Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Irak-Krise“:
Die Weltmacht exekutiert das UN-Aufsichtsmandat gegen Saddam – gewaltsam, exklusiv und gegen ihre Konkurrenz
Dass der Irak den UN-Waffeninspektoren den Zutritt zu hoheitlichem Sperrgebiet verweigert, begreifen die USA als substanzielle Herausforderung, der sie mit praktischen Klarstellungen gegenüber dem Irak, der UNO und der Staatenwelt begegnen. Dem US-Anspruch auf Alleinzuständigkeit für Weltordnungsfragen wird von den Partnern berechnend Respekt gezollt: die Anerkennung des Führungsanspruchs ist der Auftakt, den USA ihr Ordnungsmonopol zu bestreiten …
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Systematischer Katalog
„Irak-Krise“:
Die Weltmacht exekutiert das
UN-Aufsichtsmandat gegen Saddam – gewaltsam, exklusiv und
gegen ihre Konkurrenz
1. Zum wiederholten Mal versucht
der Irak, das Aufsichtsregime zu durchbrechen, das die
USA im Verein mit dem UN-Weltsicherheitsrat über ihn
verhängt haben. Er stellt sich auf den Standpunkt, das
nach dem verlorenen Krieg gegen ihn erlassene Embargo
könne aufgehoben werden. Die hierfür vorgesehene
Bedingung, die völlige Abrüstung seiner die umliegenden
Länder bedrohenden Waffenpotentiale, habe er erfüllt, die
UN-Rüstungsinspektoren in seinem Land hätten
diesbezüglich ihren Auftrag erledigt. Weitere
Nachforschungen seien ausschließlich Spionage. Sie
verdankten sich nur dem Zweck, immer wieder von neuem den
Verdacht des heimlichen Besitzes von
Massenvernichtungswaffen
aufzuwerfen und darüber
einer Verlängerung und Verschärfung des Embargos den
rechtfertigenden Grund hinterherzureichen. Der Irak kann
sich zur Untermauerung seiner Sicht der Dinge sogar auf
den obersten Spion der UNSCOM, den Australier Butler,
berufen. Der stellt fest, daß der Irak seinen
Verpflichtungen zur Vernichtung aller atomarer,
chemischer und biologischer Waffen nachgekommen ist.
(SZ, 19.1.98) Daß derselbe
Mann dann auf seinem Arbeitsplatz mit dem Argument
besteht: Aber wir sollten weiter beobachten, ob sie
künftig eine Bombe bauen können
(SZ, 29.1.98), versteht man in Bagdad
allerdings auch nicht verkehrt. Offenbar sind die
Bedingungen für die Aufhebung der UN-Sanktionen – und
damit für eine Rückführung des Irak in den Status eines
souveränen Staates – nicht darauf berechnet, von ihm
jemals abschließend erfüllt werden zu können.
Dagegen meldet die irakische Führung Protest an: Die
Souveränität, die ihr bestritten wird, nimmt sie sich in
Form eines demonstrativen Akts der Verweigerung heraus.
Sie verwehrt den UN-Inspektoren den geforderten freien
Zutritt zu hoheitlichem Sperrgebiet und weigert sich,
auch noch Saddams Paläste
nach Giftgas und
Bakterien durchsuchen zu lassen.
2. Diese Demonstration des Irak ist
auf eine Unterstützung durch jene Mächte berechnet, die
allenfalls dazu in der Lage wären, ihn aus der
UN-Aufsicht zu entlassen. Sein diesbezügliches Begehren
hat bei einigen Staaten des UN-Sicherheitsrats durchaus
wohlwollendes Echo gefunden: Es gibt Stellungnahmen,
wonach das Aufsichtsregime über ihn zu weit
ginge,
in anderen wird laut über eine Aufhebung des Embargos
nachgedacht, langfristig
freilich. Europäische
Handelsmächte zeigen auch schon die ersten Verträge für
die Zeit nach dem Embargo her und geben damit kund, daß
sie sich auf dem üblichen Weg einer wechselseitigen
Verpflichtung über Handel und Wandel die Rückführung des
Irak in die internationale Staatengemeinschaft ganz gut
vorstellen könnten. Worauf die irakische Führung
in ihrer Berechnung setzt, wird darüber allerdings auch
deutlich. Mehr als das Angebot, sich als Objekt von
Berechnungen zur Verfügung zu stellen, die
andere Nationen an einen zivilisierten
Umgang mit dem Irak knüpfen, hat dessen Führer nicht
aufzubieten. Sein Wille zur Emanzipation vom Status einer
in jeder Hinsicht ohnmächtigen Souveränität, in den ihn
sieben Jahre Rüstungskontrolle und Wirtschaftsverbot
versetzt haben, sieht sich auf auswärtige Interessen
verwiesen, die in ihm und seiner gegenwärtigen Verfassung
eine ausgesprochen günstige Gelegenheit einer für
sie einträglichen Benutzung finden. In Deutschland
zumal scheint man sich da sehr viel auszurechnen:
Ungeachtet der neuen Spannungen zwischen Washington
und Bagdad erwägt die Bundesregierung, die Handhabung der
UN-Sanktionen gegen den Irak zu lockern… Weil Firmen aus
EU-Ländern und anderen Staaten bereits Vereinbarungen
über Milliardeninvestitionen für die Zeit nach einem Ende
des Embargos getroffen haben, fürchten deutsche
Unternehmen, beim Wiederaufbau des Irak ins Hintertreffen
zu geraten.
(SZ, 23.1.98)
3. Die ohnmächtige Demonstration
Saddams begreifen die USA als substantielle
Herausforderung – nämlich für das Aufsichtsregime, das
sie über das Land verhängt haben. Von dem wollen sie
wegen ihres Urteils über das politische Subjekt,
dem es gilt, Abstriche in keinerlei Hinsicht hinnehmen:
Für die Weltmacht hat sich Saddams Irak eines Übergriffs
schuldig gemacht, indem er mit seiner Annexion Kuweits
die Machtverhältnisse im Nahen Osten eigenmächtig zu
seinen Gunsten verschoben hat. Der Krieg, mit dem er für
die Verletzung einer politischen Ordnung, die die USA zu
ihren vitalen Interessen
rechnen, bestraft wurde,
hat zwar den Irak als Macht zerstört, nicht aber das
politische Subjekt und dessen Chef selbst beseitigt. Die
USA gehen daher davon aus, es mit dem politischen Willen,
der sich gegen ihr Ordnungsinteresse aufgestellt hatte,
im Grunde nach wie vor zu tun zu haben. Deswegen halten
sie eisern am Prozeß seiner Dauerentwaffnung fest und
sorgen damit dafür, daß am weltweiten Verbot, mit diesem
Staat Handel zu treiben, nicht gerüttelt wird, er also
als politische Macht auf Dauer niedergehalten bleibt.
So halten die USA einen politischen Willen in Schach,
dessen feindselige Gesinnung für sie Tatbestand ist. Ihr
Aufsichtsregime bekämpft eine Bedrohung
, die nach
ihrer Sicht vom Irak für alle Anrainer nach wie
vor
ausgeht – Saddam hortet biologische und
chemische Waffen, die er mit Raketen in der Golfregion
verschießen kann. Seine Begehrlichkeiten sind eindeutig,
die Mittel skrupellos, der Zerstörungswille bewiesen
(so der Konsens amerikanischer Analytiker
,
SZ, 11.2.98) –, indem sie die
Zerstörung aller irakischen Machtmittel als nicht
abschließbares Dauerprogramm im Land institutionalisiert.
Dazu lassen die USA ihre UNO-Adlaten nach allem fahnden,
was den feststehenden Verdacht ins Recht setzt, daß im
Irak ein Zerstörungswille
die exakt zu ihm
passenden Mittel hortet
. Gemäß dieser Doktrin
gehen die Inspektoren vor Ort also davon aus, daß
Biologie und Chemie im Irak ohnehin nur zum Bau von
Waffen Verwendung finden können. Wenn sie dann
kein Senfgas und Anthrax, sondern Hühnerhöfe und
Düngemittel finden, schließt die Dual-use-Theorie die
Beweiskette. Auch Ammoniak und Salpeter lassen sich
einschlägig verwenden, auch aus Küchen können
chemische Kleinlabors
werden – im Fall des Irak
und seiner feststehenden verwerflichen Absichten
sind das eindeutig die Mittel, die die
Herrschaft für ihren bösen Zweck braucht. Die Waffen, die
man nicht findet, muß sie also auch
haben, und da man sie nicht findet, sind sie von
Saddam versteckt
worden. Also muß die UNO
weiter nach ihnen suchen.
Die politische Führung des Irak kann daher tun und
lassen, was sie will. Sie kann demonstrativ auf ihre
Souveränität pochen und auf der Einhaltung von
Bedingungen
bei der Suche nach belastenden
Materialien insistieren oder sogar bereitwillig Hilfe
leisten: Sie kann gar nicht verhindern, daß von der
UN-Truppe in allem nur immer wieder genau der Verdacht
bestätigt wird, mit dem sie vor Ort tätig sind. Alles,
was sich wirklich oder nur unter Zuhilfenahme der
entsprechenden Phantasie den Machtmitteln des
Irak zurechnen läßt, bestätigt den Richtern und
Vollstreckern in Washington ihr feststehendes Urteil:
Seine Mittel belegen den eindeutigen politischen
Willens dieses Staates, sich für sein nächstes
Verbrechen zu rüsten.
4. Saddam entdeckt in dem Auftrag,
sich seine Wiederaufnahme in die Völkerfamilie durch die
endgültige Entkräftung eines Verdachts zu verdienen, der
sich nicht entkräften läßt, eine gegen ihn gerichtete
Feindseligkeit. Als deren Urheber identifiziert er die
USA. Sein Versuch allerdings, mit Bezug auf die
Interessenslage der übrigen UN-Aufsichtsmächte dieses
Kontrollregime loszuwerden, wird von dessen Auftraggeber
nicht hingenommen: Dieser Versuch ist für die USA
endgültig der Beweis, daß ihr Feind einfach nicht
nachgeben will. In ihrer Sicht der Dinge regt sich da
schon wieder dieses unberechenbare politische Subjekt, um
sich, sobald es nur dazu in der Lage ist, wieder gegen
alle geltende politische Ordnung aufzustellen – Sie
können nicht dem Willen der Welt die Stirn bieten. Sie
haben bereits früher Massenvernichtungswaffen eingesetzt.
Wir sind entschlossen, ihnen die Fähigkeit zu versagen,
sie erneut einzusetzen.
(Clintons persönliche Adresse an Saddam, SZ
29.1.98). Daß Saddam nur von genau dieser und
keiner anderen Absicht bewegt sein kann, entnimmt man in
Washington dem Umstand, daß er sich ja schon
jetzt gegen die Macht auflehnt, die hinter dieser
Ordnung steht: Gegen die USA und ihr
Aufsichtsregime fordert er Rechte und will
souverän über die Bedingungen mit-befinden, die
von höherer Stelle aus über seine Wiederzulassung zum
ordentlichen Staatenverkehr erlassen wurden. Dies läßt
für die Weltmacht USA nur den Schluß zu, daß sie es mit
einer Herausforderung zu tun hat, der sie wirksam
entgegentreten muß. Offenbar ist der politische Wille des
Irak trotz aller bisher erfolgten Maßnahmen seiner
Entmachtung doch noch zu feindseligen Akten imstande,
denen man zuvorzukommen hat: Mit einer eigenen
Gewaltaktion, die in bewährter Weise den politischen
Willen des Feindes bricht, indem sie die Mittel zerstört,
auf die er sich stützt.
5. Die von den USA dazu ins Auge
gefaßte eskalierende Serie von Bomben- und
Raketenangriffen
(IHT,
30.1.98) wird von enorm teilnahmsvollen
Bedenklichkeiten begleitet. In den Reihen der
politischen Intelligenz
in den USA wie hierzulande
wird die Sorge gewälzt, wofür denn eine militärische
Aktion gegen den Irak eigentlich taugen soll. Womöglich
wird mit dem Machtzentrum
, den
Kommandostrukturen
und den technologischen
Zentren
auch gleich der ganze Irak selbst zerlegt –
und was wird dann mit seinen Teilen
? Wie will man
die kontrollieren
? Was ist, wenn Saddam selbst gar
nicht erwischt wird? Was, wenn er erwischt wird? Womit
will man ihn ersetzen? Überhaupt: Saddam nicht stürzen
und ihn durch einen erneuten Krieg endgültig zum Helden
der arabischen Straße befördern?
(Die Zeit, 19.2.98) – wo bleibt da der
Nutzen dieses Militärschlags?
Zur Konstruktion dieser in jeder Hinsicht
fragwürdigen
politischen Wirkung eines
militärischen Schlages gelangen die Bedenkenträger, indem
sie die tatsächlichen Wirkungen einer
militärischen Operation für politisch unzweckmäßig
erklären. Einem Bombenteppich wollen sie als
Mangel anrechnen, nicht schon selbst und
möglichst sofort jene befriedigende und dauerhafte
politische Lösung
einzurichten, auf die sie aus sind
– da verwechseln sie offenbar zielstrebig ihre eigene
politische Intelligenz mit jener der neuen Generation
intelligenter Bomben
, die die Weltmacht ihnen für den
Krieg im Irak versprochen hat.
Denn gegen den Vorwurf, mit einem 2- bis 6-wöchige Terror
ihrer Gewaltmaschinerie das verkehrte Mittel zum an sich
richtigen Zweck zu gebrauchen, ist die Weltmacht in ihrem
Entschluß schon in Schutz zu nehmen. Die setzt auf Bomben
und Raketen, weil sie genau die Wirkung will,
die diese haben: Sie sollen den Irak
kaputtmachen, die Mittel dieses Staates
zerstören und darüber ihn selbst schwächen. Dazu ist der
Terror, den sie über das Land bringen, genau richtig: Der
soll das Volk mit aller Härte spüren lassen, daß es für
seine Führung, die der Weltmacht nicht paßt, haftbar
gemacht wird, und er soll die Führung selbst für
absehbare Zukunft möglichst aller Fähigkeiten berauben,
mit einem störenden politischen Willen aufzufallen – auf
diese politische Wirkung und auf nichts sonst
ist der militärische Schlag gegen Saddam
berechnet, den die USA vorbereiten, und die für
diese Wirkung effektivsten Bomben sind genau die
mit dem höchsten IQ.
6. Was den weiterreichenden politischen Ordnungszweck betrifft, den die USA mit ihrem militärischen Aufmarsch am Golf verfolgen, so ist auch dieser nicht zu verkennen. Der amerikanische Rechtsstandpunkt, der mit Waffengewalt am Fall des Irak exekutiert werden soll, reicht nämlich über diesen Staat hinaus. Er betrifft die Grundsatzfrage der politischen Zuständigkeit in dieser Weltregion insgesamt, ist daher unmittelbar ein Fall der imperialistischen Konkurrenz und bestimmt das Verhältnis jener Mächte neu, die sich beim Aufwerfen und Klären von Fragen der Weltordnung nicht nur in dieser Region gegenüberstehen. Dieser Ordnungszweck ist schon gleich über die Frage erhaben, ob nach der Militäraktion der USA ein drei- oder fünffach geteilter Irak mit oder ohne Saddam übrigbleibt.
Während die USA im ersten Golfkrieg Wert darauf legten,
ihr Ordnungsinteresse vor der Moral des
Völkerrechts unwidersprechlich zu machen, und sich zu
seiner Exekution von der in der UNO versammelten
Weltgemeinschaft autorisieren ließen; während sie damals
darauf bestanden, daß sich alle namhaften Konkurrenten
bei der Abwicklung von Fragen der Weltordnung und
-aufsicht mit ihnen in einer Golfkriegs-Allianz
zusammenschlossen, stellt die Weltmacht diesmal klar, daß
sie zur Durchsetzung ihres Ordnungsstandpunktes
nichts und niemanden braucht. Ihre Konkurrenten,
die vor Ort und im Weltsicherheitsrat der UNO sitzen,
konfrontieren die USA erstens damit, daß sie, wenn sie
sich aus eigenem Interesse zur Zerlegung eines Staates
entschließen, dann schon alleine über die für
eine Aktion auch dieses Kalibers nötigen Mittel verfügen.
Sie stellen ihren Partnern und dem ganzen Rest der
Völkerfamilie gegenüber klar, daß sie dank ihrer
überlegenen Gewaltmittel Hilfe
wahrlich nicht
brauchen, man also bei dieser Weltmacht damit rechnen
kann, daß ihre Militärmacht zum Einsatz gebracht wird,
wann und wo immer sie eines ihrer Rechte verletzt sieht.
An das diplomatische Organ der Völkerfamilie, die UNO,
ergeht zweitens die Mitteilung, daß eine
Weltordnungsmacht USA sich inzwischen selbst als höchster
Auftraggeber genug ist. Was im Fall des Irak die
Resolutionen der UNO wirklich bedeuten, entscheidet eine
Auslegung, die am Interesse der USA Maß nimmt und an
sonst gar nichts: Erst wird in Washington der
Auftrag definiert, den die Resolutionen der UNO
enthalten, und dann berufen sich die USA auf die
höheren Anliegen einer Weltgemeinschaft, in deren
Diensten sie dann auch wieder gerne stehen. Wenn beide
Klarstellungen erfolgt sind, ergeht drittens ein Angebot.
Die Weltmacht disloziert nicht einfach nur die nötige
Feuerkraft, um im Namen der UNO ihr Ordnungsinteresse
gegen den Irak durchzusetzen. Sie verschickt nicht nur
Flugzeugträger und Bomber, sondern auch noch Frau
Albright – und die lädt alle, die bei der Vollstreckung
des US-Rechtsstandpunkts mitmachen wollen, zum Mitmachen
ein. Wenn sie schon scharf darauf sind, sich in die
praktische Tagesordnung des Weltordnens einzumischen,
dann dürfen sie das schon – Seite an Seite mit der
überlegenen Macht, die ihnen nach Form und Inhalt
freundlicherweise schon die Lösung der schwierigen Frage
abgenommen hat, wie das kleine Stückchen Welt am Golf zu
ordnen ist: Ihre Unterordnung unter die
exklusive Zuständigkeit der USA bei der Definition und
Erledigung von Weltordnungsfragen ist die neue politische
Geschäftsgrundlage, auf der die Partner der Weltmacht in
die imperialistische Konkurrenz mit ihr einsteigen
dürfen.
7. Das entgeht den Partnern
selbstverständlich nicht: Wir sind nicht gefragt
worden
(Kanzler Kohl) –
so machen sie Mitteilung von ihrer frisch gewonnenen
Einsicht, daß das weltpolitische Gewicht
, das sie
gerne hätten, erheblich von dem abweicht, das ihnen
praktisch zugemessen worden ist. Mit verletzter Eitelkeit
hat das allerdings wenig zu tun. Eine Prüfung des Falls,
zu dem sie da gerne gefragt worden wären, aus
ihrer Sicht führt sie nämlich sehr schnell zu
dem Befund, daß das Vorhaben der Weltmacht sich mit den
Interessen gar nicht deckt, die sie am Irak und
der Golfregion überhaupt haben: Auch für sie stellt sich
der Fall Irak heute anders dar als vor sieben Jahren. Für
ihr Engagement im ersten Golfkrieg hatten sie damals ihre
positiven Gründe: Die Verschiebung der Machtverhältnisse
durch Saddams Überfall auf seinen Nachbarstaat haben
auch sie als unmittelbaren Eingriff in ihre
imperialistischen Rechte in dieser Region gewertet, sich
also auch selbst durch einen Bruch des
Völkerrechts
betroffen erklärt. In dieser
Betroffenheit hatten sie ihren guten Grund fürs
Mitmachen in einer militärischen Allianz gegen Saddam –
auch wenn sie sich dabei der Befehlsmacht der USA
unterzuordnen hatten. Über einen ähnlich guten Grund, der
ihnen ein Mitmachen beim aktuellen Aufmarsch gegen den
Irak nahelegen könnte, verfügen sie diesmal nicht. Ihnen
hat es dieser Staat in seiner beschränkten Souveränität
ja ganz recht gemacht, so sehr, daß sie auch bereit sind,
ihn wegen ihrer weitergehenden Kalkulationen mit ihm
demnächst wieder zum vollwertigen Mitglied der
Völkerfamilie zu erheben. Eine militärische
Strafaktion
, wie sie die USA vorhaben, paßt ihnen
daher überhaupt nicht ins Konzept. Auch wenn sie im
Prinzip immer billigen, daß Saddam sich seine Entlassung
aus dem UN-Kontrollregime durch Wohlverhalten zu
verdienen hat, und selbstverständlich dafür sind, diesen
potentiellen Kandidaten einer Regionalmacht am
Golf
nicht vorschnell aus dem Aufsichtsregime zu
entlassen, so können sie sich doch – im Gegensatz zu den
USA – dafür durchaus zivile Alternativen eines
Umgangs mit ihm vorstellen. Solche zum Beispiel, die
ihren virtuellen Handelspartner als die Goldgrube
erhalten und nicht zusammenbomben, die sie in
ihm ausgemacht haben.
Dem Krieg, den die Weltmacht wegen ihrer Räson für notwendig hält, vorbereitet und ihren Konkurrenten als Gelegenheit zum Mitmachen anbietet, können diese eine für sie nützliche Perspektive einfach nicht entnehmen. Damit haben sie fertig zu werden.
8. Was die Reaktion der diesmal
also nicht durch ein Verbrechen Saddams, sondern durch
eine Strafaktion
ihrer Führungsmacht
in
ihren Interessen negativ betroffenen Partner betrifft, so
begegnen sie der von der Weltmacht verordneten Hierarchie
in der Konkurrenz der Mächte allerdings sehr respektvoll.
Der eindeutigen Vorgabe, daß die USA ihren
politischen Willen exekutieren und dabei nicht
nachzufragen gedenken, ob und wem sie es damit
rechtmachen, setzen sie erstmal überhaupt kein ‚Njet!‘
entgegen. Vielmehr geben sie sich von der praktisch
demonstrierten Entschlossenheit der Weltmacht,
ihr Ordnungsproblem mit dem Irak durch Krieg zu
regeln, sehr beeindruckt: Sie akzeptieren die
Gewaltdrohung gegen den Irak als positive Grundlage
auch ihrer eigenen weiteren politischen
Berechnungen im Umgang mit dieser schlagartig wieder sehr
heiß
gewordenen Krisenregion
. Das tun sie,
indem sie dem realen Kräfteverhältnis zwischen sich und
der Weltmacht so Rechnung tragen, daß sie sich selbst –
jedenfalls im Prinzip – für den Krieg parteilich
erklären, der von Washington auf die Tagesordnung gesetzt
wurde. Den unwidersprechlichen Fakten, die die USA
schaffen, entnehmen sie die nicht minder zwingende
politische Notwendigkeit, vom Kurs der Weltmacht
keinesfalls abweichen zu dürfen: Keiner der Partner
beantragt eine UNO-Resolution, die USA wegen
völkerrechtswidriger Übergriffe auf einen waffenlosen
Staat und seine hungernden Kinder zu verurteilen;
vielmehr leuchtet allen schlagartig ein, daß
Saddam nur mit Gewalt zur Räson zu bringen ist.
Dann allerdings tun sie, was sie sich als Konkurrenten der Macht, der sie sich beugen, schuldig sind: Dieser so einfach die Negation ihrer eigenen Interessen am Umgang mit dem Irak und exklusiv die Bestimmung der politischen Ordnung am Golf zu überlassen, kommt für sie dann doch nicht in Frage.
9. Die eher nicht so wichtigen
Partner der ehemaligen Golfkriegs-Allianz
, die
arabischen Anrainerstaaten, üben sich – mit Ausnahme
Kuweits – in passivem Widerstand und geben kund, daß bei
einem Feldzug gegen Saddam diesmal mit ihnen
nicht zu rechnen sei.
Der Partner, der mit der Weltmacht seine angelsächsische
special relationship
unterhält, definiert sich
umgekehrt in deren Krieg gleich unmittelbar
seine eigene außenpolitische Interessenslage
hinein und schickt sein Militär los: Im Wege der
schlichten Übernahme der Beschlußlage der USA ist er dann
aus den politischen Ordnungsangelegenheiten am Golf
überhaupt nicht mehr ausgemischt, sondern bei deren
Regelung sogar verantwortlich mitbeteiligt.
Doch auch die anderen maßgeblichen transatlantischen
Freunde wollen durch ihr bekundetes Einverständnis mit
dem Beschluß der Weltmacht keineswegs ihre eigene
ordnungspolitische Kompetenz zur Unmaßgeblichkeit
herabgestuft haben – im Gegenteil: Einmischung
halten sie im Namen ihrer weltpolitischen
Verantwortung
unbedingt für geboten, auch und dann
erst recht, wenn sie aus dem anstehenden kleinen Kapitel
Weltpolitik praktisch ausgemischt worden sind.
Daher lassen sie ihrer grundsätzlichen Zustimmung zum
Kriegswillen der USA die Erklärung hinterherfolgen,
unbedingt alles unternehmen zu wollen, damit der Krieg,
den sie nicht wollen und der ihnen
nichts nützt, gar nicht erst stattzufinden braucht.
In dem Beschluß der USA, mit Saddam keine
Diplomatie mehr zu treiben, ihren Krieg aber
letztlich schon auch dem Zweck zu widmen, den Irak für
die Einhaltung der UN-Beschlüsse gefügig zu
machen, entdecken sie für sich eine Gelegenheit.
Sie erobern sich den Umstand, daß die Militäraktion noch
in der Phase ihrer Vorbereitung ist, als Stoff einer
Diplomatie, mit der sie sich dann als maßgebliche
politische Kraft bei der Lösung des Konflikts
behaupten: Sie machen sich dafür stark, alle
vorhandenen diplomatischen Mittel auszuschöpfen
, um
Saddam zum Einlenken zu bringen
(Kinkel), wollen also mit ihren
friedlichen
und diplomatischen Mitteln
den
Krieg überflüssig machen, für den die Weltmacht
am Golf aufmarschiert.
Deren sehr substantielle militärische Drohung
ist es zwar allein, von der Saddam sich beeindruckt geben
könnte; aber sie treiben mit ihr Außenpolitik,
indem sie die militärische Strafaktion
gegen
Saddam auf die Ebene einer politisch handhabbaren
Erpressung zurückführen. Darüber schwingen sie sich
erstens zu Subjekten einer Erpressung auf, die
auf diplomatischer Ebene mit den USA dann doch wieder
sehr gleichrangig sind: Auf dieser zählt ja nicht die
Überlegenheit der Waffen, sondern bekanntlich das
Verhandlungsgeschick
, mit der Androhung ihrer
Anwendung den Gegner zur Nachgiebigkeit zu erpressen, und
mit den Mitteln der Weltmacht im Rücken können sie das
mindestens genausogut wie diese selbst. Und zweitens
suchen sie mit ihrer diplomatischen Erpressung
Saddams den praktischen Schluß zu vereiteln, den die USA
für sich aus dem Fehlschlagen
aller bisherigen
Verständigungsbemühungen
mit der Führung des Irak
gezogen haben.
So kommt er auch in diesem Fall wieder überzeugend
zustande, der berühmte Schulterschluß mit Amerika
.
Die in Anspruch genommene Alleinzuständigkeit der
Weltmacht für die Ordnungsfragen im Nahen Osten wird von
ihren Konkurrenten im Prinzip respektiert, weil sich
ihnen ein offenes Kräftemessen mit der einfach verbietet.
Und indem sie sich zu den diplomatischen
Anwälten des von ihrer anerkannten Führungsmacht
beanspruchten Ordnungsrechts erklären,
bestreiten sie der wieder die Exklusivität ihrer
Ordnungskompetenz.
10. Die vor Ort praktisch
entschiedene Konkurrenz zwischen der Weltmacht und
ihren Partnern geht also auf anderen Schauplätzen weiter.
Deren wiederholtes Bemerken, es seien noch nicht alle
diplomatischen Möglichkeiten ausgeschöpft
, ist der
Sache nach ja ein Einspruch gegen den Willen der
USA, den Irak so zu erledigen, wie sie es nun einmal für
erforderlich halten. Aber dieser Einspruch wird eben
nicht sachlich, sondern diplomatisch vorgebracht: Nicht
als Zurückweisung, sondern in der etwas verlogenen Form,
auf Basis der grundsätzlichen Anerkennung der
amerikanischen Rechtsposition doch nur mit Vorschlägen
aufwarten zu wollen, die dieser dienen. Umgekehrt,
umgekehrt: Auch die USA bemerken selbstverständlich, daß
der Versuch einer diplomatischen Einwirkung auf
Saddam ein Gegenprogramm zu den Maßnahmen ist,
die sie sich im Namen ihres Aufsichtsrechts schuldig
sind. Aber auch sie verstehen sich auf die Kunst der
diplomatischen Heuchelei, so daß sie die Durchkreuzung
ihrer Vorhaben nicht offen zurückweisen, sondern mit
ihrer Konkurrenz tatsächlich in einen Wettstreit von
Methoden einsteigen, wie demselben,
gemeinschaftlich getragenen Anliegen optimal zum
Durchbruch zu verhelfen sei. Besagte diplomatischen
Kanäle
werden so voll ausgeschöpft
: Im
Sicherheitsrat der UNO, zwischen Botschaftern in und
außerhalb der UNO, bi- und multilateral, mit und ohne
Mittelsmänner versucht die eine Seite, sich
weltpolitische Regelungskompetenz zurückzuerobern und
Saddam mit Verweis auf die Drohung, die von der anderen
Seite aus an ihn adressiert wird, zur Einsicht
zu
bewegen. Letztere trifft währenddessen die abschließenden
Vorbereitungen für ihren Schlag gegen den Irak, bleibt
den Bemühungen der Konkurrenz gegenüber aber durchaus
höflich und aufgeschlossen: Wenn sie wirklich
dasselbe bewirken wie das, wofür sie
selbst den Einsatz ihrer Gewaltmittel für unabdingbar
hält, dann – und nur dann – wäre natürlich auch
sie im Grundsatz bereit, eine politische Lösung
zu
akzeptieren.
Weil sie nach dem Willen aller Beteiligten diplomatisch
ausgetragen wird, sortieren sich in dieser Konkurrenz der
imperialistischen Mächte dann Sieger und Verlierer
tatsächlich neu: Wenn es gelingt, den Irak zum
Nachgeben
zu bewegen und so amerikanische Bomben
überflüssig zu machen, dann hat nach hiesiger Lesart die
politische Vernunft
aus Europa gesiegt – und
ausgerechnet die Macht, deren realer Gewaltandrohung sich
Saddam beugt, hat dann verloren, ihr Gesicht
nämlich. Blamiert hat sie sich in dem Bemühen, aus der
unschlagbaren Wucht ihrer Gewaltmittel auch wirksam das
Monopol auf die Erledigung weltpolitischer Ordnungsfragen
abzuleiten, denn, wie sich ja gezeigt hat,
diplomatisches Fingerspitzengefühl
war wieder
einmal viel effektiver als die Sprache der Gewalt
.
Daher kommt die Vermutung auf, daß die USA ihre Bomben
letztlich nur zur Vermeidung dieser Blamage fliegen
lassen könnten – das nächste untrügliche Indiz für eine
gewisse Schwäche
dieser Weltmacht. Überhaupt
stünde sie dann als Aggressor
da, was schon wieder
ein Dilemma
ist: Die Amerikaner wissen, daß sie
bei einem militärischen Erfolg eine diplomatische
Niederlage riskieren.
(SZ,
2.2.98)
Womöglich weil sie das wissen, womöglich aber auch
deshalb, weil es ihnen gleichgültig ist: Vorkehrungen
auch gegen Niederlagen
dieser Art treffen sie
jedenfalls. Wenn sie zum Einsatz ihrer Waffen schon die
Konkurrenz von diplomatischen
Vermittlungsbemühungen
zulassen, dann wollen sie
schon auch in der das bestimmende Subjekt
bleiben und ihren politischen Zweck
durchzusetzen. Mit ihren Konkurrenten kommen sie daher
überein, als letzten Versuch in Sachen Vermittlung
den ranghöchsten Diplomaten der Weltgemeinschaft nach
Bagdad zu schicken. Nicht um zu vermitteln, sondern um
klarzustellen, daß es zwischen ihnen und Saddam einfach
nichts zu vermitteln gibt: Die Vereinigten
Staaten unterstützen diese Reise. Wir wünschen ihm
(Annan) Erfolg. Wir behalten uns aber das Recht vor, die
Zustimmung zu verweigern, wenn das Ergebnis der Reise
nicht mit den Resolutionen des Sicherheitsrats und
unseren eigenen nationalen Interessen übereinstimmt.
(UN-Botschafter Richardson, FAZ
19.2.98)
Schon Annans Vor-Vorgänger durfte kurz vor dem ersten Golfkrieg dem Irak verdolmetschen, daß eine ernsthafte Verletzung amerikanischer Ordnungsrechte eine noch viel ernsthaftere Bestrafung nach sich zieht. Diesmal findet die Reise des UN-Chefs nach Bagdad statt, um die Konkurrenten der Weltmacht darüber zu belehren, daß diese Doktrin auch ihnen gegenüber keine Rücksichten kennt.
Die Angesprochenen verstehen auch diese Botschaft und
machen in bewährter Weise das Beste, was sie aus der
Lage, mit der sie nun einmal konfrontiert sind, für sich
machen können: Aus Frankreich, der Nation, die sich –
neben China und Rußland – am heftigsten gegen eine
Gewaltanwendung
und für eine friedliche Beilegung
des Konflikts
ausspricht, ist zu hören, daß sich –
falls das letzte Verhandlungsangebot
scheitern
sollte – eine Fregatte in den Golf aufmachen und gegen
den Irak ein bißchen mitschießen soll.
11. Während die imperialistischen
Partner beim Beherrschen der Welt ganz konsequent zur
Sache gehen und und nach Maßgabe ihres
Kräfteverhältnisses ihre Konkurrenz austragen, fällt eine
Macht total aus dem Rahmen und entsprechend unliebsam
auf. Der russische Präsident vergißt mal wieder, in
welchem Land er lebt, und irritiert die
Weltöffentlichkeit mit seinem Gerede vom Weltkrieg
(SZ, 5.2.98), den eine
amerikanische Militäraktion im Gefolge haben könnte.
Allerdings nur den kleinen Moment, bis allen wieder
einfällt, daß es die Weltmacht auf russischem Boden gar
nicht mehr gibt, von der einst ernstzunehmende Drohungen
dieser Art zu hören waren. Die Einlassung des Trottels
aus Moskau hakt man also ab, genauso wie die USA jene
ernsten Bedenken
, die Rußlands offizielle
Diplomatie gegen eine Bombardierung des Irak vermeldet.
Das sind eben die Freiheiten einer Weltmacht im Umgang
mit einer Konkurrenz, die keine ist: Man hört
sich deren Einwände gegen die eigenen Vorhaben freundlich
an – und ignoriert sie dann.
12. Bei Redaktionsschluß hat sich der folgende vorläufige Zwischenstand in der imperialistischen Konkurrenz ergeben:
Es ist dem gemeinsam von den USA und ihren Konkurrenten
entsandten Chef-Diplomaten gelungen, von Saddam die
Unterschrift unter ein Papier zu erhalten, in dem er in
die Weiterführung des UN-Aufsichtsregimes einwilligt;
zeitlich und lokal bedingungslos
, wie es heißt,
aber ohne dabei sein Gesicht
zu verlieren: Man
verspricht ihm, auf seine Würde
und
Souveränität
zu achten, während man letztere mit
den Kontrollen ein bißchen ignoriert..
Ob Saddam eingelenkt
hat und die Golf-Krise
friedlich beigelegt
ist, steht damit freilich nicht
fest. Im Prinzip sehen das viele politisch
verantwortliche Stimmen in Europa zwar so. Im Prinzip
aber sehen sie auch, daß es in allerletzter Instanz eben
doch nicht so entscheidend darauf ankommt, was
sie in Saddams Unterschrift sehen. Der
Schlüssel zum Erfolg
der diplomatischen Mission,
der kurz vorher noch bei Saddam lag, liegt ihrer eigenen
Auskunft nach nämlich jetzt in Washington.
Friedlich
beigelegt ist die Krise
, wenn man
sich dort dazu entschließt, keinen Krieg zu
führen.
Dazu ringt die Weltmacht sich durch. Sie nimmt von ihrer
Absicht vorerst Abstand, das Urteil ihres weltpolitischen
Strafrechts gegen Saddam zu vollstrecken – weil sie es
nunmehr eindeutig gegen den politischen Willen ihrer
Konkurrenten vollstrecken müßte. Sie gibt sich fürs erste
damit zufrieden, im diplomatischen Erfolg ihrer Gegner
vor allem ihren eigenen zu entdecken: Ohne ihre
militärische Entschlossenheit
hätte Saddam
nicht eingelenkt
, verkündet sie als ihren
Sieg; daß sie ihn mit ihrer Entschlossenheit
überhaupt nicht zum Einlenken
bewegen wollte,
erwähnt sie nicht.
Im übrigen behält sie sich einen Schlag gegen Saddam
freilich auch nach dessen Einlenken
vor. Das von
Annan vermittelte Abkommen wäre ja der erste Vertrag,
dessen wahre Bedeutung nicht erst im Wege der Auslegung
ermittelt würde, die die Vertragspartner dem Schriftstück
im Namen ihres Interesses angedeihen lassen. Und dieses
schöne Prinzip der Diplomatie beherzigen die USA nun: Sie
greifen sich den Vertragstext und bestimmen, welche
Passagen für sie weiter erklärungsbedürftig
sind;
dann teilen sie mit, was sie sich an Klarstellung
und Verdeutlichung
wünschen: Sie
definieren die Bedingungen der zukünftigen
Aufsichtnahme, die Saddam bedingungslos zu respektieren
versprochen hat. Wenn er dies dann nicht tut,
widersetzt er sich nicht den USA, sondern bricht einen
Vertrag, den er mit der ganzen Weltgemeinschaft
geschlossen hat – und wird dafür bestraft.
Soweit zu dem Gerücht, die Kunst der Diplomatie sei eine
exklusiv europäische Domäne.
Für den – ihrer Ansicht nach – äußerst wahrscheinlichen
Fall, daß dieser Diktator den ausgemachten deal
nicht zu ihrer vollständigen Zufriedenheit erfüllt,
bleibt die Weltmacht mit ihrem Militär also vorsorglich
in Stellung. Zum Zuschlagen nach eigenem Gutdünken sieht
sie sich nach wie vor sehr berechtigt: Offenbar will sie
auf keinen Fall die diesmal von ihren Partnern gegen sie
erzwungene Rücksichtnahme zum allgemeinen Prinzip ihrer
künftigen Weltpolitik ausarten lassen.
Man darf also erstens darauf gespannt sein, wann und
wodurch Saddam den in Washington in ihn gesetzten
Erwartungen entsprechen und den endgültig letzten Beweis
für das feststehende Urteil liefern wird, daß ein
diplomatischer Umgang mit ihm im Grunde unpassend und
schädlich ist. Zweitens darauf, ob und was die
Konkurrenten der Führungsmacht
dann wieder mit dem
Alleingang
anzufangen wissen, mit dem sie von ihr
konfrontiert werden.