Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Transfergesellschaft – der Streit um die Abwicklung der Schlecker-Frauen
Die Schleckerpleite wird von Politik und Öffentlichkeit unisono als gerechte Strafe des Marktes begrüßt und das ‚Schicksal der 11 000 Schlecker-Frauen‘, die ihre Jobs los sind, als unverdient beklagt. Die sind fortan allgemeines Sorgeobjekt.
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Transfergesellschaft – der Streit um die Abwicklung der Schlecker-Frauen
Die Schleckerpleite wird von Politik und Öffentlichkeit unisono als gerechte Strafe des Marktes begrüßt und das ‚Schicksal der 11 000 Schlecker-Frauen‘, die ihre Jobs los sind, als unverdient beklagt. Die sind fortan allgemeines Sorgeobjekt.
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Der Insolvenzverwalter waltet seines Amtes. Er klärt den
Umfang der ‚Masse‘, listet Forderungen, beseitigt
‚Verlustbringer‘, indem er zahlreiche unrentable Filialen
schließt und prüft pflichtgemäß, ob eine von der
Liquidierung abweichende Regelung insbesondere zum
Erhalt des Unternehmens
(§ 1
InsO) getroffen werden kann. Er braucht dafür
Investoren, die mit einem ‚zukunftsfähigen
Geschäftsmodell‘ Geld riskieren. Und für die sind die
Interessen und insbesondere die mit den Jahren erworbenen
arbeitsrechtlichen Errungenschaften der Beschäftigten
eine Art ‚Altlast‘, die ihrem Recht auf
Dispositionsfreiheit in Personalangelegenheiten
zuwiderläuft. Zwar schützt der Kündigungsschutz nicht
vor, sondern bei der Verabschiedung aus
dem Unternehmen, er sieht aber eine Reihe von Regeln vor,
bei betriebsbedingten Kündigungen insbesondere die der
‚Sozialauswahl‘, deren Verletzung selten zur
Wiedereinstellung, häufig aber zu Abfindungszahlungen
führt, die die Betroffenen im Klageweg geltend machen.
Das ist für Investoren ein Risiko, für das sie
Rückstellungen bilden müssen, was die Gewinnaussichten
und damit ihre Risikobereitschaft einschränkt. Der
Gesetzgeber hat im Sozialgesetzbuch und anderswo für
diesen Fall Vorsorge getroffen: Mit dem Eintritt der
Beschäftigten in eine Transfergesellschaft ist
ein wesentliches Hindernis für einen Erhalt des
Unternehmens
beseitigt: Die Neuausrichtung des
Unternehmens funktioniert nur, wenn eine
Transfergesellschaft entsteht
(Geiwitz, Insolvenzverwalter). Die
Beschäftigten schließen einen Aufhebungsvertrag mit dem
alten Unternehmen und zugleich einen neuen, auf ein Jahr
befristeten Vertrag mit der Transfergesellschaft,
verzichten damit auf ihre Rechte aus dem alten Vertrag
und das bietet potenziellen Investoren Schutz vor
Kündigungsschutzklagen. Und der Staat sorgt mit
finanziellen, arbeits- und rentenrechtlichen Anreizen
dafür, dass die freien Schadensabwägungen der Betroffenen
in die gewünschte Richtung gehen. Offenbar reichen in den
meisten Fällen ein paar zusätzliche Entgeltpunkte für die
Rente, der Status, nicht als arbeitslos zu gelten, erst
später Kunde der Arbeitsagentur zu werden und Hartz IV zu
vertagen, flankiert von Anmache der Gewerkschaft, deren
Bemühungen um das Zustandekommen der Transfergesellschaft
keiner zunichtemachen will, aus, um ein die
Geschäftemacher überzeugendes ‚Quorum‘, sprich: ein
überschaubares Restrisiko zu erreichen. Auch solventere
Unternehmen schätzen dieses Instrument des
‚sozialverträglichen Personalabbaus‘, stocken das
‚Transferkurzarbeitergeld‘ bei Bedarf auf und zahlen auch
mal Abfindungen, natürlich erst nach hartem Kampf der
Gewerkschaft.
Das ergibt eine schöne Symbiose zwischen Sozial-, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik: Die für den Dienst am Profit Überflüssigen werden ausgelagert, damit sie ihm nicht weiter im Wege stehen und einen hoffnungsfrohen Neubeginn ermöglichen, und zugleich wird mit einem Sonderprogramm in Sachen Qualifizierung und Vermittlung dafür gesorgt, dass sie sich unverzüglich wieder in seinen Dienst stellen und der regulären Arbeits- und Armutsverwaltung erst gar nicht zur Last fallen. So sollte es, jedenfalls nach dem Willen SPD- und grün‑ geführter Landesregierungen und der Gewerkschaft Verdi auch im Falle Schlecker sein.
*
Das Projekt kommt dann doch nicht zustande, weil der für
ihren Betrieb erforderliche Kredit der KfW staatliche
Bürgschaften voraussetzt, deren Erteilung sich die
FDP-geführten Wirtschaftsministerien in Bund und Ländern
widersetzen. Es geht um 70 Millionen Euro, ein
„läppischer Betrag“ (SZ, 30.3.12), der Anlass zur
Klarstellung gibt, was es mit der Sorge des Staats um
seine soziale Klientel auf sich hat. Die Kanzlerin lässt
erklären, es gäbe gute Gründe für die
Transfergesellschaft und sehr gute dagegen
(Seibert,
Regierungssprecher). Ein guter Grund besteht
darin, dass wir zwar ein paar Millionen Arbeitslose, aber
keine Massenarbeitslosigkeit haben. Die
Wirtschaft boomt und sucht Fachkräfte – kein Zustand, der
den Staat zu Sonderanstrengungen veranlassen müsste:
Eine Transfergesellschaft ist ein Mittel aus einer
anderen beschäftigungspolitischen Zeit. Sie gehört in die
Zeit der Massenarbeitslosigkeit
(ders., SZ 31.03). Eine Million mehr
Arbeitslose – und man hätte den Schlecker-Frauen eine
Transfergesellschaft spendiert! Außerdem handelt es sich
bei Schlecker nicht wirklich um eine
Massenentlassung, für die dieses Konstrukt
vorgesehen ist, um Beeinträchtigungen des
Wirtschaftslebens betroffener Standorte ‚abzufedern‘. Die
Schlecker-Frauen werden einfach nicht in der
erforderlichen Konzentration freigesetzt: Welchen Sinn
soll eine Transfergesellschaft machen, deren Mitarbeiter
über die ganze Republik verteilt sind?
(Kubicki, FDP, Welt-Online 30.03.). Und
drittens haben wir ein paar Jahre Hartz-Reformen hinter
uns: Heute leben wir in einer Zeit kundenorientierter
Arbeitsagenturen
(Seibert,
ebd.). Die beherrschen das Geschäft von Anreiz,
Nötigung und Zumutung ausweislich der vielen Millionen,
die sie auf dem Niedriglohnsektor untergebracht haben,
inzwischen ebenso gut wie die ‚Experten‘ der
Transfergesellschaften – mindestens. Dort findet nämlich
nach verbreiteter Ansicht ein Zwischenparken
(Welt, 30.03.) statt – als ob
die Belegschaft noch einmal Luft holen könnte, bevor es
in die Betreuung der Arbeitsagenturen geht.
Das ist falsche Rücksichtnahme, belastet ‚den
Steuerzahler‘ unzumutbar, weil der Einsatz von
Steuergeldern ihm irgendeinen Mehrwert bieten
müsste (Welt, 29.03.), der weit und breit nicht zu sehen
ist, und schadet am Ende den Betroffenen selber. Allein
die wochenlangen vergeblichen Bemühungen um das
Zustandebringen der Transfergesellschaft sollen die
Schlecker-Frauen an der unverzüglichen Wahrnehmung ihrer
Chancen auf Anschlussverwendung
(Rösler, Bundeswirtschaftsminister)
gehindert haben. Hilfe wollen sie in Wirklichkeit auch
gar nicht: Doch als hilfsbedürftig und unselbständig
dargestellt zu werden, hilft ihnen nicht. Inzwischen
ärgern sich die Frauen vielerorts bereits über das Image,
das ihnen im Laufe der Krise des Unternehmens
zugeschrieben wurde
, weiß die Welt (29.03) zu
berichten. Wer will schon als hilfsbedürftig dargestellt
werden, wenn er doch gar keine Hilfe braucht. Und wer
braucht schon Hilfe, wenn die Lage auf dem
Arbeitsmarkt so gut ist wie seit 20 Jahren nicht
.
… die erfahrenen Verkäuferinnen werden zumindest in
den Ballungsräumen kaum Probleme haben, innerhalb eines
Jahres einen neuen Arbeitsplatz zu finden
(Welt, 29.03). Das ist doch
mal eine echte Chance: Ein ganzes Jahr lang mit 60 bis 67
Prozent des alten Schleckerlohnes den Übergang in Hartz
IV verhindern!
*
Einer benennt die Sache dann einmal ganz ohne Heuchelei:
Den betroffenen Schlecker-Mitarbeitern mit
Steuergeldern eine Sicherheit vorzugaukeln, die nicht
existiere, sei falsch. Das Modell Schlecker habe nicht
funktioniert. ‚Also muss ein solches Unternehmen vom
Markt‘
(FDP-Mann Fricke, Welt
29.03). Und selbstredend braucht es keine
Transfergesellschaft für ein Unternehmen, das nicht auf
den Markt gehört. Das sehen die Protagonisten und
Fürsprecher der Transfergesellschaft im Prinzip genauso,
freilich mit einer kleinen Umdrehung: Die Damen gehören
„aufgefangen“, damit ein ‚zukunftsfähiges
Modell Schlecker‘ eine Chance hat: Es gehe jetzt
darum, die akut von Arbeitslosigkeit bedrohten
Schlecker-Beschäftigten aufzufangen, von denen viele über
50 Jahre alt und ohne Ausbildung seien. Die
Transfergesellschaft sei dafür unabdingbar und helfe
gleichzeitig, die Fortführung der verbleibenden Filialen
und die Suche nach einem Investor zu sichern
(Bsirske, Verdi Pressemitteilung,
14.03.). Denn ohne Investor geht nichts, wer
sollte sonst die verbliebenen Arbeitsplätze sichern? Von
wegen ‚Heuschrecken‘!
*
Diese Tour, ein bisschen Rücksichtnahme auf die Opfer des
Geschäftslebens beim sozialen Abstieg leiste gute Dienste
bei der Suche nach einem Investor
, ist dem
wirtschaftspolitischen Denken der FAZ komplett zuwider.
Sie sieht in den Umständen und Kosten, die nötig wären,
um mittels Transfergesellschaft den Kündigungsschutz als
Investitionshindernis auszuschalten, einen Hinweis auf
ein generelles Problem, nämlich die ‚Verzerrung des
Marktes durch sozialstaatlichen Eingriff‘,
wodurch dieser sein eigentlich soziales Wesen nicht
entfalten kann. Wenn der Kündigungsschutz so
hochgradig abschreckend
für Investoren ist, dann
ist es an der Zeit, dass deren Bedarf über das
rechte Maß des Sozialen entscheidet. Der Markt wird dann
nicht nur durch ‚sozialen Ausgleich korrigiert‘,
sondern er gibt auch gleich den Korrekturbedarf beim
Sozialen vor. So passt beides zusammen. „Der Fall
Schlecker hält auch eine Lehre bereit: Mit den Regeln für
den Kündigungsschutz steht es in diesem Land nach wie vor
nicht zum Besten. Das Thema wird gerne beschwiegen, keine
Partei rührt daran. Doch wenn es stimmt, dass allein die
Furcht vor Tausenden Kündigungsschutzklagen Investoren
nun davon abhält, nach den Resten von Schlecker zu
greifen und das Unternehmen zu sanieren, dann stimmt
etwas nicht mit dem Kündigungsschutz. Auch diese Aufgabe
wartet auf die FDP.“ (FAZ , 29.03) Diese Vorlage für
die politischen Sachwalter des ‚marktwirtschaftlichen
Sachverstands‘ kommt an. Die Partei kämpft für
mitfühlenden Liberalismus
und gegen das linke
Gesäusel
(Brüderle) und
ihren politischen Niedergang. Die Konkurrenz hält mit
Empathie für die Schlecker-Frauen
und dem Vorwurf
der Kaltherzigkeit
dagegen und dass hier nicht
an die Menschen und an das Schicksal der Beschäftigten
gedacht worden ist
(Schmid,
Wirtschaftsminister Baden-Würtemberg). Da hat der
Wähler was zu entscheiden. So stiftet das beklagte
‚Schicksal der Schlecker-Frauen‘ auch Nutzen für den
Wettbewerb der Parteien.