Kirchenfragen
Soll niemand drin wohnen, als der deutsche Jesus allein

Die Scientology Church macht bürgerlichen Subjekten ein Sinnangebot: Die Beherzigung ihrer Lehre garantiere Erfolg in der bürgerlichen Konkurrenz und gleichzeitig Vollkommenheit in einer göttlichen Weltordnung. Der deutsche Staat erklärt diese Kirchenführer zu Verfassungsfeinden, nicht weil er etwas gegen Religion hat, sondern weil die „Sekte“ den bewährten Institutionen der Moral die Klientel abspenstig machen will.

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Kirchenfragen
Soll niemand drin wohnen, als der deutsche Jesus allein

Der deutsche Staat verspürt zunehmenden Bedarf an Hygiene in Sachen genehmer und nicht genehmer Entgleisungen auf dem Gebiet der Moral. Mit der Parole „Sinn statt Sucht“ hat ein ganzer Kirchentag die Sache mit dem Opium fürs Volk endlich eingesehen und entschieden für das Surrogat Partei ergriffen, im sicheren Gespür, daß das in Staatstreue und hochanständige Lebensführung einmündet. Leider ist das aber bei den Sinnsuchern und -verkäufern, bei der Nachfrage wie beim Angebot von Sinn nicht immer so.

Ein Kampf gegen vaterlandslose Ethik

Im schönen Lande Brandenburg, im Land des Roten Adlers, ist Folgendes passiert. Dort beheimatete Pädagogen haben sich einfallen lassen, statt Religion den Kindern einen Ethik-Unterricht (LER: Lebenskunde, Ethik, Religionskunde) zu verabreichen. Und schon wurden sie unter den Verdacht gestellt, es in diesem wichtigen Schulfach an Orientierung fehlen zu lassen:

„Schüler dürften nicht in ein Unterrichtsfach gezwungen werden, das diese weltanschaulich orientierte Erziehung nicht leisten könne.“ (Brief der brandenburgischen Bischöfe an alle betroffenen Schüler und deren Eltern, FAZ 10.8.96)

Die Gottesmänner und gleichförmig denkenden Eltern haben einen interessanten Fall von „Zwang“ ausgemacht: Nicht die ordinäre Schulpflicht, sondern einen, der ausgerechnet darin bestehen soll, daß den kindlichen Gemütern „weltanschauliche Orientierung“ nicht eingeimpft wird. Damit geraten ganz neue Argumente in den Verdacht, zu zersetzen statt aufzurichten: Der altehrwürdige Fundus der Ethik, Kants kategorischer Imperativ und die abendländische Wertewelt, die Lehre von der unvollkommenen Menschennatur und ihrem Bedarf an Geboten ebenso wie die neumodische „Lebenskunde“ von der Notwendigkeit von Normen wg. drohender Verhaltensunsicherheit – bestes, traditionsreiches Gedankengut muß sich Zweifel an seiner sittlichen Reife gefallen lassen.

Daß der Wille der hoffnungsvollen Jugend, noch ehe die sich halbwegs einen Begriff von der Welt verschafft hat, auf einwandfreies Funktionieren festgelegt, auf den Kodex von Anstand und Rechtschaffenheit vergattert gehört, ist pädagogischer Konsens. Dagegen eröffnen die Brandenburger Geister nun ihren Kulturkampf: Wenn konfessionslos verabreicht, verbürgen die schulischen Sittenpredigten die verlangte „Orientierung“ nicht. Ihnen fällt die Verankerung der Moral ohne ein komplettes religiöses Gefühlsleben, ohne ihre Verwandlung in ein quasi-persönliches Verhältnis zwischen dem Herrn Jesus und seinem Menschenknecht nicht bindend genug aus.

Dem regierenden Kirchenvertreter nützt es nichts, wenn er die gute Absicht betont und darauf verweist, daß seine Bildungsplaner angesichts der atheistischen Hinterlassenschaft der DDR erst einmal gar keinen anderen Weg sehen, als bei der staatlich gebotenen Erziehung zur Sittlichkeit erst einmal mit neutraler aussehenden „Bildungsangeboten“ statt mit dem Zwang zum Religionsunterricht „einzusteigen“:

„Wir müssen Rechnung tragen der Tatsache, daß mehr als 80% der Schülerinnen und Schüler keiner Kirche angehören, und wir haben eine Verpflichtung, ihnen ein Bildungsangebot zu machen, und da steigen wir ein mit Lebenskunde, mit Ethik und auch mit Kunde über die Religion.“ (Stolpe am 28.3. vor dem Landtag, FAZ 15.8.96)[1]

Die dortigen Schüler, nachdem man sie gerade mit viel Abscheu gegenüber der „Indoktrination“ der alten DDR ausstaffiert hat, sollen schließlich lechts und rinks nicht verwechseln. Sonst könnten sie noch auf den Gedanken verfallen, daß nicht die Indoktrination abgestellt, sondern nur der Inhalt ausgetauscht worden ist. Der Standpunkt des pädagogisch geschickten Anschleichens wird aber nicht gelten gelassen. Die Beschwerdeführer gehen vors Verfassungsgericht und prozessieren für die bewährte Sache mit dem Kruzifix; die herrschende Religion gehört auch in brandenburgische Schulen. Christliche Indoktrination muß sein, denn – so lautet der neue kirchliche Lehrsatz – nur „standortbezogene“ sind „authentische“ Werte:

„Nur ein standortbezogener Religionsunterricht gewährleiste die authentische Werteerziehung und Wertebildung, die den Grundsätzen der christlichen Kirchen entsprächen und von den Kirchen mitverantwortet werden könnten.“ (Schreiben der Bischöfe)

Auf dem deutschem Standort beansprucht die Kirche ihr Monopol auf die geistige Verwahrlosung der Jugend.

Scientology – die schöpferische Vereinigung von Psychologie, Moral, Religion und Unternehmungsgeist

Was an diesem Verein wirklich kritikabel ist, ist nicht schwer auszumachen; „Erkenntnisse“ der Art, wie sie der Verfassungsschutz zu Tage fördern soll, braucht es dazu nicht.

  • Es handelt sich um durchgedrehte Psycho-Moralisten. Sie schmarotzen wie die Kollegen von der angewandten Psychologie am Wahn eines nicht zu knapp vorhandenen Publikums, das sich seine schlechten Erfahrungen mit der Marktwirtschaft – die Teilnahme an der Konkurrenz ist zwingend, der verheißene Erfolg aber bekanntlich selten; Geld und Karriere werden in Form einer Auslese vergeben, bei der die meisten frühzeitig ausscheiden – in die verkehrte Frage übersetzt hat: „Wie werde ich erfolgreich?“. Bei den Angeboten an moderne Konkurrenzgeier, die eigene Person zum Hebel der Karriere zurechtzumachen, angefangen vom Auftreten bis hin zum durchtrainierten Selbstbewußtsein, konkurrieren Scientologen mit. Dabei haben sie einerseits Erfolgs„techniken“ anzubieten – von ungefähr der kindgemäßen Qualität, daß es sich empfiehlt, den Brief nicht in den Kasten zu werfen, bevor man ihn geschrieben hat – andererseits psychologische Quacksalbereien, die angeblich unschlagbare Hilfsmittel zur Einflußnahme auf die Umwelt liefern, sowie schließlich die in eine umständliche „ethische Technologie“ eingekleidete Weltanschauung, daß Anstand immer noch der direkte Weg zum Glück ist.[2]
  • Sie predigen, wie alle Vertreter der Psychozunft, daß Selbstverwirklichung und privates Glück letztlich im gesellschaftlichen Funktionieren aufgehen: Wer seinen Job ordentlich erledigt, ist per Definition mit sich selbst im reinen und hat das eigene Selbst zu maximaler Entwicklung gebracht. Und schließlich – darin unterscheidet sich Scientology von der Oma-Moral: Bei einwandfreiem Funktionieren ist Erfolg garantiert![3] Auf dem Gipfel ethischer Selbstverwirklichung (= Karriere) darf sich eine solche Kreatur mit Fug und Recht als berufener Führer und Wohltäter der Menschheit begreifen. Die Sorte Einbildung, wie sie die Inhaber der oberen Positionen als „Elite“ mit sich herumtragen, also die Teilnahme an einem solchen erlesenen „Selbstbewußtsein“ ist es, was dieser Verein seinen Adepten zusichert.
  • Außerdem haben Scientologen ein Sinnangebot im Sortiment. Sie beteiligen sich auch noch weitergehend an der organisierten Verdummung der Menschheit, indem sie ihre Gleichung von Erfolg, Selbstbewußtsein und gutem Gewissen mit einem metaphysischen Hintergrund ausstaffieren, nach dem die bürgerlichen Karrieresprossen nicht nur diese, sondern gleich auch noch Stufen des Seins und der Vollkommenheit im Rahmen einer göttlichen Weltordnung darstellen. Während die christliche Konkurrenz, was die Jenseitsqualität angeht, auf der sündigen Menschennatur herumreitet, die auf ihre Erlösung durch den Allerobersten angewiesen ist und bleibt, haben Scientologen einen Do-it-yourself-Weg zur Unsterblichkeit auf Lager. Der Körper muß dabei freilich gewechselt werden, dafür hat sich der Religionsgründer den mittlerweile ja auch hierzulande in Mode gekommenen fernöstlichen Dreh mit der Seelenwanderung abgeschaut.
  • Die Scientology-Kirche ist aufs Eigentum anderer Leute scharf, das sie mangels Kirchensteuer mehr auf dem marktwirtschaftlichen Weg, über (nach einhelliger öffentlicher Meinung stark überhöhte) Gebühren für ihre Dienstleistungen eintreibt. Anhänger, die sich den Finanzbedürfnissen ihres Missionswesens mit Haut und Haaren und Vermögen zur Verfügung stellen, verschmäht sie auch nicht.
  • Schließlich bedient sie sich der Techniken bewährter Wissenschaften und Lebenshilfeinstitutionen: Die scientologischen Berater bauen „stabile Gefühlsbeziehungen“ auf, benützen das Freud’sche Institut der Übertragung, veranstalten der Beichte nicht ganz unähnliche Gesprächstherapien. Aus diesen Verfahren, auf die sich die Kundschaft mit freiem Willen einläßt,[4] entwickeln sich dann Abhängigkeiten; die Lebensberater und Therapeuten, die über Detailkenntnisse aus dem Leben ihrer Kundschaft verfügen, helfen, wenn Abfall vom Glauben droht, der gemütsmäßigen Bindung schon auch mit handfesteren Erpressungen nach.

Das sind Abscheulichkeiten, die es in sich haben: eben Psychologie, Religion, Geschäft, Korpsgeist, d.h. modern-marktwirtschaftlich: „corporate identity“. Etliche Dummheiten und Gemeinheiten, die sich sonst im bürgerlichen Leben auf verschiedene Instanzen verteilen, sind da auf einem Haufen versammelt.

Die offizielle Auseinandersetzung mit Scientology

Nun befaßt sich der deutsche Staat gemeinsam mit den Sektenbeauftragten der Amtskirchen mit der Scientology und verurteilt diese Symbiose von ansonsten längst vorfindlichen Tätigkeiten. Schon seit längerer Zeit wird eine „inhaltliche Auseinandersetzung“ mit dieser Gefahr verkündet; man hat sie bloß noch nie zu Gehör bekommen, die Kritik, die auf die Tagesordnung gesetzt werden sollte.

Zu mehr als zum klassischen Argument der Kirchen gegenüber unerwünschter Konkurrenz ist es wieder einmal nicht gekommen: Aberglauben, die glauben doch allen Ernstes an was anderes als man selbst. Das genügt ja wohl als Begründung dafür, daß denen die Privilegien der offiziellen Glaubensgemeinschaft nicht zustehen. Der „Spiegel“ spottet über den

„spirituellen Gewinn durch den Gang über ‚die Brücke zur völligen Freiheit‘, zu erreichen durch die Ausbildung in Dianetik. Wer die allerdings erfahren will, muß sich mit den Schriften des Mannes auseinandersetzen, der auch nach seinem Tod als Geist in den Gemäuern von Scientology weiterlebt…“ (19.8.96)

Da bleiben wir doch lieber bei dem spirituellen Gewinn, den man durch das Studium der heiligen Dreifaltigkeit erreicht, in der Auseinandersetzung mit Schriften namens Bibel und einem Mann, dessen Geist in vielen Gemäuern mit Kreuzen drin weiterlebt.

„Wahn vom Übermenschen. Der Scientology-Gründer sah sich auf dem Gipfel der Erkenntnis“ (19.8.96),

steuert der „Focus“ zur Entlarvung des Aberglaubens bei. Echt glaubwürdige Religionsgründer hingegen sind 1. allwissend. 2. „verschwinden“ sie nicht einfach, wie L.Ron Hubbard, „spurlos von seiner Ranch in Kalifornien“, wie die „Bunte“ moniert (22.8.96), sondern steigen vor Publikum in den Himmel auf und das wohlweislich vor ungefähr 2000 Jahren. „Psychoterror“, „Ausbeutung Abhängiger“ und „Geldgier“ sind die weiteren Ergebnisse der „inhaltlichen Auseinandersetzung“. Kinder-Verführen, ihren Geist mit Jesus besetzen, ab und zu in der Sakristei auch praktisch hinlangen und Geld Abkassieren – sollte das wirklich die Spezialität von Scientologen sein?

Das Argument mit dem „Aber“ vor dem Glauben beherrschen auch die Verteidiger von echter Wissenschaft gegen falsche, dort heißt es Pseudo und braucht kein einziges Argument:

„… durch eine von Wissenschaftlern als Pseudopsychotherapie entlarvte Technik des ‚Auditing‘, der zuhörenden Beratung…“ (Spiegel, 19.8.96)[5]

„Pseudo“ verkündet auch der bayerische Innenminister Beckstein. Keine Religion, sondern:

„Scientology benutzt religiöse Begriffe nur zum Schein, um von ihrer wahren Zielsetzung, Geld zu verdienen, abzulenken. Sie unterwandert zielgerichtet Wirtschaftsunternehmen, um möglichst hohe Profite zu erzielen“. (FAZ 15.8.96)

Wirtschaftsunternehmen soll man mit ihrem eigenen Daseinszweck, „möglichst hohe Profite zu erzielen“, „unterwandern“ können? Und wo soll dann der Schaden sein?

„Ein reines Wirtschaftsunternehmen, das seine Mitglieder zu absoluter Treue und vollkommenem Gehorsam zwingt, um sie in jeder Hinsicht auszunutzen“ (Focus)

ein echt bombiges Bündnis für Arbeit also. Der DIHT-Sektenexperte warnt vor der Perfidie der Sekte, die sich hinter hoher „Leistungsbereitschaft“ tarnt:

„Aus der bisherigen Erfahrung zeige sich, daß scientologische Managementmethoden gerade bei den durch eine hohe Leistungsbereitschaft möglichen Anfangserfolgen meist zu spät erkannt würden.“ (HB 16.8.96)

Wenn Scientology das edle Ziel jedes Wirtschaftsunternehmens verfolgt, Geld zu scheffeln, ihre Untergebenen dafür nach Strich und Faden auszunützen und schließlich auch ihre Anhänger zu solchen Figuren abrichtet, daß außer enormer Leistungsbereitschaft keine verdächtigen Kennzeichen an an ihnen zu entdecken sind, was – bitte – haben denn dann die regierenden Standortfanatiker an denen eigentlich auszusetzen? Wenn der Gelderwerb auch noch mit einem unbestreitbar guten Zweck getarnt wird – Shell sorgt sich schließlich auch nur um die Nordsee und die Wirtschaft um die Zukunft von uns allen…?

Das letzte Stichwort zur Entlarvung lautet „Macht“. Nach einem vom „Handelsblatt“ zitierten Buch über Scientology, habe ein

„‚Clear Deutschland-Programm‘ die Ziele formuliert, 5% des deutschen Buchmarkts zu erobern, 15% der Meinungsführerschaft zu gewinnen und schließlich ‚die Macht zu übernehmen‘.“ (HB 16.8.96)

– äußerst bescheidene Quoten verglichen mit Bertelsmann und Leo Kirch; und andererseits auch wieder ganz in Übereinstimmung mit unseren Sitten. Wenn deutsche Politiker sich daran machen, die „Meinungsführerschaft“ zu erobern und „Begriffe zu besetzen“ – ein in der Demokratie anerkanntes Gewerbe – und mit ihrem gesunden Willen zur Macht Werbung für sich betreiben, dann ist das nicht anrüchig, sondern spricht für ihr Kaliber.

Auffallend, was die geballte öffentliche Befassung an Nicht-Kritik zustandebringt: Religiösen Irrationalismus predigen, geht in Ordnung – bloß nicht den scientologischen; ein psychologisch verbildetes Publikum psychologisch traktieren geht in Ordnung; Geldscheffeln ebenso – aber bei denen nicht; Meinungsführerschaft erwerben, Macht einsammeln, die anerkannte Aufgabe von Eliten – Scientologen steht das nicht zu. Die Besichtigung der Tätigkeiten wirft beim besten Willen keinen Beweis für den verwerflichen Zweck ab; da verbleibt eben auch nur der Deuter auf das Subjekt, das hinter dieser Kombination gesellschaftlich anerkannter Aktivitäten steckt, und das ist auch schon die ganze Quelle und der Motor des staatlichen Verdachts: Eine neue Mannschaft ist aufgetaucht, die den bewährten, befugten, staatlich beauftragten Instanzen der Moral und der Wirtschaft die Klientel abspenstig macht. Da muß dann auch Verbrechen im Spiel sein:

„Scientology ist eine Organisation, die unter dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft Elemente der Wirtschaftskriminalität und des Psychoterrors gegenüber ihren Mitgliedern mit wirtschaftlichen Betätigungen und sektiererischen Einschlägen vereint.“ (Beschluß der Innenministerkonferenz vom 6.3.94)

Bloß will sich die deutsche Politik auch wieder gar nicht auf ihr Recht, auf ihre umfassenden neuen Instrumente zur Bekämpfung von „Wirtschaftskriminalität“ verlassen und die kriminellen Übergriffe aburteilen lassen. Es geht um mehr: Der gesamte Verein mit seinen Absichten und Mitgliedern wird zum Angriff auf die FDGO, also zum Fall für den Verfassungsschutz, hochstilisiert.

Kritisieren können die Becksteins, Markworts und Sektenbeauftragten Scientology nicht, aber eines wollen sie gemerkt haben, daß sich die eine Sorte Macht – Geld, die Psyche ihrer Anhänger, einen Geheimbund samt Erpressung gegen Mitglieder – verschafft, die sich unserem Staat entzieht. Was die damit wollen, ist uninteressant, weil der verbrecherische Zweck schon feststeht, indem das, was die regierenden Kreise an Scientology stört, umgedreht zu deren positivem Anliegen erklärt wird: Wer dem demokratischen Herrschaftsmonopol Herrschaftsmittel streitig macht, ist erstens auf dessen Unterwanderung aus und zweitens selber totalitär:

„Gerster sagte, Ziel der Scientologen sei es, die Wirtschaft, das Sozialgefüge und die Politik in Deutschland zu unterwandern. Die Werbung gelte besonders jüngeren Menschen… bereits 200 Firmen von Scientologen geleitet…“ (FAZ 8.8.96) „Als ‚menschenverachtendes Kartell der Unterdrückung‘ verstoße die Organisation gegen verfassungsrechtliche Prinzipien… Mit Methoden der organisierten Kriminalität wolle Scientology verfassungswidrige Ziele durchsetzen.“ (Gerster, SZ 8.8.96) „Beckstein… ‚weil die Gefahr besteht, daß ihre systematische Ausbeutung der Menschen genauso wie die organisierte Kriminalität gegen unsere demokratische Grundordnung gerichtet ist‘… Kniola… ‚eine verfassungsfeindliche, intolerante, rassistische Organisation, die unsere Gesellschaft zu einem totalitären Regime umgestalten will‘ … Auch in einem Gutachten für die nordrhein-westfälische Landesregierung ist zurückhaltend davon die Rede, es sprächen ‚Indizien‘ dafür, ‚daß Scientology längerfristig verfassungsfeindliche Zielsetzungen vertritt und als totalitäre Organisation Berührungspunkte mit dem Extremismus aufweist‘. “(FAZ 13.8.96)

Die Macht über die Hirne, die Seelen und übers Geschäft steht einzig und ausschließlich dem deutschen Staat und seinen Aufsichtsagenturen zu; er will keine seiner Aufsicht und Kontrolle entzogene Tour, Geschäfte zu machen und Weltanschauung zu predigen, dulden – dieser demokratische Totalitarismus hat sein negatives Abziehbild in Scientology ausgemacht.

Eine neuartige transatlantische Verstimmung

Wie es der Zufall aber nun so will, entpuppt sich dieses Kombinat von Psycho-Quark und Geschäftsgeist als amerikanische Normalität – die Amerikaner regeln ihren Kapitalismus nun einmal ein bißchen anders. Der Kampf um Menschen und Marktanteile wird dort unter reichlichem Einsatz „göttlicher Vorsehung“, an der man teilhat, mit „visions“ und „dreams“ und Erfolgsmetaphysik betrieben. Eine Amtskirche sieht der american way of life nicht nur wegen der Tradition der Pilgerväter nicht vor, sondern er schätzt seine Sekten und anderen Kirchen, weil ihm deren vielfältige Aktivitäten auf dem Feld der moralischen und sonstigen Volksbetreuung bis hin zur Erziehung und Armenspeise etliches an Aufsicht und Kosten abnehmen. Und daß sie dafür Geld brauchen und verdienen, geht dann ja wohl in Ordnung. Wer es umgekehrt versteht, mit Handelsartikeln wie Glaube und Psychologie, als Verkäufer ebenso wie als Abnehmer solcher Ware, viel Geld zu machen, verdient Respekt anstatt Mißtrauen; der Erfolg heiligt seine Mittel. Und daß sich die Mitglieder von Glaubensgemeinschaften ebenso wie von rassischen und anderweitig definierten Bünden im Lebenskampf beiseitestehen und weiterhelfen, ist eine völlig legitime Konkurrenztechnik. Nicht nur Tom Cruise, sondern auch Bob Dole etc. benützen solches Handwerkszeug, um sich durchzusetzen. Bei den Amis gilt so etwas als Erfolgsweg und nicht als unsittlich.

Seit neuestem liegt nun ein Einspruch des US-Außenministeriums gegen die deutsche Anti-Scientology-Kampagne vor, und die deutsche Politik hat sich mit dem gegen sie angemeldeten Verdacht auf „unamerican activities“ herumzuschlagen. Das hat der öffentlichen Meinung dann auch wieder zu denken gegeben. Die Verdammung und Verfolgung von Scientology einerseits mußte zum unschätzbaren Gut der Religionsfreiheit andererseits ins rechte Verhältnis gesetzt werden.

Einige Stimmen plädieren dafür, sich von der US-Intervention keinesfalls beeindrucken zu lassen – die Junge Union und die bayerische Staatsregierung machen unverdrossen weiter mit ihrem Film-Boykott und den Vorbereitungen für ein Berufsverbot für Scientologen im Staatsdienst. Kritische Gegenfragen werden aufgeworfen zum Geisteszustand der US-Gesellschaft im allgemeinen – Waco! – und zur möglichen Unterwanderung der US-Administration durch Scientology im besonderen. Einwände gegen den Universalismus der Menschenrechte, den Berufungstitel der US-Beschwerde werden laut. Die FAZ führt eine kunstvolle Beweisführung durch, nach der

„der Religionsbegriff, den die Verfassung voraussetzt, sich historisch am Modell des Christentums entwickelt“ hat. „Und insofern kann auch die weltanschaulich neutrale Bundesrepublik“ leider, leider „ihr christliches Erbe nicht verleugnen… Es stimmt nicht, daß alles toleriert werden muß, was als Religion auftritt. Es stimmt ebensowenig, daß wir nur eine Scheintoleranz hätten und das Christentum doch eine verkappte Staatsreligion wäre. In Wahrheit ist die Sache vertrackter: Was Toleranz ist, verstehen wir im Lichte des Christentums“. (10.8.96)

So daß uns unser Erbe und unsere Verfassung dazu nötigen, Scientology in aller christlichen Demut ganz tolerant zu verfolgen.

Andere Stimmen, die im Lichte des Transatlantismus diesen Streit für lästig und überflüssig halten, rufen die Verantwortlichen zu mehr „Gelassenheit“ auf, dazu, das Grundgesetz und die Freiheitsrechte zu ehren: Zum freiheitlichen Staat gehört das Recht auf Dummheit. (Joffe, SZ 24.8.96) Gekonnt, wie der Vordenker der Süddeutschen einerseits der öffentlichen Gesinnungsschnüffelei durchaus gute Gründe zuzusprechen weiß und andererseits mit dem Lob auf die Liberalität unseres Staatswesens operiert. Ausgerechnet in dem Moment, in dem der deutsche demokratische Staat die Kontroll- und Verbotsfrage aufgeworfen hat, soll man ihm schon wieder hoch anrechnen, daß er freies Meinen und Glauben zuläßt! Das der Autor unauffälligere Wege kennt und empfiehlt, unliebsame Sekten zu erledigen, versteht sich von selbst – so wird die Sache konstruktiv fortgedacht.

Es genügt ja beinahe schon, laut und öffentlich über einen Verein als möglichen Fall für den Verfassungsschutz nachzudenken und das private Fahndungswesen der mündigen Bürger anzustacheln, um ihn fertigzumachen.[6] Das bayerische Innenministerium meldet mit Genugtuung, daß die Geschäfte von Scientology in den letzten zwei Jahren schon beachtlich geschrumpft sind. Schließlich werden auch die Kirchen nachhaltig an ihre Pflicht erinnert, die Volksseele sauber zu halten: Sie sollen gefälligst ihre „Attraktivität“ erhöhen, um den „Rattenfängern von Scientology“ das Wasser abzugraben – eine schöne Einordnung der eigentümlichen Dienstleistung dieser Institution in der Rattenfängerkonkurrenz.

Bei passender Gelegenheit gehört sich allerdings auch einmal Klartext geredet, was wir in umgekehrter Himmelsrichtung von american activities halten. Diese Amis wissen ja sowieso nicht, was sich gehört. Deren Umgang mit Geld und Kultur, Sportkultur und Nation ist sowieso schon aus unserer deutschen Sicht ein einziger Verstoß gegen gute Sitten und Regeln der Rechtschaffenheit – wir sagen nur:

Atlanta!

Es ist ja nicht so, daß in Deutschland erbauliche Rituale mit Fahnen, Musik und Gold, Sponsorenverträge für Sportler und „Sportsoldaten“ gänzlich unbekannt wären. Auch hierzulande erbitten öffentlich-rechtliche Fernsehreporter schon einmal Fördermittel von der freien Wirtschaft, und diese füllt zum Dank ganze Zeitungsseiten mit den Abbildern entzückender Sportlerbodies und Firmenlogos und versichert, daß wir alle uns dazu beglückwünschen dürfen… Der Ami aber hat eine Sorte Spiele aufgeführt und inszeniert, die den deutschen Geschmacksnerv ziemlich empfindlich trifft.

Drei Wochen lang und noch einige Zeit zum Zweck der Nachbereitung wurde klargestellt, was man da alles legitimerweise zu fordern hat: einen Leistungssport ohne Doping; einen Sportvergleich zwischen Nationen ohne Nationalismus; Sport ohne Geld, Nationalismus ohne Geld… Eine öffentliche Sicherheit ohne Verlust der Freiheit, lückenlose Sicherheitskontrollen, die man nicht merkt… – also all das, was man aus Deutschland kennt.

Und überhaupt, dieses Ami-System, erinnert uns das nicht an etwas?!

„Gewinnen Amerikas Muskelmonster erst mal Medaillen, wird das Dauerfeuer froher Botschaften plötzlich wirken. So schafft Olympia, was nicht einmal Mao, Stalin oder Erich Honecker gelungen ist: Alle Menschen essen das gleiche, trinken das gleiche, denken das gleiche und jubeln im selben Moment – Synchronfühlen für Millionen.“ (Spiegel, 15.7.96)

Der Beginn eines wunderbaren neuen Feindbilds? Es geht halt selbst beim Beurteilen der Geschäftsgebräuche woanders und deren Verhältnis zum Staat, selbst bei so gleichen Veranstaltungen wie Deutschland und Amerika, Olympiade und Olympiade, auch nicht viel anders zu, als wenn der eigene Glaube gegen einen „Aberglauben“ streitet. Dasselbe Muster, nach dem Katholiken auf Protestanten und Protestanten auf Sekten schimpfen. Ein gelungener Fall von „standortbezogener Werteertüchtigung“.

[1] Die evangelische Kirche versteht das Bedenken Stolpes und verspricht, geschickter vorzugehen als die katholische Konkurrenz: Der evangelische Religionsunterricht… soll und darf nicht indoktrinieren und soll Freiheit und Selbstbestimmungsrecht der Schüler achten und stärken. Darauf wird in der Broschüre eigens verwiesen, um mögliche Vorurteile abzuwehren, die im Osten durch die frühere Staatsbürgerkunde hervorgerufen wurden. (FAZ 5.8.96)

[2] Der Durchbruch in der Scientology besteht darin, daß wir die grundlegende Technologie der Ethik haben. Zum ersten Mal kann der Mensch lernen, seine eigene Ethik in Ordnung zu bringen, und aus der Tiefe wieder hinaufklettern. (Das Scientology-Handbuch, Aus den Werken von L.Ron Hubbard, S. 362) Sagen wir einmal, jemand hat das Geld von seinem Onkel angenommen, wobei er sagte, daß er damit ein Haus kaufe, obwohl er das nicht tat. Er gab es für eine Blondine aus, blieb nachts lange auf und erledigte seine Arbeit nicht, und deshalb sind seine eigenen persönlichen Einnahmen rapide nach unten gestürzt. Jetzt ist er in ständiger Gefahr. Sein Onkel könnte es jederzeit herausfinden… Der nächste Schritt ist: (4) Stellen Sie Ihre eigene persönliche Ethik wieder her, indem sie herausfinden, was an Ihrem Tun unethisch ist, wenden Sie Selbstdisziplin an, um es zu berichtigen, und werden Sie ehrlich und aufrichtig. Bereinigen Sie die Situation mit Onkel Georg und der Blondine Mitzi… Der nächste Schritt ist: (5) Organisieren Sie Ihr Leben neu, so daß Ihnen die gefährliche Situation nicht andauernd zustößt… Statt immer die ganze Nacht aufzubleiben, bekommt er tatsächlich Schlaf, macht seine Arbeit und bringt es zu etwas. Er verdient auf diese Weise mehr Geld und kann sich genug zusammensparen, um sich selber ein Haus zu kaufen. Das ist ein Neuorganisieren seines Lebens. (S. 384/5) Es ist ein bißchen schwer, an den Texten die „diabolische Verführungskraft“ auszumachen, die Scientology zugeschrieben wird.

[3] Wenn man mit der von L. Ron Hubbard entwickelten Technologie und den Werkzeugen der Ethik ausgerüstet ist, kann Erfolg und ein besseres Leben eine sichere Sache sein, und nicht eine Sache des Zufalls oder des Glücks. (S. 407)

[4] Eine Kritik an Scientology kommt nicht ganz umhin, deren „Opfer“ einzubeziehen: Die müssen ihren Verstand schon sehr weitgehend verrückt haben, um sich auf lauter Hokuspokus einzulassen, mit dem die werte Persönlichkeit fit gemacht werden soll. Es ist auffallend, wie wenig diese Opfer, wenn sie nachträglich den unsäglichen Psychoterror schildern, dem sie sich guten Glaubens zur Verfügung gestellt haben, die Portion Selbstkritik bemerken, die sie damit abliefern. Aber diese Geisteshaltung macht ja nicht nur die Praxen von Scientologen voll.

[5] „Focus“ entlarvt die teuflische Technik: Gegenübersitzen in sogenannter „Kampfdistanz“, dabei handelt es sich, wie auf dem beigefügten Foto erkenntlich, um ca. 2 Meter. Beim ‚Auditing‘ sitzen sich der Leiter des Verhörs und sein Opfer stundenlang auf ‚Kampfdistanz‘ gegenüber. In dieser psychischen Ausnahmesituation gerät die körpereigene Biochemie außer Rand und Band… ausgelöst durch Adrenalin… bereits nach 20 Minuten können sich Halluzinationen einstellen… Euphorie folgt, wenn der Körper rauscherzeugende Endomorphine produziert. Der Mensch ist nicht mehr Herr seiner Sinne und wird manipulierbar. Es ist kaum zu erwarten, daß das Blatt seine bahnbrechenden Erkenntnisse, wie sich die Menschheit mithilfe ihrer Biochemie manipulieren läßt, zum Einwand gegen Frontalunterricht und Polizeiverhöre macht. Schließlich ist ja klar, wann und gegen wen zum Zwecke der Denunziation „Fakten, Fakten, Fakten“ erfunden werden müssen. Ein seltsames Gebräu aus Psychoanalyse und Science fiction, was der „Focus“ der Lehre von Scientology nachsagt, ist auch in Intelligenzblättern nicht unbeliebt.

[6] Man mag sich den „Psycho-“ und anderen Terror gar nicht vorstellen, der losgeht, wenn gelehrige Bürger z.B. mit den „13 unveränderlichen Kennzeichen“ von Scientologen, die die „Bunte“ ermittelt hat, ihre Umwelt erforschen: 1. Ein Scientologe prozessiert sofort, 2. Geldmangel, 3. Seltsame Bücher, 4. Oxford-Analyse, 5. Sektenlogos, 6. Keine Freunde, 7. Augensprache. Scientologen sind seltsame In-die-Augen-Starrer. 8. Humorlos, 9. Datenwahn. Scientologen legen unsinnige Statistiken an. 8. Häufiger Kurzurlaub, 11. Fremdworte, 12. Kein Wort über Scientology. Weder verteidigen sie die Sekte, noch greifen sie sie an. Ihr Unbeteiligtsein macht sie so verdächtig wie bürgerlich lebende Mafia-Killer. 13. Ich kenn’ da einen. Der Einstellungs-Trick… ‚Ich hab einen hochqualifizierten Bekannten…‘ Das Wort ‚hochqualifiziert‘ ist typisch für Scientologen. (22.8.96)