Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die Wahl in Rest-Jugoslawien:
Serbien wählt – die NATO bestimmt die Alternativen

Serbien ist großflächig ruiniert und zur Kapitulation gezwungen. Das reicht dem Westen nicht! Bei der Wahl mischt man sich kräftig ein: Milosevic muss weg und eine prowestliche Regierung her. Von Hilfe und Aufbau ist schon lange keine Rede mehr.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Die Wahl in Rest-Jugoslawien:
Serbien wählt – die NATO bestimmt die Alternativen

1.

Der Vorlauf: Die NATO hat Serbien mit einem Krieg überzogen, das Land großflächig ruiniert und zur Kapitulation gezwungen. Nach dem Krieg ist für den Westen aber noch eine Rechnung offen. Der alte Führer, Milošević, Verkörperung des serbischen Selbstbehauptungswillens, ist weiterhin an der Macht. Mit dem Auftrag, diesen Restposten zu erledigen, wird das serbische Volk bedacht: Es soll Milošević stürzen und damit für den Westen die Kapitulation Serbiens vollenden. Damit es diesen Auftrag auch richtig wahrnimmt, ergänzen die Siegermächte das Nachkriegselend um eine wohldosierte Strategie des Aushungerns. Der Staat wird mit einem Handels- und Finanzembargo belegt, während Städte, in denen sich Widerstand gegen die Führung in Belgrad zu Wort meldet, mit ein paar Lieferungen Heizöl belohnt werden. Die Botschaft ist klar: Solange Milošević an der Macht ist, wird Serbien international geächtet, erst mit einer devoten Regierung in Belgrad kommt eine Normalisierung der Beziehungen in Frage; die Wiederaufnahme Serbiens in die Völkerfamilie setzt einen Akt der Unterwerfung unter den westlichen Vorherrschaftsanspruch voraus. Oppositionelle Kräfte, die die Botschaft auf ihre Weise begriffen haben – Milošević steht der Zukunft ihres Landes im Wege –, nehmen den Auftrag an. Sie werden vom Westen protegiert und bringen es zu einigem Aufruhr im Lande, die Sezessionsbestrebungen Montenegros tragen das Ihre dazu bei. Doch die Sache zieht sich zum Ärger des Westens hin.

2.

Es ist Milošević, der die Lage in Bewegung bringt: Seit Kriegsende von Seiten der Opposition mit der Alternative konfrontiert, sich von der kriegsenttäuschten Bevölkerung abwählen zu lassen oder per Bürgerkrieg abgesetzt zu werden, will er die Konfrontation zu seinen Gunsten entscheiden. Er will seine Herrschaft stabilisieren, und das heißt in dem Fall, mit den Feinden Serbiens im eigenen Land aufräumen, die Opposition mundtot machen, den Volkswillen gegen die ausländische Bande von Saboteuren mobilisieren. Und zu diesem Zweck – bittet er das Volk zu den Urnen. Der Diktator, der Gewaltherrscher in Belgrad, der Staatsterrorist, der Kommunist, der verbohrte Nationalist, der Undemokrat verfällt ausgerechnet auf die Methode einer Verfassungsänderung, um sich direkt vom Volk wählen und damit seine Regierungszeit verlängern zu lassen. Eine Ironie der Geschichte und, was die Herrschaftspraktiken von Diktatoren betrifft, wahrscheinlich einmalig: Der amtierende Präsident beabsichtigt, sich dem Wählerwillen zu stellen, und liefert damit den Siegermächten neue Handhaben.

Der Westen „durchschaut“ den „Trick“: Er schließt messerscharf darauf, dass es Milošević bloß um seine Ermächtigung geht. Was der Zweck so ziemlich aller demokratischen Wahlen ist, hat man in dem Fall als verwerflichen Anschlag auf die Demokratie zu begreifen, die in Serbien vor und unabhängig von jeder Wahl die Entmachtung Miloševićs gebietet. Folglich dekretiert der Westen – der sich in der jugoslawischen Verfassung wieder einmal besser auskennt als die Rest-Jugoslawen –, dass die Wahlen einen Verfassungsbruch darstellen: Klar ist, dass von einer echt demokratischen Wahl nicht gesprochen werden kann, da Milošević seinen Machtmissbrauch bis ins Jahr 2009 fortschreiben wolle. (Fischer, FAZ, 28.7.00)

Bei diesem Urteil bleibt es aber nicht. Der Westen findet nämlich Gefallen an der Idee, die Veranstaltung in seinem Sinne umzudrehen – die Wahl müsse dazu benutzt werden, Milošević endgültig von der Macht zu vertreiben (Fischer, FAZ 9.9.) – und sie zu einem Instrument für die Entscheidung der Alternative zu machen, die er seit dem Krieg über das Land verhängt hat: Hörigkeit oder Ächtung, entweder Serbien beugt sich oder es hat mit weiterer Zerstörung zu rechnen. Er stellt klar, dass, wie immer die Wahl ausgeht, nur ein Ergebnis akzeptiert wird, die Abwahl Miloševićs; nur dieses Ergebnis ist demokratisch. Jedes andere wäre ein Beweis für Wahlfälschung und zöge weitere Strafmaßnahmen der NATO nach sich.

3.

Dementsprechend entschlossen nimmt der Westen die Wahlvorbereitung in die Hand. Er bringt die Opposition auf Linie, was in diesem Falle heißt, dass der hoffnungslos zerstrittene Haufen seine nicht unerheblichen Differenzen für belanglos zu erklären und sich zwecks Gleichschaltung des Wählerwillens auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen hat. Die Opposition wird gewaltig zusammengeschissen (Spiegel, 9.10.), aber auch mit Geld gekauft.

„Also vollzogen die Opposition und der Westen eine Kehrtwende – und sie machten dies im Grunde genommen nicht einmal ungeschickt. Der zerstrittene Haufen der Milošević-Gegner einigte sich auf einen Präsidentschaftskandidaten, der sich als Volltreffer erweist. Vojislav Koštunica ist als aufrechter Nationalist nur schwer erreichbar für die Diffamierungen des Regimes, das seine Kritiker sonst so gerne als fünfte Kolonne der NATO vorführt.“ (SZ, 20.9.)

Mit Koštunica – Nein zu Amerika, nein zu Milošević! heißt seine Wahlkampfparole – gelingt es der Opposition, den Vorwurf des Vaterlandsverrats kongenial und glaubwürdig an Milošević zurückzugeben. Seine hiesigen Sponsoren bekennen sich dabei offen zu dem manipulativen Manöver, mit dem ein nationalistischer Wählerhaufen bedient werden soll, um ihn zur Wahl einer prowestlichen Regierung zu bewegen:

„Koštunica wird die Rolle zufallen, die Fahne des Serbentums hochzuhalten, Djindjić dagegen die Schlüsselstellung, um mit einem pragmatischen Kurs das Land zurück nach Europa zu führen.“ (SZ, 7.10.)

Die wachsenden Aussichten, dass der aufrechte Nationalist an der Spitze des Oppositionsbündnisses Milošević schlägt, sichern ihm hierzulande die Qualität eines demokratischen Nationalisten, was soviel besagt wie: ein serbischer Nationalist, aber unserer, nämlich gegen Milošević, also ein Demokrat. Seine Aussichten werden nicht nur durch die westlichen Wahlkampfgelder untermauert, sondern auch durch das Versprechen, dass die Abwahl Miloševićs mit der Aufhebung der Sanktionen belohnt wird.

Begleitet wird die Wahlkampagne von der sachkundigen Prognose, dass Milošević, so wie man diesen Diktator kennt, die Macht nie und nimmer freiwillig abgeben werde, nur weil der Westen es wünscht und der Wähler es will. (SZ, 26.9.) An das serbische Volk ergeht der Auftrag, sich in keinem Fall den zu erwartenden Wahlfälschungen zu beugen. (NZZ, 28.9.) So geben die Siegermächte schon im Vorfeld des Wahlgangs zu Protokoll, dass das Wahlergebnis in jedem Fall die gewaltsame Entmachtung Miloševićs legitimiert – entweder findet sich in Serbien eine Mannschaft für die vom amerikanischen Außenministerium propagierte Ceausescu-Lösung oder die NATO wird die entsprechende Antwort erteilen, wie der englische Außenminister prophylaktisch bekannt gibt.

4.

Dann wird gewählt. Während noch die Stimmen ausgezählt werden, erklärt sich das von Koštunica angeführte Parteienbündnis DOS zum Sieger. Der Volkswille zur Entmachtung des Präsidenten steht so eindeutig fest, dass die entsprechenden Wahlstimmen einfach da sein müssen: Wer will da noch genau nachzählen, ob es 58% für Koštunica (SZ, 26.9.), 54% (SZ, 27.9.) oder 52,8% (SZ, 28.9.) sind? Eines ist laut Wahlkampfleiter Djindjic klar: Milošević hat keine Mehrheit, denn die Stimmen, die Milošević für sich verbuchen will, stellen einen Diebstahl an den Stimmen für die Opposition dar. Außerdem spricht die hohe Wahlbeteiligung für einen Sieg der Opposition, weil letztlich alle gegen Milošević sind. Und auf genaue Zahlen kommt es auch überhaupt nicht an, weil die Opposition auf die Rückendeckung durch den Westen setzen kann.

Das von der Opposition dergestalt bekannt gegebene Resultat wird umgehend von der EU bestätigt, die sich am Montag nach der Wahl auf die Niederlage von Milošević verständigt. Denn auch ohne Ergebnisse sei ja klar, dass das Volk gegen Milošević und für den demokratischen Wandel gestimmt habe. (FR, 26.9.) Der Westen vollzieht die offizielle Anerkennung von Koštunica als neuem Präsidenten. Weil die offizielle serbische Wahlkommission zu einem anderen Ergebnis kommt – ihre Auszählung ergibt keine absolute Mehrheit für Koštunica –, ist klar, dass es sich bei ihr um ein Machtinstrument des Milošević-Regimes handeln muss. Der von ihr geforderte zweite Wahlgang sowie die Tatsache, dass nach geltendem Recht Miloševićs Präsidentschaft auch nach seiner Abwahl noch ungefähr ein dreiviertel Jahr dauert, genügen, um das angekündigte Procedere als Machenschaft zu verurteilen, mit der sich Milošević an der Macht halten will. Der Westen erklärt, dass er Milošević keinen Tag länger im Amt dulden werde. Gleichzeitig halten die USA und Großbritannien Seemanöver in der Adria ab, und der englische Außenminister Cook erinnert den jugoslawischen Präsidenten auch daran, dass der Westen ansehnliche Streitkräfte in der Region stationiert hat. (SZ, 27.9.) Die Deutschen wirken wieder einmal konstruktiv auf den Kreml ein, so dass der russische Präsident nach seiner Rückkehr aus Indien auch nichts Besseres zu tun hat, als den Beschluss des Westens abzunicken. Politik und Öffentlichkeit verlangen gebieterisch, dass nunmehr die von ihnen schon mit der Prognose der Wahlfälschung angeordnete Konsequenz ansteht und das dekretierte Wahlergebnis per Bürgerkrieg durchgesetzt werden muss.

Und wie reagiert der Diktator, dessen Unberechenbarkeit und Gefährlichkeit seit Wochen schon in allen Schattierungen ausgemalt wird, von dem man längst weiß, dass er zur Erhaltung seiner Macht vom Bürgerkrieg auf Belgrads Straßen bis zum Bruderkrieg in Montenegro, von einer Militärdiktatur bis zu einem neuen Krieg alles an Gewaltexzessen in petto hat, was sich das westliche Feindbild nur ausdenken kann? Nichts von dem, was alles vorhergesagt wurde, trifft ein. Er versagt vor diesen hochgestellten Erwartungen aufs jämmerlichste und beantragt die Durchführung des zweiten Wahlgangs. Und nachdem ihm der nicht zugestanden wird und Anhänger der Opposition mit dem Sturm aufs Parlament ein Stück des vorgesehenen Bürgerkriegs anzetteln, gibt er schlichtwegs auf. Ja, wo sind wir denn hier? Ein Diktator, der einen Machtkampf mit der formvollendet-demokratischen Demission aus dem Amt einfach für beendet erklärt, dem Wahlsieger gratuliert und ankündigt, sich künftig um seine Partei und die Arbeit der Opposition im Parlament zu kümmern?

Man will es im Westen kaum glauben, dass der Sieg so glatt über die Bühne geht und auf so wenig Gegenwehr stößt; ungefähr eine Woche lang wird die Frage gewälzt, welche Manöver Milošević nun im Schilde führt, ob er den Gegenschlag aus der Provinz vorbereitet oder die Armee zum Putsch aufruft. Aber es bleibt dabei, der Gewalthaber rechnet sich von der Alternative Bürgerkrieg offenkundig nichts mehr aus und der von ihm kommandierte Machtapparat ebenso wenig. Die Ära Milošević ist damit zu Ende.

5.

Was ist damit entschieden? Der serbische Kriegsherr ist abgewählt und insoweit ist der Auftrag, den die NATO-Staaten an die Wahlen geknüpft haben, eingelöst. Zufriedenheit greift deswegen im Westen aber noch lange nicht um sich. Vom ersten Tag nach der Wahl an steht der Zweifel im Raum, ob es uns der neue Mann recht macht. Verantwortliche Stimmen im Westen warnen davor – wen eigentlich? –, auf ihn hereinzufallen, enthüllen die überraschende Tatsache, dass auch der ein serbischer Nationalist ist, finden also auf einmal problematisch, was sie vor der Wahl als dessen Plus gewürdigt hatten, und geben damit kund, dass der Auftrag, den man dem serbischen Volk erteilt hat, immer schon sehr viel weitgehender gemeint war und ist. 10 Jahre lang verbreitete Lügen, dass die Feindschaft, die der Westen Serbien anträgt, einzig der Figur gilt, die es regiert, werden dementiert; es stellt sich heraus, dass sie immer schon dem serbischen Staatswillen gegolten hat, den diese Figur repräsentiert hat. Und deswegen ist die Sache mit der Abwahl Miloševićs für den Westen in keiner Weise erledigt: In aller Grundsätzlichkeit geht es ihm nach wie vor um die Durchsetzung der Alternative: Entweder beugt sich Serbien oder es wird niedergemacht. Deshalb ist auch die Bekanntgabe, dass der neue Mann serbischer Nationalist ist, aus dem Munde westlicher Nationalisten keine Trivialität, sondern die Ankündigung, dass es nach dem Bedarf des Westens noch viel zu erledigen gibt:

  • In Gestalt von Zweifeln, ob der Machtwechsel bereits gelungen ist und ob er gründlich genug durchgeführt wird, werden der neuen Führung ihre nächsten Aufgaben zugewiesen: Die Entmachtung Miloševićs muss ein für alle Mal erledigt sein, sich auf alle seine Anhänger im Staat erstrecken, umfassende Säuberungen sind fällig, damit der Machtwechsel hin zu einer prowestlichen Staatsausrichtung auch endgültig und irreversibel feststeht. Die Aufgabe wird von der neuen Mannschaft, die ihren Sieg sichern will, auch in Angriff genommen. Angesichts der Vielfalt von gewählten Selbstverwaltungsorganen, die die Diktatur Rest-Jugoslawien besitzt und die jetzt alle auf demokratische Einheitslinie gebracht werden müssen, gibt es da einiges zu tun. Immerhin haben die Wähler ja auch mehrheitlich Miloševićs Parteienbündnis ins Bundesparlament gewählt, in Serbien regiert überhaupt noch die Milošević-Partei und der gesamte Staatsapparat ist mit seinen Funktionären durchsetzt – das bietet den demokratischen Aufpassern im Ausland unentwegt Anlass zu Warnungen vor neuen Intrigen der unterlegenen Fraktion sowie zu Zweifeln an der neuen Führung, ob die ihren Auftrag auch entschlossen genug durchführt. Es gibt immer wieder Stimmen im Westen, denen das Aufräumen viel zu friedlich vonstatten geht.
  • Des weiteren fordert man von der neuen Führung die Auslieferung der Kriegsverbrecher, Milošević an erster Stelle, an Den Haag. Weil man im Westen weiß, was man der neuen Führung da zumutet, gewährt man ihr für die Erfüllung zwar gnädig einen gewissen Aufschub – in der offen bekannt gegebenen Berechnung, dass sie noch nicht fest genug im Sattel sitzt. Die Forderung aber und die Unausweichlichkeit ihrer Erfüllung stehen vom ersten Tag an unerschütterlich fest. Daran bemisst der Westen nämlich die Tauglichkeit der neuen Regierung: Mit diesem Akt hat sie ihre Bereitschaft zu dokumentieren, die Anerkennung der Niederlage, die die Nato ihrem Staat beigebracht hat, zum Ausgangspunkt für alles zu machen, was sie sich so unter der ‚Zukunft Serbiens‘ vorstellen mag. Bereitschaft zur Unterordnung unter die Weltordnungsansprüche des westlichen Bündnisses ist zuallererst verlangt als Bedingung für die Beilegung der Feindschaft und die Wiederaufnahme ‚normaler Beziehungen‘ – unabhängig davon, was auf der Grundlage aus Serbien noch werden kann.
  • Keines der Probleme, für die man Milošević haftbar gemacht hat, ist mit dessen Entmachtung bereinigt. Kein Wunder, die sind ja nur die Resultate der erfolgreichen Zermürbung des widerspenstigen Staatswillens durch die Zerschlagung der jugoslawischen Staatsmacht. Deshalb kommen sie nun alle neu auf die Tagesordnung. Die Sezessionisten in Montenegro, die dem Westen als Hilfstruppe zur Schwächung Rest-Jugoslawiens recht waren, auch wenn er ein unabhängiges Montenegro gar nicht brauchen kann, sehen sich herausgefordert; dasselbe gilt auf niedrigerer Stufenleiter für die Vojvodina und den Sandschak. Was das ‚Zusammenleben‘ in Serbien angeht, so hat der Krieg des Westens lauter nationalistische Frontstellungen erzeugt, und zu denen hat der Westen jetzt vor allem eines beizutragen, nämlich die gebieterische Forderung, es sollte nun stabil zugehen. Was schließlich den Kosovo betrifft, kann die neue Regierung auf dessen prinzipielle Zugehörigkeit zu Rest-Jugoslawien pochen, de facto verbürgt die Stationierung der NATO-Truppen die Abtrennung, und die albanischen Nationalisten setzen unter diesem Schutz alles daran, das völkerrechtliche Provisorium unhaltbar und die Trennung in ihrem Sinne unumkehrbar zu machen.

Was auch immer sich der serbische Wähler unter dem Titel „Annäherung an Europa“ vorgestellt haben mag, welche Zukunft für ihr Land sich die Mannschaft, die nun regiert, von der Unterwerfung unter die westlichen Wohlverhaltensgebote verspricht – mit den Erwartungen hat das westliche Programm nichts zu schaffen. Unterordnung ist auch schon der gesamte und ausschließlich negative Inhalt, dem der Balkanfeldzug auch in dieser letzten Etappe gegolten hat. Der „Wiederaufbau“, den man während der Zeiten des Wahlkampfs für die Abwahl Miloševićs in Aussicht gestellt hat, ist mit den Geldern, die man in den Wahlkampf gesteckt hat, in der Hauptsache erst einmal erledigt. Keine Rede ist mehr von den 4 Mrd. DM Soforthilfe, die der EU-Balkanbeauftragte Hombach vor der Wahl in der unabhängigen Belgrader Zeitung Blic offerierte. Und damit dürften nun auch die Bauchschmerzen erledigt sein, die das Preis-Leistungs-Verhältnis der Süddeutschen Zeitung damals bereitet hat: Die Summe kann durchaus als Kopfgeld auf Milosevic verstanden werden, der damit zum teuersten mutmaßlichen Kriegsverbrecher aller Zeiten avanciert. (23.9.) Es wird unter Garantie kein Geld verschwendet. Was an weiteren Hilfen mittlerweile zugesagt worden ist, dient rein den Berechnungen der Aufsichtsmächte: 1 Million DM Soforthilfe zur Beseitigung der Bombentrümmer in der Donau genehmigt die Bundesregierung, das europäische Geschäfts mit der Donauschifffahrt soll wieder losgehen. Zwei Sanktionen aus dem umfänglichen Sanktionskatalog sind aufgehoben worden, Belgrad darf wieder angeflogen werden und der Staat darf wieder Öl kaufen. Er kann es aber kaum – über die internationale Zahlungsfähigkeit des jugoslawischen Reststaats, seine Zuständigkeit für blockierte Konten und aufgelaufene Schulden, ist noch nicht entschieden –, weshalb wiederum die Bundesregierung ein paar Zuschüsse gewährt. Laut der offiziellen Zweckbestimmung handelt es sich um Überlebenshilfen für den Winter. Schließlich stehen im Dezember noch einmal Wahlen in Serbien bevor, und der prowestliche Umsturz soll nicht sofort wieder durch das fortgesetzte Elend gefährdet werden.

All das steht in gar keinem Verhältnis zu dem ökonomischen Desaster, das mehrere Jahre Embargopolitik plus NA TO-Krieg angerichtet haben. Man mag sich in Belgrad zwar Hoffnungen darauf machen, dass nun die früheren guten Beziehungen zu Europa und insbesondere zu Deutschland, die ja vor der Zerschlagung des Vielvölkerstaats schon gut unterwegs waren, wiederhergestellt werden. Einzubringen in die guten Beziehungen hat man allerdings nurmehr einen ziemlich kaputten Teil des alten Jugoslawien. Und der soll nach westlicher Auffassung schon damit gut bedient sein, dass er zum normalen Handel und Wandel wieder zugelassen wird. Für alles weitere wird Rest-Jugoslawien auf Hombach und dessen gloriosen Stabilitätspakt verwiesen: Gute Führung und ganz viel Zusammenarbeit untereinander, das ist der Weg zum Wiederaufbau, den Europa seinem Balkan verordnet.