Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die islamische Republik Iran wählt verkehrt:
Spinnen die Perser?
Wir hatten eine Wahl im Iran erwartet und gefordert – und nun so was. Von allen möglichen Kandidaten auf das Präsidentenamt gewinnt derjenige, den wir am allerwenigsten bestellt hatten: Ein Laie, aber fundamentalistischer als die Mullahs, ein Idealist der islamischen Revolution, wo man doch gedacht hatte, dass deren Elan nach 25 Jahren langsam erschöpft wäre, ein raffinierter Populist mit bescheidenem, gottesfürchtigen Lebensstil, der den arbeitslosen Armen womöglich tatsächlich Teile des nationalen Ölreichtums opfern wird.
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Die islamische Republik Iran wählt
verkehrt:
Spinnen die Perser?
Was war denn das? „Wir“ im Westen verstehen nicht ganz. Wir hatten eine Wahl im Iran erwartet und gefordert – und nun so was. Von allen möglichen Kandidaten auf das Präsidentenamt gewinnt derjenige, den wir am allerwenigsten bestellt hatten: Ein Laie, aber fundamentalistischer als die Mullahs, ein Idealist der islamischen Revolution, wo man doch gedacht hatte, dass deren Elan nach 25 Jahren langsam erschöpft wäre, ein raffinierter Populist mit bescheidenem, gottesfürchtigen Lebensstil, der den arbeitslosen Armen womöglich tatsächlich Teile des nationalen Ölreichtums opfern wird.
Haushoch schlägt dieser Überraschungskandidat, den „wir“ bisher überhaupt nicht bemerkt hatten, den halbseidenen Hoffnungsträger, auf den „wir“ verlegenheitshalber setzen mussten, nachdem unser eigentlicher Kandidat sang – und klanglos abgeschifft ist. Moin, eigentlich ein sympathischer, weltoffener Reformer aus der Riege des scheitenden Präsidenten Chatami, hat enttäuscht, ja er hat sich kompromittiert. Der Wächterrat, eine Art islamistischer Verfassungsschutz, hatte ihn schon von der Kandidatur ausgeschlossen, also als Freiheitshelden geadelt, und dann lässt er sich vom religiösen Führer Chamenei die Schmach antun, von dessen Gnaden doch wieder zugelassen zu werden. Diese Großzügigkeit hätte er besser ausgeschlagen und zum Wahlboykott aufgerufen. Er hätte der Welt schöne Argumente liefern können für die Illegitimität des Wahlprozesses und des ganzen Staates, der ihn veranstaltet. Dafür hätten „wir“ die 40% Nichtwähler auch voll seinem Konto gutgeschrieben. Aber der Kerl kandidiert und schafft es nicht einmal in die Stichwahl. Ersatzweise mussten wir nun auf einen alten Bekannten setzen: Ex-Präsident Rafsandschani, zu dessen Wahl im zweiten Durchgang die Reformer, die Intellektuellen und die Unternehmer aufgerufen haben – also insgesamt die richtigen Leute. Aber sogar mit dieser Unterstützung und unseren guten Wünschen schafft es der alte Fuchs – ein stinkreicher Nutznießer der Verhältnisse, korrupt, intrigant und seit der Revolution ununterbrochen an irgendeinem Schalthebel der Macht – nicht, den Sieg dieses Außenseiters zu verhindern.
Mindestens so schlimm wie der falsche Ausgang des
Wahlkampfes ist sein Inhalt und Gegenstand. „Wir“
verstehen die iranische Lage seit Jahren so, dass
selbstverständlich auch dort die große Frage
ausgestritten wird, um die es heute überall zu gehen hat:
Unsere Freiheit oder unmoderne, undemokratische,
antiwestliche Unterdrückung. Reformer, die wir in der
islamischen Elite entdeckt und als Träger unserer Werte
adoptiert haben, verbinden eine realistische Einschätzung
der Machtverhältnisse auf dem Globus mit den Idealen der
Marktwirtschaft und des privaten pursuit of happiness.
Diese Guten kämpfen einen gerechten Kampf gegen die
Diktatur der Dunkelmänner von gestern. Sie öffnen ihr
Land dem Segen unseres Kapitals – unsere Exportartikel
kaufen sie sowieso –, bringen den zurückgebliebenen
Moslems freiheitliche Sitten bei und sehen ein, dass eine
weltpolitische oder gar militärische Selbstbehauptung
gegen Freunde, wie wir es sind, weder aussichtsreich noch
nötig ist. Ihnen gegenüber stehen religiöse Terroristen
und intolerante Fanatiker, deren Zweck es ist, dem Volk
noch die kleinste Freude zu verbieten und ihre friedliche
Nachbarschaft, ja die ganze Welt mit Atombomben zu
bedrohen, mit denen sie gar nicht umgehen können. So weit
die Fronten, die sich gehören und selbstverständlich
richtig entschieden gehören. In diesem Wahlkampf jedoch
spielt dieser Gegensatz überhaupt nicht die Rolle, die
ihm gebührt! Weder bestimmt er die Tagesordnung, noch ist
er die alles entscheidende Linie, an der entlang sich die
Parteien scheiden. Sicher, gestritten wird schon; aber
viel zu wenig über das Verhältnis zum Westen, die
Atomgespräche, die Investitionsbedingungen, die neue
Nahost-Ordnung – und viel zu wenig mit der
Entschiedenheit, die wir von denen erwarten können, die
wir zu ‚Reformern‘ erkoren haben. Statt sich für unsere
legitimen Ansprüche an ordentliches Regieren im Iran
stark zu machen, haben sie den Antireformern mit ihrer
Polemik gegen „den Westen“ noch weitgehend Recht gegeben.
Überhaupt haben sich Kandidaten wie Wähler viel zu sehr
für abartige Themen interessiert, nämlich um Korruption,
Ungerechtigkeit der Reichtumsverteilung und soziale
Gerechtigkeit gestritten. Tatsächlich: Nicht das
Abnehmen des Tschadors, Live Musik und ein Mullah-freies
Leben sind die Prioritäten der Wähler, sondern ein
gesicherter Job und ein gerechter Anteil am
Ölreichtum
(Zürcher
Sonntagszeitung, 26.6.05) Statt für die Freiheit,
die wir meinen, auf die Wahlbarrikaden zu gehen, leistet
sich das Land Ressentiments gegen die einkommensstarken
Leistungsträger der islamischen Republik und einen Kampf
um die Einlösung der egalitären Ideale der Revolution von
1979.
Wie konnten wir uns nur so täuschen? Oder besser, wie konnte man uns nur so täuschen? Sind die Reformer doch ein windiges Gesindel, das unsere Sympathie nie verdient hat? Sind die Studenten aus den besseren Kreisen, denen wir vor ein paar Jahren schon den demokratischen Umsturz zugetraut haben, doch bloß an Geld, Karriere und Partys interessiert? Oder hat jemand eine demonstrierende Minderheit übertrieben hochgejubelt?
„Das Wahlergebnis widerlegt die unter Irankritikern der Bush-Administration weit verbreitete Auffassung, dass die öffentliche Auseinandersetzung in Iran im Wesentlichen ein Kampf zwischen dem Volk, das Freiheit will, und einem repressiven Staat ist.“ (The Economist, 2.7.) „Die ansehnliche Wahlbeteiligung hat gezeigt, dass Washingtons Reden vom Regimewechsel, sofern es in einer von innenpolitischen Themen bestimmten Wahl überhaupt Einfluss hatte, negativ gewirkt hat.“ (FAZ, 27.6.)
Einen Schuldigen an dieser großen Irreführung haben wir also schon mal!
Lebendige Demokratie in der islamischen Republik?
Rehabilitiert es den unangepassten Mullah-Staat nun halbwegs, dass in ihm „vollkommen offene Wahlen“ stattfinden und Volkes Wille über die Besetzung der Herrschaftsposten entscheidet, wie es das Lehrbuch der Freiheit verlangt? Mitnichten! Eine Wahl, die einen Antiwestler, der sich stolz Fundamentalist nennt, an die Macht bringt, kann gar nicht demokratisch sein. Die freie Wahl, das steht ein für allemal fest, ist das Instrument westlichen Einflusses in anderen Ländern, das Mittel für Regime Change in unserem Sinn. Regime Change in die falsche Richtung oder ein Massenvotum für ein antiwestliches Regime, ist per se undemokratisch.
Um das zu belegen, haben wir dann doch wieder genug
Informationen aus dem undurchsichtigen Land. Dass die
Wahlbehörde die mehr als tausend Bewerber um das hohe Amt
auf 17 Kandidaten reduziert hat – wie funktioniert das
eigentlich bei uns? –, ist ein klares Zeichen für
Unterdrückung des Wählerwillens: Außenminister Fischer
hat die Präsidentenwahl im Iran wegen des Ausschlusses
vieler Bewerber kritisiert.
Die EU-Kommission findet,
dass Beschwerden über angebliche Unregelmäßigkeiten
bei der Wahl ein ernsthaftes Problem seien, das schnell
und in transparenter Weise geklärt werden müsse.
Die
unterlegene Partei der Reformer liefert Vorwürfe und
redet von nie da gewesene Betrügereien
. Freilich
hat, wie der Economist mit britischer Fairness bemerkt,
Mr. Ahmadinedschad wenigstens halb recht, wenn er
seine Wahl auf den Volkswillen gegründet sieht, denn er
hat seinen Zweitrundengegner Rafsandschani mit 7,3
Millionen Stimmen gegen 10 Millionen bei einer
Wahlbeteiligung von 49% geschlagen; ein weit größerer
Abstand, als ihn irgendwer mit ausschließlich
unehrenhaften Mitteln für erreichbar hält.
(2.7.) Ob das allerdings das
Ergebnis entschuldigt, oder nur noch schlimmer macht, ist
schon die Frage. Bringt das wenn nicht korrekte, so doch
repräsentative Ergebnis statt der Irregularität bloß
einer manipulierten Wahl nicht die des ganzen islamischen
Staates und seines Volkes ans Licht? Die EU äußert sich
vorerst zurückhaltend und nutzt die Glückwünsche, die sie
dem Neuen übermitteln lässt, zur Übermittlung neuer
Forderungen an sein Regime. Schließlich will sie im
Geschäft bleiben und ihren Versuch fortsetzen, Iran zum
Verzicht auf das ihm durch den Atomwaffensperrvertrag
garantierte Recht auf Urananreicherung
(FAZ 27.6.) zu pressen. Die US-Regierung
hat da weniger Hemmungen: Den wahren Willen des
iranischen Volkes vertritt Präsident Bush und sonst
niemand; mit der Wahl eines antiamerikanischen
Kandidaten, bewege sich Iran gegen die Richtung der
allgemeinen Demokratisierungsbewegungen in der Region.
Teheran stelle sich den Strömungen der Freiheit entgegen,
die im Irak, im Libanon und in Afghanistan sichtbar
seien. Washington unterstütze die Forderungen nach freien
und fairen Wahlen, durch welche das iranische Volk seinen
Willen bekunden könne. Angesichts des Ausschlusses von
mehr als tausend Kandidaten könnten die Präsidentenwahlen
nicht als Ausdruck des demokratischen Willens der
iranischen Wähler betrachtet werden.