Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Skandal um den Irak-Waffeninspekteur Scott Ritter:
Von der Wahrnehmung eines UN-Mandats zum Amtsmissbrauch
Ein US-Agent nutzt sein UN-Mandat zu Irak-feindlichen Aktivitäten, die Amerika zu weit gehen. Als Fanatiker des Zuschlagens übersieht er, dass die USA in Sachen Irak noch weitergehende Nutzenabwägungen anstellen; vor allem hinsichtlich der politischen „Neuordnung“ des Nahen Ostens und der Ein- und Unterordnung der restlichen Welt.
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Skandal um den Irak-Waffeninspekteur Scott Ritter:
Von der Wahrnehmung eines UN-Mandats zum Amtsmißbrauch
Scott Ritter, von den USA entsandter Waffenfahnder und -kontrolleur in der UN-Kommission zur Abrüstung des Irak (Unscom), tritt von seinem Amt zurück
- unter heftigen Vorwürfen an die Adresse der USA: Außenministerium und Geheimdienste hätten ihn bei seiner Fahndung nach im Sinne Amerikas diplomatisch verwertbaren Verdachtsmomenten gegen Saddam Hussein hängenlassen und am Ende sogar behindert, so daß er kaum noch substanzielle Vorwürfe hätte bieten können, wäre ihm nicht der israelische Geheimdienst beigesprungen; und von diesen Vorwürfen hätte man in Washington nichts wissen wollen, ihm im Gegenteil Zurückhaltung empfohlen. Das war zuviel für den guten Mann. Als gläubiger Anhänger der klassischen US-Doktrin, wonach im Irak die neue Weltordnung gegen einen unverbesserlich böswilligen Schurken verteidigt werden muß, kommt er mit den neuen Direktiven aus Washington nicht zurecht und quittiert unter Protest seinen Dienst.
- Im Gegenzug ermittelt die US-Bundespolizei FBI wegen Geheimnisverrat: Scott Ritter habe wichtige Informationen über irakische Rüstungsprogramme, gelegentlich sogar Kopien von Filmen des US-Aufklärungsflugzeuges U-2 unbefugt an Israel weitergeleitet.
- Der Beschuldigte bekennt sich daraufhin seinerseits offensiv in einem Interview mit der israelischen Zeitung „Haaretz“ zu einer vierjährigen erfolgreichen Zusammenarbeit der Unscom mit Israel: Mit israelischer Hilfe sei es gelungen, den Code zu knacken, den Saddam benutzt hat, um Anweisungen zum Verstecken von Waffen zu geben; Jerusalem habe außerdem wichtige Hinweise auf ein irakisches Programm für biologische Kampfstoffe geliefert. Neben Israel seien insgesamt 40 Staaten der Unscom mit Informationen über den Irak behilflich gewesen; die Israelis hätten aber die wichtigsten Informationen geliefert. Dafür habe er sich mit der Überlassung interessanter Erkenntnisse an den israelischen Geheimdienst revanchiert und damit voll im Rahmen der Uno-Resolution gehalten, die alle Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit mit der Unscom auffordert. Seine zahlreichen Reisen nach Israel seien im übrigen stets vom Chef der Unscom, Butler, genehmigt und den zuständigen amerikanischen Stellen regelmäßig mitgeteilt worden.
Ein schöner Streit mit verkehrter Rollenverteilung: Ein US-Agent nutzt sein UN-Mandat zu Irak-feindlichen Aktivitäten, die Amerika zu weit gehen!
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Die Affäre macht offenkundig und amtlich, was jeder, der es wollte, schon immer hat wissen können: Die Waffeninspektionen im Irak haben allenfalls der offiziellen Begründung nach das Ziel, durch überparteiliche Ermittlungen und Kontrollen dafür zu sorgen, daß Saddam Hussein nach verlorenem Krieg seine Bestände an Massenvernichtungswaffen abbaut. Tatsächlich sind sie zum einen ein groß angelegtes Spionageunternehmen, von dem die Bagdad feindlich gesonnenen Staaten, insbesondere Israel, profitieren. Zum andern und darüber hinaus dienen sie der Institutionalisierung eines Mißtrauens gegen die irakische Führung, das gar nicht ausgeräumt werden soll. Saddam Hussein gilt vielmehr unwiderruflich als unverbesserlich böswilliger Feind, dem durch totale Beaufsichtigung die Fähigkeit genommen werden muß, sich jemals wieder Zugriff auf irgendwie bedrohliche Machtmittel zu verschaffen. Deswegen wird dieses Kontrollwesen auch nicht beendet, im Gegenteil jeder Antrag auf Beendigung der Aufsicht von den USA konsequent zurückgewiesen, obwohl der Irak nach dem Urteil aller Beobachter längst keine nennenswerten Bestände an Sprengköpfen mehr besitzt und seine Trägerraketen vernichtet hat. Unscom unterwirft das Land dem nie befriedigend zu widerlegenden Verdacht, es gäbe da doch noch unerlaubte Machenschaften – verschwiegene Experimente in der Vergangenheit, verborgene Labors, versteckte Waffen, Dokumente über Beziehungen zu auswärtigen Waffenproduzenten… Solange Unscom aktiv bleibt, bleibt dieser Verdacht in Kraft. Daß solange auch das Embargo gegen Irak weitergilt und das Land samt Bevölkerung darüber langsam, aber sicher vor die Hunde geht, ist ganz im Sinne der Veranstalter: ein Beitrag zur umfassenden Entmachtung derer, die Land und Leute regieren.
Ziemlich genau das hat Saddam Hussein stets behauptet, der Uno zum Vorwurf gemacht und sich mit der Behinderung der Kontrolleure von Zeit zu Zeit dagegen gewehrt. In der Weltöffentlichkeit hat er mit solchen „üblen Verdächtigungen“ allerdings nie Punkte sammeln können – und in der Uno schon gleich nicht: Die USA haben noch stets die Lesart durchgesetzt, daß irakische Gegenwehr bloß das Mißtrauen gegen die Regierung bestätigt, haben für eine Verlängerung der Sanktionen und neue Kontrollansprüche gesorgt, und bereits zweimal haben sie mit einem Militärschlag „geantwortet“: 1993 nach dem Amtsantritt des neuen Präsidenten mit der bodenlosen Begründung, man müsse Saddam Hussein für ein geplantes Attentat gegen Clintons Vorgänger, den Golfkriegshelden Bush, bestrafen; 1996 unter Berufung auf Verstöße des Irak gegen die Verpflichtung, sich lückenlos überwachen zu lassen. Selbstverständlich haben auch die jetzigen „Enthüllungen“ des US-Kontrolleurs Ritter die Unscom-Mission kein bißchen in Verruf gebracht, geschweige denn eine Milderung des Aufsichtsregimes und des Embargos nähergerückt: Der Mann hat ja bloß offen ausgesprochen, was von Anfang an Auftrag der Unscom war. Er hat nur offengelegt, daß die Funktionäre der Weltorganisation, zumindest die amerikanischen Waffeninspektoren, ihren Job immer ganz richtig als Auftrag verstanden haben, die Mitglieder des Sicherheitsrats mit immer neuen Verdachtsmomenten gegen den Irak zu versorgen, und daß ihnen für diesen guten Zweck nichts selbstverständlicher war als eine vertrauensvolle Kooperation mit allen Feinden des Irak und deren Geheimdiensten. Wenn hierfür die israelischen Kollegen die griffigsten Verdächtigungen beizusteuern hatten, dann haben sie sich durch solche Gefälligkeit umgekehrt ein Recht auf volle Information über ihren Gegner verdient. So ist es zugegangen in der Unscom, und Scott Ritter hat sich jahrelang durch vorbildlichen Eifer und große Effektivität in diesem Job bewährt. Sad-dam Hussein hat deswegen immer schon vordringlich die Abberufung dieses Mannes gefordert; die USA haben umgekehrt stets mit Nachdruck an ihm festgehalten.
Und das soll jetzt auf einmal nicht in Ordnung gewesen sein?!
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Tatsächlich hat Scott Ritter nichts verkehrt gemacht. Stets hat er brav das Material geliefert, das die USA zur Legitimation ihres unversöhnlichen Vorgehens gegen Saddam Hussein angefordert haben. Als erfahrener Scharfmacher hat er so auch den Beschluß seines politischen Auftraggebers vom Jahresanfang unterstützt, zum wiederholten Mal einen demonstrativen Militärschlag zu führen, um die Macht der irakischen Führung weiter zu schwächen und das Kontrollregime über ihre Machenschaften zu bekräftigen und zu intensivieren. Dann hat er allerdings offenbar vor lauter Eifer nicht ganz mitbekommen oder nicht billigen wollen, daß für die USA ein militantes Vorgehen, sogar wenn es Saddam Hussein gilt, ein politisches Mittel ist, dessen Zweckmäßigkeit im Lichte ziemlich zusammengesetzter Ziele zu beurteilen ist. Als reale Gefahr, die unbedingt und mit aller Gewalt einem wirklich totalen Aufsichtswesen zu unterwerfen wäre, sieht die Weltmacht den Irak definitiv nicht mehr. Und als Mittel, um eine regional ordnungsstiftende Allianz hinzukriegen bzw. zu erneuern, bietet sich ein kriegerisches Vorgehen am Golf derzeit auch nicht so recht an: Den Militäraufmarsch im Februar hat nur Großbritannien noch unterstützt. Gewiß ließe sich daraus auch der Schluß ziehen, dann erst recht durchzugreifen und die Bündnisfrage praktisch aufzuwerfen. Und von dem Beschluß, daß Saddam Hussein beseitigt werden muß, ist Amerika schon gleich nicht abgerückt. Die Clinton-Administration hat sich ihr weiteres Vorgehen aber anders zurechtgelegt: Sie billigt den Vermittlungserfolg des Uno-Generalsekretärs, der in Bagdad eine freiwillige Unterwerfung unter die neuesten Kontrollforderungen der Uno aushandelt. Sie nimmt ihren militärischen Aufmarsch zurück – nicht ohne eine tiefe diplomatische Verärgerung darüber auszudrücken, daß Amerika in seinem schweren Geschäft als selbstlos engagierte Weltordnungsmacht immerzu im unpassendsten Moment von gewissen Nestbeschmutzern im Weltsicherheitsrat
(so wörtlich Frau Albright) gebremst wird, noch dazu aus purer Gier nach lukrativen Ölgeschäften mit Irak
, und dadurch genötigt ist, unsere kostbaren Verteidigungsdollar darauf zu verwenden, unsere Streitkräfte zu entsenden und zurückzurufen
. Und gegen den Irak unternimmt die US-Regierung auf Uno-Ebene einstweilen gar nichts weiter, als das Regime unter dem institutionell etablierten Dauerverdacht auf verbotene Umtriebe und folglich das Land unter dem Druck des Embargos zu belassen: Die Ankündigung Saddams, mit der Unscom erst dann weiter zusammenzuarbeiten, wenn die Struktur der Kommission und Zusammensetzung der Inspektoren-Teams geändert, also – im Klartext – die Dominanz der USA aufgehoben wird und wenn der Sicherheitsrat die Souveränität des Irak über sein Territorium einschließlich der Flugverbotszonen im Süden und Norden des Landes wieder respektiert, nehmen die Vereinigten Staaten und Großbritannien zum Anlaß, im UN-Sicherheitsrat den Beschluß durchzusetzen, daß die UNSCOM keine regelmäßigen Überprüfungen im Irak mehr vornimmt; so ist dem Irak die Möglichkeit genommen nachzuweisen, daß er die UN-Auflagen einhält; die Sanktionen gelten automatisch weiter; ihre Aufhebung kommt erst gar nicht mehr auf die Tagesordnung. Nach Lage der Dinge langt das schon – bis auf weiteres jedenfalls –, um die irakische Macht weiter wirksam zu ruinieren.
Zu diesem aktuellen Standpunkt der USA im Umgang mit dem Irak paßt der alte Scharfmacher nicht, der noch immerzu unter Berufung auf seine Ermittlungsergebnisse auf Militärschläge gegen den Irak drängt, schon um Israel vor der ‚tödlichen Bedrohung‘ durch Saddam Hussein zu retten. Er wird ermahnt, seine Bedrohungsszenarios nicht dauernd an die große Glocke zu hängen; mit seinen Fahndungsersuchen wird er hängengelassen. Und am Ende fällt er in Ungnade, weil er sich nicht anpaßt, sondern ausgerechnet mit Bezug auf seine Autonomie, die ihm seine UN-Position auch seinem amerikanischen Auftraggeber gegenüber verschaffe, sowie erklärtermaßen zur Unterstützung und mit Unterstützung Israels auf eigene Faust eine Eskalation der Lage zu betreiben versucht und darauf besteht, die „internationale Gemeinschaft“ hätte doch beschlossen, US-Flugzeuge und -Raketen gegen die Restposten irakischer Macht loszuschicken. Das können sich die USA nicht bieten lassen: daß ihr eigener Funktionär ihnen im Namen der Weltorganisation und im Interesse des kleinen nahöstlichen Verbündeten ihr imperialistisches Vorgehen vorschreiben will.
Und weil der Mann nicht lockerläßt, seinen verworfenen Ratschlägen vielmehr öffentliche Beschwerden folgen läßt, sieht sich die amerikanische Staatsgewalt zu einem Vorgehen herausgefordert, das einer zweifachen Klarstellung gleichkommt. Erstens und vor allem: Sowenig wie im Falle einer von Washington gewünschten militärischen Eskalation lassen sich die USA in ihrem Beschluß zu einem gewissen militärischen Disengagement von der Uno und deren Funktionären etwas sagen; auch dann nicht, wenn es sich um einen eigenen Beauftragten handelt. Und zweitens: Bei aller politischen Bündnispartnerschaft mit Israel entscheiden die USA noch allemal allein und aus eigener Berechnung über Art und Umfang ihrer gewaltsamen Einmischung im Nahen Osten; und diese Berechnungen sehen allemal eine Funktionalisierung des Judenstaats für amerikanische Belange vor – und schließen alles aus, was auf eine Funktionalisierung der amerikanischen Politik durch Israel und für dessen Interessen und Berechnungen hinausliefe.
So geht es einem Mann an den Kragen, der aus lauter Fanatismus für die Weltordnungsanliegen der USA gemeint hat, vor ihrem treuesten orientalischen Verbündeten dürften die Amerikaner keine Geheimnisse haben, und wo es gegen den gemeinsamen Feind geht, müßte die Weltmacht aufgrund seiner Ermittlungsergebnisse von der Uno einen Schießbefehl entgegennehmen.
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Zur gleichen Zeit wird im US-Kongreß unter dem Titel Iraq Liberation Act
ein Gesetzentwurf eingebracht, durch den 100 Millionen Dollar zur Unterstützung irakischer Oppositionsgruppen bereitgestellt werden sollen, die aktiv die Entmachtung Saddam Husseins betreiben. Vielleicht gibt es da ja einen neuen Job für Scott Ritter…