Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Tarifverträge für Leiharbeit: „Ein Meilenstein in der Geschichte der Tarifpolitik“ (IG Metall)
Mit dem Anheuern von Leiharbeitern sparen sich entleihende Betriebe Sozialabgaben und Kündigungsschutz und immer öfter auch direkt Teile des Stundenlohns – dass die Leiharbeiter am Ende Stundenlöhne ausgezahlt bekommen, die 30% und 40% unter den betriebsüblichen liegen, versteht sich sowieso von selbst; an ihrer Ausbeutung muss eben noch ein zweiter Kapitalist, der Zeitarbeits-Unternehmer verdienen. Das ist der Regierung jetzt jedoch viel zu wenig.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Tarifverträge für Leiharbeit: „Ein Meilenstein in der Geschichte der Tarifpolitik“ (IG Metall)
Die Regierung setzt ihr „Hartz-Konzept“ um. Anfang des
Jahres wird ein Gesetz über „Moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt“ verabschiedet. Dort heißt es:
Vereinbarungen, die für den Leiharbeitnehmer für die
Zeit der Überlassung an einen Entleiher schlechtere als
die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren
Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen
Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts
vorsehen
, sollen ab 1.1.2004 nicht mehr gelten. Es
sei denn: … ein Tarifvertrag (lässt) abweichende
Regelungen
zu (Artikel 6 zur Änderung des
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in § 9, Nr. 2).
Kommt bis 31.12.2003 kein Tarifvertrag für die
Leiharbeitsbranche zustande, kann (der
Leiharbeitnehmer) … die Gewährung der im Betrieb des
Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen
einschließlich des Arbeitsentgelts verlangen
(§ 10, Abs. 4).
Diese Vorschrift – auf gut deutsch: „equal pay“ und „equal treatment“ für Leiharbeiter – wird in der pluralistischen Öffentlichkeit der Republik und seitens der Arbeitgeber, was mittlerweile ja so ziemlich dasselbe ist, mit großem Geschrei quittiert: Das sei ein Sieg der Gewerkschaften mit ihrem altbackenen Dogma, für gleiche Arbeit müsse gleicher Lohn bezahlt werden – als sei mit Leiharbeit nicht schon hinreichend klargestellt, dass es sich gerade nicht um gleiche Arbeit wie die normal entlohnte handeln kann! Schon wieder sei Schröder „umgefallen“ und habe sich als „Kanzler der Gewerkschaften“ gezeigt! Das dürfe doch nicht wahr sein: Da verspricht die Regierung „der Wirtschaft“ Arbeitskraft nach Wunsch verfügbar zu machen, ohne all die Beschränkungen, die zu einem festen Arbeitsverhältnis ärgerlicherweise noch dazugehören, und dann soll die Leih-Arbeitskraft doch wieder so viel kosten wie eine aus der Stammbelegschaft, die sie ersetzen soll!
Diese Hetzer aus den Wirtschaftsredaktionen stellen sich blind gegen die Leistungen des neuen Gesetzes, das einiges im Sinne ihres Fanatismus der Arbeiter-Verbilligung leistet.
Die „Schmuddelecke“ der Ausbeutung wird zum Normalfall
Die Zielsetzung des Gesetzes ist klar und eindeutig. Es
geht darum, die Branche aus ihrer Schmuddelecke
herauszuholen
, so Wirtschaftsminister
Clement, und den endgültigen Durchbruch für
die Zeit- und Leiharbeit auch in Deutschland
zu
erreichen. Besagte „Schmuddelecke“ hatte die Regierung
1972 eingerichtet, als sie mit der
Verabschiedung des ‚Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes‘ die
Rechtsbasis dafür schuf, per Leiharbeit die in den
Entleihbetrieben üblichen tariflichen Regelungen zu
umgehen. Mit dem Anheuern von Leiharbeitern sparen sich
entleihende Betriebe Sozialabgaben und Kündigungsschutz
und immer öfter auch direkt Teile des Stundenlohns – dass
die Leiharbeiter am Ende Stundenlöhne ausgezahlt
bekommen, die 30% und 40% unter den betriebsüblichen
liegen, versteht sich sowieso von selbst; an ihrer
Ausbeutung muss eben noch ein zweiter Kapitalist, der
Zeitarbeits-Unternehmer verdienen. So bewährt sich
seither die Leiharbeit als eine einzige „Öffnungsklausel“
für den „überregulierten“ deutschen Arbeitsmarkt; mehrere
tausend Zeitarbeitsfirmen sorgen mit ihrem Geschäft für
die Senkung der betrieblichen Lohnkosten und
damit im Allgemeinen für die Senkung des
nationalen Lohnniveaus.
Das ist der Regierung jetzt jedoch viel zu wenig. Trotz
ihrer segensreichen Wirkungen ist Leiharbeit noch immer
eher die Ausnahme von der Regel. Das soll anders
werden. Mit der Einrichtung der im „Hartz-Konzept“
vorgesehenen Personalserviceagenturen (PSA) bei den
Arbeitsämtern, die bevorzugt von privaten
Zeitarbeitsfirmen betrieben werden sollen, wollen die
rot-grünen Reformer die Leiharbeit in großem Stil
voranbringen und sie zu einem anerkannten und
leistungsfähigen Bereich unserer Volkswirtschaft
(Clement) entwickeln. Der Billiglohnsektor Leiharbeit
soll also aus seiner peripheren Stellung herausgeholt und
zu einer vollgültigen normalen Anwendungsweise von
Arbeitskraft in Deutschland werden.
Deswegen sorgt der Gesetzgeber als erstes für die
Abschaffung so ziemlich aller bislang für notwendig
erachteten gesetzlichen Einschränkungen des Geschäfts mit
der Leiharbeit: Wir flexibilisieren für die gesamte
Zeitarbeitsbranche das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und
bauen bisherige Regulierungen (Synchronisationsverbot,
besonderes Befristungsverbot, Wiedereinstellungsverbot,
Abwerbeverbot, Beschränkung der Dauer der Überlassung)
ab.
(Clement) Für die Verleihfirmen wird dadurch die
Kalkulation entscheidend erleichtert, für die
Entleihfirmen der Einsatz von je nach Betriebsbedarf
anzuheuernden Arbeitskräften entsprechend attraktiver:
Der Zeitrahmen des Verleihs und das Abschließen mehrerer
Verträge mit einem Entleiher hintereinander kann
problemlos und je nach Bedarf gemanagt werden. Die immer
beliebtere ‚Mischkalkulation‘ mit ‚Rand-‘ und
‚Stammarbeitsplätzen‘ im Interesse eines insgesamt
niedrigeren Lohnniveaus wird dadurch angefacht; namhafte
deutsche Unternehmen tummeln sich mittlerweile in dem
Geschäftszweig und gründen selber ihre Leiharbeitsfirma,
um nicht zuletzt eigene Entlassene als
Leiharbeiter lockerer, bedarfsgerechter und billiger
anzuwenden.
Freilich: So normal, dass Deutschlands
Unternehmer ihre Belegschaften insgesamt in den Status
von bei einer hauseigenen Verleihfirma entliehenen
Zeitarbeitern versetzen oder gegen Leiharbeiter
austauschen, soll das auf eine neue Rechtsgrundlage
gestellte Leasing-Geschäft mit Tagelöhnern nach dem
Willen der reformfreudigen Sozialpolitiker auch wieder
nicht werden. Welche Normalität sie sich wünschen, das
machen sie mit ihrer Vorschrift klar, dass für
Leiharbeiter im Prinzip equal pay
und equal
treatment
zu gelten habe. Damit wird nämlich auf der
einen Seite der Charakter des Irregulären und der
Ausnahme, der der Leiharbeit immer noch angehangen hat,
definitiv getilgt; sie ist jetzt so normal wie
das Arbeitsverhältnis, an dessen Stelle sie tritt. Sie
soll andererseits nicht überhaupt zum
Normalarbeitsverhältnis werden, das die bisherige Art der
Beschäftigung mit „Stammbelegschaften“ und kollektiven
Arbeitsverträgen zwischen Firmen und Gewerkschaften
verschiedener Branchen ersetzt: Der
Gleichbehandlungsgrundsatz mit Equal Pay und Equal
Treatment ist geboten, um zu verhindern, dass durch die
nunmehr erleichterte Arbeitnehmerüberlassung nur noch auf
diese Weise Personal beschäftigt wird und es zum Abbau
von Stammbelegschaften kommt.
(Clement) – der Staat
kennt eben seine Pappenheimer von der Unternehmerfront.
Drittens soll diese Schranke aber auch wieder nicht dazu führen, dass der entscheidende und für die Sanierung des Kapitalstandorts Deutschland erwünschte Vorteil der Leiharbeit fürs Geschäft, nämlich – neben der Liquidierung des Kündigungsschutzes, und was sonst noch alles unter „Flexibilisierung der Arbeit“ läuft, – die Verbilligung der Belegschaften auf der Strecke bleibt. Doch dafür, da sind Clement & Co sich sicher, braucht man in der BRD kein Gesetz. Dafür hat man hierzulande seine Gewerkschaften.
Tarifverträge nach amtlicher Vorgabe sorgen für Preisvorteile beim „equal pay“
Den Tarifparteien erteilt die Regierung in ihrem Gesetz – mit aller durch die heilige Kuh der Tarifautonomie gebotenen Zurückhaltung – den Auftrag zur sachgerechten Ausgestaltung des „Gleichbehandlungsgrundsatzes“, den sie dort aufgeschrieben hat; und den in diesem Handwerk bewährten „Sozialpartnern“ gibt sie auch gleich zwei Richtlinien dafür an die Hand: „Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Vielmehr sieht unser Gesetz im Sinne von interessengerechten Lösungen zwei Ausnahmen vor: So kann zum einen für die Dauer von sechs Wochen beim Verleih von zuvor arbeitslosen Arbeitnehmern ein reduziertes Arbeitsentgelt gezahlt werden. Und zum anderen kann – soweit ein Tarifvertrag eine abweichende Regelung vorsieht – sogar dauerhaft (Hervorhebung Clement-Pressedienst) vom Gleichbehandlungsgrundsatz abgewichen werden. Dies ermöglicht (!) es den Tarifvertragsparteien, die Arbeitsbedingungen flexibel zu gestalten …“.
Die erste „Ausnahme“ greift den erst noch
abzuschließenden Tarifverträgen schon mal richtungweisend
vor: Für Zeitarbeiter, die vorher arbeitslos waren –
zufällig das Gros der in dieser Branche Beschäftigten –,
wird dem Arbeitgeber für die Dauer von sechs Wochen der
gleiche Lohn für gleiche Arbeit
schon mal nicht
zugemutet. Das muss und soll aber auch sonst nicht sein:
Die Regierung winkt nicht bloß mit dicken Zaunpfählen,
sondern fordert die Tarifpartner geradezu dazu auf, die
Leiharbeit aus den sonst für das Unternehmen geltenden
Tarifverträgen herauszunehmen und
tarifvertraglich zum Billiglohnsektor
auszugestalten. Es ist, als wollte die Regierung einer
schon etwas älteren Klage der Gewerkschaften mit
umgekehrten Vorzeichen Rechnung tragen: Die haben immer
verlangt, dass ihre Tarifautonomie nicht durch staatliche
„Lohnleitlinien“ untergraben werden dürfe; nun erlaubt
sich die Regierung, ihre gesetzliche Leitlinie für die
Etablierung eines Sektors der Tagelöhnerei zu
Billigstpreisen den Gewerkschaften zum völlig
tarifautonomen Ausgestaltung zu überlassen und per
Tarifvertrag eine Lohnsenkung gegenüber den
sonst branchen- bzw. unternehmensüblichen
Bezahlungsbedingungen als Regel festzuschreiben.
Mittlerweile gibt es solche Verträge, deren Tarife die
Bezahlung an die Hälfte dessen, was ein
branchentariflicher Normallohn vorsieht, heranführen. Die
Profigewerkschaft für „Moderne Dienstleistungen“, ver.di,
hatte schon vor Bekanntgabe des Gesetzes mit dem
Marktführer Randstad abgeschlossen. Und der DGB hat es,
mit allen großen Einzelgewerkschaften an Bord, mit dem
größten Zeitarbeitsverband BZA auch schon zu einem
„Eckpunktepapier“ gebracht. Der Verband prüft zwar
gleichzeitig eine Verfassungsklage gegen das „Equal
Pay“-Prinzip des Gesetzes, lässt es aber nicht darauf
ankommen und sucht lieber eine „Verständigung“ mit der
Gewerkschaft, die ihrerseits auch nicht gelassen abwarten
will, dass am 31.12.2003 das „Damoklesschwert“ der
gleichen Bezahlung und Behandlung von Leiharbeitskräften
zuschlägt. Denn auch nach ihrer Auffassung würde das den
„besonderen Umständen dieser Branche“ nicht gerecht;
Jürgen Peters, designierter IG Metall-Vorsitzender, hält
Abmachungen über sachdienliche Abschläge vom Branchenlohn
schon vorweg für einen Meilenstein in der
Tarifgeschichte
. Die Gewerkschaft ist anscheinend
heilfroh über die Gelegenheit, hier aus ihrer
„Schmuddelecke“ des „Blockierers“ und
Beschäftigungs-Verhinderers herauszukommen, in die ihre
unternehmerischen Gegner, ihre regierenden
sozialdemokratischen Freunde und eine überparteiliche
Öffentlichkeit sie gestellt haben. Sie nutzt die Chance,
die Zeitarbeit, diese Quelle eines neuen
Beschäftigungswunders, tarifautonom sozial zu „gestalten“
und aus der „Schmuddelecke“ herauszuholen, in die sie die
organisierte Tagelöhnerei bislang gestellt hat. Ohne
sie war die Leiharbeit bis gestern ein schäbiges
„Instrument des Lohndumpings“; mit ihr ist sie
ein „eigenständiges Tarifgebiet“, das zu entsprechend
„eigenständigen Lösungen“ herausfordert. Dementsprechend
sind im „Eckpunktepapier“ unter Verweis auf die
„besondere Lage“ in der Branche Leiharbeit
Mindeststundensätze vereinbart, die den Grad der
Unterschreitung der je nach Branche
unterschiedlich hohen Mindesttarife festlegen
und nebenbei die zum guten tarifpolitischen Ton
gehörenden obligatorischen Abschläge für Beschäftigte in
den östlichen Bundesländern fixieren. Das Ganze pendelt
sich dann ungefähr zwischen 5,11 und 6,85 Euro für die
Leiharbeitsstunde ein.
Die Umsetzung der „Eckpunkte“ in geltende Tarifverträge ist auch schon in Gang gekommen. Leiharbeitsfirmen gründen eigene Arbeitgeberverbände, um mit den Gewerkschaften zu passenden Vereinbarungen zu kommen und so der gesetzlichen Auflage Genüge zu tun, dass „Equal Pay“ nur dort eingefordert werden kann, wo es nicht zu einem Tarifvertrag mit einer Gewerkschaft gekommen ist. Dabei lassen sich die „Eckpunkte“ des DGB durchaus noch unterbieten: Ein Verband nordbayerischer Zeitarbeitsunternehmen (INZ) hat sich mit dem Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB) darauf geeinigt, den Abschlägen, die in der Vereinbarung zwischen DGB und BZA vorgesehen sind, noch ein paar weitere hinzuzufügen.
So kann der für den gesetzlichen Auftrag zuständige
Minister, sicher auch im Sinne seines Chefs, des
„Kanzlers der Gewerkschaften“, zufrieden feststellen:
Es dürfte sich damit zeigen, dass der von uns
beschrittene Weg richtig war, den Tarifparteien die
Entscheidung über die Beschäftigungsbedingungen im
Zeitarbeitssektor zu überlassen.
(Clement-Pressedienst vom 21.2.03)
Noch nie waren Gewerkschaften so wertvoll wie heute, sozusagen.