Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Schäuble und der technische Fortschritt machen Deutschland immer sicherer:
Was ist los? Eigentlich nichts!
Der „Schäuble-Katalog“: Die bei der Ausstellung der neuen, fälschungssicheren Pässe gewonnenen biometrischen Daten – Fotos und Fingerabdrücke – sollen in einer zentralen Datei zum jederzeitigen Zugriff für die Polizeibehörden gespeichert werden; Telefon- und Internetverbindungen sollen flächendeckend mindestens für ein halbes Jahr zur Kontrolle aufbewahrt und private Computer einer zwar schon praktizierten, aber noch auf rechtlich unsicheren Beinen stehenden Online-Durchsuchung legal zugänglich gemacht werden; die vom neuen Mautsystem gewonnen Daten, mit denen die Erstellung von „Bewegungsprofilen“ und das Auffinden gesuchter Verkehrsteilnehmer möglich sind, sollen endlich offiziell für Fahndungszwecke verfügbar und die ganze beachtliche Datenmasse vermittels der Einführung einer lebenslangen, zentralen „Personenkennziffer“ für jeden Bürger besser sortierbar gemacht werden.
Aus der Zeitschrift
Schäuble und der technische
Fortschritt machen Deutschland immer sicherer:
Was ist
los? Eigentlich nichts!
Der Innenminister, das ist sein Beruf, sorgt für die innere Sicherheit im Land. Als er daran geht, die Agenda seiner Amtsgeschäfte für die laufende Legislaturperiode abzuarbeiten, wird nach und nach öffentlich, dass, obwohl man dem Vorgänger im Amt Schily keine Nachlässigkeit vorwerfen kann, einiges zur Erledigung ansteht. Vor allem im Bereich des Sicherheits- und Polizeirechts zur „vorbeugenden Gefahrenabwehr“ kommt ein ganzer „Schäuble-Katalog“ zustande, der ein gewisses Aufsehen erregt: Die bei der Ausstellung der neuen, fälschungssicheren Pässe gewonnenen biometrischen Daten – Fotos und Fingerabdrücke – sollen in einer zentralen Datei zum jederzeitigen Zugriff für die Polizeibehörden gespeichert werden; Telefon- und Internetverbindungen sollen flächendeckend mindestens für ein halbes Jahr zur Kontrolle aufbewahrt und private Computer einer zwar schon praktizierten, aber noch auf rechtlich unsicheren Beinen stehenden Online-Durchsuchung legal zugänglich gemacht werden; die vom neuen Mautsystem gewonnen Daten, mit denen die Erstellung von „Bewegungsprofilen“ und das Auffinden gesuchter Verkehrsteilnehmer möglich sind, sollen endlich offiziell für Fahndungszwecke verfügbar und die ganze beachtliche Datenmasse vermittels der Einführung einer lebenslangen, zentralen „Personenkennziffer“ für jeden Bürger besser sortierbar gemacht werden.
*
Einerseits herrscht, angesichts der „terroristischen
Gefährdung“, die Deutschland durch sein weltweites Wirken
im Dienste des Guten von Seiten der Bösen auf sich zieht,
einige Einsicht in die Notwendigkeiten staatlicher
Aufsicht und Kontrolle, weil es eben nötig (ist), dass
auch Menschen überwacht werden, von denen noch niemand
weiß, wie gefährlich sie sind.
(Tagesspiegel, 19.4.07) Und anlässlich
der angekündigten Proteste zum G8-Gipfel leuchtet der
Kontrollbedarf auch gegenüber hauseigenen Abweichlern
ein:
„Da der Übergang vom Gedanken zur strafbaren Tat jedoch oft fließend ist, müssen sich auch die Anhänger exzentrischer Weltbilder manchmal etwas gefallen lassen: zum Beispiel, dass Polizei und Staatsanwaltschaft ihnen auf die Finger schauen.“ (FAZ, 11.5.)
Andererseits sieht sich die liberale Fraktion aufgerufen,
Bedenken anzumelden, wenn nicht gar Schäubles
„Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz“ ein
entschiedenes Jetzt reicht’s mit dem fortgesetzten
Eingriff in die bürgerliche Intimsphäre!
(R. Leicht, Die Zeit, 12.4.) entgegen zu
schleudern.
„Magere 381 Kriminalfälle, in denen gespeicherte Daten der Aufklärung vielleicht dienlich gewesen wären. 381 – von sechs Millionen begangenen Straftaten“ (HB,19.4.) sind ihr einfach zu wenig, „um mit dem bloßen Versprechen eines marginalen Sicherheitsgewinns ..., real existierende Garantien der Privatsphäre einzuebnen ...“ (R. Leicht, ebd.)
Auch wenn die Stellungnahme Verhandlungsbereitschaft in Sachen „Einebnung“ für den Fall signalisiert, dass der versprochene „Sicherheitsgewinn“ nicht gar so „marginal“ wäre: Grundsätzlich halten die Kritiker der neuen Sicherheitsgesetze – wie immer – den Bestand an „garantierter Privatsphäre“, mit dem die Staatsgewalt ihre freien Personen gerade ausstattet, für ausgesprochen schützens- und erhaltenswert. Wie es Sache des Innenministers ist, diesen Standard aktuellen politischen Bedürfnissen gemäß zu reformieren, so widmet sich die kritische Öffentlichkeit der Aufgabe, das Für und Wider solchen Fortschritts zu erörtern und dabei alle Fragen nach der ausreichenden Beachtung der geltenden politischen, moralischen und rechtlichen Prinzipien des Regierens aufzuwerfen, vor, neben und manchmal anstelle der zuständigen Gerichtsbarkeit.
„Die neuen Antiterror-Gesetze verwandeln das Polizeirecht, das für die Gefahrenabwehr zuständig ist, in ein schärferes Recht, als es das Strafrecht ist. Die Mittel und Methoden, die bisher im Strafrecht, also bei der Aufklärung und Verfolgung von Verbrechen (nach strengen rechtsstaatlichen Regeln) angewendet werden durften, haben ins Polizeirecht Einzug gehalten – allerdings ohne die strengen rechtsstaatlichen Regeln.“ (H. Prantl, SZ, 19.4.)
Das bringt es mit sich, dass bei jedem einschlägigen
Gesetzesvorhaben, so auch bei dem aktuellen, das
zusätzlich zu den Ländern auch dem Bund erstmals
Präventivbefugnisse zur Terrorabwehr
einräumt, aufs
Neue das Problem gewälzt wird, ob da nun die Grenze
zwischen wachem Staat und Überwachungsstaat
überschritten und die Abwägung zwischen Sicherheit und
Freiheit
(Spiegel, 20/07)
richtig getroffen werde.
Wenn dann, wie im Vorfeld des G8-Gipfels geschehen, die
Verfassungsminister der Länder, mit Schäuble und seiner
Bundesanwaltschaft an der Spitze, die den einschlägigen
Protest vorbereitenden Gruppen freihändig in den Stand
„terroristischer Vereinigungen“ hochdefinieren, sie mit
einschüchternder Wucht mit Razzien überziehen, mit
V-Leuten unterwandern, observieren, kriminalisieren,
schikanieren und zu zerschlagen suchen und die großzügige
Anwendung von „Vorbeugehaft“ in „Sondergefängnissen“
gegen ihre Dissidenten ankündigen, dann sieht sich der
Alarmismus der freiheitlichen Verfassungsschützer
bestätigt, und nicht nur die FDP, weil sie gerade in der
Opposition ist, kommt auf die Idee, dass Schäubles
Vorbeugepolitik, gefährlich nahe bei dem (ist), was in
Guantánamo passiert.
(Westerwelle, Die Zeit, ebd.)
*
Bei den politisch Zuständigen scheint man darauf zu
vertrauen, dass sich über kurz oder länger die Aufregung
irgendwann auch wieder legen wird, wenn die Regierung die
jeweils nächste Fassung des bürgerlichen Dürfens, damit
auch der gültigen „Intimsphäre“ und des Umfangs erlaubter
Überwachung durchgesetzt und in das geltende
Recht verwandelt hat, das dann bei der nächsten Reform
von der kritischen Öffentlichkeit wieder „mit Zähnen und
Klauen“ verteidigt wird, ohne dass es je zu ernsthaften
Zerwürfnissen zwischen ihr und der Staatsmacht käme. Der
Innenminister jedenfalls lässt eine abgeklärte Sicht der
Dinge erkennen. Er antwortet auf die Frage, was denn
los sei
im Zusammenhang mit der laufenden
Gesetzgebung und Praxis in Sachen innerer Sicherheit,
einfach: Eigentlich gar nichts.
(Die Zeit, 26.4.) Und wo er recht hat,
hat er recht. Von einem Standpunktwechsel des Staates
kann in der Tat nicht die Rede sein. Er schreibt einfach
zeitgemäß fort, was schon immer und überall seine Räson
ist: Die verlangt, dass das Volk sicher unter Aufsicht
bleibt.
Das hindert natürlich nicht daran, anderen Herrschaften
zum Vorwurf zu machen, was man selber gerade tut: Wenn
anderswo Behörden versuchen, Kritiker und
Demonstranten ... einzuschüchtern, die Büros von Medien
und ‚Nicht-Einverstandenen‘ durchsuchen
, weil diese
bei einem internationalen Gipfeltreffen demonstrieren
wollen, dann ist soviel Aufregung geboten, dass eine
ganze deutsche Bundeskanzlerin und EU-Präsidentin mit dem
Auftrag in Marsch gesetzt wird, den zuständigen
Staatschef zu drängen
, dass sich auch kritische
Stimmen artikulieren können müssten.
(FTD, 11.5.) Wenn exakt das Gleiche nicht
in „Putins Reich“ beim EU-Russland-Gipfel, sondern in
Deutschland geschieht, wird damit nicht mehr als
unsere Pflicht als Gastgeber
wahrgenommen,
unsere Gäste zu schützen
(Staatsekretär Hanning, t-online, 16.5.),
die einen Anspruch darauf haben, dass abweichende
Meinungen nicht näher als 200 Meter an den bekannten
Sperrzaun von Heiligendamm herankommen, selbst wenn die
Schutzbedürftigen noch gar nicht angereist sind. Läuft
die Tagung erst einmal, werden die terrorverdächtigen
deutschen Dissidenten noch viel weiträumiger ausgesperrt.
Auch die Reform der Rechtsgrundlagen solch
gastfreundlicher Einsätze, die von der Regierung
betriebene aktuelle Entwicklung des vorbeugenden
Polizeirechts ebenso wie die schon seit RAF-Zeiten
laufende Fortbildung des „nachgehenden“ Straf- und
Strafprozessrechtes, gilt dem federführenden
Innenminister nicht als außergewöhnlich. Eigentlich hat
sich der Fortschritt der Rechtslage den Generaltitel
einer anhaltenden „Verschärfung“ redlich verdient, wenn
man den Maßstab der legalen „Eingriffsintensität“
gegenüber verdächtigen „Gefährdern“ oder angeklagten
Straftätern und deren Verteidigungsmöglichkeiten anlegt.
Die Staatssicherheits- und Strafverfolgungsbehörden
machen von ihrer Entschränkung bei Bedarf auch durchaus
exzessiven Gebrauch, wie jetzt, wenn sie die
aufgefrischte Diskussion über den alten RAF-Terror und
die mittels allwöchentlich neu ausgerufener
islamistischer Terrorgefahr erzeugte Stimmung gleich in
die schon erwähnte polizeirechtliche Einstufung von
Globalisierungsgegnern als terroristische Vereinigungen
fortschreiben. Darüber führen ja die Prantls der Republik
getreulich Buch.
Für Schäuble ist die Aufregung völlig aufgeblasen
.
(HB, 5./9.4.) Er will es seinen Kritikern nicht
durchgehen lassen, wenn sie mit allen Zeichen
hochgradiger Besorgnis alle Wohlmeinenden im Land
einschließlich der agierenden Politiker immer wieder vor
ganz neuartigen „fatalen“ Übergängen warnen, die
den Charakter der guten Regierung prinzipiell
und in Richtung „Polizei- und Überwachungsstaat“
verändern und ihr vertrauensvolles Verhältnis zum Volk
gefährden könnten. Der Minister hält das für verfehlt, am
ehesten für parteipolitisch gefärbte Heuchelei seiner
Gegner und die Gesetzesinitiativen der Regierung für
durchaus üblichen Geschäftsgang. Er verweist lapidar
darauf, dass es schließlich das Bedürfnis und die Pflicht
eines jeden Staatswesens zu sein hat, das die
Artikel und Paragraphen seiner verfassungsmäßigen Ordnung
geachtet sehen will, Polizei- und Überwachungsstaat zu
sein, selbstredend im Dienst seiner Bürger:
Der Verfassungsstaat hat eben die Aufgabe, den Bürgern im Rahmen der Gesetze Sicherheit zu leisten“ (Schäuble),
wobei unterstellt ist, dass die Sicherheit der Bürger und die ihres staatlichen Gemeinwesens in eins fallen, auch wenn sich der Bedarf bei Schäuble und beim Bundesgerichtshof manchmal ganz unterschiedlich anhören können. Beide dürfen aber erwarten, dass die Staatsmacht gegen Vereinigungen, die auf terroristischen Protest sinnen, mit Observation und hartem Zugriff vorgeht, wenn
„gewalttätige Proteste insbesondere die internationale Position der Bundesrepublik Deutschland als verlässlicher Partner im Verbund der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen erheblich schädigen könnten.“ (Begründung des BGH für die Razzien gegen G8-Gegener, Spiegel, 20/07)
Weil sich der „Verfassungsstaat“ – wie übrigens jeder
andere auch – außerdem und jeden Tag in einem ständigen
Wettlauf zwischen Polizei und Verbrechern
befindet, will er – wie schon wieder alle anderen auch –
zum Zweck der „Gefahrenabwehr“ und der Strafverfolgung
möglichst viele Informationen sammeln: Dafür muss es
doch möglich sein ... Kontakte im Internet zu
überwachen
. Die Ergebnisse seiner Tätigkeit muss er
aber auch dann verwenden dürfen, wenn sie nicht ganz
so zuverlässig ... rechtsstaatlich einwandfrei
erlangt
, also mit ein wenig Folter beigebracht
wurden. Wenn Schäuble sich auf seine Aufgabe
beruft, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen
,
ist ihm eben nichts Menschliches fremd.
Er pflegt, auch da in Übereinstimmung mit allen
Innenministern in aller Welt, ein kritisches Aufsichts-
und Kontrollverhältnis gegenüber seiner Gesellschaft, die
von inländischen Anhängern exzentrischer
Weltbilder
bis zu muslimischen Schläfern
alle möglichen schrägen Vögel beherbergt. Sie alle sind
von Gesetzes wegen zur Führung eines gemeinwohldienlichen
Lebens ermächtigt, was, da macht sich keiner
seiner Kollegen etwas vor, längst nicht heißt, dass sie
davon ordnungsgemäßen Gebrauch machen. Deshalb will die
Verpflichtung auf diese Freiheit immerzu
aufmerksam überwacht sein. Dazu haben sie sich die
Staaten der Welt ausnahmslos ihre Stasi
geschaffen. Die Frage, ob da gerade die Trennung von
Polizei und Geheimdiensten oder ihre Zusammenlegung zu
einer schlagkräftigen Geheimpolizei historisch angesagt
ist, entscheidet sich eher nach zufälligen Umständen. So
haben die „Dienste“ in dem einen Land ohne Umstände freie
Hand für das Notwendige, oder werden in einem anderen,
wie hierzulande, von einem „parlamentarischen
Kontrollgremium“ überwacht, das nach eigener Auskunft
keinerlei Überblick über die massenhaften Fälle von
geheimdienstlicher Tätigkeit hat. Die Regelung macht
trotzdem einen ausgesprochen guten Eindruck und ist zudem
der Geheimhaltung sehr förderlich. Wann Geheimpolizisten
richtig grob werden im Umgang mit ihren wirklichen oder
vermeintlichen Feinden, hängt bei dieser klandestinen
Abteilung des öffentlichen Dienstes auch nicht davon ab,
ob ihre politischen Auftraggeber ihre Ämter in freien
Wahlen erwerben, wie z.Zt. am Fall der USA und ihrer
mithelfenden Verbündeten zu sehen ist, sondern allein von
der eingeschätzten Gefährlichkeit ihrer Opfer.
Die rechtlichen und organisatorischen Varianten ergeben
sich offenkundig allein aus den aktuellen
Sicherheitsbedürfnissen der politischen Gewalt.
Die erklären sich vor allem aus der Natur der jeweils als
akut ausgemachten Bedrohung und bedienen sich der
technischen Mittel, die gerade zu deren
Bekämpfung zur Verfügung stehen. Ob Mafiosi,
islamistische Terroristen, Separatisten oder andere
subversive politische Gesinnungstäter zu bekämpfen sind:
Jedes Feld der „Polizeiarbeit“ stellt die Aktivisten der
inneren Sicherheit vor neue Herausforderungen. Und wenn
Terroristen nicht über Brieftauben kommunizieren
(Schäuble, HB, 5./9.4.)
sondern über Computer, dann muss dafür das nötige Recht
her, insbesondere die Verfassung ... an die neuen
gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen
angepasst werden.
(Schäuble, HB,
ebd.) Die Definition bürgerrechtlicher Freiräume
folgt eben dem Bedürfnis der Staatsmacht nach Sicherheit
des Gemeinwesens vor dessen letztlich unberechenbaren
Insassen und nicht umgekehrt!
*
Weil Polizei und Geheimdienste manchmal schneller auf „Entwicklungen“ reagieren als die Gesetzgebung, haben sie schon seit einiger Zeit auch ohne oder zumindest mit zweifelhaften Rechtsgrundlagen angefangen, mittels Online-Durchsuchungen anderer Leute Computer auszuspionieren. Schäuble als ihr politischer Vormann fordert nun den Erlass einer der Praxis entsprechenden Rechts- und Verfassungslage: So sollen staatliches Kontrollbedürfnis und demokratische Rechtsstaatlichkeit wieder zusammen gebracht werden. Dass das überhaupt sein soll, erscheint wie eine luxuriöse Umständlichkeit des Sicherheitswesens in modernen Demokratien: Die haben ihren Bürgern die Eckdaten ihrer freiheitlich-kapitalistischen Lebensführung als ihre Grundrechte aufgeschrieben, in deren Katalog im Zuge der „gesellschaftlichen und technologischen Entwicklung“ auch die „informationelle Selbstbestimmung“, ein Verfügungsrecht über die eigenen persönlichen Daten, gelandet ist. Die Kontrollwünsche der Staatsmacht führen zwar dazu, dass – im Lichte des Standes der Technik – stets daran herumreformiert und -judiziert wird, was die Organe der Prävention und Verfolgung gerade alles mit diesen Daten dürfen. Bloß: Eine Kündigung des Grundrechtes für den Bürger, der es nicht missbraucht, ist damit nicht gemeint. Die Daten, die die demokratische Stasi nicht für die Produktion von Sicherheit braucht, sollen wirklich Teil der bürgerlichen Intimsphäre bleiben. Soweit sie nebenbei Gegenstand geschäftlicher Neugierde sind, offerieren Gesetz und Rechtssprechung dagegen sogar einen gewissen Rechtsschutz. Der Bürger soll wissen, auch wenn die Technik in Staatshand keine Möglichkeit vernachlässigen darf, dass Überwachung in diesem Land ein rechtlich und politisch begründeter Sonderfall ist und bleiben soll. Wenn Schäuble rechtlich korrekt darauf verweist, dass die „Unschuldsvermutung“ im juristischen Sinne auf dem Feld der im rasanten Ausbau befindlichen „Gefahrenabwehr“ keinen Platz habe, weil es da eben nicht um Nachweis und Sanktionierung von Schuld, sondern um das Verhindern des „Gefahreintritts“ ginge, dann will er damit keinesfalls die politische Unschuldsvermutung gegenüber dem gesetzestreuen Bürger aus dem Verkehr ziehen, auch wenn abgehört und observiert wird, was die Prozessoren hergeben: Auf der bürgerlichen Angepasstheit beruht schließlich am Ende die ganze innere Sicherheit und nur der verlässliche Konformismus der großen Mehrheit lässt es zu, dass die Kontrolleure und Überwacher der Gesellschaft trotz allen Misstrauens, das sie umtreibt, praktisch mit polizei- oder gar verfassungswidrigen Abweichungen als Ausnahme rechnen können. Der gute Bürger soll sich jedenfalls auch dann nicht verdächtigt fühlen, wenn er weiß, dass er eben manchmal „in der Fläche“ mit überwacht wird und in manches Raster passt. Im Gegenteil: Seine Kooperation ist erwünscht, er wird grundsätzlich als Kollaborateur der Aufsichtsmacht und Denunziant gebraucht und von seinen politischen Repräsentanten als der eigentliche Auftraggeber der geheimen und uniformierten Aufsichtsführenden benannt. Die Politiker gestalten in seinem Interesse und seinem Namen seinen als verzichtbar erkannten Rechtsbestand um, damit sie besser für das wirklich Wichtige sorgen können:
„Die Kritik an den Innenministern, sie würden sich immer mehr Kontrollmöglichkeiten zu Lasten der Bürgerrechte verschaffen ist naiv.. Den schlimmsten Angriff auf die Persönlichkeitsrechte erfährt man durch einen Anschlag gegen Leib und Leben, oder wenn jemand die Daten und die Identität eines unbescholtenen Bürgers für kriminelle Zwecke missbraucht. Die große Mehrheit der Bevölkerung sieht das übrigens auch so.“ (Schäuble, 5./9.4.)
Und wer es für eine Zumutung hält, dass effektive Überwachung heute ein wichtiger Teil der persönlichen Freiheit sein soll, dem steht der Weg zu den Gerichten mit dem Antrag frei, an Gesetzen oder Einzelakten, von denen er seine Rechte bedroht sieht, Korrekturen vorzunehmen. Dem Fortschritt der inneren Sicherheit hat das bis heute ersichtlich nicht geschadet, dem guten Ruf dieses Fortschritts als verantwortungsvolle Politik in unsicheren Zeiten dafür aber in weiten Kreisen der Bevölkerung durchaus genützt. Dem „wachen Staat“ wollen nicht einmal die hitzigsten Teilnehmer der Debatten um die Qualitätssicherung demokratischer Herrschaft den bereits vollzogenen Übergang zum „Überwachungsstaat“ vorwerfen, weswegen sie ihm immer wieder die diesbezügliche „Gefahr“ eindringlich vor Augen halten. Wer sich dennoch dazu versteigt, zieht damit sogleich den Verdacht auf sich, außerhalb dieser Debatte zu stehen. Und gibt zu erkennen, dass man bei ihm gelegentlich einmal genauer nachsehen sollte...