Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Die NATO investiert ihre besten Bomben, der Westen wirbt mit den härtesten Sanktionen. Doch wo bleibt der Lohn?!
Was die Serben der Weltgemeinschaft schuldig bleiben
Das serbische Volk hat noch nicht verstanden, dass der Westen auf der Abdankung von Milosevic besteht, für welche es zuständig ist. Da helfen nur verschärfte Sanktionen, damit die Serben verstehen, wer die eigentliche Ursache derselben ist, damit sie sich dem Westen unterwerfen, der nur ihr Bestes will.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Die NATO investiert ihre besten
Bomben, der Westen wirbt mit den härtesten Sanktionen.
Doch wo bleibt der Lohn?!
Was die Serben der Weltgemeinschaft
schuldig bleiben
An der 4. Gewalt der Demokratie liegt es wirklich nicht.
Die freie Öffentlichkeit gibt sich mit Rest-Jugoslawien
alle erdenkliche Mühe. Jede Aktion der demokratischen
Opposition wird mit freundlichem Echo bedacht, die Zahl
der Teilnehmer an Anti-Milosevic-Demonstrationen mit
äußerstem Wohlwollen ermittelt, die Uneinigkeit der
Widerstandskräfte mit großer Sorge, Mahnungen und
konstruktiven Einigungsvorschlägen begleitet. Der
Herrscher von Belgrad wird genauestens dabei beobachtet,
wie er inmitten bestellter Claqueure fadenscheinig
reparierte Brücken einweiht, über die bloß wieder Panzer
rollen sollen, vor allem nach Montenegro; wie er
Speichellecker mit dürftigen Wohltaten überhäuft; wie er
von hörigen Polizisten friedliche Demonstranten
auseinander prügeln lässt, die gewaltlos auf sein
Villenviertel zumarschieren. Auf die Zurückhaltung der
Staatsmacht beim Zerschlagen von Widerstand fällt die
versierte Reporter-Szene nicht herein; aus genauer
Landeskenntnis heraus postuliert sie bürgerkriegsmäßige
Zustände, wo sie nicht zu beobachten sind. Dem Volk wird
jede Menge Mitleid gespendet, weil es kein Geld hat,
schon im Frühherbst friert und einem extrem harten Winter
entgegensieht – wegen Milosevic, der dadurch, dass er
weiter amtiert, die Aufhebung der westlichen Sanktionen
einschließlich eines verschärften Ölembargos gegen
Serbien verhindert; in Wahrheit handelt es sich bei dem
Boykott nämlich um Belgrader Obstruktionspolitik. Im
freien Westen begreift das auch jedes Kind. Doch was
passiert in Serbien? Es hilft alles nichts: Die
Demokratisierung des besiegten Feindlandes bleibt aus.
Die Demonstrationen bröckeln ab – die Berichterstattung
schließlich auch, und am Ende sogar die Sympathie mit den
Veranstaltern. Die Opposition taugt nichts, weil sie
einerseits zu schwach ist, um den Machthaber wegzufegen;
andererseits wird sie auf einmal frech und legt einen
völlig unpassenden serbisch-nationalistischen
Widerspruchsgeist an den Tag, bloß weil ihr schon vor
einem freundschaftlichen Treffen mit den
EU-Außenministern in Luxemburg mitgeteilt wird, dass sie
dort die Selbstverpflichtung unterschrieben haben wird,
Milosevic ans Kriegsverbrechertribunal in Den Haag
auszuliefern, sobald er sich durch ihre friedlichen
Aktionen hat entmachten lassen: Die wichtigsten
Oppositionsführer bleiben weg, weil sie sich nicht zu
Hause dem Vorwurf des Hochverrats aussetzen wollen. Als
könnte man unter Menschenrechtsanwälten auf patriotische
Empfindlichkeiten und Ängste vor einem blutrünstigen
Diktator Rücksicht nehmen! Schlimmer noch: Es gibt
Indizien dafür, dass ein großer Teil der Serben,
vielleicht sogar die Mehrheit, auf Milosevics Seite
steht, „verdummt“, wie das Volk dort nun einmal ist, und
durch die Gehirnwäsche des Staatsfernsehens ruhig
gestellt
(HB, 3.11.),
aber keineswegs entschuldigt. Da muss dann doch schon mal
manch demokratischer Anti-Rassist leise Zweifel anmelden,
ob der Serbe noch bei Trost ist und jemals zu
demokratischer Reife taugt: Erst folgt er seinem
gewählten Präsidenten durch den wohlmeinendsten
Bombenhagel, den die Welt je gesehen hat; und kaum knickt
sein Führer ein, versagt er schon wieder – vor dem
gerechten Anspruch der zivilisierten Völkergemeinschaft,
seinen herrschenden Politverbrecher durch pflegeleichte
Erfolgstypen zu ersetzen.
Denn das hat die NATO großzügig dem Volk der Rest-Republik Jugoslawien zur Erledigung überlassen. Die Allianz ist mit ihrem Militäreinsatz, der ja kein Krieg gegen Serbien war, fertig und hat auch tatsächlich Schluss gemacht, nachdem Belgrad in Sachen Kosovo bedingungslos kapituliert hatte; seit dort nicht mehr von einer souveränen Obrigkeit 1 Million Albaner, sondern 1 bis 2 Hunderttausend Serben von nicht autorisierten Kräften einer nicht souveränen Obrigkeit in spe vertrieben werden, ist der gute Grund für Luftangriffe auf das verkehrt regierte Land entfallen. Überhaupt nicht beigelegt ist damit jedoch die Feindschaft gegen die dort regierende Macht. Die kann zwar nicht mehr viel falsch machen, weil sie überhaupt nicht mehr viel vermag. Das zählt aber gar nichts, weil sie selber ein einziger unverbesserlicher Fehler ist. Das steht fest, seit der Westen sich genötigt fand, mit militärischer Gewalt gegen sie vorzugehen. Spätestens mit dem Angriffsbefehl ist die jugoslawische Staatsführung als Feind definiert; und dieses Wesensmerkmal wird sie nicht mehr los – schon gar nicht durch ihre Niederlage. Im Gegenteil: Dass sie weiter amtiert, als wäre nichts geschehen, also ihre eigene Kapitulation überlebt, ist als weiteres Verbrechen zu werten, nämlich ein einziger Verstoß gegen die Feindschaftserklärung der NATO-geführten Völkergemeinschaft – wer noch bessere Gründe haben will, der soll sich an die Ankläger des Tribunals in Den Haag wenden. Der Westen jedenfalls ist zwar mit seinem Nicht-Krieg fertig, nicht aber mit dem Machthaber, dem das Unternehmen gegolten hat.
Der schonend herbeigebombte Balkanfrieden steht daher
nicht bloß unter NATO-Kuratel, sondern auch unter einem
großen Vorbehalt: So richtig losgehen kann es damit erst,
wenn der Westen in Belgrad auf keinen Feind mehr trifft.
Im Westen sind sich so gut wie alle einig, dass
Milosevic das Haupthindernis für dauerhafte Stabilität,
für eine nachhaltige Entwicklung in Richtung Demokratie
und Marktwirtschaft in der ganzen Region ist. Also muss,
zumal um der Zukunft Serbiens willen, dieses Hindernis so
bald wie möglich aus dem Weg geräumt werden
(FAZ, 12.10) – klar doch, um
Serbiens willen, wenn im Westen sich schon alle einig
sind. Die Beseitigung von Milosevic ist somit Punkt 1 der
Friedensagenda. Also kein Kriegsziel für die NATO,
schließlich geht es ja um die Zukunft Serbiens, sondern
eine schöne Hausaufgabe fürs serbische Volk: Das
soll die Feindschaftsansage des Westens gegen seinen Chef
ans Ziel führen; dann hätte es sich auch gleich als
demokratisch brauchbar erwiesen und als Teil der
europäischen Freiheitsrasse rehabilitiert. Man hilft ihm
sogar gern dabei – jedenfalls ein bisschen auf die
Sprünge: Die Sanktionen gegen das Land, insbesondere das
Ölembargo, werden erklärtermaßen mit dem politischen Ziel
aufrechterhalten, durch Verschärfung der Not des
Volkes die Lage der Führung unhaltbar zu
machen – um eine Entmachtung Präsident Slobodan
Milosevics zu beschleunigen
(SZ,
7.9.). Der bemüht sich zwar heimtückischerweise
und nicht einmal ganz ohne Erfolg darum, seinem Volk ein
Überleben und damit selbstverständlich bloß sich die
Macht zu sichern: Die materiellen Grundbedürfnisse
werden von der Agrarwirtschaft des Landes sowie der
energiewirtschaftlichen Solidarität Russlands
gedeckt.
(HB, 3.11.) Doch
muss das nicht das letzte Wort sein; die Not ist groß
genug; und dass sich die wirtschaftliche Krise weiter
verschärft, ist nicht zu übersehen. Ein Ausweg ist unter
den herrschenden politischen Verhältnissen nicht in
Sicht, denn es ist das erklärte Ziel des Westens, die
Isolierung Serbiens erst nach dem Sturz des mutmaßlichen
Kriegsverbrechers Milosevic zu lockern.
(FAZ, 22.9.) Ergänzend und komplementär
dazu ergreift die EU eine Initiative, die sie ganz
unverfroren „Energie für Demokratie“ übertitelt – sogar
von einer „Demokratiedividende“ ist die Rede, die das
Volk merken müsste, damit es endlich den nötigen
Freiheitsdurst verspürt…: Um den Anreiz zu stärken,
sich weiter dem Milosevic-Regime zu widersetzen
(FAZ 4.10.), soll Städten
unter der Verwaltung oppositioneller Politiker, nämlich
genau zwei ausgewählten, mit ein paar tausend Tonnen
Heizöl und Diesel über den Winter geholfen werden, auf
dass dem Volk mit seinem gewaschenen Hirn ganz
anschaulich die Vorteile vor Augen stehen, die der Westen
Überläufern zu bieten hat. Das Problem ist freilich, die
Wohltat über die jugoslawische Grenze und bis ans
gemeinte Ziel zu bringen, und zwar so, dass das Volk es
auch merkt, dabei jedoch in keinem Fall den serbischen
Zoll oder die Bundesarmee von den Lieferungen profitieren
zu lassen
(FAZ, 13.10.).
Dass mit der Alimentierung oppositioneller Gemeinden die
staatliche Zentralgewalt blamiert werden soll und in
einer Weise provoziert wird, die sie sich schlecht
gefallen lassen kann, ist den freundlichen Spendern also
durchaus klar; schließlich geht es ihnen – jenseits aller
geheuchelten Naivität – genau darum. Unklar ist hingegen,
ob man dafür wirklich ein paar Tanklastzüge aufs Spiel
setzen und wer für diese gigantischen Unkosten aufkommen
soll, so dass „noch dahinsteht, ob die versprochenen
25000 Tonnen Heizöl und die 1500 Tonnen Diesel auch
wirklich noch vor dem Wintereinbruch durch alle
Hindernisse der europäischen Bürokratie geschleust werden
können“ (ebd.). Doch wie dem
auch sei: Auch ohne es sich etwas kosten zu lassen, nimmt
der Westen Serbiens Opposition unter seine Fittiche.
Allerdings will er dabei – das erwähnte geplatzte Treffen
von Luxemburg belegt das in aller Deutlichkeit – auf
keinen Fall dahingehend missverstanden werden, als
könnten Milosevic-Gegner mit einem Vertrauensvorschuss
rechnen: Vor jeder Unterstützung steht die
unterwürfige Anerkennung der Friedensagenda des Westens,
folglich vor der Normalisierung des westlichen Umgangs
mit dem jugoslawischen Reststaat die Erledigung des
Punktes 1: Auslieferung des Machthabers. Dass damit jede
Aussicht auf einen schiedlich-friedlichen Übergang der
Macht von ihrem noch amtierenden Inhaber auf eine
zukünftige prowestliche Regierung verstellt wird, ist
klar, den zuständigen Balkanpolitikern aber kein Problem,
weil sich das in die ohnehin feststehende
kriminalrechtliche Beurteilung und rigide Handhabung der
Lage bruchlos einfügt: Schuld ist auf alle Fälle
Milosevic. Im Ernstfall, der sich trotz vielfältiger
Bemühungen freilich immer noch nicht abzeichnet, ist er
auch schuld daran, wenn der Westen seine demokratischen
Zöglinge gegen seinen Feind verheizt – die westlichen
Menschenrechtler sind jedenfalls zu jedem Bürgerkrieg
bereit, den die serbischen Freunde eigentlich bloß noch
zu führen brauchen. Sie tun, was sie können, damit
demnächst kein Serbe mehr etwas zu verlieren hat und
allen, die noch zu ihrem Diktator halten, ihr verkehrter
Widerspruchsgeist ausgetrieben und der richtige, gegen
Milosevic, eingetrichtert wird.
Einstweilen jedoch, die freie Weltmeinung musste es schon
bedauernd zur Kenntnis nehmen, bleiben Volk und
Opposition schuldig, was sie dem Westen als Gegenleistung
für die vielen menschenrechtsfördernden Bomben schuldig
sind; …die gespaltene Opposition (vermag) dem sozialen
Unmut und der nationalen Frustration der Serben keine
Richtung (zu) geben.
Und das, dieser Wahrheit muss
der Westen ins Auge sehen, liegt nicht bloß an der
taktischen Unfähigkeit der Oppositionellen, sondern an
einer unbegreiflichen Unwilligkeit der Massen: Die
Erbitterung über die Nato-Bomben steckt noch tief in der
Bevölkerung, die nicht verhinderte Vertreibung der
Kosovo-Serben durch die Albaner hat sie aufgefrischt. Das
macht störrisch gegen westliche Verheißungen von Hilfe
und Integration, wenn die Serben sich nur Milosevics
entledigten.
(SZ, 11.9.)
Da ist guter Rat teuer. Bleibt am Ende wirklich nichts
anderes übrig als die ‚irakische Lösung‘: dauerhafte
Isolierung eines „Schurken-Regimes“, die ein ganzes Volk
mit massiver Verelendung auszubaden hat; eventuell noch
ein bisschen Bombenkrieg, damit auch wirklich nirgends
Zweifel an der fortdauernden Verwerflichkeit der
Staatsführung und der gerechten Feindschaft der
Völkergemeinschaft aufkommen; dazu jahrzehntelange
Bemühungen um die Konstruktion einer garantiert
botmäßigen und dabei im Land verankerten und mit guten
Erfolgsaussichten gesegneten Opposition… – ? Gegen die
Amerikaner, die zumindest verschärfte Drangsalierung für
die einzig richtige Umgangsweise mit dem Milosevic-Staat
halten – es müsse Serbien erst richtig schlecht gehen,
ehe es politisch besser werden könne
(FAZ, 13.10.) –, haben die EU-Mächte dann
doch ein paar Einwände. Es ist schließlich ihr Hinterhof,
in dessen Mitte auf diese Art ein unhandliches
politisches „schwarzes Loch“ entstünde. Doch wer soll den
in Ordnung bringen, wenn die Serben diesen
Freundschaftsdienst weiterhin teils nicht hinkriegen,
teils verweigern? So bleibt fürs Erste nur die Hoffnung.
Nämlich auf so viele Kälteopfer im bevorstehenden Winter,
dass Milosevic die harte Jahreszeit politisch doch nicht
übersteht: Die Sonne lügt, die Wahrheit ist kalt.
Serbien steht, der Milosevic-Propaganda zum Trotz, vor
einem Winter mit Brennstoffmangel und Stromausfall.
(FR-Überschrift, 6.10.)
Die Serben haben Angst vor einem Winter ohne
Elektrizität und Heizung. … Irgendwann gerät das
serbische Volk mit dieser wahrhaft erstaunlichen
Fähigkeit zu leiden einmal ans Ende seiner Kräfte.
(FAZ, 22.9.) Dann wird es ja
wohl mal endlich zur Einsicht kommen und sich den
richtigen Herren unterwerfen.
Zynismus? Der findet sich ausschließlich bei Milosevic. Wenn dessen Volk an den Sanktionen des Westens vor die Hunde geht, gehört er dafür in Den Haag noch einmal extra bestraft!