Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Buddha in die Luft gesprengt:
Im Hindukusch hausen die Banausen
Die in Afghanistan herrschenden Taliban zerstören Figuren einer Religion, die nicht die Ihre ist, und.bestätigen mit dieser Schändung eines „Weltkulturerbes“ die Auffassung des Westens, dass ihre Herrschaft Barbarei und also ein unhaltbarer Verstoß gegen das Menschenrecht auf zivilisierte Regierung ist. „Eine Lösung à la Kosovo“ wäre die passende Antwort.
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Buddha in die Luft
gesprengt:
Im Hindukusch hausen die
Banausen
Im Emirat Afghanistan regieren „Koranschüler“, die dem
Westen keine Freude bereiten. Sie haben einen
radikal-islamischen Gottesstaat ausgerufen, unterdrücken
ihre Bevölkerung, drangsalieren die Frauen und stehen in
dem hartnäckigen Verdacht, Lieferanten von Rauschgift zu
sein. Der religiöse Fanatismus, mit dem sie den Anbau von
Opium unterbunden haben, wird ihnen überhaupt nicht
honoriert, denn vor allen anderen Schandtaten beherbergen
die Taliban den international gesuchten Terroristen Osama
Bin-Laden und weigern sich standhaft, ihn an die USA
auszuliefern. Die Nachfolger der gläubigen Gotteskrieger,
die die Sowjetarmeen vertrieben haben
, lassen sich
von denen, die das Sagen haben auf der Welt, einfach in
nichts dreinreden, und ihre einst vom CIA finanzierte
Aufrüstung stellt sich mittlerweile als ziemliche
Fehlinvestition heraus. Nicht einmal die
Überzeugungskraft von 70 Cruise Missiles, mit denen man
sie 1998 bombardiert hat, brachte sie von ihrem
verstockten religiösen Fanatismus ab. UN-Sanktionen und
weltweite Ächtung stecken sie einfach weg, und jetzt
haben die Taliban einen weiteren Schritt unternommen,
sich und ihr Land in der Staatengemeinschaft zu
isolieren
.
Im zentral-afghanischen Bamiyan stehen Statuen von
beeindruckender Höhe – im 3. bzw. 5. Jahrhundert zum
Ruhme Buddhas und der ihm huldigenden Landesfürsten in
den Fels gehauen: Ein Zeugnis kultureller Blüte und
überregionaler Beziehungen in einer Weltgegend, die heute
nur noch durch Armut und Rückständigkeit Schlagzeilen
macht.
(NZZ, 3.3.)
Immerhin als Kulturnation könnte man in
dieser feinen Weltgegend also schon noch renommieren. Die
Kulturgüter vergangener Tage mit der Rolle des
Erben
in Beschlag nehmen, den überkommenen Bestand
als Tradition, als Beitrag zum heutigen großen Ganzen
pflegen, damit – aller Armut und Rückständigkeit
zum Trotz – die einstige erbauliche Großtat als Beweis
für die Kontinuität nationaler Größe überhaupt ins Feld
führen: Auf so etwas, möchte man meinen, versteht sich ja
wohl noch jedes staatliche Gemeinwesen. Nicht aber dieses
der Taliban. Die nehmen die Sache ganz falsch und bitter
ernst: Die steinernen Gottheiten sind nicht die Ihren,
Götzenbilder dem Islam überhaupt ein Graus – also müssen
sie weg. Irgendwie will dem primitiven
Religionsverständnis ungebildeter Dorfgeistlicher
(SZ, 3.3.) die Kunst
aufgeklärter Kulturgeister nicht gelingen, noch dem
letzten Schrott verflossenen Kulturschaffens – egal ob
das, was er verherrlicht, heute noch gilt oder nicht –
Kongenialität auf dem Gebiet des Guten, Wahren und
Schönen abzulauschen, so dass der höhere Blödsinn von
damals auch das Hier und Heute adelt. Die
Steinzeit-Muslime
nehmen die Bildnisse vielmehr
genauso ernst, wie diese von ihren Erbauern auch gemeint
waren. Denn ein wenig mehr als das Bedürfnis,
künstlerische Blüte
und Verschmelzung der
Kulturen
unter Beweis zu stellen, ist da schon
unterwegs, wenn buddhistische Herrscher einem Heer von
Steinmetzen den Auftrag erteilen, dem Wüstengestein mit
Hammer und Meißel 55 Meter hohe Statuen abzutrotzen. Die
Kunde von der Pracht und Herrlichkeit Buddhas vernehmen
1500 Jahre später durchaus kongeniale Kunstbetrachter –
nur stoßen sie sich an ihr, weil sie eben Fanatiker einer
anderen Religion sind. Deswegen haben sie für die
religiöse Botschaft nicht nur nichts übrig, sondern
identifizieren sie als Huldigung eines falschen Götzen
und bekämpfen sie, wie es sich für ordentliche Gläubige
gehört: Sie lassen bei der Wahl ihres Höchsten keinerlei
interpretatorische Beliebigkeit zu, machen Ernst mit
Leitkultur und sprengen die falschen Vorbilder aus dem
Fels.
Das christlich-zivilisierte Abendland reagiert mit
Entsetzen und Abscheu
vor den
Bilderstürmern. Nicht, dass dem
Kulturkenner der Bildersturm so gänzlich fremd wäre: Als
gebildeter Mensch weiß man schließlich, dass auch
wir
zu gegebener Zeit tutti Talibani
waren,
werden oder sind. Dass es Momente im Dasein eines
Kulturvolkes gibt, in denen die relativierende Stellung
zu den erbaulichen Taten der Ahnen oder der Anderen nicht
mehr am Platze ist, kennt man nicht nur von den alten
Christen: Man kann im Herabstürzen der Lenin-Statuen
während des Zusammenbruchs der Sowjetunion den Wunsch
nach Vergeltung, nach Auslöschung der Vergangenheit
entdecken.
(SZ, 5.3.) So
geht das eben: Kaum ernst genommen, schon abgerissen –
ein zumindest emotional nachvollziehbarer
Racheakt
. Manchmal wird die Botschaft eines
Kunstwerkes auch ganz emotionslos von einem Staat
gewürdigt, der – wie nach der Wiedervereinigung – die
Symbole des kassierten Vorgängerstaates nicht mehr für
den passenden Stoff zur Erbauung an der eigenen Nation
hält und deswegen abräumen lässt. Welcher Bildersturm da
nachvollziehbar
erscheint und welcher empörtes
Kopfschütteln verlangt, ist also eine Frage der
Parteilichkeit, die wiederum mit Kultur rein gar nichts
zu tun hat, weswegen dem Schöngeist von der Süddeutschen
Zeitung das Plündern serbisch-orthodoxer Kirchen durch
unterdrückte Albaner nicht halb so unverzeihlich vorkommt
wie die Vernichtung einer Kultur
, die niemals
den Afghanen etwas Schreckliches zugefügt hat.
Dieser Bildersturm übertrifft
– das
behaupten wir jetzt einfach einmal – alles, was zur
Reformationszeit in Mitteleuropa passierte und Eiferer
ohne historisches Bewusstsein im vorigen Jahrhundert
anrichteten
(FR, 2.3.),
er ist schlichte Zerstörungswut
.
Koranschüler
nennen diese Afghanen sich nur, in
Wahrheit sind sie gar keine: Im Koran können sie nicht
viel gelesen haben, denn darin steht nichts davon, dass
man die Kunstwerke anderer Religionen einfach zerstören
darf.
(FAZ, 6.3.) Die
einzig senkrechten Islamisten sitzen nämlich in den
Redaktionsstuben der deutschen Zeitungen. Die verfügen
über die detailliertesten Kenntnisse in der allein selig
machenden Koran-Exegese, und können sich dabei auch noch
auf den Schiedsspruch der obersten religiösen
Rechtsinstanz, des Muftis Scheich Nasir Farid Wasil,
berufen: Nein, Allah untersagt nicht
die Erhaltung antiker Statuen, weswegen sich die Taliban
keinesfalls auf irgendwie religiös motivierte Beweggründe
berufen können.
Keine Chance haben die ungelehrigen Koranschüler auch
damit, sich einfach blöd zu stellen, die internationale
Entrüstung nicht begreifen zu wollen und den Standpunkt
zu vertreten, was sie zerstörten, seien doch nur
Steine
. Manche „Steine“ haben nämlich eine merkwürdig
internationale Eigenschaft – solche, die laut UNESCO zum
Welterbe zählen, zerstört man nicht
folgenlos, weil dies einem unersetzlichen Verlust für
die gesamte Menschheit
gleichkommt. Auf der Liste
dieses Kultur- und Naturerbes der Welt
finden sich
in schönster Eintracht und aufgeklärter Ignoranz ihrem
jeweiligen Inhalt gegenüber Pyramiden und
Freiheitsstatue, das Schloss zu Versailles und die
Elendssiedlungen von Matera, die Völklinger Hütte und das
Great Barrier Riff. Mit all diesen erbaulichen Produkten
einstigen Kunstschaffens und der Prachtentfaltung
vergangener Herrschaften, aber auch nur mit den
Zufälligkeiten ihrer Landschaften bebildern schon die
nationalen Kollektive den höheren Sinn und die tiefere
Bedeutung ihrer Identität. Hier, im Konstrukt des
Kultur- und Naturerbes der Menschheit
, ist die
höhere Sinngebung noch eine Etage höher angesiedelt:
Ästhetische Genussmittel, die diese Herrlichkeiten
künstlerischer oder natürlicher Schöpfung nun einmal mehr
oder weniger sind, adeln sie mit ihrem Glanz nicht nur
die jeweiligen lokalen nationalen Zwangskollektive,
sondern zusammen mit denen auch den ganzen Rest der
kultivierten Völkergemeinschaft. Wo immer es auch steht,
das Erbe von außergewöhnlich universellem Wert
,
ist es immer auch von der universellen Menschengemeinde
ein Stück weit mit vereinnahmt, so dass sich Staaten, die
dergleichen auf ihrem Gebiet beherbergen, selbst durchaus
als Produkt wie legitimer Verwalter der herrlichsten
Werke des Menschengeschlechts präsentieren dürfen. Sie
müssen sich aber auch damit abfinden, dass diese
identitätsstiftenden Symbole ihrer exklusiven nationalen
Hochwertigkeit – ideell zumindest – zugleich auch
international mit Beschlag belegt sind, die
Verantwortung
für die ausgewiesenen Sorgeobjekte
der Völkergemeinschaft nicht mehr allein in ihrer
Hand
liegt, sondern unter die Obhut der gesamten
Menschheit
(UNESCO.de)
fällt. Und dieser Zuständigkeitsanspruch hat eine
eindeutige Heimat: Er verweist auf die Mächte, die sich
auch jenseits der höheren Kultur gut darauf verstehen,
dem Rest der Welt verbindliche Rechtstitel aufzumachen
und diese auch durchzusetzen. So beklagenswert
ohnmächtig
sich die UNESCO-Hüter des
Welterbes
bisweilen auch vorkommen mögen –
wirtschaftliche Interessen bedrohen Naturparks,
touristische Überreisung
gefährdet den
Ensemble-Schutz und sogar Kriege gehen bisweilen nicht
eben pfleglich mit Kulturdenkmälern um –: Einen Titel
imperialistischer Rechtsaufsicht verwalten sie allemal.
Mit ihrem „Krieg gegen Steine“ haben die
Taliban sich also wieder einmal als internationale
Rechtsbrecher geoutet. Ihr Konter gegen die aufgeregte
Völkergemeinschaft, sich mehr um das Schicksal unbelebter
Statuen als um das Leiden einer von Krieg und Hunger
bedrohten afghanischen Bevölkerung zu kümmern, beschert
ihnen da auch keinen Punktgewinn: Diesen Einwand
haben deutsche Kommentatoren nämlich bereits
prophylaktisch in ihre Verdammungsschriften aufgenommen,
um ihm eindeutig abschlägig Bescheid zu erteilen. Das
Bedenken, dass wir
jahrelang dem Treiben in
Afghanistan wortlos zugesehen hätten und erst jetzt, im
Angesicht des Verbrechens gegen die Kultur
, aktiv
würden, wird hin und her gewendet, um es seiner einzig
richtigen Verwendung zuzuführen. Mag sie ansonsten auch
noch so armselig beieinander sein: Auf die Angeberei,
sich nach allen Regeln einer Kulturnation mit einem
kulturellen Erbe zu schmücken, versteht sich ja nun
wirklich jede anständige Herrschaft – also weiß man
umgekehrt auch sofort, mit was für einer Herrschaft man
es zu tun hat, die in Sachen Kultur jeden Respekt
vermissen lässt: Überdies lassen sich ein Bildersturm
der erlebten Art und Menschenrechtsverletzungen nicht
entkoppeln. Die Geschichte lehrt, dass dort, wo man sich
an Kunstwerken, Büchern und anderen Geistesprodukten
verging, auch die Menschenrechte mit Füßen getreten
wurden. Zuerst brennen Bücher, werden Kunstwerke
zerstört, anschließend dann die Menschen. Bisweilen wird
die Reihenfolge vertauscht.
(FR,
17.3.) Folter und Bildersturm sind so ziemlich das
Gleiche, Kulturvernichtung
ist eine
Menschenrechtsverletzung, die erteilte Abfuhr an einen
UNESCO Sonderbotschafter ein Stück praktizierter
Terrorismus und alles zusammen Beleg dafür, dass sich
in einer Schlüsselregion Asiens ein Regime gefährlicher
Autisten eingenistet hat.
(SZ,
15.3.) Deswegen sind wir auch vollkommen im Recht,
wenn uns die drangsalierten Afghanen vergleichsweise
ziemlich egal sind – was sind schon wirkliche Kriegsopfer
und Hungerleider gegen das, was wir als ihren
kulturvoll-symbolischen Inbegriff schätzen und verehren!
So machen sich in der Brust des kultivierten Menschen
ziemlich hässliche Rachegedanken breit: Mit der
Zerstörung der Buddhas von Bamiyan haben die Taliban ein
Tabu gebrochen. Sie haben der Welt ins Gesicht gespuckt
und erklärt, dass sie nichts von einem Grundkonsens
wissen wollen, der über die Kulturgrenzen hinweg Geltung
verlangt
(ebd.) – und mit
Bedauern wird vermerkt, dass an eine Lösung à la
Kosovo noch nicht zu denken
ist. Aber was nicht ist,
kann ja noch werden – die Gründe für den nächsten rundum
gerechten Krieg haben deutsche Feuilletonisten jedenfalls
schon in der Schublade.