Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Terrorgefahr in Deutschland – eine Produktivkraft für den Rechtsstaat:
Not braucht viel Gebot

Die Kanzlerin befreit ihren Innenminister ausdrücklich von allen „Denkverboten“ und lässt ihn, der schon lange ihrer Meinung ist, sogar das bislang angeblich „Undenkbare“ denken, wie liberale Redaktionen mit einigen Anzeichen gepflegten Entsetzens notieren. Sie haben sich erst neulich über eine Ankündigung Schäubles erschreckt, wonach auch und vor allem der Terrorgefahr wegen das Aufsichts- und Überwachungswesens im Lande einer fälligen technischen und rechtlichen Sanierung unterzogen werden soll. Die soll zu einer umfassenden staatlichen Kontrolle des Personen-, Daten- und Telefonverkehrs führen, Terroristen und anderen Abweichlern computertechnisch das Leben schwer machen und der Staatsmacht den gebührenden Vorsprung im Wettlauf mit dem Verbrechen verschaffen.

Aus der Zeitschrift

Terrorgefahr in Deutschland – eine Produktivkraft für den Rechtsstaat:
Not braucht viel Gebot

Die Kanzlerin will schärfere Sicherheitsgesetze und ihr Deutschland damit auch auf einem Feld modernisieren, auf dem sie dringenden Nachholbedarf weiß. Sie fordert, der Einsatz der Bundeswehr müsse auch im Inneren im Zusammenhang mit terroristischen Gefahren in ausgewählten Bereichen möglich sein. Es sei nämlich die alte Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ‚von gestern‘, spätestens seit dem 11. September 2001. (SZ, 3.7.07)

Deshalb befreit sie ihren Innenminister ausdrücklich von allen Denkverboten und lässt ihn, der schon lange ihrer Meinung ist, sogar das bislang angeblich Undenkbare denken, wie liberale Redaktionen mit einigen Anzeichen gepflegten Entsetzens notieren. Sie haben sich erst neulich über eine Ankündigung Schäubles erschreckt, wonach auch und vor allem der Terrorgefahr wegen das Aufsichts- und Überwachungswesens im Lande einer fälligen technischen und rechtlichen Sanierung unterzogen werden soll. Die soll zu einer umfassenden staatlichen Kontrolle des Personen-, Daten- und Telefonverkehrs führen, Terroristen und anderen Abweichlern computertechnisch das Leben schwer machen und der Staatsmacht den gebührenden Vorsprung im ‚Wettlauf mit dem Verbrechen‘ verschaffen.[1]

Jetzt aber, da der Minister zusammen mit seiner Kanzlerin einmal einen Schritt vom Tagesgeschäft zurücktritt, auch die Modernisierung des nationalen Überwachungsregimes in einen größeren Zusammenhang stellt und die Sicherheitslage der Nation grundsätzlich würdigt, stellt er fest, worum es letztlich geht: Darum, das Gemeinwesen vor terroristischen Angriffen zu bewahren, die auf seinen Zusammenbruch zielen, den Staat in seinen Grundlagen erschüttern und ihn als Ganzes bedrohen. (Handelsblatt, 17.7.)

Das stellt den altgedienten Juristen und amtierenden Polizei- und Verfassungsminister vor eine doppelte Problemlage, die im Gespräch darzulegen ihm der „Spiegel“ (28/07) ausführlich Gelegenheit gibt: Einerseits ist klar, dass es der vom Minister vertretenen Staatsmacht um den materiellen polizeilichen Erfolg ihrer antiterroristischen Gegengewalt geht. Dementsprechend räsoniert Schäuble über Möglichkeiten, Staatsfeinden mit Internet- und Handy-Verboten die Kommunikation abzuschneiden; darüber, ob man potenzielle Terroristen, sogenannte Gefährder, also Leute, gegen die man erst einen Verdacht, aber noch keine Beweise hat, schon wie Kombattanten behandeln und internieren könnte; ob man sich nicht am amerikanischen Beispiel orientieren sollte, wonach man die Bin Ladens dieser Welt, sobald man ihren Aufenthaltsort kennt, mit einer Rakete exekutieren könnte – „die meisten Leute würden sagen: Gott sei Dank.“ –; und dass es, wenn der Staat als Ganzes bedroht ist, gemäß früheren und nach wie vor aktuellen Überlegungen zur Einführung eines Quasi-Verteidigungsfalls, vorkommen könnte, dass dabei auch größere Mengen seiner eigenen Bürger bei solchen Schlägen einen finalen Kollateralschaden erlitten. Dann etwa, wenn sie sich unfreiwillig mit Terroristen in demselben und für gefährlich gehaltenen Flugzeug aufhielten.

Andererseits: Kaum hat der Minister sich zusammen mit den meisten Leuten gefreut über die Vorstellung, Bin Laden mit gleicher Post und im Cruise-Missile-Tempo Ermittlungsergebnis, Urteil und Vollstreckung zustellen zu lassen, macht er auf ein ungelöstes Problem aufmerksam, das ihn umtreibt: Um zu solch schönen Kontroll- und Terminierungserfolgen zu kommen, ist im Rechtsstaat vorgängige Legislativarbeit gefordert: Denn – seien wir ehrlich! – die Rechtsfragen dabei ... wären völlig ungeklärt. Er empfiehlt, solche Fragen möglichst präzise verfassungsrechtlich zu klären, und Rechtsgrundlagen (zu) schaffen, die uns die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus bieten. Ich halte nichts davon, sich auf einen übergesetzlichen Notstand zu berufen, nach dem Motto: Not kennt kein Gebot.

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Dass die politische Konkurrenz Schäubles Anti-Terror-Pläne schlecht macht, ist zunächst politische Routine: Schäuble sei ein rechtsstaatlicher Amokläufer lässt SPD-Struck verlauten, während für die SPD Sicherheit an erster Stelle stehe, aber gleichrangig mit der Freiheit des Bürgers, und zwar mindestens; Westerwelle wirft sich, keine Schwierigkeit bei der Wortbildung scheuend, der Guantanamoisierung der deutschen Innenpolitik persönlich entgegen; und der vorsitzenden Schreckschraube der Grünen graust es ihrerseits vor der Lizenz zum politischen Mord. (Alle aus SZ, 10.7.)

Sogar etliche in der CDU gehen auf Distanz und am Ende mischt sich auch noch der Bundespräsident ein und kritisiert Schäuble! (SZ, 16.7.) Er findet die Art, wie die Vorschläge kommen – vor allem in einer Art Stakkato nicht so optimal. Wie sollen die Leute das verkraften? Über diese empfindsame Stilkritik hinaus, die die Leute, die viel verkraften können, nur keinen laxen Umgang mit Terroristen, ziemlich unterschätzt, hat der brave Präsident bei der von Schäuble vorgestellten Tötung eines vermeintlichen Terroristen so seine Probleme, Verfahrensprobleme nämlich: Er hat persönliche Zweifel daran, ob man das ohne Gerichtsurteil so von der leichten Hand machen kann. (SZ, 16.7.)

In der zweiten Runde, wenn das demokratische Denunzieren und die Geschmacksfragen zunächst einmal erledigt sind, zeigt sich, dass sich die Kritiker gar nicht so schwer tun, das Undenkbare mitzudenken:

– Der Berliner Innensenator Körting, SPD, will seinen Kollegen Schäuble nicht gleich einen Amokläufer nennen, wie seine demonstrativ wütenden Parteigenossen. Er kommt ihm höflicher und verweist darauf, dass er einfach Schäubles Lageeinschätzung nicht teilen könne. Weil er, im Gegensatz zu Schäuble, den Bestand der Republik, unserer Gesellschaftsordnung oder unserer Lebensart als solcher durch terroristische Anschläge nicht bedroht sieht, kann er auch Schäubles Gefährdungsszenario einer ineinander verschwimmenden inneren wie äußeren Bedrohung nicht nachvollziehen, sondern fordert von dem gesetzgeberisch irgendwie hyperaktiven Innenminister eine an den Realitäten orientierte legislative Technik: Er wünscht sich, man möge die Abwehrmaßnahmen nach der tatsächlichen Gefährdung ausrichten und nicht jetzt schon Gesetze gegen alles und jeden machen, der potenziell einmal zu einer Bedrohung werden kann. (Spiegel, 29/07) Damit liegt er auf einer Linie mit seiner Parteifreundin im Bundesjustizministerium: Die mahnt zur Zurückhaltung bei Verfassungsänderungen, verspricht aber, über konkrete Vorschläge ließe sich reden. (Zypries, t-online-nachrichten, 17.7.)

– Rechtskundige Journalisten zeichnen nach, dass man eigentlich das Meiste, was Schäuble verlangt, doch eigentlich heute schon darf: Trifft man einen Bin Laden in Afghanistan im Kriegsgebiet an, gilt ohnedies das Kriegsrecht. Und schon ist eine gezielte Tötung von Terroristen wieder denkbar! Trifft man ihn im eigenen Land auf frischer Tat an – kein Problem! Es gelten seit langem die Vorschriften über den finalen Rettungsschuss. Ansonsten wird aufgegriffen, angeklagt, verurteilt. Basta! (Die Zeit, 12.7.)

Der kernige Aufruf, man solle doch zuerst einmal ausschöpfen, was an gewalttätiger antiterroristischer Energie in der schon geltenden Rechtslage steckt, zeigt, dass da zwar immerhin konstruktiv mitgedacht wird, der durchaus kämpferische Ansatz aber an Schäubles Generalanliegen vorbeigeht.

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Schäuble fühlt sich missverstanden und beklagt sich, dass manche, die darüber nachsinnen, was er denn eigentlich vorhabe, ihn gar nicht verstehen wollen, wenn sie fragen, ob er nur eine Taktik verfolge, das Maximale zu fordern, um etwas zu bekommen, oder ob er einfach nicht mehr ganz bei Trost sei, seit dem Attentat auf ihn selbst. Und irgendwie hat der Minister recht mit seinem Verdacht:

Natürlich könnten auch Schäuble und seine richtlinienkompente Kanzlerin innere und äußere Sicherheit unterscheiden und kennen den Unterschied zwischen einem Krieg, in dem Staaten mit ihrer militärischen Gewalt offiziell über einander herfallen, und einem Terroranschlag, bei dem aufgebrachte NGO-Mitglieder mit privater Militärgewalt – auch wenn der Schaden groß ist und der Terrorismus grenzüberschreitend – in einer asymmetrischen Anstrengung einem Staatswesen größtmögliche Nachteile zufügen. Wenn sie aber diese Unterscheidung nicht mehr kennen wollen und es zu einem gefährlichen politischen Fehler erklären, weiterhin an ihr festzuhalten, haben sie ihre Gründe. Mit denen halten Merkel, Schäuble und ihre Mitstreiter auch nicht groß hinter dem Berg: Sie zielen offensiv auf die Rechtsfolgen dieser bislang gültigen Differenzierung, die sie nicht mehr länger dulden wollen. Sie halten eine Paragrafenlage, in der der Zugriff auf die jeweils geeignetste Waffe im Krieg gegen den Terror rechtliche Umstände macht, in der etwa der Einsatz der Armee im Inneren nur über den Umweg der Amtshilfe zu haben ist, eigentlich für einen Skandal, auch wenn – und gerade weil – dieser unhaltbare Zustand immer noch geltendes Verfassungsrecht ist. Weil die Verfügbarkeit der Gewaltmittel gemäß gültiger Geschäftsordnung eine Rechtsfrage ist, wird die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit, mit ihrer juristisch belangvollen Zuordnung der jeweils einschlägigen Einsatzkompetenzen, Polizei, Geheimdienste und Militär betreffend, für die Regierung zum Gegenstand dringenden rechtspolitischen Reformbedarfs. Im Kampf gegen jedwede Feindschaft, die die weltweite Tätigkeit der kapitalistischen Nationen auf sich zieht, will sie rechtliche Regelungen staatlicher Gewalttätigkeit loswerden, die sie vom Standpunkt ihres Bedarfs heute zu Beschränkungen erklärt. Das ist sehr generell gedacht und mit gesetzgeberischem Klein-Klein nicht zu erledigen:

„Die alten Kategorien passen nicht mehr ... wir brauchen neue Begrifflichkeiten.“ (Schäuble, Spiegel 28/07)

Weil die Gewalt rechtsstaatlich organisiert ist, muss man sich ihre Mittel auf juristischem Wege verfügbar machen, indem man die Dinge rechtlich sauber löst und sich so die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus (Schäuble im Spiegel-Gespräch) schafft.

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Mit der Ausrufung einer Bedrohungslage, die keine innere oder äußere Sicherheit mehr kennt, sondern nur mehr einen einheitlichen, polizeilich-militärischen Bedarf, der sich ausschließlich an sicherheitstechnischen Fragen zu orientieren hat, hat die Regierung ihren Maßstab für die Entwicklung einer neuen (verfassungs)rechtlichen Begrifflichkeit gefunden. Die Proklamation eines andauernden Kriegszustandes ohne offenen Krieg; einer fortwährenden verdeckten Bedrohung, deren Gefährlichkeit die Regierenden mit wechselnden Alarmstufen im öffentlichen Bewusstsein halten, begründet aus dem Fundus ihres Geheimwissens; eines stets möglichen Verteidigungsfalls, den ein vorangestelltes „Quasi“ nicht harmloser, sondernd dräuend unbestimmt macht: Das ist die Art, in der Merkel, Schäuble und Co die Souveränität der politischen Führung gegen die geltende Rechtslage geltend machen. Ihr Handlungsbedarf soll mit Berufung auf die neue Normalität des sicherheitspolitischen Ausnahmezustandes zur Leitlinie der Rechtsfortbildung werden. Und die soll gefälligst dafür sorgen, dass die Freiheit zur aktiven Staatssicherheit künftig jederzeit geltende Regel wird.

Sie wollen wirkliche und vermeintliche Gegner wie feindliche Kombattanten behandeln und all das, was sie an besonderen Behandlungsarten gegenüber dieser Klientel für angebracht halten, auch dürfen. Sie wollen nicht länger auf die unbeschränkte Verfügung über den mächtigsten Gewaltapparat im Land, die Armee, verzichten, die rechtlichen Umstände und Umständlichkeiten, mit denen der Einsatz der Armee im Inland verbunden ist, abschütteln und dafür eine verfassungsrechtlich einwandfreie Genehmigung. Und sie wollen, gestützt auf ihren immerzu schwebenden Kriegszustand, einen juristischen Freibrief dafür, die staatliche Forderung des Lebenseinsatzes im Verteidigungskrieg (GG-Kommentar Maunz-Dürig-Herzog, zu Art. 2 Abs. 2) nicht auf Soldaten zu beschränken, die man schon immer mit der Pflicht zum staatsnützlichen Sterben konfrontieren konnte. Wenn schon innere und äußere Sicherheit nicht mehr zu unterscheiden ist, und der Kriegszustand nicht mehr so klar von dem des Friedens, dann sind alle Bürger immer auch ein wenig wie Soldaten. Mit der rechtlichen Folge, dass dann die Ansprüche an die solidarische Einstandspflicht des Einzelnen, wie die FAZ streng folgert (FAZ, 3.7.), im Falle eines Angriffes auf das Staatsganze erheblich höher wären. Dann müsste sich dieser Einzelne auch gelegentlich klaglos und solidarisch mit einem Terrorflieger abschießen lassen, ohne dass Schützen und Befehlshaber sich kläglich in den Auffangtatbestand des übergesetzlichen Notstandes flüchten müssten.

Die Frage, ob mit seinen Vorschlägen nicht eine rote Linie überschritten und unsere Gesellschaft unwiderruflich verändert würde, lässt Schäuble, der ja gerade die Gesellschaft und ihre rechtliche Verfasstheit nach den Bedürfnissen seines antiterroristischen Kriegszustandes verändern will, reichlich kalt:

„Die rote Linie ist ganz einfach: Sie ist immer durch die Verfassung definiert, die man allerdings verändern kann.“(Spiegel, 28/07)

So erinnert der Innenminister daran, dass auch in der neuen, auf Dauer angelegten Ausnahmelage des Gemeinwesens verfahrenstechnisch das Übliche gilt: Die Gewalt schafft sich ihre Rechtsformen nach ihren Bedürfnissen und kann insofern, wenn die behauptete Bedrohung des Staates als Ganzes nur groß genug ist, auch mit Zugriffen der gröberen Art kaum mehr ernsthafte Fehler machen, wenn eine beizeiten geschaffene, präzise verfassungsrechtliche Rechtsgrundlage vorliegt. Beachtet die Politik diese Verfahrensweise, dann leistet sie damit einen wichtigen Dienst an der Verfassung:

Das Grundgesetz würde doch zerbrechen, wenn wir es nicht anpassen würden.

Weil das Grundgesetz an der geänderten Realität zerbrechen würde, ist derjenige, der als amtierender Innen- und Verfassungsminister mit seinem politischen Bedarf diese Realität definiert, auch dazu berufen, für die bruchgefährdeten Artikel der Verfassung Sorge zu tragen: indem er sie durch Anpassung an die aktuellen Bedürfnisse der Staatssicherheit geschmeidig hält. So geht der nachhaltige Verfassungsschutz, den jedes Grundgesetz braucht.

[1] Vgl. GegenStandpunkt 2-07, „Schäuble und der technische Fortschritt ...“