Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Regierungskrise in der Ukraine:
Unser Traumpaar in Kiew kaputt – wir sind enttäuscht

Noch kein Jahr ist es her, dass wir gute demokratische Herrschaft in die Ukraine exportiert, unsere Helden Juschtschenko und Timoschenko an die Macht gebracht haben – und nun das: Statt mit vereinten Kräften ihren korrupten Laden auszumisten und von den Figuren zu säubern, die das alte „System“ verkörpert haben, fallen unsere Hoffnungsträger, kaum sind sie an der Macht, übereinander her und machen viel mehr falsch als richtig.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Regierungskrise in der Ukraine:
Unser Traumpaar in Kiew kaputt – wir sind enttäuscht

Noch kein Jahr ist es her, dass wir gute demokratische Herrschaft in die Ukraine exportiert, unsere Helden Juschtschenko und Timoschenko an die Macht gebracht haben[1] – und nun das:

„Der Revolutionsführer hat seine engste Verbündete unter den ehrenrührigen Vorwürfen der Bereicherung und der Vetternwirtschaft entlassen, sie wiederum lässt ihre Helfer zurückfeuern. Von Korruption über Erpressung bis hin zur Behinderung der Justiz bei der Ermittlung von politischen Morden reichen die Vorwürfe.“

Die FAZ ist indigniert, fühlt sich gar an den Sündenkatalog des vorigen Regimes erinnert, die NZZ fürchtet, dass es in der Ukraine schon wieder fast so zugeht, wie vor dem Umsturz. Der Kutschismus lebt und hat die neue Macht erfolgreich infiltriert, und in den Redaktionen der SZ, der FTD und des Economist reibt man sich ebenfalls die Augen: Statt mit vereinten Kräften ihren korrupten Laden auszumisten und von den Figuren zu säubern, die das alte „System“ verkörpert haben, fallen unsere Hoffnungsträger, kaum sind sie an der Macht, übereinander her und machen viel mehr falsch als richtig:

Die eine, die sich nach der Amtsübernahme zügig daran macht, das Programm umzusetzen, mit dem sie für sich geworben hat und für das wir sie zur unbestechlichen Kämpferin für Demokratie und Gerechtigkeit hochgelobt haben, lässt einfach jedes Augenmaß vermissen. Schon im Frühjahr zieht sie los gegen die russische Sabotage, gegen die antiukrainische Verschwörung der russischen Ölfirmen, die ihre Spritpreise steigen lassen – und was mussten wir da miterleben: Aktionismus, Interventionismus, etatistische Muskelspiele, Versuche, mit Preisdiktaten im Stile alter Planwirtschaft den Ölpreis in den Griff zu kriegen, verordnete Höchstpreise … das jüngste Beispiel für eine Politik, die den revolutionären Kampf nicht lassen kann – da ist unsere Revolutionsbegeisterung aber ganz schnell zu Ende, wenn sich die Frau am Allerheiligsten der Marktwirtschaft vergreift.

Und genauso auf dem Gebiet der Privatisierungen. Da sollte und soll es doch darum gehen, den Oligarchen der Ukraine, jener Hand voll Milliardären, die zur Zeit des korrupten Regimes Kutschma große Staatsbetriebe zu Schleuderpreisen erworben hatten, ihre Beute wieder zu entreißen und damit auch die Geldgeber des Kutschma-Lagers zu enteignen. Eben jenen mafiösen Strukturen der Ostukraine das Handwerk zu legen, deren üble Machenschaften uns noch vom letzten Wahlkampf in lebhafter Erinnerung sind. Und auch da kennt die Regierungschefin weder Maß noch Ziel:

„Timoschenko selbst verschreckte Investoren, indem sie ankündigte, die Privatisierung Tausender Unternehmen rückgängig zu machen. Nun häufen sich auch noch die wirtschaftlichen Warnsignale: Das Wachstum stürzt ab, und die Inflation zieht an.“

Taub gegenüber allen „wirtschaftlichen Warnsignalen“, verschreckt sie das Wachstum, das von 12 auf 4% zusammenschrumpft, und zieht sich strenge Verwarnungen von höchster Stelle zu: Das Zürcher Sprachrohr der wirtschaftlichen Vernunft moniert, es geht um richtungsweisende Rechtsgüter und eine stabile Basis, und der Chef der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung verlangt, dass die Liste der zu überprüfenden Betriebe entschieden verkürzt wird.

Umgekehrt der andere, der seinen Regierungsauftrag darin sieht, vor allem Stabilität zu schaffen, um Investoren zu ermutigen, in die Ukraine zu kommen, und der mit seiner Wirtschaftskompetenz, Ökonom und ehemaliger Zentralbankchef mit wirtschaftsliberalen Vorstellungen, auch ganz unser Mann ist: Er lässt es nach der Machtübernahme einfach an Bereitschaft fehlen, mit den alten Verhältnissen zu brechen. Er taktiert, geht berechnend mit Geldgebern, mit den Vertretern der alten Linie und den Machtfaktoren um, die er für seinen Aufstieg gebraucht hat. Erst hört man ganz viel Rhetorik, wie er die Banditen aus der Regierung rausschmeißt, dann umgibt er sich selbst mit dubiosen Figuren. Sein eigener Sohn hat sich zum Investieren ermutigen lassen, vermarktet die Revolutionssymbole und die verschiedenen Elemente des Bündnisses, das ihn in sein Amt getragen hat, mussten mit Ämtern belohnt werden. Schon dass er seinen Geldgebern mit dem Unternehmer Poroschenko an der Spitze erlaubt hat, zentrale Regierungsfunktionen zu übernehmen, hat erstaunt. Jetzt hat er wohl endgültig den Kontakt zur Basis verloren, wenn er die Heldin der orangen Revolution, seine treue und vor Eifer glühende Weggefährtin einfach fallen lässt. So beschmutzt er doch die Ideale der sauberen Herrschaft, mit denen unser Dream-Team den Sieg eingefahren hat.

Und schließlich beide zusammen: Wenn sie sich immer nur streiten, kriegen sie doch keine Einigkeit her! Für einen Reformkurs haben wir sie unterstützt; wenn sie sich wegen dessen Wirkungen zerstreiten, dann kommt doch kein Reformkurs mehr heraus, sondern nur eine Führung, die weder ihre Ziele klar definieren konnte noch imstande war, einmal gefasste Entschlüsse auch durchzusetzen, und das Land ergeht sich in innenpolitischen Kabalen, die den Reformkurs zu bremsen drohen. Dies aber kann sich das Land nicht leisten, wenn es die Perspektive für ein Entrée will, ganz gleich, ob für die NATO oder die EU.

Enttäuschung bei den Freunden und Förderern der orangen Revolution im Westen auf der ganzen Linie:

  • Ihr Dream-Team sollte den ganzen Laden umkrempeln, das aber doch – bitte –, ohne „die Wirtschaft“ zu stören!
  • Sie sollen ihr Staatswesen aus den russischen Fängen lösen, v.a. aus den erpresserischen Wirtschaftsbeziehungen, aber das doch gefälligst ohne eine Energiekrise zu riskieren! Stattdessen schon wieder Schaukelpolitik: Aus Furcht vor Versorgungsengpässen – Kiew sucht Nähe zu Russland.
  • Natürlich sollen sie sich an der Macht halten und auch dafür sorgen, dass sie die kommenden Wahlen gewinnen. Wie man das macht, wie man sich Loyalitäten sichert, die eigenen Anhänger zufrieden stellt, mit ein wenig Umverteilung der nationalen Geldquellen, das interessiert uns nicht im geringsten; aber darüber in Streit zu geraten, die Machenschaften publik zu machen und sich wechselseitig zu demontieren, ist unverzeihlich. Da müssen wir doch sehr darauf bestehen, dass unsere Protegés keine Zweifel an ihrer Rechtsstaatlichkeit aufkommen lassen und das Aushängeschild einer echt sauberen Herrschaft glaubwürdig erhalten!
  • Und wenn wir schon einen Machtkampf in der Ukraine in Auftrag gegeben haben, können wir doch auch erwarten, dass er endlich mal erledigt ist. Wenn unsere ukrainischen Freunde aber meinen, ihre Macht immer noch sichern zu müssen – verschiedene Rücksichten kennen, Absprachen einhalten wollen, die zur Verhinderung des Bürgerkriegs bzw. der angedrohten Separation des Ostens getroffen worden sind; und sogar neue Absprachen treffen, um sich die Mehrheit im Parlament zu sichern –, dann ist eine Verwarnung wegen des Verdachts auf Kollaboration mit der falschen Seite am Platz! Bush ruft an und fordert Juschtschenko auf, mit den Exzessen der Vergangenheit aufzuräumen. Keine falschen Kompromisse im Inneren! Keine Schaukelpolitik nach außen!

Alles in allem also: Von „good governance“, so wie wir es verstehen und in Auftrag gegeben haben, kann keine Rede sein.

*

Dieser Vorwurf ist ungerecht: Am guten Willen, auftragsgemäß zu regieren, hat es nämlich nicht gefehlt. Die Regierungsallianz ist an ihrem Auftrag gescheitert. Das Staatswesen, wie es verfasst ist, verträgt den ihm verordneten Kurswechsel schlecht – das entfacht den Streit unter den neuen Machern.

Juschtschenko hat seinen politischen Feinden ihre Entmachtung und Kriminalisierung angesagt und die „Zerstörung der alten Seilschaften“ forsch in Angriff genommen. Auf dem ökonomischen Feld wurde unter dem Titel der „Reprivatisierung“ der Kampf um die paar Trümmer Reichtum, die in der Ukraine von Belang sind, neu aufgelegt: Betriebe, die unter Kutschma privatisiert worden und zu einem großen Teil an russische Investoren gegangen waren, wurden ihren Besitzern wieder abgenommen und in einem diesmal streng rechtsstaatlichen und korruptionsfreien Verfahren neu und an die Richtigen vergeben. Auch außenpolitisch stellt die Ukraine seit der Wende ihre Westfreundschaft durch Konfrontationen mit Russland auf neuer Stufenleiter unter Beweis; sie erlaubt sich (mit Westunterstützung im Rücken) Vorstöße, den Russen den Erhalt der Schwarzmeerflotte mit Repressalien gegen ihr Militärpersonal so teuer wie möglich und auf Sicht ganz unmöglich zu machen; territoriale Streitigkeiten im Schwarzen Meer vom Zaun zu brechen, also auszutesten, wie viel neues nationales Recht man sich gegen den mächtigen Putin herausnehmen kann – und bekommt das passende Echo: Russland demonstriert, dass der kleinere Nachbar sich seine neue Staatsräson nicht leisten kann.

Die Ukraine ist nach wie vor Transitland und sonst nicht viel, sie lebt von den Durchleitungsgebühren des russisch-europäischen Gasgeschäfts. So schlecht, dass der Klau von russischem Gas, um kleine Extrageschäfte zu machen, einen wichtigen Posten in der nationalen Bilanz ausmacht. Dies hat Russland bisher hingenommen wegen der Berechnung, die Ukraine als die für sie wichtigste GUS-Nation auf konstruktive Zusammenarbeit verpflichten zu können; aus demselben Grund galten für die Ukraine auch Energiepreise weit unterhalb des Weltmarktniveaus. Jetzt wird diese Praxis beendet. Russland insistiert auf Beendigung des Gasdiebstahls, führt die Ukraine als unzuverlässigen und unseriösen Handelspartner vor, u.a. auf dem G-8-Gipfel, und kündigt die Einführung von Weltmarktpreisen für Öl und Gas an, die für die Ukraine unfinanzierbar sind. Der Versuch der neuen Führung, sich in den mittelasiatischen Republiken Kasachstan und Turkmenistan Ersatz zu beschaffen, scheitert daran, dass die dortigen Regierungen keine Politik gegen Moskau betreiben bzw. auch gutes Geld sehen wollen; ihre weitere Bemühung, durch Ölimporte aus dem Iran aus dem Schneider zu kommen und vielleicht sogar ein bisschen einträglichen Handel anzuleiern, fängt sich eine Verwarnung aus Washington ein: Geschäfte mit den Mullahs gefährden die Freundschaft mit den USA. Damit die Lektion auch sitzt, stellt die russische Führung zur weiteren Aufklärung, wer von wem abhängt, zeitweise den für die Ukraine wichtigen Handel mit Strom ein, beendet Kooperationen mit ukrainischen Betrieben, bspw. Motorenproduzenten, die bisher deren Fortbestand gesichert haben, usw.

*

Diese Erpressungen hat sich der neue Präsident mehr einleuchten lassen als Frau Timoschenko. Er geht über zu einer Politik der Schadensbegrenzung durch Rücksichtnahme auf russische Interessen, entlässt seine intransigente Ministerpräsidentin, beschafft sich eine neue politische Mehrheit durch einen Deal mit seinen alten Feinden in der Ostukraine und installiert mit deren Unterstützung gegen das Votum der Timoschenko-Fraktion einen pragmatischeren Regierungschef, der als erstes nach Moskau fährt, dort den Reprivatisierungsprozess in der Ukraine für beendet und Russland zum wichtigsten Partner des Landes erklärt.

Jetzt heißt es für den Führer der Revolution in orange gut aufpassen, dass er nicht bloß für ein bisschen Heizung im Winter und für ein bisschen Stabilisierung der unhaltbaren Lage im Land durch eine große Koalition mit dem kommunistischen Betonkopf Janukowitsch das Schicksal seines Vorgängers Kutschma teilt und bei seinen Westfreunden den guten Ruf eines Demokraten verspielt.

[1] Alles Wissenswerte über die demokratische Wende der Ukraine findet sich in GegenStandpunkt 1-05, S.65.