Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die Visa-Affäre:
Wie man einen grünen Außenminister in Verlegenheit bringen kann
Das Auswärtige Amt beschließt, etwas für das „Erscheinungsbild“ Deutschlands in aller Welt zu tun: Anfang 2000 werden die deutschen Auslandsvertretungen weltweit angewiesen, sich im „Zielkonflikt“ zwischen Reisefreiheit und der Verhinderung illegaler Einwanderung „in dubio pro libertate“ zu entscheiden. Bald darauf ergeht speziell für Osteuropa die Richtlinie, die Botschaften sollen beim Vorliegen einer Reiseschutzversicherung – die die Zahlungsfähigkeit des Antragsstellers verbürgt – auf eine eingehende Einzelfallprüfung verzichten. Ende 2003 wird Berlin das Treiben an seiner ukrainischen Botschaft dann aber doch zu bunt; speziell für Russland und die Ukraine werden die Reiseerleichterungen wieder zurückgenommen.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Die Visa-Affäre:
Wie man einen grünen Außenminister
in Verlegenheit bringen kann
1. Der Volmer-Erlass
„Die deutschen Auslandsvertretungen bewegen sich im Visumsverfahren im Spannungsfeld zwischen dem Ziel, größtmögliche Reisefreiheit zu gewähren und Deutschland als weltoffen, ausländer- und integrationsfreundlich darzustellen, andererseits aber einem wachsenden Einwanderungsdruck standzuhalten und illegale Einwanderung zu verhindern.“ (Präambel des Volmer-Erlasses, zitiert nach FAZ, 24.2.05).
Deutschland weiß, was es an der Globalisierung
hat. Es ist eine bedeutende Macht im Weltgeschäft und
sich bewusst, welche Anstrengungen zum Erhalt und Ausbau
dieser Stellung nötig sind. Weil Deutschland
sich die Welt öffnen will, präsentiert es sich
der Welt als eine moderne
, weltoffene
und
ausländerfreundliche
Nation. Das gilt insbesondere
für die östlichen Anrainerstaaten von Schengen- und dem
sich erweiternden EU-Europa. In einem immer weiter nach
Osten ausgreifenden Imperialismus will Deutschland die
Konkursmasse des Ostblocks und der SU an sich binden und
zu seinem ökonomischen und ordnungspolitischen Hinterhof
machen.
Weil Deutschland von aller Herren Länder verlangt, ihre Grenzen für deutsche Interessen zu öffnen, wird Deutschland auch seinerseits mit der Forderung nach Liberalisierung des Grenzverkehrs konfrontiert; an den Schikanen, die sich ihre Bürger beim Grenzübergang gefallen lassen müssen, pflegen Souveräne nicht zuletzt den Grad der Wertschätzung abzulesen, den sie bei der anderen Nation genießen.
Das Auswärtige Amt beschließt, etwas für das
Erscheinungsbild
Deutschlands in aller Welt zu
tun: Anfang 2000 werden die deutschen
Auslandsvertretungen weltweit angewiesen, sich im
Zielkonflikt
zwischen Reisefreiheit und der
Verhinderung illegaler Einwanderung in dubio pro
libertate
zu entscheiden. Bald darauf ergeht speziell
für Osteuropa die Richtlinie, die Botschaften sollen beim
Vorliegen einer Reiseschutzversicherung – die die
Zahlungsfähigkeit des Antragsstellers verbürgt – auf eine
eingehende Einzelfallprüfung verzichten.
An der Zunahme der erteilten Visa hat man sich in Berlin zunächst nicht gestört; im übergeordneten Interesse der deutschen Ostpolitik hat man wohl auch gewisse Missstände in Kauf genommen und sich nicht schon durch die ersten diesbezüglichen Meldungen irritieren lassen: Was ist schon ein bisschen Schwarzarbeit gegen das große Ziel der friedlichen Eroberung ganzer Nationen! Ende 2003 wird Berlin das Treiben an seiner ukrainischen Botschaft dann doch zu bunt; speziell für Russland und die Ukraine werden die Reiseerleichterungen wieder zurückgenommen.
Gegenüber anderen Nationen sind die Reiseerleichterungen teilweise noch in Kraft; mit China läuft ein vergleichbares Abkommen gerade an. Warum auch nicht: Die Vergabe von Visa ist kein selbstloser Dienst Deutschlands an reiselustige Bürger in aller Welt, sondern eine flankierende Maßnahme zu der Politik, mit der Deutschland sich die Dienstbarkeit der Welt erschließt. Dabei sind Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Parteien und der Ministerien über die Feinjustierung der politischen Gewichte imperialistische Normalität und üblicherweise nicht von öffentlichem Interesse.
2. Die „Visa-Affäre“
Die Visa-Politik gegenüber der Ukraine ist längst
korrigiert, alle Fakten sind seit Jahren bekannt: Die
Mehrzahl der Dokumente, die jetzt Tag für Tag
Schlagzeilen machen, wären schon 2003 oder 2004 verfügbar
gewesen.
(SZ, 19.2.). Die
ganze Angelegenheit gilt in Politik und Medien seit
Jahren als ein nur mäßig interessantes
Seitenthema
, und selbst die Union schwankt in der
Frage, wie sie die Regierung im Vorwahljahr am besten
bloßstellen kann und welches Thema sich in einem
Untersuchungsausschuss am ehesten als ‚Skandal‘
breittreten lässt, zwischen ‚Autobahnmaut‘ und ‚Visa‘.
Anfang dieses Jahres beginnt die Stimmung sich zu drehen
– geändert hat sich nicht die zu beurteilende Sache, wohl
aber der Maßstab der Beurteilung: Im Wechselspiel von
Regierung und Opposition hat man den Stellenwert der
inneren Sicherheit absolut gesetzt und den Standpunkt von
Ausländerfreundschaft und Multikulti diskreditiert; im
Geist der neuen öffentlichen Moral – an deren Etablierung
Rot-Grün nach Kräften mitgewirkt hat – will sich die
Regierung nicht mehr so richtig und schon gleich nicht
mehr so richtig offensiv zu ihrer alten Devise: In
dubio pro libertate!
bekennen. In der SPD werden
kritische Stimmen laut, und die Grünen bekommen kalte
Füße: Volmer – inzwischen außenpolitischer Sprecher der
grünen Bundestagsfraktion – muss zurücktreten; Fischer
übernimmt die Verantwortung für mögliche Fehler des
Botschaftspersonals
.
Jetzt kommt die Sache so richtig in Schwung. Die
C-Parteien berufen sich darauf, dass die Regierung sich
von ihrer einstigen Visa-Politik distanziert, und setzen
die begangenen Fehler
ins richtige patriotische
Licht. Für den Standpunkt, dass unerwünschte Ausländer
kriminell und gemeinschaftszersetzend sind, braucht die
Opposition nicht erst noch zu werben; sie kann sich
darauf verlegen, dieser grundsätzlich geteilten Gesinnung
den gebührenden Stellenwert zu verleihen, und
lenkt den Blick der Öffentlichkeit auf das völlig
unvorstellbare
Ausmaß, in dem die Regierung ihre
selbstverständlichsten Pflichten verletzt. Da nützt es
der Regierung überhaupt nichts, wenn sie sich damit
verteidigt, dass nach allen bekannten Statistiken ein
Anstieg der Kriminalität infolge der vermehrt
ausgestellten Visa nicht zu erkennen sei: Die massenhafte
Einreise ukrainischer Hungerleider ist das
massenhaft verübte Verbrechen; der unterstützende Service
diverser Reisebüros keine rührige
Privatinitiative im Kampf gegen eine überbordende
staatliche Bürokratie, sondern
Schwerstkriminalität
, die aus niedrigsten Motiven
die mühsam errichteten Dämme gegen illegale Zuwanderung
unterminiert. Und mit diesen Kriminellen hat die
Regierung kooperiert! Vor den Toren Europas steht der
Feind, und Rot-Grün praktiziert eine
verantwortungslose ‚Macht die Tür auf‘ – Politik
(CDU-Generalsekretär Kauder).
Die Warnungen der redlich-besorgten Repräsentanten des
Staatsinteresses – Polizisten, Zöllner,
Botschaftsangehörige, Richter
– haben die
Verantwortlichen ignoriert, was beweist, dass sie nicht
nur unfähig, sondern vor allem unwillig
sind, die Sicherheit Deutschlands zu bewahren.
Damit sind die C-Parteien am Ziel ihrer
Beweisführung angelangt. Die inkriminierte Politik,
mag sie auch selbst längst der Vergangenheit angehören,
zeigt uns, welch Geistes Kind die regierenden
Multikulti-Ideologen
sind: Die
Verantwortungslosigkeit hat System, der Vaterlandsverrat
ist Parteiräson! Solche Parteien haben sich selbst aus
der Solidarität der Demokraten ausgeschlossen; solche
Politiker haben die Lizenz, öffentliche Ämter zu
bekleiden, ein für alle Mal verwirkt. Das macht die
Opposition in Wort und Tat deutlich. Gegen Volmer und
Fischer wird Strafanzeige erstattet, und der Vorsitzende
des Visa-Untersuchungs-Ausschusses, Uhl, gibt den
passenden Tonfall vor: Fischer ist ein
zuwanderungspolitischer Triebtäter
, der
Schwarzarbeit fördert und Zwangsprostitution
duldet
. Also eigentlich selbst betreibt:
Zuhälter!
(M. Glos)
Der Hinweis auf die Zwangsprostitution
darf nicht
fehlen, weil der Siegeszug des Patriotismus erst dann
vollendet ist, wenn der Gegner – in diesem Fall die grüne
Frauenpartei
– auf eigenem Terrain geschlagen ist.
Die Öffentlichkeit versteht den Hinweis automatisch
richtig: Damit das Angebot aus den Regionen, in denen die
Marktwirtschaft ein alternativloses Elend etabliert hat,
und eine ebenso zahlungskräftige wie unersättliche
Nachfrage aus den Metropolen des europäischen Geschäfts
nicht zusammenkommen, braucht es eine Mauer, die zwischen
osteuropäischem Elend und deutscher Sittlichkeit trennt.
So weit wäre im christlichen Abendland alles in bester
Ordnung – hätten da nicht grüne Außenpolitiker dieser
Mauer das Trennende genommen und damit die größte
Menschenrechtsverletzung seit ’45 begangen
!
(Rüttgers) Den Ausbau einer
undurchlässigen ‚Festung Europa‘ schulden wir schon dem
Selbstbestimmungsrecht der ukrainischen Frau. Gute
Dienste erfüllen auch die Schilderungen der Zustände auf
dem Arbeiterstrich
ukrainischer Schwarzarbeiter.
Hier muss nichts beschönigt werden, weil die
Öffentlichkeit diesen Berichten keine Klarstellungen über
die Geschäftsbedürfnisse des Kapitals, sondern den Beweis
entnimmt, dass Rot-Grün auf ganzer Linie moralisch
gescheitert
(Stoiber)
ist.
Die Multikulti-Ideologen
, die statt ‚Deutschland!‘
nur lauter Flausen im Kopf haben, beschädigen nicht nur
ihre eigenen Ideale, sondern auch noch alles, was
Deutschland und den Deutschen wichtig ist. Allen voran
die Arbeitsplätze. Findige Migrations-Experten von der
CSU haben herausgefunden, dass die über Deutschland
einreisenden ukrainischen Schwarzarbeiter in Portugal die
heimischen Bauarbeiter verdrängt haben, so dass diese
wiederum in Deutschland den Deutschen ihre angestammten
Arbeitsplätze streitig machen. Hinter den hier scheinbar
legal arbeitenden Ausländern stecken also noch andere
Ausländer, die noch nicht einmal Gastrecht haben! Auf die
Plausibilität dieser Dominotheorie – anstelle des
beliebten Dogmas ‚je elender die Arbeiter, desto
reichlicher die Arbeitsplätze‘ gilt hier ein
Verdrängungswettbewerb entlang der Hierarchie des
Elends
– kommt es nicht an. Entscheidend ist,
dass ein gewisser Zusammenhang hergestellt ist:
„Der eigentliche Skandal dieser Visa-Affäre ist doch, dass Rot-Grün mehr als fünf Millionen Arbeitslose zu verantworten hat und gleichzeitig alle Tore und Schleusen für billige Schwarzarbeiter öffnet. Das verdrängt die Deutschen vom Arbeitsmarkt und verkürzt die Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen.“ (Stoiber, Focus, 9/05)
Die Aufgabe einer verantwortungsbewussten Opposition besteht eben darin, ihre Wähler zur richtigen Kombination von Unterwürfigkeit und Anspruchsdenken zu erziehen. Gegenüber der Freiheit des Kapitals und den Haushaltsmanövern des Staates hat das Volk grenzenlose Duldsamkeit aufzubringen; das berechtigt es dann dazu, von der Regierung entschlossene Härte gegenüber ausländischen Hungerleidern einzuklagen. Die Konkurrenz illegaler Ausländer zu unterbinden – das ist ja wohl das Mindeste, was das brave Volk sich von einer sozial eingestellten Regierung erwarten kann! Nach Lage der Dinge aber auch das Einzige: Der Hass auf Ausländer ist die heute einzig erlaubte Form des Eingehens auf die soziale Frage; die Bedienung dieses Hasses ist für eine Opposition, die dem Volk auch keine pfleglichere Behandlung angedeihen lassen will, die passende Art und Weise, die Unzufriedenheit über Arbeitslosigkeit und Hartz IV auszunutzen. Dabei will die Union keineswegs einer pauschalen Ausländerfeindlichkeit das Wort reden. Die vielen Ausländer, die Deutschland nützen oder doch wenigstens als Preis für Deutschlands Stellung in Europa unvermeidlich sind, die muss das brave Volk schon ertragen; hier sind Weltoffenheit und christliche Duldsamkeit durchaus am Platz. Aber an diesem einen ausgesuchten Punkt, an der Visa-Praxis der vergangenen Jahre: Da darf sich das Volk so richtig auskotzen über das ausländische Gesindel und sich über eine unerlaubte Konkurrenz ausländischer Billiglöhner empören, an denen es sich aber ansonsten in jeder Lohnrunde messen lassen muss.
Diese auf Zuruf zu mobilisierende nationalistische Empörung bricht sich dann auch Bahn – und zwar einerseits so gründlich, dass sich die Regierung nur verwundert die Augen reiben kann, andererseits aber so gesittet, wie sich das nun einmal für eine Demokratie gehört: Die Regierung bekommt in allen Umfragen schlechte Noten, und eine Opposition, der die stattfindende Verelendung des Volkes nie weit genug gehen kann, sieht sich schon als strahlender Sieger der nächsten Wahlen.
3. Das Projekt Rot-Grün
schlägt zurück
Kein Zweifel: Die Kampagne der Opposition sitzt. Die
Koalition ist in der Defensive. Und defensiv reagiert der
grüne Minderheitspartner auch. Dass es ihm bei Volmers
unseligem Erlass darum gegangen wäre, grüne Ideologie
in praktische Politik umzusetzen
, hält Fischer für
einen Vorwurf, den es auszuräumen gilt.
Als Multikulti-Ideologe
will er so wenig wie sein
Ex-Staatsminister gehandelt haben; das hielte er selbst
für unvereinbar mit den staatsmännischen Aufgaben eines
deutschen(!) Außen(!)ministers(!). Einer solchen
nationalen Pflichtvergessenheit will auch die
Partei insgesamt sich nicht schuldig gemacht haben.
Deswegen übt sie sich erst einmal in reuevoller
Selbstkritik, mit der sie sich rückhaltlos zu den
Maßstäben bekennt, vor denen sie jetzt so
schlecht abschneidet. Wir waren uns zu sicher,
meint Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckard (SZ, 23.3.): Wenn Einwanderung und
Angst um Arbeitsplätze zusammenkommen, fragen sich die
Leute natürlich: ‚Nehmen die meine Sorgen nicht
ernst?‘
Und dann kriegen „die Leute“ von den Grünen
„natürlich“ nicht etwa die Antwort, sie möchten doch
bitte ihre soziale Not mit dem
Arbeitsplatz und die nationalen Fragen
von Pass und Geburtsort auseinander halten – offenbar ist
sogar das bisschen Unterscheidungsvermögen ohne
kommunistische Kritik an beiden Sachen, an den
Gründen der Not und an den Gemeinheiten nationaler Ab-
und Ausgrenzung, nicht zu haben –, sondern sie kriegen
Recht: Als verantwortliche Regierungspartei
hätten die Grünen die Sorgen der Leute um ihren
Lebensunterhalt mit strengeren Maßnahmen
gegen Einwanderer bedienen müssen! In gleichem
Sinn räumt der Außenminister freimütig ein, seinerzeit
zwar ein sehr feines Sensorium für Nuklearexporte
,
in Visa-Fragen aber leider nicht die erforderliche
Intensität auf dem Radarschirm gehabt zu haben
(SZ, 6.4.). Er wirft sich in
die Pose eines reuigen Sünders und verspricht, geläutert
und extra sensibilisiert, die Radarschirme für
unerwünschte Ausländer ab sofort auf maximale Intensität
zu stellen – was kann man denn sonst noch von ihm
verlangen?!
Sogar ein Stück grüne Politik benennt er als Grund für
seine falsche Prioritätensetzung; aber damit fängt schon
seine staatsmännische Gegenoffensive an. Denn gegen ein
sehr feines Sensorium für Nuklearexporte
ist auch
und gerade unter allerhöchsten weltpolitischen
Gesichtspunkten nun wirklich überhaupt nichts
einzuwenden. In Zeiten, wo Deutschland sich zusammen mit
Amerika um nordkoreanische Atombomben sorgen muss und
gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien auf den
nuklearen Brennstoffkreislauf im Iran aufzupassen hat und
von China um eine Brennelemente-Fabrik angegangen wird
und … und … und …, da kann man es dem Außenminister
dieser zivilen Atommacht eigentlich noch nicht einmal
ernstlich vorwerfen, und schon gar nicht als
grün-ideologische Verblendung, dass ihm solche
Exportaffären wichtiger vorkommen als Reiseschutzpässe
für Visa-Antragsteller. Und auch was diese Angelegenheit
betrifft, so geht es da, genauer betrachtet, um weit
Wichtigeres, als die Polemik gegen seine
Unvorsichtigkeiten, die er ja gerne zugibt, überhaupt auf
ihrem Radarschirm hat. Es geht, nur zum
Beispiel, um das Lebensmittel der Nation und die
hohe Verantwortung, die auch und gerade der Außenminister
dafür trägt: Wir leben von der Welt … Allein durch die
restriktive Visa-Politik in den Golf-Staaten entsteht uns
ein jährlicher Schaden von einer Milliarde Dollar.
(Die Zeit, 6.4.) Es geht,
noch so ein Beispiel, gerade in Osteuropa und speziell in
der Ukraine um ein Stück deutschen
Euro-Imperialismus, nämlich den Einfluss Berlins auf
die noch unfertigen neuen Staaten im alten sowjetischen
Herrschaftsbereich: Das tapfere Volk der Ukraine
hat mit seinem Freiheitskampf
nicht zuletzt
unsere Interessen, unsere europäischen und unsere
deutschen Interessen
bedient, und das wäre, in aller
Bescheidenheit gesagt, ohne eine Liberalisierung des
Reiseverkehrs nicht denkbar gewesen
!
Das sitzt auch – als Konter gegen
andere Nationalisten, die im Endeffekt doch nur
abweichende Lesarten des deutschen Nationalinteresses
aufzubieten haben, d.h. – so Fischer – nur ihre Ignoranz
in Sachen Außenpolitik offenbaren, wenn sie den
beliebtesten deutschen Politiker als Grünen schlecht zu
machen versuchen. Und das wirkt – als
Aufmunterung für die eigenen
Parteitagsdelegierten, denen ihr Außenamts-Chef mit so
schönen Hinweisen zum imperialistisch berechnenden
nationalistischen Gehalt seiner so furchtbar
grün-idealistisch-menschenrechtlichen Politik Mut
macht
: Von wegen, Rot-Grün ließe es an tatkräftigem
Patriotismus fehlen! Vor den Korinthenkackern von der
Opposition, die mit ihren unbedarften Anklagen gar nicht
auf der Höhe der heutigen strategischen Anforderungen an
die große deutsche Nation sind, braucht die kleine
Regierungspartei sich nun wirklich überhaupt nicht zu
schämen!
Von grüner Ideologie und Multikulti also keine Spur. Als großer(!) deutscher(!) Politiker hat Fischer einen Fehler der minderen Kategorie gemacht, der nicht ihn blamiert, sondern die, die ihn ihm vorwerfen: So tritt er vor den Untersuchungsausschuss.
4. Der große Showdown
Der Ausschuss beschließt eine fernseh-öffentliche
Zeugenvernehmung. Jetzt können – wie der Obmann der SPD,
Olaf Scholz, treuherzig versichert – die Zuschauer
sich selbst eine Bild von der Sache machen
. Die
Sache, so ins Bild gesetzt, durchläuft dann freilich eine
Metamorphose: Die Aussage Fischers wird zu einem mit
Spannung erwarteten event, und der
Gesichtspunkt, unter dem dieses Ereignis geplant,
veranstaltet und diskutiert wird, bringt die gesamte
Visa-Affäre völlig zum Verschwinden – oder besser gesagt:
auf den Punkt: Der deutsche Außenminister hält
geschlagene zwei Stunden lang ein Referat darüber, wie
Deutschland schon unter seinen Vorgängern – mit denen er
insoweit nachträglich völlig einverstanden und zufrieden
ist! – begonnen hat, seinen Machtbereich Stück um Stück
nach Osten zu verschieben; wie berechnend die
Visa-Politik eingesetzt worden ist, um ein Land nach dem
anderen auf Berlins Oberzuständigkeit hin zu orientieren
– und alle, einschließlich der Redner selbst, denken
dabei an das eine: Ist der Mann so überzeugend, wie die
Nation es von ihrem Mann im Außenamt erwarten
kann? Macht Joschka Fischer die gute Figur, die
Deutschlands Stellvertreter in der großen Welt machen
muss? Von der Welt und Deutschlands Rolle in ihr braucht
deswegen niemand etwas zu wissen – außer das
Entscheidende: dass sie enorm groß und wichtig ist (die
Welt, und Deutschlands Rolle erst recht) –, um sich in
der Frage als Schiedsrichter gefordert und
kompetent zu fühlen und den Show-down zu genießen. Ganz
nebenbei wird im Schnelldurchgang ein gutes Stück
deutsche Machtpolitik durchgenommen – ausschließlich im
Hinblick auf die Frage: Wirkt Fischer auch dann, wenn er
unter Druck gerät, als Chefdiplomat, der seinem Amt Glanz
und Würde zu verleihen hat, glaubwürdig?
In dieser Frage ist eine demokratische Öffentlichkeit äußerst anspruchsvoll. Von einem Mann, der deutscher Vize-Kanzler und Außenminister ist, erwartet sie, dass er den Nimbus überlegener Souveränität verströmt, ohne dabei überheblich zu wirken; dass er seine Inquisitoren im Griff hat, dabei aber glaubwürdig Bescheidenheit vor dem Souverän, dem parlamentarisch vertretenen Volk heuchelt. Die Opposition, die sich als die bessere Alternative empfehlen will, hat es freilich nicht leichter: Die sollte es schon schaffen, ihren Gegner so fertig zu machen, dass man ihr am Ende zutraut, sie hätte alles besser gemacht – also ohne sich in Kleinkram und Gehässigkeiten zu verbeißen, die andererseits doch ihre Waffe im Schaukampf sind… Die Orgie des Nationalismus, mit der die Visa-Affäre die Schlagzeilen beherrscht, kulminiert folgerichtig in einem Spektakel des Personenkults. Das Spektakel wiederum wird, ebenso folgerichtig, zur Bewährungsprobe für die weitere Karriere des Vize-Kanzlers ebenso wie die seiner Herausforderer – mit dem gemeinen Volk und seiner abgefragten Meinung als unverbindlich urteilendem Schiedsrichter: So demokratisch kann Führerkult sein.
Die freie Presse, die das Ganze angeheizt und erst
richtig zur Affäre gemacht hat, sieht sich
selbstverständlich ermächtigt und verpflichtet, zu diesem
Wettstreit ihr verbindliches Geschmacksurteil
beizusteuern. Dabei hat sich zuerst die Gehässigkeit von
Figuren ausgetobt, die sich im Glanz der Macht sonnen
möchten, von ihrem Außenminister aber immer wieder zu
wenig gewürdigt, mitunter sogar gedemütigt und beleidigt
finden: Die nehmen auf ihre Art Rache, erklären den
Außenminister zum, mit Verlaub, Arschloch, das die
Verfügung über Macht als ein persönliches Genussmittel
gebraucht und damit einer kongenialen und entsprechend
empfindlichen Umwelt gehörig auf die Nerven geht,
schreiben nun, da Fischers Stern sinkt, Kommentare nach
dem Motto: Man sieht sich im Leben immer zweimal
,
würdigen dann nach erfolgtem öffentlichen „Duell“ aber
doch wohlabgewogen beide Seiten, die halbseidene Statur
des „Zeugen“ und die Kleingeistigkeit seiner „Ankläger“ –
und bringen es am Ende fertig, die ganze hässliche Affäre
unter den höheren Gesichtspunkten ihres Metiers, nämlich
der öffentlichen „Aufklärung“, für ungemein gelungen zu
erklären: Eine Sternstunde der Demokratie wäre daraus
geworden, ein historischer Tag in der Geschichte des
deutschen Parlamentarismus
.
Irgendwie haben sie Recht.