Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Neue Katastrophenmeldung aus dem Oderbruch:
Blühende Landschaften!
Die von der Flut Geschädigten haben Spenden- und sonstige Gelder angenommen und ihre Häuser wieder (schöner) aufgebaut. Prima, dann hat es doch mal geklappt mit der Hilfe! – Denkste, nach einhelliger Auffassung der öffentlichen Beobachter muss da ganz schön was schief gelaufen sein …
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Neue Katastrophenmeldung aus dem
Oderbruch:
Blühende Landschaften!
Die Deutschen sind katastrophenerfahren: Dürre in der Sahelzone, Überschwemmungen in China, Erdbeben in Mittelamerika, Flüchtlingselend im Kosovo. Überall nehmen sie Anteil, wenn ihnen die Medien unschuldige Opfer vorführen, und betätigen ihre Verantwortung durch großzügige Spenden. Natürlich wissen sie, daß ihre Hilfe nicht das ganze Elend und den Schaden der Betroffenen beseitigen und aufwiegen, sondern nur die schlimmste Not lindern kann und Hilfe zur Selbsthilfe ist. Deswegen haben sie aber auch einen Anspruch darauf, daß die Organisation der Hilfe professionell und effektiv ist und ihr Geld zu den Richtigen kommt. Darüber werden sie hinreichend von ihren Medien informiert, die nicht selten davon berichten, daß in dieser Hinsicht manches zu wünschen übrig läßt.
Im Sommer 1997 ereignete sich eine Katastrophe in
Deutschland. Die Oder trat über die Ufer, und eine ganze
Landschaft mitsamt ihren Dörfern stand unter Wasser.
Sofort traten Spender und die entsprechenden
Organisationen in Aktion. Die Spenden flossen reichlich,
und manche der Spender fuhren sogar selbst in den
Oderbruch, um vor Ort zu helfen. Die westlichen
Volksgenossen zeigten sich unheimlich solidarisch mit den
Ossis und widerlegten damit den Verdacht, daß sie es an
Gemeinschaftssinn gegenüber den Ex-Zonis fehlen ließen.
Die Medien riefen in Form einer Frontberichterstattung
zur nationalen Einheit auf, lobpreisten jede einzelne
Aktion dieses Wohltätigkeitsspektakels und
beglückwünschten anschließend sich, ihr Publikum und uns
alle zu dem gelungenen Ergebnis. Die Bundeswehr rückte an
und schleppte Sandsäcke. Diese Tätigkeit, weit entfernt
von ihrem eigentlichen Handwerk, erntete hemmungslose
Bewunderung und schweißte endgültig die Nation zusammen.
Vom Kanzler wurde sie deshalb zur Armee des Volkes
erklärt. Die Agitation war sogar so gut gelungen, daß der
Nationalismus manchem schon wieder übertrieben vorkam,
denn einige Deutsche wollten ja nur für Deutsche
spenden und keinesfalls für Tschechen oder Polen.
Wie
steht man mit sowas denn im Ausland da?
Eineinhalb Jahre später kommen ungute Gerüchte auf. Irgendwas soll schief gelaufen sein. Angeblich hat man es an Kontrollen bei der Verteilung der Spendengelder fehlen lassen. Sollte das schöne Geld auch in diesem Fall an die Falschen geraten sein? Die Süddeutsche Zeitung, um Wahrheitsfindung bemüht, schickt eine Reporterin vor Ort.
Die Journalistin hat in der Tat Ungewöhnliches zu
berichten: Die Spendenbilanz von damals ist
eindrucksvoll. Es ist so viel Geld zusammengekommen, daß
es mehr als ausgereicht hat, sämtliche Schäden zu beheben
– so etwas soll uns erst einmal einer nachmachen! Noch
ungewöhnlicher: das Geld bekamen tatsächlich die
Betroffenen, und zwar – die Sache wird immer
unwahrscheinlicher – mehr, als ihnen an Schaden
entstanden war. Das hatte zur Folge, daß im Osten,
wenngleich beschränkt auf die Ernst-Thälmann Siedlung in
der Ziltendorfer Niederung, etwas entstand, was 10 Jahre
Kohl-Regierung nicht geschafft haben: so etwas wie eine
‚Blühende Landschaft‘. Mit dem Geld haben die Leute
nämlich ihre alten Bruchbuden mit Klo übern Hof
,
Ofenheizung
und Karnickelställen vor der
Tür
in schmucke Häuschen verwandelt, ganz so, als
kämen sie aus einem Katalog für Häuslebauer
.
(Alle Zitate SZ, 31.3.) –
Spätestens hier wird der Redakteurin von der Zeitung mit
der liberalen Geisteshaltung klar, daß da etwas
schiefgelaufen sein muß:
„Eigentlich sagt er (der Spendenkoordinator), sollte keiner nach dem Wasser besser dastehen als davor. ‚Aber was sollten wir denn machen, alten Leuten wieder ihren Kohleofen geben?‘“
Das will natürlich keiner, aber trotzdem: Wie konnte es dazu kommen, daß sie jetzt besser dastehen als vorher? Viele dumme Zufälle waren offensichtlich zusammengekommen:
„Brandenburg gab Sozialhilfen, die Wohlfahrtsverbände zahlten die Spenden aus, Wildfremde reichten Blumensträuße gespickt mit 500-DM-Scheinen über den Zaun.“
Es wurden aber auch unverständliche Fehler gemacht:
„130 Millionen Mark flossen ohne Prüfung von Einzelfällen (das muß man sich mal vorstellen!) in die Oder-Region. Der Spendenbeirat des Landes Brandenburg beschloß, den betroffenen 90 Prozent der Kosten für die Instandhaltung des Wohnhauses zu erstatten. Einige im Gremium fanden das happig: 30 Millionen Mark Schaden, verteilt auf nur rund 350 Häuser in der Ziltendorfer Niederung. Pingelig war man nicht beim Geldverteilen.“
Und dann wieder einer dieser Zufälle: Und irgendwann
zahlten auch noch die Versicherungen
, obwohl längst
genug Geld im Lande war. Klar, wer wollte den Leuten
daraus einen Vorwurf machen:
„Zuerst war das keine dicke Sache. Jeder sah ein, daß die Menschen nichts für die Geldflut konnten. Sie war von überallher und zur gleichen Zeit gekommen wie zuvor das Wasser.“
Die dicke Sache kam nämlich erst nachher: Die Leute in
der Ziltendorfer Niederung haben all das schöne Geld doch
tatsächlich ungeniert genommen und in die
Katastrophenlandschaft reinvestiert. Sie haben das Geld
einfach eingesackt, obwohl es – am Spendenzweck gemessen
– ‚zuviel‘ war. Sie haben es sich unrechtmäßig
angeeignet, weil sie es für ihren persönlichen Vorteil
eingesetzt haben. Sie haben also eine ebenso seltene wie
günstige Gelegenheit schamlos ausgenutzt, und die
nationale Hilfsbereitschaft einer ganzen Nation
enttäuscht. Eineinhalb Jahre später kommen wieder
Menschen aus allen Regionen Deutschlands an die Oder. Sie
wollen diesmal nicht helfen. Sie fragen, wo ihr Geld
geblieben ist.
Die guten Deutschen wollen keineswegs
wissen, was die Ossis dort aufgebaut haben, und sich
mitfreuen, sondern sie verlangen Rechenschaft. Das
allerdings erledigt viel effektiver die Öffentlichkeit
selbst, ohne die die Spender vermutlich nie erfahren
hätten, daß sie mißbraucht und hintergangen worden sind:
Die weiß längst, daß mit der Geldflut der Anstand
unterging
.
Daß das alles nicht in Ordnung ist, läßt sich an den
Ossis selber besichtigen – von wegen kein Anstand! Die
wissen als moralisch denkende Leute nämlich auch, daß mit
dem Spendengeld Schindluder getrieben wurde – nämlich von
ihren Nachbarn. In der schmucken Ernst-Thälmann-Siedlung
herrschen Neid, Mißgunst und Mißtrauen, weil jeder vom
anderen weiß, daß der zuviel und man selbst zuwenig
gekriegt hat. Kneipenwirt Heinz B. zum Beispiel kann
berichten, daß er selber zu wenig bekommen
hat.
Und selbst darum mußte ich kämpfen!
Nicht so manch
andere, die ihr Dach neu gedeckt haben, obwohl das
Wasser nur im Erdgeschoß stand
. Auch der Reporterin
fällt auf, daß die schlichten Hauseingänge aus der
Nachkriegszeit jetzt Wintergärten drumherum
haben.
Der Putz leuchtet überall in Pastelltönen. Vornehme
(?) Steinplatten pflastern den Weg zu Gemüsegärten und
Hühnerställen.
Überall das gleiche. Selbst bei Leuten, die auf den
ersten Blick einen ganz integren Eindruck machen wie zum
Beispiel Karin S.: Ihr ist es peinlich, die Hilfe
wildfremder Leute anzunehmen. Sie ist eher der Typ, der
selbst anpackt: rund, bäuerlich, mit Schürze um den
Bauch.
Aber auch bei ihr zeigen sich bei genauerem
Hinschauen Abgründe: Sie zeigt ein neues Bad:
Eckbadewanne, extra Dusche, glänzende Schränkchen, Ton in
Ton mit den Fliesen und den Kunstblumen.
Und erst das
Wohnzimmer mit der kirschholzfarbenen Schrankwand!
Geschmackssache
, findet die Reporterin, sie kann
sich was besseres vorstellen; andererseits: billig
sieht nichts aus.
Nicht, daß die Reporterin selber
glaubt, dieser proletarische Besitzstand wäre Luxus; sie
denunziert ihn als geschmacklos, weil sie ihn für
unberechtigt hält.
Immerhin, Familie S. hat Geld zurückgezahlt. Wer aber
sind die, die es nicht tun
, will die Journalistin
wissen, trifft aber auf sture Verweigerung: Geht uns
nüscht an
. Da täuscht sich Familie S. aber, denn die
Öffentlichkeit geht das sehr wohl etwas an, und da hat
auch sie entsprechend mitzuarbeiten. Ihre persönlichen
und provinziellen Gehässigkeiten werden von der
Reporterin zwar als kleinlich, mies und schäbig
hingestellt; zu einem Auftritt im liberalen Weltblatt
reicht es aber gerade deswegen, weil sie als Beispiel
dafür dienen, wie die nationale Moral in den Schmutz
gezogen wird.
Ein unschönes Ende dieser Veranstaltung also:
„Ins schöne Märchen vom Hochwasser 1997, in dem Soldaten, Deichgrafen, der alte Kanzler und Tausende Sandsackschlepper einen Sommer lang innere Einheit spielten, hat sich Neid und Habgier gemischt.“
Und ein schönes Bekenntnis, was ein nationales Märchen
ist. Nämlich die Feier einer Notstands- und
Schicksalsgemeinschaft. Und sobald auch nur ein Mensch
persönlich etwas davon haben will oder hat, zerplatzt
dieser Traum von einem Märchen. Und die innere Einheit
war mal wieder nur gespielt
.