und ihr Programm ins Recht setzt. Wer Grün wählt, darf das in dem Bewusstsein tun, die besten Garanten des deutschen Weltmarkterfolgs an die Macht zu bringen. Und er darf sich einbilden, mit den Grünen an der Macht in Zeiten des Klimawandels auch für ökologisch gutes Wachstum zu sorgen, weil die Grünen in Abgrenzung von Schwarz-Gelb energiepolitisch auf einen etwas anderen Erfolgsweg spekulieren. Sie setzen auf einen schnelleren, konsequenteren Umbau des Standorts, damit Solar- und Windenergie schneller und mehr zum deutschen Konkurrenzerfolg beitragen:

„Wir wollen die Energiewende hin zu Erneuerbaren Energien, Effizienz und Energiesparen. Dafür brauchen wir den Atomausstieg – und ein Moratorium gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke. Der Atomausstieg ist nur gesichert, wenn die Grünen in der nächsten Regierung vertreten sind. Wir setzen den Atomausstieg ohne Wenn und Aber fort. Nach dem Atomausstiegsgesetz werden in der kommenden Legislaturperiode bis zu sieben Atomkraftwerke abgeschaltet. Alte, besonders riskante Meiler wollen wir vorzeitig vom Netz nehmen.“ (ebda.)

Aus dieser politischen Spekulation der Grünen auf deutschen Konkurrenzerfolg ergibt sich die andere Stellung gegenüber Kohle- und Atomstrom: Als funktionierende, aber eben auch konkurrierende Energiequellen dürfen sie den Ausbau Erneuerbarer Energien nicht behindern und gehören in der staatlichen Förderung zurückgestuft. Und was den Atomausstieg angeht, den die Grünen ohne Wenn und Aber fortsetzen wollen: Auch der soll ca. 20 Jahre dauern, weil der Umstieg deutscher Energieversorgung ausdrücklich im Konsens mit den Nutznießern des Atomstroms geschehen soll: Deren Rechte als kapitalistische Eigentümer bleiben gewahrt, ebenso wie die technologische Atomkompetenz am deutschen Standort, wenn ein Ausstieg als zeitlich begrenzte Atom-Lizenz abgewickelt wird.

Ansonsten bedient sich die grüne Variante des deutschen Standortaufbruchs derselben politökonomischen Bausteine, mit denen Deutschland jetzt schon die Konkurrenz niederkonkurriert: Grün fördert wie Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot neben kommunalen und mittelständischen Strom- oder Solarunternehmen haargenau die kapitalstarken Großkonzerne, die in ihrer Oppositionsrhetorik als Stromlobby firmieren. Das grüne Ressentiment gegen Konzernpolitik hört bei der Förderung der neuen Reichtumsquellen auf: Siemens oder Eon geben dem Aufbruch ins solare Zeitalter, dem die Grünen so anhängen, den allergrößten Schub. Und für das Wachstum genau dieser Konzerne und aller anderen Unternehmen der Branche setzen die Grünen – natürlich nachhaltiger als Schwarz-Gelb – auf die finanzkapitalistische Spekulation: die Finanzmärkte ergrünen lassen. Mehr vom Stoff Kredit in diese Zukunftsbranchen – welch schöne Aussichten auf diesen grünen Umbau!

Das grüne Gemeinwohl 2: Demokratisch besser regieren mit dem Leitbild des engagierten Bürgers

Grünen-Politiker von heute lassen sich (wieder) besonders gerne auf Protestmärschen und Demonstrationen blicken. Sie präsentieren sich in Gorleben oder Stuttgart in der ersten Reihe, lassen sich auch mal von der Polizei wegtragen, und die Botschaft, die durch diesen speziell grünen Politikstil ‘rüberkommen soll: Wir, die Grünen, sind die Partei an der Seite des engagierten Bürgers – besonders bürgernah und –freundlich, mit Verständnis für seine Anliegen, jedenfalls das Gegenbild zu Mappus und Merkel, die ‚von oben herab‘ gegen die eigene Bevölkerung durchregieren wollen, wenn sie Stuttgart 21 oder Gorleben als Endlager durchziehen. (Cem Özdemir auf der Bundesdelegiertenkonferenz, 19.11.2010)

Dass diese demonstrative Bürgernähe von Özdemir, Roth und Künast die Inszenierung einer Oppositionspartei ist, welche die Unzufriedenheit von Bürgern mit Atompolitik oder großen Infrastrukturprojekten für ihre Wählerstimmen instrumentalisiert, das dürfte reifen Demokraten im Deutschland von 2011 nicht fremd sein, spricht aber in den Kalkulationen grüner Parteistrategen nur für eines: Die Inszenierung der Bürgernähe muss gelingen, sie muss glaubwürdig sein, Wähler sollen eben den grünen Parteiführern am ehesten zutrauen, in ihrem wohlverstandenen Interesse zu regieren. Und dafür greifen die Grünen zum zweiten Male in ihre Erinnerungskiste bewährter Parteiideologie. Sie bemühen auch ihre herrschaftskritische Phraseologie, die sie produktiv-vorwärtsweisend für den Wahlauftritt 2011 auffrischen:

„Gelebte Demokratie braucht bürgerschaftliche Einmischung, soziale Bewegungen und den konstruktiven Streit um das Gemeinwohl. Unsere Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich aus den außerparlamentarischen Bewegungen heraus entwickelt. Heute wie früher verstehen wir uns als Teil der Anti-Atom- und Ökologiebewegung, der Frauenbewegung, der globalisierungskritischen-, der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung. Heute wie damals braucht die Demokratie starke außerparlamentarische Stimmen, die das politische System in Bewegung versetzen, und viele engagierte Menschen, die die Qualität unseres Zusammenlebens bereichern.“ (BWP 2009, S.162)

Dass die Grünen heute stinknormale Basis der Parteiführer für ihre Konkurrenz um Staatsämter sind, dass alle basisdemokratischen Vorbehalte gegenüber diesen Machtapparaten – institutionalisiert in Rotationsprinzip und Trennung der Ämter – längst getilgt sind und dass sich Betroffenheit als Berechtigung von Kritik in die wohlkalkulierten Parteitagstränen der Grünen-Vorsitzenden aufgelöst hat, all das stört das Bedürfnis nach glaubwürdiger Bürgernähe natürlich nicht, im Gegenteil: Dass der grüne Teil der Anti-Atom- und Ökologiebewegung jetzt eine effiziente Wahlkampfmaschine ganz nach dem Willen der Parteiführung für ihre Machtambitionen ist, das sollen die vielen engagierten Menschen genau andersrum sehen: Sie hätten in den Grünen einen machtvollen und genau passenden Bündnispartner gefunden. Denn die Erinnerung an Bürgerinitiativen, Protestbewegungen usw. gilt selbstredend nicht mehr dem Standpunkt, dass durch außerparlamentarischen Druck einem konkreten Interesse von unten, das die offizielle Politik nicht angemessen berücksichtigt, Geltung verschafft werden müsste. Nein, die wohlkalkulierte Erinnerung an die alten grünen Bedenken gegenüber dem normalen demokratischen Getriebe gilt der Berufung auf ein Leitbild vom grünen Wähler, mit dem der schwäbische Parteiführer den unzufriedenen Leuten von heute kaltschnäuzig vorbuchstabiert, was sie an Stuttgart 21, AKWs oder Schwarz-Gelb überhaupt eigentlich stört und sie eigentlich wollen:

„Die BürgerInnen sind keine Wutbürger, sondern im besten Sinne des Wortes gute Republikaner, die sich in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen. Es ist ein generationenübergreifender Aufstand der Aufgeklärten, Verantwortungsbewussten, am Gemeinwohl und der Zukunft Interessierten.“ (Özdemir, BDK, 19.11.2010)

Wenn sich Unzufriedenheit regt, dann müssen das BürgerInnen sein, die von ihren Partikularinteressen längst Abstand genommen haben und sich deshalb über unsinnige Staatsprojekte und unnötige Zumutungen aufregen, sich also allzu gerne in einen konstruktiven Streit um das Gemeinwohl begeben. Diese grünen Idealbürger sind gute Republikaner, die sich sowieso nur noch den Kopf des Staates zerbrechen, wenn sie sich in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen. Und Merkel und Westerwelle stoßen diese eigentlich sturzvernünftigen Bürger vor den Kopf, wenn sie meinen, sie müssten immer noch ihre Politik am dicken Geldbeutel der deutschen Besserverdienenden ausrichten:

„Die Logik von Schwarz-Gelb ‚Den Bürgern ist ihr Portemonnaie lieber als die Zukunft ihres Landes‘ ist an Zynismus nicht zu überbieten. Wenn ich ein wohlhabender Unternehmer wäre, ich hätte die FDP schon längst wegen Rufschädigung verklagt.“ (Özdemir, BDK, 19.11.2010)

So kann man den Freien Demokraten auch das Wasser abgraben: Deutsche bourgeois sind viel zukunftsorientierter, vulgo: für ihren Staat verzichtsbereiter, als die FDP wahrhaben will, wenn sie die Bürger mit Geldgeschenken betören zu müssen glaubt. Ärzte, Anwälte, Unternehmer, das sind nämlich vorbildliche citoyens, die wissen, was Verantwortung und Gemeinwohl heißt. Die haben nichts als ihren Staat und dessen Interesse in ihrem Kopf und wollen nicht mit Steuersenkungen für dumm verkauft werden:

„Kein Mensch hat heute mehr Lust darauf, von der Politik für dumm verkauft zu werden. Dass 20 Prozent der Menschen in Deutschland uns angeblich derzeit wählen wollen, obwohl wir ihnen keine Steuersenkungen versprechen, ist doch ein Signal für genau diese Verantwortungsbereitschaft.“ (Özdemir, BDK, 19.11.2010)

Das ist gelungen: Die Grünen deuten auf ihre Bombenumfragewerte. Dann sagen sie dem gut und besser verdienenden Wahlvolk auf den Kopf zu, was diese 20 % Zustimmung bedeuten: Sie sind Ausdruck einer antimaterialistischen Staatsbürgergesinnung. Mit diesem gewagten Schluss bietet sich die Partei sozusagen als ehrlicher Makler dieser engagierten Bürger an, der diese edle Staatsgesinnung honoriert, indem er die sachlichen Notwendigkeiten des grünen Aufbruchs in den Nachhaltigkeitsstandort D verordnet:

„Ohne den Ausbau von Durchleitungstrassen und Speichertechnologien wird es nicht gehen. Gelegentlich werden auch wir Zielkonflikte austragen müssen. Wer diese Energierevolution wirklich ernst meint, der muss auch radikal genug sein, im Zweifel Speicherkapazitäten und Durchleitungskabel in seiner Nähe zu akzeptieren, wenn dies technisch und ökonomisch sinnvoll ist. Das gleiche gilt für Kraft-Wärme-Kopplung: irgendwo werden diese Gaskraftwerke stehen müssen. Sankt-Florian ist sicher nicht bei uns zu Hause.“ (Özdemir, BDK, 19.11.10)

Mit dieser Frechheit – der Ankündigung von fälligen Projekten, mit denen der deutsche Energiestandort hochgerüstet wird – werben die Grünen für sich. Sie sammeln Zustimmung zu ihrer Ermächtigung ein, indem sie den Wählern das Gefühl geben, die Grünen nähmen sie in ihrer staatsbürgerlichen Vernunft ernst: Grüne Regierende halsen ihnen nur die wirklich nötigen Zumutungen auf, und dies auch nur, nachdem die Betroffenen gehört wurden und nach fairem Wettkampf zwischen Regierung und geschädigten Bürgern. Auch bei uns wird es Verlierer geben, tönt Kretschmann, grüner Ministerpräsidentenkandidat in Baden-Württemberg, aber jetzt eben Verlierer eines unwidersprechlich guten Staatsinteresses, das jeden Protest guter Republikaner erübrigt.

Letztere dürfen sich damit trösten, dass sie in den grünen Politikern ganz moderne, offene Sympathieträger an ihrer Seite haben, die mit ihnen sozusagen per Du sind:

Wir Grüne duzen uns und sind auch sonst recht kuschelig… Lockere Umgangsformen, vielleicht auch noch Stricken auf dem Parteitag, was für eine schöne Reminiszenz an den alternativen menschlichen Politik- und Lebensstil in der grünen Partei – als Auftakt für die Klarstellung des Parteiführers, dass das nicht mehr mit politischer Naivität zu verwechseln ist:

„Aber wir verheimlichen vor niemandem, dass unser Weg auch Zumutungen bedeutet. Ein Wohlfühlprogramm schaut anders aus. Wer uns wählt, bekommt auch Zumutungen. Gerade angesichts der klammen Haushalte und der Schuldenbremse … Wir dürfen und müssen Ehrlichkeit wagen.“(Özdemir, BDK, 19.11.10)

Kuscheln und staatstragend die politischen Notwendigkeiten von Staatshaushalt und deutscher Finanzmacht so vertreten, dass kein engagierter Bürger mehr Nein sagen kann – so inszeniert sich grünes Herrschaftspersonal als unwiderstehliches Angebot heute, in wohltuender Abgrenzung von so uncoolen Typen wie Merkel und Mappus. Und noch etwas muss 2010/11 sein:

„Mein Punkt ist, unsere Polizei darf nicht für Fehler der Politik herhalten. Wenn Merkel und Mappus gegen die eigene Bevölkerung durchregieren wollen, darf das keine 40-Stunden-Schicht für unsere Polizei bedeuten.“ (Özdemir, BDK, 19.11.10)

Die Grünen, ehedem als Bürgerinitiative des öfteren auf Konfliktkurs mit Polizei und BGS, legen sich ins Zeug für den staatlichen Ordnungsdienst, um die Regierung daran zu blamieren, dass sie ihn über Gebühr und ohne vernünftigen Grund strapaziert. Für das alles kann man dann schon erwarten, dass einen 20 Prozent der Menschen in Deutschland wählen!

*

Fehlt am Ende noch etwas im Profil einer modernen Volkspartei? Richtig, Schwarz-Gelb steht auch für soziale Kälte, und in der Hinsicht kann man auch bei den Linken und der SPD noch Stimmen abholen. Die Grünen haben zwar sieben Jahre an der Seite von Gerhard Schröder ihre Sozialkompetenz an einem modernen Kapitalstandort nachhaltig unter Beweis gestellt – wir erinnern nur an die Agenda 2010, die Durchsetzung von Hartz IV, also das ganze Elend mit der Verbilligung eines Volkes im Namen der Rettung unseres Sozialstaats. Aber das ist sechs Jahre her, da kann man schon mal, gerade in der Opposition, den sozialen Charakter als Volkspartei, die im Namen der Armen, Kranken und Schwachen dieser Gesellschaft unterwegs ist, etwas unterstreichen:

„In dieser Gesellschaft stehen sich aktuell zwei Modelle diametral gegenüber. Das eine Modell ist die Lobby- und Klientelpolitik für die Atomkonzerne, Privatversicherungen, Pharmakonzerne, Hoteliers. Das andere Modell ist eine gemeinwohlorientierte Politik, die auch an die Menschen denkt, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.“ (Özdemir, BDK, 19.11.10)

Die Botschaft dieser Konfrontation ist klar und eigentlich bekannt: Merkel und Westerwelle bauen den Lobbyisten eine Straße ins Parlament (Kretschmann, 3.2.), machen Politik bloß für Partikularinteressen und missbrauchen die Staatsgewalt für die Bevorzugung einiger weniger. Die Grünen dagegen machen echte Gemeinwohlpolitik, Politik für alle, also auch für die Schwächeren der Gesellschaft, darf man sich da denken. Was das heißt? Das großartige Versprechen, die Milliardengeschenke für Eon, Bayer oder die Allianz zu beenden. Mehr als dies, dass in einer grün regierten Republik wirklich keiner mehr geschont wird, ist für die armen Schlucker unter den Wählern nicht im grünen Politikangebot. Das verschafft den Minderbemittelten zwar materiell auch keinen Platz auf der Sonnenseite des Lebens, muss als gesellschaftliche Teilhabe in Zeiten, wo es um den Erfolg eines modernen Nachhaltigkeitsstandorts geht, aber einfach ausreichen.