Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Solche und solche Wahlfälscher: Unser Mann in Tiflis
Zur Ermittlung dessen, was der Wähler eigentlich sagen wollte, tragen in bestimmten Weltgegenden nicht zuletzt die vom Ausland dorthin geschickten Wahlbeobachter entscheidend bei. Bei der Präsidentschaftswahl in Georgien hat der US-Delegierte gleich am Wahlabend schon mal die Richtlinie für eine faire Bewertung der Wahlergebnisse ausgegeben:
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- 1. Ein paar Wahlfälschungen – aber nur ganz kleine, unabsichtliche, verzeihliche
- 2. Einsichten über den rauen Weg der Demokratie in schwerem Gelände
- 3. Überflüssige Gewalt gegen eine ungefährliche Opposition wird entschieden verurteilt
- 4. Das Volk: Gott sei Dank bloß arm, aber nicht durch den Russen verführt
- 5. Wir gewähren Saakaschwili eine Chance, sich zu bessern
- 6. Aber nur, wenn er auch auf uns und nicht nur auf Amerika hört
- 7. Wir veranlassen die Bildung einer großen Koalition in Tiflis
- Warum es in Georgien so sehr auf Demokratie ankommt
Solche und solche Wahlfälscher: Unser Mann in Tiflis
Zur Ermittlung dessen, was der Wähler eigentlich sagen wollte, tragen in bestimmten Weltgegenden nicht zuletzt die vom Ausland dorthin geschickten Wahlbeobachter entscheidend bei. Bei der Präsidentschaftswahl in Georgien hat der US-Delegierte gleich am Wahlabend schon mal die Richtlinie für eine faire Bewertung der Wahlergebnisse ausgegeben:
„Die Wahl am Samstag entsprach nach Einschätzung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa grundlegenden demokratischen Standards. Der Leiter der OSZE-Beobachtermission warnte vor überzogener Kritik. Es sei mit Sicherheit keine perfekte Wahl gewesen, sagte der US-Abgeordnete Alcee Hastings. Aber man dürfe nicht vergessen, dass Georgien noch eine junge Demokratie sei. Es handele sich lediglich um einen Schritt auf dem Weg zur Demokratie.“ (DW, 7.1.08)
Im Anschluss melden sich die Demokratie-Experten von der Nato aus Brüssel:
„‚Wir begrüßen die Vorabbewertung der Präsidentenwahl in Georgien, die darauf verweist, dass dies ein lebensfähiger Ausdruck der freien Wahl des georgischen Volkes war‘. Appathurai bezeichnete die Wahlen als einen wichtigen Schritt bei der Entwicklung der Demokratie in Georgien und rief die entsprechenden Behörden auf, alle von den internationalen Beobachtern fixierten Verletzungen zu untersuchen, um ihre Wiederholung bei der in diesem Frühjahr bevorstehenden Parlamentswahl in der Republik nicht zuzulassen. Der Sprecher der Nordatlantikallianz bestätigte die Absicht der Nato, den Dialog mit Tiflis auszubauen.“ (Nato-Sprecher James Appathurai, RIA Novosti, 9.1.)
Auch die georgische Opposition, die eine etwas andere Auffassung von der Rechtmäßigkeit der Wahl vertritt, findet Gehör, bekommt aber nicht Recht; sie soll zumindest keine vorschnellen Schlüsse ziehen, sondern erst einmal die Untersuchungen abwarten.
„Die georgische Zentrale Wahlkommission hat nach tagelangen Fälschungsvorwürfen der Opposition erstmals Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentenwahl am 5. Januar eingeräumt. Viele Wahlzettel seien verschwunden, zudem habe ein inzwischen festgenommener Helfer in einem Wahllokal versucht, zahlreiche Abstimmungszettel in eine Urne zu stopfen. Ferner teilten die Behörden in Tiflis mit, Wahlhelfer hätten Protokolle und gefüllte Wahlurnen mit nach Hause genommen.“ (DW, 10.1.)
Das Auszählen und die genannten Streitigkeiten ziehen
sich noch einige Zeit hin; aber das US-Urteil hat soviel
klargestellt, dass es sich um einen Fall für dezidiert
konstruktive Kritik handelt, dass man es nämlich
jungen Demokratien
verzeihen muss, wenn sie sich
schon mal verzählen. Es kommt zu einem vorübergehenden
Dissens unter den Wahl-Beobachtern: Der Deutsche Boden
spricht gegenüber der Frankfurter Rundschau (10.1.) über
grobe, fahrlässige und vorsätzliche Fälschungen bei
der Auszählung der Wahl
. Das war wohl so ein Fall von
überzogener Kritik
, vor der Mister Hastings warnen
wollte. Die Bewertung wird von der OSZE noch am selben
Tag dementiert, Boden will falsch verstanden worden sein.
2 Wochen später verbreitet die NZZ dann den
Nachwahlbericht:
„Munition für ihre Vorwürfe bekam die Opposition im vorläufigen Nach-Wahl-Bericht der ausländischen Wahlbeobachter (unter anderem von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). Diese legten detailliert gravierende Unregelmäßigkeiten beim Auszählen und Addieren der Stimmen aus den einzelnen Wahlkreisen dar und zeichneten insgesamt ein vernichtendes Bild der Arbeit der Zentralen Wahlkommission. Das direkt nach dem Urnengang ausgegebene Prädikat einer demokratisch abgelaufenen Wahl relativiert sich dadurch sehr stark.“ (NZZ, 20.1.)
Wie man sieht, ist so eine Wahlbeurteilung eine heikle
Frage. Wo der Ami die Linie vorgibt, nicht perfekt,
aber auf dem Weg zu ...
, der Deutsche zumindest
kurzfristig mehr vorsätzliche
als unabsichtliche
Fälschungen
sehen wollte, entscheidet sich die NZZ
in der Nachbetrachtung für ein relativiertes
Prädikat
. Da ist dann in der Berichterstattung
Fingerspitzengefühl angebracht.
1. Ein paar Wahlfälschungen – aber nur ganz kleine, unabsichtliche, verzeihliche
Darüber, dass dem georgischen Wählerwillen stark
nachgeholfen wurde, machen sich die Kommentatoren nichts
vor. Und? Was folgt jetzt daraus? Der Tatbestand, der in
anderen Ländern, bei anderen Wahlsiegern dieselben
einwandfrei ins Unrecht setzen, der unerbittlich mit der
Forderung nach Annullierung der Wahl beantwortet würde
wie z. B. im Fall des ukrainischen Wahlfälschers
Janukowitsch, dem sein Verbrechen bis heute auf die Stirn
geschrieben steht, muss hier differenziert angegangen
werden. Die Deutsche Welle greift zu einem vorsichtigen
Überschatten
: Massive Vorwürfe wegen
Wahlfälschungen überschatten die Ergebnisse der
georgischen Präsidentschaftswahlen.
Bei aller rechtsstaatlichen Prinzipienfestigkeit, auf deren Demonstration die Vertreter der Öffentlichkeit großen Wert legen, nach der das mutwillige Fälschen von Wahlen die Aberkennung des Wahlsiegs zwingend nach sich zieht, besteht zwischen dem Konstatieren von solchen Vorkommnissen und der Folgerung dann doch ein gewisser Entscheidungsspielraum. Wie die Presse den wahrnimmt, das ist mit dem autoritativen Befund der politischen Instanzen offensichtlich schon weitgehend entschieden. Keiner der kritischen Geister würde nach den vermeldeten Mängelrügen für das georgische Zählwesen auch nur im Entferntesten daran denken, den Rücktritt des Präsidenten zu verlangen – denn soviel ist ja schließlich klar: Es ist unser Mann, der da gewonnen hat und deshalb hat er auch gewonnen.
Dass Verstöße gegen das Reglement stattgefunden haben,
muss dabei gar nicht verschwiegen werden. Es kommt
vielmehr darauf an – soviel zur Prinzipienfestigkeit –,
sie richtig einzuordnen, indem sie 1. in ein
passendes Maßverhältnis gebracht werden und damit 2.
nicht als Einwand gegen den Sieg fungieren, sondern nur
als eine gewisse Beeinträchtigung von dessen Schönheit:
Die FAZ entschließt sich zu keine großflächigen, aus
Tiflis gesteuerten Wahlfälschungen, aber eine Menge Chaos
und technische Pannen sowie Selbstherrlichkeit von
Wahlbeamten
, sieht also nur ein sozusagen
spontaneistisches Wahlfälschen unterer Instanzen. Die
Antworten der OSZE sind zwar einigermaßen beruhigend,
aber die Beobachter stellen Saakaschwili auch nicht das
Zeugnis für einen kaukasischen Musterdemokraten aus
,
resümiert die Süddeutsche. Nachdem also die Macht für die
nächsten Jahre befugter- und anerkanntermaßen in den
Händen von Saakaschwili verbleibt und die Lage soweit
unter Kontrolle ist, sind die kritischen Anmerkungen 3.
aber immer noch dazu gut, dass die Kommentatoren damit
nachdrücklich ihre Kontrollrechte unterstreichen.
2. Einsichten über den rauen Weg der Demokratie in schwerem Gelände
Nach der Wahlentscheidung kann man in aller
Gelassenheit noch einmal aufrühren, was unser
prowestlicher
Mann durch die Wahl bereinigt hat:
„Viele Menschen beklagen einen zunehmend autoritären Regierungsstil des prowestlichen Politikers. Ein brutaler Polizei-Einsatz gegen friedliche Demonstranten vor zwei Monaten brachte Saakaschwili auch im Westen viel Kritik ein.“ (DW, 7.1.)
„Die gewaltsame Niederschlagung der Demonstrationen im November, das ruppige Einschreiten des Staates gegen den wichtigsten Oppositionssender sind Indizien dafür, dass der Präsident dem Volk als Souverän misstraute.“ (SZ)
Ist er dann vielleicht doch kein Demokrat? Nein, wir im
Westen sollten nicht davon überrascht sein, dass
Georgiens demokratischer Weg rauer aussieht, als es sich
westliche Enthusiasten vorgestellt hatten.
(NY Times) Wenn ein Vorposten
des Westens schon mit der Legitimation ausgestattet
worden ist, dass er sich auf dem Weg zu ... befindet,
dann sprechen Einwände im Namen demokratischer Verfahren
nicht gegen ihn, sondern für eine idealistische
Sichtweise der Betrachter, und es wird mehr Realismus
angemahnt.
Wenn unser Mann vom rechten Weg abkommt, verdient er –
Verständnis. So weiß z. B. der Völkerkundler von
der SZ Wissenswertes über den südkaukasischen Charakter
beizutragen, mit dem die Leidenschaften gerne durchgehen:
Georgische Temperamente ... ein hitzköpfiger
Staatschef ... seine Lust am offenen Streit mit
Russland...
Es ist nicht so, dass der Süddeutschen nicht irgendwo
auch die politische Substanz bekannt wäre, um die es bei
diesem Streit zwischen Georgien und Russland geht. Dass
Amerika damit befasst ist, sich Georgien als Stützpunkt
in der „Krisenregion“ zwischen Russland und Iran
herzurichten, des weiteren beabsichtigt, das Land als
antirussischen Vorposten in die Nato zu befördern, und
den georgischen Nationalismus für diesen Zweck
instrumentalisiert. Mit der Inszenierung der fabelhaften
Rosen-Revolution ist dort ein US-Schützling an die Macht
gebracht worden, der mit amerikanischer Militärhilfe zu
einer politischen Linie befähigt wird, die mit viel
Kriegsgeschrei gegen die separatistischen Gebiete und
gegen deren Schutzmacht Russland, mit ständigen
Beinahe-Zusammenstößen mit russischen Friedenstruppen
eine Konfliktlage in Gang hält. Zu deren Bewältigung
reklamiert der Staatschef dann die Nato als Schutzmacht
und arbeitet so auf den Beitritt zur Nato hin. Auf derlei
Zusammenhänge spielt der Autor der Süddeutschen mit dem
Streit mit Russland
zwar an, möchte das dann aber
doch lieber als Frage eines hitzigen Temperaments
behandelt sehen.
Auch die innenpolitischen Umstände in dieser Nation dürften dem SZ-Autor nicht ganz unbekannt sein: Dass der georgische Herrscher im Inneren alles ausrottet, was als Russland-freundlich verdächtigt wird; dass er die Konkurrenten um die Macht mit geheimdienstlich erstellten Videos im Fernsehen als von Russland bezahlte Agenten vorführen lässt und/oder mit Anklagen auf Verschwörung, Vaterlandsverrat etc. überzieht; dass der Fernsehsender der Opposition demoliert worden ist und die dort Beschäftigten überraschend plötzlich beschlossen, sich lieber einen anderen Arbeitsplatz zu suchen; lauter Vorfälle, die vor Weihnachten noch hiesige Journalisten dazu veranlasst haben, mit beispiellosem Mut dem georgischen Herrscher den Verdacht auf polizeistaatliche Methoden entgegenzuschleudern. All das soll man nach der gewonnenen Wahl aber nicht so hoch hängen. Wie das Adjektiv „ruppig“ vermuten lässt, war das wohl auch nur ein Ausbruch des georgischen Temperaments.
Der Kollege von der FAZ verlangt ebenso Verständnis, aber lieber gleich aus geopolitischen Gründen:
„Hinzu kam freilich die prekäre Sicherheitslage eines geteilten Landes, das vom großen Nachbarn Russland bis heute im Schwitzkasten gehalten wird ... Die schwierige internationale Umgebung hat ein Wagenburgdenken hervorgebracht, das die Führung dazu verleitete, innenpolitische Gegner oder Konkurrenten als ‚fünfte Kolonne Moskaus‘ abzustempeln. In einem innenpolitisch so vergifteten Klima konnte sich auch kein pluralistischer Parteienwettstreit entwickeln.“ (FAZ, 8.1.)
Man hat also erst einmal als mildernden Umstand in
Rechnung zu stellen, dass Russland zumindest Mitschuld an
dieser Lage trägt, indem es als schwierige
Umgebung
für unseren ruppigen kaukasischen Demokraten
in Erscheinung tritt. Dadurch hat der sich nämlich dazu
verleiten
lassen, seinen Wahlkampf mit dem
Wahlkampf-erprobten Instrument und Totschlägerurteil der
5. Kolonne zu bestreiten. Egal, wer jetzt im einzelnen
das georgische Klima vergiftet
hat, eher Russland
oder eher die georgische Führung – dass unter solchen
Bedingungen die Kulturleistung des Parteienpluralismus
nicht gedeihen kann, ist laut FAZ durchaus
nachzuvollziehen. Aber:
3. Überflüssige Gewalt gegen eine ungefährliche Opposition wird entschieden verurteilt
Nur einen Tag später schlägt dieselbe Zeitung andere Töne an:
„Es ist grotesk, den brutalen Einsatz von Polizei und Armee gegen Tausende friedliche Demonstranten mit einem von Russland gesteuerten Putschversuch zu begründen. ... in einer Demokratie entsteht Stabilität dadurch, dass die Herrschenden auf die Bedürfnisse der Bevölkerung eingehen.“ (FAZ, 9.11.)
Denn, nachdem die Opposition mittlerweile gründlich
durchleuchtet worden und, was deren Absichten angeht,
Entwarnung angesagt ist – keine 5.
Kolonne
, ebenso russenfeindlich –, nachdem die FAZ
ihr daher bereitwillig den Persilschein friedliche
Demonstranten
, brave innenpolitische Gegner
ausstellt, sind einige Sorgen überflüssig. Wenn sie
russenfreundlich wäre, könnte man einen harten
Umgang ja verständlich finden bzw., wie es eben Freund
Saakaschwili durchgezogen hat, als notwendige Reaktion
auf einen vom Ausland geplanten und angeleiteten
Umsturzversuch deklarieren. So aber wäre der
georgische Gewalteinsatz für unseren Geschmack gar nicht
nötig gewesen, und seine Begründung finden wir
nachträglich einfach grotesk
. Gegen einen
Herrscher, der sein Volk unnötigerweise gegen
sich aufbringt und dadurch seine Herrschaft und unsere
Interessen gefährdet, kann der Kommentator richtig giftig
werden.
4. Das Volk: Gott sei Dank bloß arm, aber nicht durch den Russen verführt
Die Kritik ist noch lange nicht am Ende; unser Mann ist
selber schuld am Hochkommen der Opposition, hat durch
politische Fehlleistungen dazu beigetragen
:
„Zum einen vernachlässigte die politische Führung die Bedürfnisse der Bevölkerung und schaffte es nicht, ihre Reformziele zu erklären. Soziale Not in dem Land, das von dem weltweit als Musterknaben der Transformationspolitik betrachteten Micheil Saakaschwili geführt wurde, war ein Grund für die Proteste im November.“
Klar, dass da eine Fehlleistung vorliegen muss,
wenn der Musterknabe der Transformation sein Volk in
soziale Not versetzt. Oder ihm nicht gut genug
erklärt
hat, inwiefern seine Not traurig, aber
wegen der Reformziele
unvermeidlich ist; so genau
kommt es ja auch nicht drauf an. Dass die Zeitung bis
neulich noch ihr Teil zur weltweiten Betrachtung
des georgischen Herrschers als Musterknabe der
Transformationspolitik
, zur Verwechslung von
Transformation und Besserstellung der Bevölkerung
beigetragen hat, tut nichts zur Sache; spätestens seit
den Protesten im November weiß sie rückblickend genau,
wie sehr die Bedürfnisse der Bevölkerung
vernachlässigt worden sind.
Man braucht sich aber keine Sorgen über den
Gesundheitszustand der FAZ zu machen, wenn jetzt
ausgerechnet ihr Leitartikler auf der sozialen Not in
Georgien herumreitet. In der zweiten Spalte ist die Welt
schon wieder in Ordnung. Da wird der frisch gewählte
Präsident schon vorbeugend davor gewarnt, bloß wegen der
kommenden Parlamentswahlen womöglich
Sozialausgaben
anzuheben. Angesichts der
Inflation
, die der Leitartikler heraufziehen
sieht, und der ohnehin prekären Stabilität der
georgischen Wirtschaft
ist die soziale Not
vom
Anfang schon wieder abgemeldet bzw. begründet den Auftrag
zur Einrichtung einer Notstandsregierung:
„Nur ein Zusammenwirken aller politischen Kräfte könnte Georgien vor einem Abgleiten in soziale Unruhen oder wirtschaftliches Chaos bewahren. Deshalb sollte der Streit um den Ausgang der Präsidentenwahl umgehend beigelegt werden.“
Dass sich beim Aufruhr vom November bloß die soziale Not zu Wort gemeldet hat, ist nämlich in gewisser Weise die gute Nachricht: Die Opposition, die sich zum Wortführer dieser Proteste gemacht hat, erklärt die FAZ nicht nur für koalitionsfähig, sondern beauftragt sie kurzerhand auch schon damit, sich in eine Allparteienregierung einzureihen, um von da aus die sozialen Unruhen abzuwürgen. Eine schlechte Nachricht wäre es gewesen, hätte sich der Verdacht auf einen prorussischen Protest bestätigt. So aber sind die neuaufgekommene Opposition und ihre soziale Basis zumindest ideell schon wieder eingeordnet.
5. Wir gewähren Saakaschwili eine Chance, sich zu bessern
Wenn auch die Öffentlichkeit in dem Fall harte Kritik
üben muss, tut sie es doch immer mit Sinn fürs rechte
Maß. Mit seinen brutalen Polizeieinsätzen
und dem
autokratischen Regierungsstil
hat sich S.
keineswegs als Demokrat disqualifiziert. Daraus folgert
der Schreiber der Süddeutschen nur, dass unser Mann, mit
ihm gleich auch noch sein ganzes Land – ein großzügiges
pars pro toto –, noch sehr viel lernen muss:
„Fairness im politischen Wettstreit, die den Machtverlust in Kauf nimmt, ist eine Tugend, die Georgien noch lernen muss.“
Falsch wäre es daher auch, den Verdacht anzumelden, dass der Präsident seine nächste Amtsperiode eventuell dazu benützen könnte, weiterhin niederzuschlagen und ruppig einzuschreiten; ganz umgekehrt, die SZ schenkt ihm da eine Chance:
„Das neue Mandat gibt dem georgischen Präsidenten nun eine Chance, besonnener und gelassener zu regieren.“
Es gibt auch einen Grund, auf den sich diese Hoffnung und der Glaube an Saakaschwilis Lernfähigkeit gründet, und der heißt Europa.
6. Aber nur, wenn er auch auf uns und nicht nur auf Amerika hört
Nachdem sich die Süddeutsche des längeren über den hitzköpfigen Volkscharakter verbreitet hat, fällt ihr umgekehrt auch wieder einmal ein, dass der georgische Staatschef kein ganz autochthones Gewächs ist, sondern zumindest zu Teilen das Produkt westlicher Betreuung:
Auch der Westen ist nicht unschuldig daran, wenn einer
wie Saakaschwili überheblich wird.
Da klopfen wir uns
doch mal gerne an die amerikanische Brust: Vor allem
die US-Regierung hat den jungen Staatschef allzu oft
umschmeichelt.
Einmal dahingestellt, ob umschmeicheln
das
Verhältnis treffend charakterisiert, wenn eine Supermacht
ihre Kreatur mit Militärhilfe und Weltbank-Krediten an
der Macht hält. Der Schreiber hat ja durchaus eine Ahnung
von den höheren Zielen, die Amerika da verfolgt, dem
Programm, das Land in die Nato zu lotsen
, wofür
man also Saakaschwili an die Macht gebracht hat:
strategisch wichtiger Transitstaat für die großen
Energieströme... ein enger Partner für Amerika direkt an
der russischen Südflanke...
, legt aber dennoch großen
Wert darauf, dass man da kein Ami-Geschöpf vor sich hat,
sondern einen autonomen nationalen Führer, dem nur die
Gunst der Amis zu Kopf gestiegen ist:
„Dem eitlen Saakaschwili hat diese Fürsprache stets gefallen, was womöglich auch seine sichtbare Lust am Streit mit Russland erklärt.“
So kann man sich nämlich gut einteilen; einerseits ist
und bleibt der Georgier auch unser Mann, und in
dieser Hinsicht würdigen wir ihn als im Prinzip legitim
gewählten Repräsentanten georgischer Staatsmacht.
Andererseits aber können wir mit gutem Recht an ihm
herumnörgeln, insofern sein schlechtes Benehmen daraus
resultiert, dass er in erster Linie der Mann der Amis
ist. Die Gelegenheit zur üblen Nachrede gegenüber der
Führungsmacht, dass sie es mit ihren hohen Prinzipien
nicht übermäßig genau nimmt, wird dankbar ergriffen. So
kapiert der Leser dann auch, dass der Ami kein besonders
glaubwürdiger Anwalt von Demokratie in Georgien ist. Und
die moralische Autorität, unparteiisch und objektiv über
die Titel zu wachen, geht wie von alleine über auf ein
Europa, das schon immer etwas argwöhnischer auf
Saakaschwili schaute als es die Amerikaner tun.
Und
dieses Europa muss dem Machthaber in Tiflis bei seinem
Reformprogramm helfen, ohne den Präsidenten als
alleinigen Garanten der Stabilität zu hätscheln.
Dieses Europa sollte, wie es sich der Schreiber gut
vorstellen kann, die Gelegenheit nützen, bei dem durch
die Opposition geschwächten Potentaten mit Hilfsangeboten
vorstellig zu werden, die dann allerdings ein wenig daran
geknüpft sind, dass er gefälligst nicht nur auf Amerika,
sondern auch auf Europa hört. Der Mann von der
Süddeutschen, gerade noch betrübt über die bedenklich
autoritären Züge
, malt sich frohgemut die
hoffnungsvolle Perspektive aus: Wenn die EU Georgien –
für wann auch immer – Beitrittsverhandlungen in Aussicht
stellen sollte, würde sich auch ihr Einfluss auf das
Geschehen in Tiflis erhöhen.
Und sage einer, was er
will – der Einfluss der EU wirkt bekanntlich Wunder:
Und der temperamentvolle Saakaschwili ließe sich
vielleicht leichter zähmen.
7. Wir veranlassen die Bildung einer großen Koalition in Tiflis
Mit der Nörgelei an der Weise, in der sich S. seinen
Wahlsieg beschafft hat, erarbeiten sich die Verfasser der
Kommentare zielstrebig die Freiheit, den von ihnen
ausgestellten Freibrief für weiteres Regieren mit
gewissen Auflagen für den Gebrauch der Macht zu
versehen, die sie gerne erfüllt sehen möchten. Das
Lager Saakaschwilis wird einsehen müssen, dass eine
starke Opposition der Demokratie nur förderlich sein
kann.
Und mit demselben klaren Blick auf die übergeordneten Notwendigkeiten stabilen Regierens, hinweg über die kleinlichen Interessen der im georgischen Machtkampf befangenen Parteien, wird der Opposition empfohlen, ihre Proteste einzustellen und lieber den Weg über die Gerichte zu gehen:
„Überprüfung der Wahl von den Gerichten ... Bei allen berechtigten Zweifeln an der Unabhängigkeit der Gerichte sollte der Westen diesen Weg unterstützen und Georgien auch während der anstehenden Parlamentswahlen nicht aus den Augen lassen. Indem Europa der georgischen Staatsmacht auf die Finger schaut, fördert es die Bereitschaft zum innenpolitischen Kompromiß.“ (FAZ)
Ein schöner Umgang mit dem demokratischen Wert der Unabhängigkeit der Gerichte: Hier ist man mal ganz großzügig – auf Kosten der georgischen Opposition. Zwar möchte man diese Tugend georgischen Gerichten eher nicht zusprechen, aber die Opposition soll ihre Ansprüche mal ruhig diesen Gerichten anvertrauen. Jedenfalls soll sie runter von den öffentlichen Plätzen und für ihre Proteste den Instanzenweg einschlagen. Weiteren Aufruhr können wir nicht gebrauchen in einer Gegend, in der Russland das schwierige Umfeld bildet.
Insgesamt auch ein schöner Umgang mit dem geforderten Prinzip freier Wahlen: Wenn sich ein westlicher Vorposten an der russischen Grenze zur Sicherung seiner Macht einen Wahlsieg hinorganisiert, wird das im Prinzip von den hiesigen öffentlichen Tugendwächtern genehmigt; es wird nicht auf Wiederholung der Wahlen bestanden, wohl aber wird der Herrscher darauf verpflichtet, die Fälschungen gewissermaßen wieder gutzumachen, indem er der Opposition entgegenkommt, sie am besten gleich ‚einbindet‘ und damit seine Herrschaft wasserdicht macht. Egal, ob die an diesem Machtkampf beteiligten Parteien sich wechselseitig für einbindungsfähig halten – im Lichte unseres Interesses an einer soliden russland-feindlichen Stabilität werden deren Interessen vom hiesigen Standort aus für total kompatibel erklärt.
Warum es in Georgien so sehr auf Demokratie ankommt
Die soziale Not in Georgien kann jahrelang ungestört dahingehen, ohne es zur Erwähnung in einem Leitartikel der FAZ zu bringen. Und sie wäre auch weiterhin unauffällig geblieben, wäre sie nicht vor Weihnachten von einer erbitterten Opposition zum Berufungstitel gegen Saakaschwili gemacht worden, der sich wiederum davon zu gewissen Maßnahmen verleiten ließ, mit denen er beinahe den Rechtstitel blamiert hätte, den er doch verkörpern soll. Bei der Identifizierung seiner Amtsführung mit einem Weg zur Demokratie geht es schließlich um bedeutend mehr als um eine ordentliche Aufbewahrung georgischer Wahlurnen. Es geht um den Rechtstitel, den Amerika in Anspruch nimmt, um seinen Stützpunkt in die Nato zu befördern:
„Die Regierung in Washington zählt die von Minderheitenkonflikten geplagte Republik im Kaukasus seit langem zum größten Reformerfolg an der Peripherie der Nato. Georgien sei innerhalb von ein paar Jahren von einem der korruptesten Länder zu einem der besten Reformstaaten geworden, lege man die Maßstäbe der Weltbank zugrunde. Genau deshalb will Washington den Georgiern den Weg in das Beitrittsprogramm Map (‚Membership Action Plan‘) ebnen. Ein Bündnis, das ein Exporteur von Sicherheit und demokratischen Werten sei, müsse solche Anstrengungen belohnen, lautet das Argument.
Länder wie Deutschland wenden dagegen ein, dass Georgien zwei schwerwiegende ungelöste Territorialkonflikte hat, was den Beitritt zu einem Bündnis schwierig mache, das auf dem gemeinsamen Schutz der Grenzen beruht; außerdem wollen viele ‚Alteuropäer‘ Russland nicht provozieren, das schon gegen die Ausdehnung der Nato ins Baltikum heftig protestiert hatte.“ (FAZ 1.10.07)
Wie der strategische Vordenker der FAZ erläutert, ist die
Sprachregelung von wg. größter Reformerfolg an der
Peripherie der Nato
, die offiziöse Einstufung der
Nation als auf dem Weg zu..., ein diplomatischer Hebel,
um Bedenken gegenüber der von den USA gewünschten
nächsten NATO-Erweiterung abzuschmettern:
„Um die strategisch-geopolitischen Interessen wertepolitisch zu umkleiden und jede Verhandlung mit Moskau von vornherein auszuschließen, wurde seit 1994/95 statt ‚Erweiterung‘ nur noch von einer ‚Öffnung der Nato‘ für freiheitlich-demokratische Länder gesprochen.“ (Lothar Rühl, FAZ 22.5.07)
Für ihren strategischen Zugriff auf das Land als antirussische Bastion, als Transitland, um den Energietransport aus der Kaspi-Region vom russischen Zugriff zu trennen, und als Stützpunkt im südlichen Kaukasus, will die Führungsmacht der Nato von dort aus gerufen werden. Und zwar unter dem Firmenschild ‚Demokratie und Reformen‘, im Namen der unwidersprechlich guten Herrschaft – damit sich jeder Einspruch von Seiten der betroffenen Nachbarschaft als Feindschaft gegen eben diese Werte disqualifiziert. Und damit auch alle Bedenken und Einwände erschlagen werden, die sich die Bündnispartner in der NATO, die europäischen Konkurrenten ausdenken. So kommt es zu der eigentümlichen Veranstaltung, dass die Aufnahme in ein Militärbündnis neuerdings als Belohnung für Reformen verstanden werden soll und sich die Nato wie ein überdimensionales Wahlbeobachtergremium aufführt. Und deshalb war es auch so wichtig, dass der Mann, der die Nato rufen soll, ganz schnell wieder von seiner Entgleisung mit der Verhängung des Ausnahmezustands zum Wählen zurückgefunden hat.