Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der „Umwelt-Gipfel“ in New York
Greenpeace für alle, made in Bonn
Die Kritiker von Kohls Auftritt als größter Umweltschützer haben aus mehreren Gründen unrecht. Einig sind sie sich mit dem Kanzler darin, dass „Umwelt“ als imperialistischer Anspruchstitel taugt. Damit profiliert sich die künftige Regierung.
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Systematischer Katalog
Der „Umwelt-Gipfel“ in New
York
Greenpeace für alle, made in
Bonn
Der deutsche Bundeskanzler mahnt in New York bei der
Rio-Folgekonferenz laut und vernehmlich zur Umkehr in
Sachen Umweltpolitik. Er kämpft
– zum Erstaunen
der Süddeutschen Zeitung–
„Seite an Seite mit dem deutschen Boß von Greenpeace International für die Umwelt“, wartet „mit einer Initiative von Regierungschefs aus 4 Kontinenten“
auf und klagt weltöffentlich die USA an, der größte Umweltsünder bei Luft, Wald und Klima zu sein. Daß die Hinweise auf die vorbildliche deutsche Umweltpolitik gemogelt sind –
„der Primärenergieverbrauch ist in den letzten Jahren nur wegen des Niedergangs der ostdeutschen Wirtschaft gefallen“ (SZ 26.7.) –,
tut seinem internationalen Einsatz für eine saubere und
lebenswerte Umwelt bei den einen keinen Abbruch. Andere
wollen dem Kanzler das allerdings nicht durchgehen
lassen: SPD und Grüne werfen ihm vor, in New York wie
die Inkarnation eines blauen Umweltengels
(SZ 25.6.97) aufzutreten,
daheim aber nicht einmal die Vorgaben des letzten Gipfels
einzuhalten. Damit sprechen sie Umweltverbänden und
kritischen Bürgern aus der Seele.
Diese Kritik ist grundverkehrt. Sie behauptet nämlich
erstens einen falschen Gegensatz zwischen
umweltpolitischem Versagen
daheim und
Auftrumpfen
nach außen. Die Umweltpolitik versagt
aber nicht, wenn beispielsweise, wie im Zusammenhang mit
dem Umweltgipfel gern zitiert, das Bundesumweltamt
prognostiziert, daß die verkehrsbedingten
Kohlendioxidemissionen bis zum Jahr 2005 um 24% gestiegen
sein werden
. Es hat seinen guten Grund, daß die
Bundesrepublik eigens eine Behörde eingerichtet hat, die
die Verschmutzung von Luft, Wasser, Boden penibel
registriert und steigende Tendenzen hochrechnet. Die
Verantwortlichen, die für die Förderung der nationalen
Wirtschaft zuständig sind, wissen nämlich genau, daß die
kapitalistische Produktion, an der ihnen im Interesse des
staatlichen Reichtums soviel liegt, ohne schädliche
Wirkungen auf Mensch und Natur nicht zu haben ist: die
Produktion von stinkenden Autos ist eine gewichtige
Branche der nationalen Ökonomie; das Ablassen von
Produktionsrückständen in Luft und Wasser ist eine
kostengünstige Form der Entsorgung; das Überdüngen des
Bodens steigert die Ernte usw. usw. Daß ihnen die
kapitalistischen Rechnungen der Unternehmen als Grund der
flächendeckenden Vergiftung der Umwelt bekannt ist und
sie an dem nichts ändern wollen, steht fest. Gerade
deswegen registrieren sie sorgfältig die Folgen und
greifen nötigenfalls ein – wenn sie es nämlich für nötig
befinden, sich um die gestörten und zerstörten
Bedingungen des nationalen Lebens zu kümmern, damit es
genau so weitergehen kann. Natürlich nehmen sie dabei auf
die ökonomischen Notwendigkeiten der Geschäftswelt
gebührend Rücksicht. Wenn Auflagen an die Industrie
gemacht werden, wieviel Dreck aus den Fabrikschloten oder
aus den Auspuffrohren von Autos rauskommen darf, so ist
damit die Vergiftung der Luft bis zum staatlich
festgelegten Grenzwert allemal erlaubt. Die Androhung von
Geldstrafen überläßt den Unternehmen die Abwägung, es
drauf ankommen zu lassen, also mit ihnen zu kalkulieren.
Die gesamte Palette staatlicher Maßnahmen in Sachen
Umweltpolitik verhindert also nicht die Schäden, sondern
legt fest, wieweit beim geschäftlichen Treiben auf die
Erhaltung oder Wiederherstellung der beanspruchten
natürlichen Grundlagen (Luft, Wasser, Boden) zu achten
ist.
Zweitens übersieht der Einwand, der Kanzler müsse
erstmal seine Hausaufgaben machen, ehe er anderen Staaten
mit umweltpolitischen Forderungen kommen könne
,
geflissentlich, warum und wie die Sorge um den Erhalt der
Geschäftsgrundlagen in der eigenen Nation zur
internationalen Affäre wird. Nach außen begutachten die
politischen Macher ihr Vorschriftenwesen nämlich als eine
heikle Konkurrenzfrage und werden überaus selbstkritisch
unter dem Gesichtspunkt, ob sie nicht mit den nationalen
Bestimmungen den heimischen Kapitalstandort allzusehr
belasten: Umweltpolitische Vorschriften verursachen
vermehrte Kosten bei der Produktion und beeinträchtigen
so die Erfolgsaussichten des nationalen Kapitals auf dem
Weltmarkt; ob und wieviel Aufwand für eine etwas
sauberere Produktion „der Wirtschaft“ zuzumuten ist,
entscheidet dabei jeder Staat gemäß seinen
konkurrierenden Standortansprüchen anders. Also bemühen
sich die Staaten, die das Sagen haben, auf die
Umweltpolitik in anderen Ländern Einfluß zu nehmen, und
denen all das in Sachen „Umwelt“ aufzunötigen, was sie
sich selber nach Möglichkeit ersparen wollen: Die
nationale Geschäftseinschränkung wegen der Sorge um die
natürlichen Grundlagen allen Handels und Wandels soll
daheim möglichst gering gehalten, die finanzielle
Belastung des Kapitals mindestens verallgemeinert und am
besten gleich bloß den Konkurrenten auswärts aufgehalst
werden. In diesem Sinne mischen sich die Politiker
immerzu in die Verhältnisse anderer Ländern ein. Vorneweg
die deutschen, die auf ihrem Standort führende
Umwelttechnologie-Unternehmen beheimaten und deswegen und
in diesem Sinn gerne mit der Einsicht hausieren gehen,
daß mehr Rücksichtnahme auf die Umwelt auch neue
Impulse für die Wirtschaft geben könne
(SZ 24.6.97).
Drittens ignorieren die Kritiker, die bei den
Verantwortlichen einen Widerspruch zwischen Reden und
Handeln
entdeckt haben wollen, daß und wie dieses
(inter)nationale Betätigungsfeld der Regierungen zum
Material für die Großveranstaltungen gemacht wird, auf
denen die Nationen ihre Konkurrenzaffären diplomatisch
verhandeln und um die Richtlinienkompetenz in Sachen
Weltordnung
konkurrieren. Die Umwelt
ist ja
auch vorzüglich geeignet als Titel, mit dem
internationale Verantwortung vorgeführt, d.h. globale
Zuständigkeit beansprucht und anderen streitig gemacht
wird: Sie ist von Natur aus grenzüberschreitend (die
Luft macht an den Staatsgrenzen nicht halt
); mit
weltumgreifender Tendenz ausgestattet
(Klimakatastrophe
) und garantiert moralisch
einwandfrei (zum Wohle der Nachgeborenen
). In
diesem Sinn setzt sich Kohl auf dem Umweltgipfel in New
York in Szene und meldet damit Führungsansprüche seiner
Nation an – auch und gerade gegenüber dem
Hauptkonkurrenten, der beim letzten Treffen in Denver die
Deutschen diplomatisch abgekanzelt hat.
Die Kritik aus dem Munde der Opposition ist außerdem –
viertens – durch und durch verlogen. Erst die
Hausaufgaben erledigen
, bevor man sich als
Deutschland auf der internationalen Bühne als Zuständiger
zu Wort meldet – das ist nämlich gar nicht gemeint und
kommt auch für SPD und Grüne keinesfalls in Frage. Dafür
schätzen sie selber (genau wie Kohl) die imperialistische
Qualität des Themas viel zu sehr: Auf die Ignoranz und
Arroganz der USA, dem größten Umweltsünder der Erde,
hinzuweisen
, finden sie auf alle Fälle gut. Und auch
sie wissen zwischen der Berufung auf die
internationale Verantwortung für die Umwelt
und
nationaler Umweltpolitik zu unterscheiden. Was die
„Umwelt“ daheim angeht, lassen die Oppositionspolitiker
bei anderer Gelegenheit keinen Zweifel an ihrer
Prioritäten
liste, die sich ziemlich mit der des
Kanzlers deckt: In Zeiten, in denen das
Wirtschaftswachstum zu wünschen übrig läßt, sei für
übertriebene
Umweltbedenklichkeiten kein Platz,
heißt es da; Schröder wettert gegen die Einseitigkeit
des Öko-Denkens in der Gesellschaft und in der SPD
,
und seine Parteigenossen ziehen die „Umwelt“ als
Aushängeschilder ihrer Partei für den Wahlkampf aus dem
Verkehr. Mit ihren Zweifeln an der Glaubwürdigkeit von
Kohls Engagement in Sachen Umwelt
wollen sie bloß
darauf hinweisen, daß die Regierung Deutschlands in ihre
Hände gehört. So dient der Titel „Umwelt“ also auch noch
der politischen Profilierung von Machtanwärtern – und das
ist schon wieder kein Mißbrauch, sondern ein
erzdemokratischer und insofern passender Gebrauch.